Sonntag 14. November 1926
Unterhaltung unfl �Vissen
Sellage des Vorwärts
Ein herS für zwei Familien. von Friedrich Natteroth. Holstens war das Dach über dem Kopf abgebrannt. Da» Unglück hotte die alten Leutchen, die beide schon über die Siebzig waren, schwer getroffen. Baumeister Mewes forderte nun für den neuen Dachswhl eine Summe, die Holsten nie in seinem langen Leben beieinander gesehen hatte. Sie standen ratlos, sie sahen sich an und fanden keine Worte, die beiden Alten. Und Baumeister Mewes meinte, sie sollten ihm das Häuschen verkaufen, dann wären sie die Sorge auf einmal los. Der alte Holsten saß in seinem Sorgenstuhl und gab keine Antwort. So vor sich hinaus sah er nur. dorthin, wo die Stuben- decke durch den Brand halb abgedeckt war und die blau« Unend- lichkeit hereinblickte und zur anderen Hälfte de» Stundenkreises die dunkle Nacht. Seine �rau trippelte mit Neinen Schritten um ihn herum, dann kam sie nahe an sein Ohr— denn Bater Holsten war auch ein wenig taub— und schrie ihn an:.Tu'» doch! Tu's doch! Hier könne mer nich bleiber Langsam hatte Bater Holsten mit dem Kopf geschüttelt, dann sagte er mit greinender Stimme:.Da müsse mer in» Spitt«!. Nä. ins Spittel gehe ich nich. da mochte mo mich schon tot hinaustrage!' Die Frau aber hatte keine Ruhe gelassen. Sie bewies wieder einmal, daß im Cntschlußfasien das Weib das stärkere Geschlecht ist. Nur der Dachdecker Arndt , der seinem Herrn beim Ausmesten de» Daches geholfen hatte, war über den Handel nicht recht erbaut. Es war ihm etwas Nasses ins Auge gekommen, er schneuzt« sich und trieb an:.Nu, machet scho, ich muß heim gehet' Baumeister Mewes hatte da» Geld für da» Häusel bereit» mit- gebracht und eine Schrift dazu, die nur unterschrieben zu werden brauchte. Der Anblick des vielen Geldes bewirkte, daß die alten Leute ihr Haus los wurden. Daheim beim Dachdecker Arndt gab es ein lange« Verhandeln mit der blonden Kathrin, die mit ihrem Franz erst sechs Wochen verheiratet war. Kathrin konnte Ihrem Manne selten etwa» abschlagen, e» war nicht nur Speck, den ste aus den starken Hüsten trug, in Ihr vegte sich auch schon ein wenig mütterliches Ahnen von dem Kind unter ihrem Herzen. Aber da waren doch allerlei Bedenken, die wohl erwogen werden mußten: die Gebrechlichkeit der Alten, die stein« Wohnung, die st« besaßen, und die noch enger werden würde, wenn erst das Kindchen da sei. Auch besäßen alte Leute ihre Schrullen und, kurz gesagt, Kathrin, die sehr verliebt war, fühlte stch sehr behindert in dem Gedanken, die alten Leute aufzunehmen. In ihrem Herzen jedoch hatte st« dem Plan ihre» Mannes längst zugestimmt und stritt stch eigentlich nur noch zum Schein, um eine Rechtfertigung für ihr eigene» Tun zu haben. Ihr Mann war dann mit einem krästtgen Kuß und mtt den Worten von ihr gegangen:.Nu mach schon, du! Mach ich'», is es falsch, machst du'«, is es gut!' Einen Augenblick nur hatte Kathrin in der Stube gestanden, dann trampst« stch ihr Herz wieder in der Sorg« um ihren Mann, der gegangen war, das steile Kirchturmdach mit Schiefer einzu- decken. Und plötzlich fühlt« ste auch die gute Absicht ihres Franz heraus, der ste mit diesef'Besorgnis um seine Person nicht allein lassen wollte. Sie eilt« schnell fort, als müßte ste sonst etwa« retteiz. In ihrer kernigen, fröhlichen Art stellte Kathrin den Eheleuten das Zusammenleben vor. So überzeugend, daß Bater Holsten noch einmal eine starke Wärme zum Kops steigend empfand, ja, er war nicht abgeneigt, der schönen Kathrin schnurstrack» zu folgen. Und Mutter Holsten war auch froh, daß sie nun nicht in» Spittel brauchten, von dem die Leute gesagt hatten, daß Männer und Frauen dort getrennt wohnen müßten. Sie waren bald übergesiedelt zu Dachdecker Arndt und hatten sich eingerichtet in der kleineren leeren Stube, die dafür ober nach dem Süden lag und den ganzen Tag warme Sonne erhielt. In ihren Abmachungen mit Arndts erhielt Kathrin die Zusage, daß ihr die alten Möbel und die geblümten Zugvorhänge am Fenster noch dem Tode der Alten verbleiben würden. Sie zahlten ihr obendrein �ouch ein« Kleinigkett al» Mietzins und wußten stch so bescheiden zusammenzurücken, daß es zu einer Klage keinen Anlaß gab. Eines war nur. was wie ein schwarzer Punkt in diesem freund- nachbarlichen Verhältnisse stand, und dieser Punkt war auch wirtlich schwarz, es war der Küchenherd, den beide Familien gen.einsam benutzen mußten. Während Kathrin gar nichts dabei empfand, daß Mutter Holsten ihre Neinen Töpfe mit auf dem Feuerherde stehen hatte, war eigentlich die Holsten recht empfindlich in diesen Dingen. Sie hatte tausenderlei am Herd zu schaffen, hatte