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Kr. 545 4Z. Jahrgang

1. Heilage öes vorwärts

Freitag, November?H2S

Rsvolverattentat in öerHewag". Ein Personalchef getötet.- Der Täter offenbar geisteskrank.

Ein furchtbares Verbrechen ist am gestrigen Donnerstag nach­mittag gegen 4 Uhr in den Bureaus der Berliner Elet- lrlzitätswerke A.-G.(Bewag) am Schissbaverdamm Nr. 22 verübt worden. Dort erschoß der 2öjährige Bureauan- gestellte Karl L e m m den Vertreter des personalchess, Neßler, weil Lemm zum ZI. Dezember d. Z. die Kündigung erhalten hatte. Ueber den Vorfall erfahren wir folgende Einzelhelten: Seit etwa Jahresfrist war der Bureaudiener Karl Lemm in den Bureaus der Bewag tätig. Lemm, der ein Phantast ist, machte sich bei seinen Kollegen schon nach kurzer Zeit außerordentlich un­beliebt, da er selbst ein überempfindlicher Mensch war. den auch der geringste Vorwurf bis zur Raserei bringen konnte, der auf der an- deren Seite ober das Recht für sich in Anspruch nahm, selbst ältere Kollegen und Vorgesetzte maßlos beleidigen zu können. So wußte er auch von jedem anderen Angestellten seiner Abteilung Uebles zu berichten und in fast allen Fällen stellte es sich heraus, daß die Beschuldigungen des Lemm nur in der Phantasie des jungen Mannes ihren Ursprung hatten. Allem Anschein nach ist Lemm auch sexuell überreizt gewesen, wenigstens deuten gewisse Anzeichen und Erzählungen des Mannes darauf hin. Die Stimmung gegen Lemm fand innerhalb der Beamten und Angestellten eine starke Verschärfung, als der junge Mensch eines Tages erklärte, er sei Mitglied einer rechtsradikalen Geheimorganisation, besitze dort mächtige Freunde und werde jeden erschießen, der ihm dienstlich sich in den Weg dränge. Die über das Verhalten Lemms entrüsteten Angestellten baten den Leiter der Abteilung, Direktor Kunstmann, sich den Prahlhans vorzunehmen, da ein gedeihliches Zusammenarbeiten sonst nicht möglich erscheine. Der Abteilungs- chef ließ sich Lemm auch kommen, machte ihm ernste Vorhaltungen und verlangte von ihm eine Aenderung seines ganzen Verhaltens, da er sonst keine Möglichkeit habe, in der Bewag zu bleiben oder gar die von ihm beantragte Gehaltserhöhung zu erlangen. Lemm versprach auch wirklich Besserung, geriet aber schon wenige Tage später mit einem alten Angestellten in einen neuen Konflikt und griff auch die Direktion der Bewag an. Die Direktion sah sich jedoch nach diesem Borfall, der innerhalb der ganzen Ab- teilung große Empörung auslöste, gezwungen, Lemm zu kün- d i g e n und der Betriebsrat stimmte einer f r i st l-o s e n Entlassung zu. Am gestrigen Donnerstag erschien Lemm, der inzwischen den Kündigungsbrief erhalten hatte, wie gewöhnlich im Bureau und ver. langte gegen Mittag den Leiter der juristischen Abteilung zu sprechen, von dem er stets behauptet hatte, daß der betreffende Herr sein größter Feind sei. Zufälligerweise traf er den in Frage kommenden Beamten nicht an und ging nun in die Personalabteilung, deren Chef er zur Rede stellen wollte. Lemm wurde von dem Vertreter des Chefs, N e ß l e r, empfangen, dem das aufgeregte Wesen und die wirren Andeutungen Lemms aufsielen. Neßler erklärte, er wolle Lemm zum Chef bringen und begleitete den jungen Mann auch tatsächlich, indem er seiner Sekretärin bedeutete, er habe das unbestimmte Ge- fühl, daß Lemm gegen den Chef der Abteilung etwas Ernstliches im Schilde führe. Kur; vor der Tür zum Bureau des Leiters der Per- sonalabteilung zog Lemm plötzlich einen Revolver hervor und streckte Neßler durch zwei Brastschüsse nieder. Nach der Tat warf der Mör» der die Waffe fort und eilte, da in der ersten Aufregung sich niemand um ihn kümmerte, sondern die hinzueilenden Angestellten sich um den schwerverletzten Neßler bemühten, ungehindert die Treppe hinab und verließ das chaus. Zufälligerweise stieß er jedoch nach wenigen Schritten auf einen Schupobeamten, auf den er mit den Worten zuging:..verhasten Sie mich, ich habe eben meinen Ehes er- schössen." Der Beamte nahm daraufhin Lemm fest und brachte ihn nach der Polizeiwache, wo der Täter sofort alles zugab. Er behaup- tetc, er Habs unter einem' unwiderstehlichen Zwang gehandelt, da er in der Bewagvon Feinden" umgeben gewesen sei. Lemm dürfte zunächst dem Untersuchungsrichter vorgeführt, dann aber Voraussicht- lich am seinen Geisteszustand untersucht werden.

