Casanova und die Grden. Der spätere Sittenrichter unserer heutigen deutschen Gegenmart tvird nicht umhin können, an die zur Stunde, nach acht Jahren republikanischer Entwicklung und Arbeit an der Vereinfachung und Solidiening der neuen Gesellschaftsform, plötzlich wieder aufgetauchte Sehnsucht nach klimpernden Medaillen und bunten Ordensbändern eimge gehörige Betrachtungen über die ewige menschliche Torheit im allgemeinen und den reaktionären Urgrund der deutschen Bürger- seele im besonderen zu knüpfen. Er wird beredte Zitate aus unserer klassischen und neuzeitlichen Literatur zur kritischen Beleuchtung unserer lächerliche» Titel- und Ordenssucht genug zur Verfügung haben, aber auch er wird«ine der kräftigsten Stimmen wahrschein- lich außer acht lassen, die sich jemals in Europa gegen die. menschliche Eitelkeit'erhöben hat und die im achtzehnten Jahrhundert bereits, und das ist typisch, aus. dem Munde eines mit allen Schwächen der Ueberkultur behafteten Abenteurers erklungen ist. Es ist das Zeugnis des.Chevaliers" Jakob Seingalt de Casanova, des„Hebens- würdigsten Spielers in Europa ", wie er stch selbst nennt, des größten Windbeutels und Hochstaplers aller Zeiten, wie wir ihn zu nennen nach den exakten Ergebnissen der geschichtlichen Forschung berechtigt sind. Die Originalausgab« seiner dickleibigen„Memoiren", die man, ohne prüde zu sein, einem jungen Mädch«, lieber nicht in die Hände geben möchte, ist eine unerschöpfliche Fundgrube für den Kultur- Historiker! diese Tatsache und die freimütige, oft zynische Offenheit dieses klassischen Wüstlings lassen uns bei der Lektüre oft vergessen, daß das mehrbändige Werk eigentlich die Bezeichnung eines„Leit- fadens für Berführungskünst« und erotisch« Raffinefles" verdient. Im vierzehnten Band der Originalausgabe finden wir die Aeuße- rung Casanovas über die Ordenssucht seiner Zeitgenossen, und was er, der als unbewußter Vorläufer E i n st ei n s wiederholt in seinen Erinnerungen betont, daß alles, auch in der Natur, relativ sei, damals über diese Krankheit sagt, hat auch heute noch allgemeine Geltung. Casanova hatte � angeblich vom Papst den Orden vom goldenen Sporn erhalten, eine„Auszeichnung", die ebenso wohlfeil war wie irgendein Adlerorden, und bemerkt nun dazu: „Ich kann wohl behaupten, daß dies Kreuz für mich«in wirk- lich es Kreuz, ein wahres Martyrium gewesen ist. Aber der Orden sah sehr schön aus, auf die überall so zahlreichen Narren machte er Eindruck, und so legte ich ihn sogar zum gewöhnlichen Anzüge an. Der Christusorden in Portugal ist ebenso wohlseil wie der goldene Sporn, denn der Papst oerleiht ihn ebenso großzügig wie der König von Portugal . Man schätzt den Roten Adlerorden erst, seüdem der König von Preußen sein Großmeister geworden ist. Vor dreißig Jahren noch hätte niemand gewagt, sich in diesem Schmucke zu zeigen, weil der Markgraf von Bayreuth ihn dem ersten besten Hergelaufenen gegen bares Geld verkaufte. Das Band des St. Michael-Ordens wollte früher niemand haben, da es zu einem billigen Preise von den Höflingen des Kurfürsten von Köln zu erhalten war, der damit eine Menge von Leuten auszeichnete, die eher die Galgenleiier auf dem Rücken als ein Ehrenkreuz auf der Brust zu tragen verdienten. Die Wut nach den Orden» st ernen nimmt zu mit der Verderbtheit der Sitten. I« weniger man sich m seiner eigenen Neberzeugung erhaben fühlt, denn vor dem eigenen Gewissen kann man sich nichts vormachen, desto höher will man vor den Augen anderer ausgezeichnet sein. Die Eitelkeit der Menschen, die Habgier der Regierungen, insbesondere aber die Käuflichkeit der Hofichranzen sind daher die Ursache dafür, daß die Orden für niemanden mehr den Charakter ehrender Auszeichnung für wirklich« Verdienste besitzen. Betrachtet man die Ueberfüll« von Orden und Berdienftkreuzen, so könnte man sich, selbst als.der gelehrteste Man- darin, nicht schmeicheln, sie alle im Gedächtnis behalten zu können. Außer den Orden der gekrönten Häupter und der Duodezfürsten gibt es aber auch noch sine Menge von Ordenszeichen- unbekannter Kapitel, von Privatgesellschaften, Akademien und Vereinigungen von Schützen, Musikern und vielleicht sogar von Verliebten. Wie soll