alle Augenblicke ein Suppchen oder Kaffee zu wärmen, doch dann stand der große � Topf für die jungen Leute wie ein schlechter Nachbar auf dem Feuer, und ihr kleines Töpfchen drückte sich bescheiden daneben. Auch dieses wollte kochen, wollte dampfen ünd zischend den Deckel heben. Da kam Kathrin schnell, nahm den Deckel von Mutter Halstens Topf, ja, sie rührte besorgt darin herum, damit der Inhalt nicht anbrannte, und wischte die Herdplatte ab. Das alles mußte Mutter Holsten mit ansehen, ohne sich dagegen wehren zu können. Es war der einzige Schmerz im Zusammenwohnen mit Arndts, aber er war trotzdem groß genug und eine immerwährende Quelle des Kummers für die alte Frau, die so gern das Regiment in der Küche besessen hätte. Das alte Mütterchen hoffte auf einen Wandel in der Zukunft. Wenn erst das Kind da war, hatte Kathrin sicher nicht so viel Zeit, in der Küche zu wirtschaften. So hatten sich beide in die Dinge ein- gelebt. Alles war schön und gut. und Arndt hatte wieder einmal recht gehabt, als er meinte, die Armen hätten größere Verpflichtung, für ihresgleichen zu sorgen, als die Reichen, weil sie mehr aufein- ander angewiesen seien. Doch eines Tages bekam der alte Holsten einen Schlagonfall. der ihn hilflos an sein Bett band und Mutter Holsten fast dauernd zur Wärterin machte. Der Alte lag unbeweg- lich und entkräftete zusehends. Es sah yus, als ob noch mehr wartete. Bei Arndts wartete man auch. Mutter Holsten war ganz aus dem Konzept gebracht: es war auch zu schlimm, daß die Sache mit ihrem Manne gerade jetzt passieren mußte, wo sie sich auf das Neue so sehr gefreut hatte. Der Arzt war gekommen und hatte eine kräf- tige Fleischsuppe für den Kranken verordnet, Mutter Holsten hatte ein Huhn geschlachtet, und sie erwog dabei den Gedanken, welch gute Wochensuppe das Huhn für die Kathrin abgegeben hätte. Die Suppe hatte den Nachmittag über schon auf dem Herd gebrodelt, und Kathrin war schwer daneben gesessen, hob ab und zu den Deckel ab und füllte Wasser nach, weil Mutter Holsten bei ihrem Mann in der Stube beschäftigt war. Und da war.es geschehen, daß Kathrin plötzlich von Schmerzen besallen wurde, und die Schmerzen so stark wurden, daß sie sich gerade noch mit Hilfe der alten Frau ins Bett schleppen konnte. Mutter Holsten halle den Topf vom
Der große Angriff der veutsthnationalen.
Entwicklung üer HeneroUSee.
Die Truppe macht sich gefechtsbereit.
Sprung auf, marjch marsch!
.Wanderer, kommt es zu Wahlen, verkündige vu allerorten, Daß du uns liegen gefehn, wie es der Graf uns befahl!'
Feuer ziehen müssen und war gelaufen, die weise Frau zur Hilfe heranzuholen. Die Wehmutter kam und forderte heißes Wasser zum Baden des Kindes, und es war nun ein Laufen und ein« Aufregung, bei der es der Alten ganz wirbelig im Kopf wurde. Dann mußte auch sie in die Stube kommen und das Kindchen betrachten, da» frisch und rosig in weißen Kissen neben der Wöchnerin lag. Kathrin hatte ste nur mit müdem Lächeln angesehen und ihr die Hand zum Dank gedrückt. Ihre Augen waren groß voll stummen Glücke», wenn sie vom Vater zum Kind und vom Kind zum Dater zurück wanderten. Mutter Holsten erinnerte stch jetzt wieder ihre» Manne », und leise schlich sie sich in die Stube, um auch ihm die frohe Nachricht zu berichten. Der lag ganz still und rührt« sich auch nicht, al» ihm Mutter Holsten das Begebnis überlaut ins Ohr schrie. Er lächelte sein Lächeln vor sich hin, wie er es schon lange nicht mehr getan hatte. Muller Holsten konnte mit ihrem liebenden Herzen nichts anderes tun. als ihm die müden Augen zuzudrücken,
Doch da klopfte Dachdecker Arndt an die Stubentür, und dieses Geräusch riß sie aus ihrem Schmerz empor, der sie über ihres Mannes Lager fast bewußtlos hatte hinsinken lassen. Blitzartig . überkam.sie. da» Gefühl, du darfst von diesem Unglück jetzt nichts merken lassen, die junge Frau darf nichts erfahren, damit sie nicht erschrickt. Sie nahm sich zusammen und deckte schnell ein Tuch über das Gesicht des stillen Schläfers. Dann öffnete sie die Tür und hob warnend den Finger, ganz leise zu sein. Aber Arndt glänzte vor Glück, das ihm die Worte in der Kehle oerschlug: �habe Sie nischt zu esse? Die Kathrin verlangtl' Mutter Holsten eilte hinaus in die Küche. Ihr Herz bibberte vor Erregung, als ste die Suppe mit dem zarten Hühnerfleisch auf den Teller füllte. Die Suppe, von der ihr Mann essen sollte, und der ihrer nicht mehr bedurfte. Und weil Tapferkeit nie die Stärke in Mutter Holstens Charakter gewesen war.'so war es gut, daß sie die Suppe nicht umsonst gekocht hatte. Sie half ihr in dem ent, scheidenden Moment über ihr eigenes Leid hinweg.