Der schwerverwundete Neßler wurde in die Charitä über- geführt, wo er bald nach seiner Aufnahme verstarb. Der Getötete, der im 42. Lebensjahre stand und feit langen Jahren der Bewag angehörte, hinterläßt eine Frau und mehrere Kinder. Von anderer Seite erfahren w-ir zu der Angelegenheit: Der Bureaudiener Lemm hatte wiederHoll Vorgesetzte beleidigt und schließlich einen Brief an die Verwaltung gerichtet, der die Aufschrift An den Verbrecherkonzern" trug. Als er wegen dieses Briefes die Entlastung erhielt, suchte er den Bureaudirektor Kunst- mann auf, und dieser zog zu der Unterredung den Bureauvorsteher

kreis Sozialistisdie Msdiule. Sonnabend, 20. November, 7V, Uhr abds., im Sitzungssaal des ehem. Herrenhauses, Leipziger Str. 8, Vortrag des Genossen Prof. Dr. Karl Vorländer-Münster: Die ethische Idee im Sozialismus Eintrittskarten tum Preise von 50 Pf. sind zu haben an der Abendkasse sowie an folgenden Stellen: Bureau des Bezirksbildungsausschusses, Lindenstr. 3, 2. Hof, II, Zimmer 8. Buchhandlung J. H. W. Dietz, Lindenstr. 2. Verband der graphischen Hilfsarbeiter, Ritterstraffe Ecke Luisenufer. Zigarrengeschäft Horsch, Engelufer 24/25, Qewerkschaftshaus. Tabakvertrieb, Inselstr. 6. Verlag des Verbandes der deutschen Buchdrucker, Dreibundstr. 5. freude" Bücherstuben. Potsdamer Str. 104, sowie in allen Vorwärts-Spedi�ionen.

Neßler hinzu. Lemm holte plötzlich einen Revolver hervor und zielte aus den Bureaudirektor, so daß der Bureau. Vorsteher dazwischen sprang. Da drückte Lemm ab und Bureau- Vorsteher Neßler brach zusammen. Lemm war nach voll- brachter Tat aus die Straße hinausgelaufen und wurde dort durch einen Polizeibeamten sestgenommen. Schon früher hatte Lemm einmal gedroht, einen zum Betriebsrat gehörenden Angestellten zu erschießen. Er wurde damals durch den Vertrauensarzt der Stadt auf seinen Geisteszustand untersucht, aber für geistig ge- sund erklärt, worauf man ihn welter beschäftigte. Lemm, der jene Nachsicht jetzt so böse vergolten hat, soll einer deutschvölkischen Orga- nisation angehören. Er ist einarmig, doch ist er nicht Kriegsbeschädigter. Den Verlust eines Armes hat er be- reits in seiner jknabenzeit erlitten. Das erste verhör. Lemm wurde dem Polizeipräsidium eingeliefert und dort un> verzüglich in Gegenwart des Chefs der Kriminalpolizei, Regierungs- direktor Dr. Weiß, verhört. Der Grund zu der Bluttat ist ohne Zweifel in persönlicher Rache gegen den Direktor Kunst- mann zu suchen. Er behauptet, daß er zurückgesetzt worden sei. Diese Behauptung ist aber mit größter Vorsicht aufzunehmen. Ge- rächte, die davon wisten wollten, daß der Tat politische Motive zugrunde lägen, entbehren, wie uns Regisrungsdirektor Dr. Weiß mitteilt, zunächst der Grundlage. Mit der Bearbeitung der Au�- klärung wurde Kriminalkommissar Nebe betraut.