man au» diesem Chaos die Orden der Verschwörer oder gar der Taugenichfie herauskennen?" Damals also wie heute— auch Deutschland soll diese Kultur. frucht wieder reifen!— Ordensschacher, wattierte Ueberheblichkcit mit dem rasselnden Klempnerladen auf der Brust, eine innerliche bohle Zivilisation bürgerlicher Heuchelei und Unwahrhaftigkeit. Wahrlich, die Menschheit lernt nichts hinzu! Z. Das dritte Geschlecht. Von Dr. W. Wächter. Es fit kein Roman, über de» hier berichtet weiden soll, sondern es sind nackte Tatsachen, die an Pilzen entdeckt wurden, die aber ganz phantastfich wirken, wenn wir sie uns auf den Menschen über» tragen denken, was theoretfich sehr wohl möglich fit, da der Träger des Lebens, das Protoplasma, im Wesentlichen das gleiche ist in der ganzen Organismen welt. Wir kennen bei den mefiten zivilisierten Völkern jetzt nur die Einehe, die Monogamie, und selbst bei den Türken, die sich bisher der Vielehe schuldig machen konnten, ohne mit dem Zuchthaus« in Berührung zu kommen, fit es feit der letzten großen Umwälzung vorbei mit der Romantik des Haremsleben«. Abgesehen von den mannigfoktigsten illegitimen Verhältnissen kennen wir aber bei den sogenannten wilden Völkerschaften die sonderbarsten Eheformen. Wir haben da Vielweiberei, Vielmännerei, Gruppenehen und auch wohl noch allgemein« Promiskuität wie bei den Gesellschaftstieren, zu denen ja vom zoologfichen Standpunkt auch der Mensch zählt. Was wir über dies«„Formen der Che" wissen, hat Müller-Lner in schöner und klarer Weise zusammengestellt. Bei den höheren Tieren gibt es auch Emehen, z. B. bei den Vögeln, wie jeder weiß: wenn das aber der Fall fit, so leben die Tier« nicht in größerer Gemeinschaft. Bei den niederen Tieren und Pflanzen herrscht«in allgemeines Durch- «inander und es entscheidet der Zufall, welch« Geschlechtszellen mit- einander verschmelzen. Don denjenigen Organismen, die sich auf ungeschlechtlichem Wege vermehren und von den Pflanzen und Tieren, die sich durch Parthenogenesis, also ohne Zutun eines Männchens fortpflanzen, können wir bei unserer Betrachtung Ab- stand nehmen. Wie auch immer di« Fortpflanzungsverhältnisse beschaffen sein mögen, immer vereinigt sich«in« männliche Zell « mit einer weibsichen: das nennen wir Befruchtung, ein Vorgang, der also von der Begattung wohl zu unterscheiden ist. Di« Be- aattungsarten mögen also noch so kompliziert, legitim oder illegitim sein, da« Kind hat immer nur einen Vater und«in« Mutt«r. Es ist gar nicht auszudenken, welch« Folgen«s haben würde, wenn zwei Individuen die Väter eines Kindes sein könnten. Man denke sich, ein« Negerin ließ«, sich kurz hintereinander von einem Weißen und einem Indianer begatten und zwei männliche Samenzellen könnten sich mit dem Ei vermischen. Wenn der Zufall günstig wäre, so hätten wir einen schwarzweißroten Bastard: oder wenn ein« Chinesin gleich- zeitig«m Verhältnis mit einem Neger und einem Indianer hätte, so könnt« ein fchwarzrotgekber Bastard entstehen. Aher wie gesagt, bisher kannten wir keinen Fall in der Natur, wo mehr als zwei Geschlechtszellen sich vereinigten. Nicht nur theoretisch, sondern auch praktfich ist ober der Fall denkbar, daß eine Negerin Zwilling« ge- bären könnte, von denen der ein««m Neger, der andere ein Mulatte wäre, wenn die Negerin kurz hintereinander von einem Weißen und einem Neger begattet worden wäre und wenn zwei Eier befruchtet worden wären. Zwillinge aus einem Ei kämen hier nicht in Frage. Aber auch bei diesen Zwillingen, die die gleiche Mutter, aber ver- schiedene Bäter hätten, wäre immer nur eine Eizelle mit einem männlichen Samenfaden befruchtet worden. Es mag manchem etwas weit hergeholt erscheinen, wormfi wir hier eingingen, aber diese Er- ört« Hingen werden wesentlich dazu beitragen, daß das Folgende in feiner ganzen theoretfichen Bedeutung richtig verstanden wird. Was nun das dritte Geschlecht anbetrifft, so hat vor etwa einem Menschenalter Ernst v. Wolzogen dieses unter den Menschen zu finden versucht, und«r hat auch ein Buch darüber geschrieben, aber