ganzen waren an den Unfällen ÜISstFahrzeuge beteiligt. Im Vergleich mit dem zweiten Vierteljahr 1926 weist der K r a f t r a!>> verkehr mit plus 12,4 Proz. die stärkste Zunahme der Zahl der zusammengestoßenen Fahrzeuge auf. Dann folgen Lastkraftwagen mit plus 7,8 Proz., an dritter Stelle Fahrräder mit 6,6 Proz., während Straßenbahnen am wenigsten (mit nur 1,5 Proz.) daran beteiligt sind. Die Schuld an den Un- fällen trugen in 452 Fällen Kraftdroschken, in 436 Fällen private Personenkraftwagen und in 348 Fällen Fußgänger. Die Schuld- frage wurde in 69 von hundert Fällen geklärt.

Paragraph 218. Zwei Aerzte unter Anklage. Auf fahrlässige Tötung und Vergehen gegen§ 218 lautete die Anklag« gegen die Aerzte Dr. Sch. und Dr. K., die vor dem Großen Schöffengericht Berlin-Tempelhof zur Vechandlung gelangte. Es war gewissermaßen ein Aerztekongreß hinter verschlossenen Türen. denn nicht weniger als fünf medizinische Sachverständige, darunter Professor Dührßen, Medizinalrat Dr. Hommerich und Prosestor Kaiser waren zur Stelle, um über die komplizierte, für die An- geklagten zum Teil recht bedenkliche Sachlage gehört zu werden. Eines Tages war ein junges Mädchen zu Dr. Sch. gekommen, der ihr nach der Untersuchung erklärte, es müsse wegen ihres kör- perlichen Zustandes eine Unter brechungderMutterfchaft auf dem Wege einer Operation stattfinden. Diese wurde dann auch unter Hinzuziehung des Mitangeklagten Dr. K., eines Spezialarztes, vorgenommen; wenigstens ließ die Aeußerung des Dr. Sch. dem Bräutigam und der Mutter des jungen Mädchens gegenüber, daß die Operation gut verlaufen fei, darauf schließen. Noch in der Woh- nung des Arztes bekam die Patientin hohes Fieber, und weiter- hin zeigte sie die Erscheinungen einer fchwerenBauchfellent- z ü n d« n g. Jedoch vcranlaßten die Aerzte nur, daß das Mädchen auf einer Tragbahre in chre Wohnung gebracht wurde. Erst auf Veranlassung eines anderen Arztes kam die Schwerkranke in ein Krankenhaus, wo sie sofort operiert wurde, jedoch wenige Minuten nach der Operation verstarb. Da bei der Obduktion festgestellt wurde, daß bestimmte innere Organe durchbohrt waren, so wurde Anklage gegen Dr. Sch. und Dr. K. erhoben. Diese Aerzte behaupteten nun. daß sie gar keine Operation vorgenommen hätten, da von ihnen in der Diagnose erkannt worden wäre, daß sich das junge Mädchen über seinen Zustand getäuscht hätte, was auch tatsächlich der Fall gewesen war. Die Verstorbene, bei der auch die Adresse einer weisen Frau gefunden worden war, müsse daher zu einer solchen gegangen sein und durch deren Behandlung die Verletzungen davongetragen haben. Aus gewisten Gründen hätten sie die Angehörigen darüber im unklaren gelassen, ob die Operation erfolgt war oder nicht. Das Gericht kam jedoch zu der Ansicht, daß die Angeklagten den Eingriff vorgenommen hätten, jedoch, nahm das Gericht k e i n e A b- t r e i b u n g. sondern nur fahrlässige Tötung an, nachdem die medizinischen Sachverständigen erklärt hatten, daß solch« Ver- letzung auch einem geübten Operateur zustoßen könnte, dieser aber natürlich sogleich die nötige Feststellung träfe und in einem solchen Falle wie hier sür die sofortige Uebersührung in das Krankenhaus hätte sorgen müssen. Das Gericht erkannte wegen fahrlässiger Tötung ans je drei Monate Gefängnis.

Mehr Verkehrsunfälle in öerliu. Noch der Statistik des Kraftverkehrsamts im Poll- z e i p r ä s i d i u m ist im dritten Vierteljahr 1926 die Zahl der Unfälle im Berliner Straßenverkehr gegenüber dem zweiten Viertel- jähr von 3417 auf 3628 gestiegen. Diese Zunahme um 6,2 Proz. bedeutet eine Zunahme der täglichen Unsallsziffer von 37,5 auf 39,4. Entsprechend ist auch die Zahl der durch Zusammenstöße herbei- geführten Verletzungen von Personen gestiegen, die sich um 72 auf 1595 im dritten' Vierteljahr erhöht hat. Von den Verletzten waren 149Kinder unter 14 Jahren. Unter den 31 tödlich Verunglückten befanden sich acht Kinder. Mehr als zwei Drittel der zu- sammengestoßencn Gefährte waren Kraftfahrzeuge. Im

Em Straßenbahnwagen zerdrückt ein Auto. An der Straßenbahnhaltestelle in der Dorotheenstraß« Ecke Wilhelmstraße hielt gestern abend gegen 8 Uhr ein Straßenbahn- wagen. Hinter dem Straßenbahnwagen wartete eine Autodroschke mit zwei Insassen. Aus der Richtung des Brandenburger Tors kam ein Straßenbahnzug der Linie 51 in voller Fahrt an. Der Schaffner versuchte zwar den Wagen elektrisd) zu bremsen unter gleichzeitiger Benutzung der Sandbremse, aber der Straßenbahnzug lief> n oollerFahrt auf das Auto auf und drückte es vollständig zusammen. Der Chauffeur wurde in sehr bedenklichem Zustande zur Unfallstation gebracht, da ihm eine eiserne Stange in die Brust gedrungen war. Die beiden Insassen des Autos waren Dr. Stenzler, der Theaterarzt des Wintergartens, und dessen Frau. Di« Frau des Arztes mußte ebenfalls in die Unfallstation gebracht werden. Die Feuerwehr traf bald darauf ein und verband noch einige der leichtverletzten Fahrgäste der Straßenbahn.