Las war alles nur bildlich gemeint; dem Botaniker Dr. Bauch bliefi es vorbehalten, bei einem Pilz wirklich ein drittes Geschlecht zu ent- decken, und zwar in einer sexuell wirksamen Form. Bis vor wenigen Jahren hielt man noch große Gruppen von Pilzen für ungeschlechtlich: aber es gelang vor allem dem Berliner Botaniker Prof. Kniep, den Nachweis zu erbringen, daß wir es auch dort mit Geschlechtspslanzen zu tun haben, wo es nicht so ohne weiteres auf der Hand lag. In einer kürzlich erschienenen Arbeit über Artkreuzungen bei Brandpilzen begegnen wir nun Entdeckungen, di«. auf den Menschen übertragen, so grotesk wirken, wie wir oben gesehen haben. Die Brandpilzsporen stnd wohl den meisten Menschen, die im Sommer aufs Land kommen, vom Getreide her bekannt. Besonders am Hafer kann man beobachten, daß die ganzen Aehren schwarz sind vom Brand. Allerdings fit die Krankheit immer seltener geworden, seitdem die Landwirte ihr Getreide beizen und für besiere Sorten scrgen. Di« Sporen, also Dcruerformen dieser Pilz«, können auf künstlichem Nährboden, z. B. Malzextraktgelatin«. oder auch iu flüssiger Nährlösung zur Entwicklung gebracht werden, und m<m kann sogenannt« Reinkulturen gewinnen, wie sie jeder von der Hese oder den Bakterien kennt. Keimen diese Sporen, so«nfiteht ein kleiner aus vier Zellen bestehender Schlauch. Jede dieser Zellen kann sich durch seitliche Aussprossungen, di« sich loslösen, vermehren und wir finden noch einiger Zeit in unserer Kultur ein« Menge von einzelnen Zellen, die als Geschlechtszellen aufgefaßt werden müssen. Diese Zellen kopulieren nun miteinander, und da sich die Zellkerne ebenso verhalten wie sonst bei geschlechtlichen Kopulationen, so haben wir es also mit einem richtigen Befruchtungsakt zu tun. Da nicht jede Zelle mit jeder verschmelzen kann, sondern immer nur Zellen bestimmter Herkunft, so hoben wir es ofienbar mit Zellen ver- fchiedenen Geschlechts zu hm, nur weiß man nicht, was weiblich und männlich fit, da sich die Zellen äußerlich nicht von«inander unter- scheiden. Man bezeichnet darum der Bequemlichkeit wegen die Zel''N mit A und B. Kopulieren kann immer nur«in« A-Zelle mit einer B-Zelle, niemals«in« A-Zell« mit einer A-Zelle, und ein« B-Zelle mit einer B-Zell«. Kniep beobachtete mm, daß vielfach nicht nur zwei Zellen miteinander eine Verbindung eingehen, sondern, daß drei, vier, fünf, ja bis zu est Zellen miteinander verschmolzen können. Das bracht« ihn auf den Gedanken, Bastard« aus dr« und vier verschiedenen Arten dieser Brandpilze zu erzeugen uiid das ist ihm auch in der Tat gelungen. Daß kein« Irrtümer vorliegen können, geht daraus hervor, daß die Geschlechts.zellen— Sporidien nennt man sie hier— der einzelnen Arten verschiedene Form haben. Es gibt da eine Art mit kreisrunden Sporidien,«ine mit eiförmigen, ein« dritte mit ganz langgestreckten usw. Die Berschmehzung kann man direkt unter dem Mikroskop beobachten. Der dreigefchlechtliche Pilz fit auch ein Brandpilz. Da sich die Geschlechter äußerlich nicht von einander unterscheiden, so kann man die Dreigeschlechtlichkeit nur indirekt feststellen, ebenso wie die Zweigeschlechtlichkeit bei den anderen Arten, also nur dadurch, daß man die verschiedenen Reinkulturen, die innner aus einer einzigen Sporidi« gewonnen werden, mit einander zusammenbringt und beobachtet, welcher Stonrm sich mit dem anderen oermischt. Bei der dreigeschlechtlichen Pflanze zeigt« es sich, daß di« Kopulation»versuche nicht so glatt verliefen, wie bei den Zweigeschlecht. lichen, es blieben immer wieder Zellen übrig, die nicht kopulierten. Man mußte diese also aussondern und nun hatte man das dritte Geschlecht fioliert und es zeigte sich, daß A-Zellen mit B- und L-Zellen, aber niemals gleichnamige Zellen kopulieren. Kniep verwandte auch dies« dreigeschlechtlichen Pflanzen zu seinen Versuchen und es fit leicht vorzustellen, wie kompliziert di« Bastarde werden, wenn nun die neuen Generationen erst zur Untersuchung gelangen. Durch di«
Kniepschen Entdeckungen werden unsere Vererbungsforschungen nun noch verwickelter werden, als sie bisher schon waren, und es ist gar nicht abzusehen, wie dies« neuen Tafiachen noch einmal theore- tisch ausgewertet werden. Doch überlasten wir das den Spezial- forschern; wir wollen uns nur an unser« schwarzweißroten und schwarzrotgelben Bastarde«rinnern, um di« neuen Entdeckungen recht begreifen zu können.
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