Sie Wunöer öer Klara van Haag. 1(3� Bon Johannes Vuchholtz. Aus dem Dänischen übersetzt von Erwin Magnus . Es ist ivahr," sagte er.Haben gnädige Frau bestimmte Wünsche, ob es Brustbild sein soll oder Kniestück...? Ich hatte fast vergessen, zu fragen, weil ich es fast immer selbst entscheide." Also sagen wir Brustbild," meinte die Gnädige. Brustbild. Ja. Ich glaub« auch, das wird aus- gezeichnet." Frau van Haag faß im Sessel und beobachtete Egholm, während er eifrig hin und her schoß und sich unter das schwarze Tuch duckte. Nur Ekel und tief« fast erniedrigende Enttäuschung fühlte sie bei seinem Anblick. Nicht ein Zug ist bewahrt, dachte sie und schüttelte den Kopf. Sieh, wie seine ausgestanzten Aermel ihm um das Handgelenk schlottern. Warum trägt er keine Manschetten? Und seine Nägel sind ganz schwarzrandig. Er sollte sich schämen. Selbst die Kopfform ist entstellt, weil das Haar fehlt. Diese große frierende Nacktheit ist vielleicht das schlimmste. Und sie wird eingerahmt von etwas zerzaustem, welkem Greisenhaar an den Ohren und am Rockkragen. Nein, nie verzeihe ich dir, Kasper Jgholm, daß du alt und häßlich geworden bist wie der Teufel selbst. Ich bin empört über dich, weil du einem jungen, schönen Freund, den ich einst hatte den Namen gestohlen hast. Hedwig hat recht. Und sie, seine Frau, ist ja gar keine plattgetretene Alltag- lichkeik Frau van Haag konnte einen kleinen Zug nicht vergessen, den sie aufgefangen hotte, als sie so unerwartet den Kovf um d'e Ecke steckte. Eaholms kleine Frau lag auf den Knien und flehte mit emporgestreckten Händen um Gnade. Aber im selben Augenblick, als sie die fremde Dame erblickte, hatte sie sich niedergebeugt, und zu jäten begonnen, ohne ein einziges Mal aufzusehen. Ja. das kann einem geradezu das Master aus den Augen prellen, dachte die Gnädige. So kam es denn, daß Mitleid mit Frau Egholm Frau van Haag tun ließ, was Bewunderung für den Mann nicht vermocht hatte. Gerade als Egholm mit dem Einstellen fertig zu sein meinte und einen letzten prüfenden Blick auf die Gnädige warf, erhob sie sich, machte königinnenstolz einen Schritt auf ihn zu und sagte:Ich bin eigentlich gekommen. um Sie zu begrüßen. Ich bin Konsul Steens Tochter aus Helsingör ."

Egholm wurde gelb und fahl, aber er fuhr fort, in seiner Kamera herumzufummeln und sagte ohne aufzusehen:Konsul Steens Tochter! Eine sehr große Ehre. Ja, es ist lange her. Biele Jahre. Ich glaube wenn Sie ein bißchen in dieser Richtung sehen wollten, auf die Türfüllung..." Frau van Haag trat noch einen Schritt näher und sagte zitternd vor Zorn:Ich fin�e, Sie empfangen mich auf eine seltsame Art, Kasper Egholm. Zuerst sende ich Ihnen einen Gruß, den beantworten Sie nicht. Und jetzt, da ich selbst komme, kriechen Sie unter das schwarze Tuch, ohne meine Hand zu nehmen." Egholm stammelte mit Schwierigkeit:Ihren Gruß habe ich nicht bekommen, und Ihre Hand, die sah ich nicht! Was soll ich sagen, wenn ich dastehe und nur wünsche, tot zu sein? Warum mußten Sie in einem für mich so verhängnisvollen Augenblick kommen.". Sie schlugen siel" Nein, aber ich wollte es gerade!" Diese merkwürdige Aehnlichkeit verwirrte Frau van Haag. Was in aller Welt hatte sie denn getan?" Jetzt fühlte Egholm, daß seine Sache nicht ganz verloren war. Er war von Anklagen gegen Anna erfüllt. Wenn er sie nur vorbringen durfte, dann... Sie hätte Sivert ja lange versteckt, sagte er, wider seinen Willen. Das Essen für ihn gestohlen. Und jetzt, da sein Versteck entdeckt sei, hätte sie sich dazwischen gestellt zwischen Gerechtigkeit und Sünde! Sivert das war also der junge Mann auf dem Dache, aber was hatte e r denn getan? Da schwieg Egholm unvermittelt. Gegenüber dieser Frau aus einer anderen Welt sah er die Dinge plötzlich in einem anderen Lichte. Was natürlich und selbstverständlich gewesen war, wurde lächerlich und unmöglich. Aber er konnte ja nicht schweigen und so machte et eine Handbewegung und begann flüsternd, eindringlich von seinen Geldverhältnisten zu erzählen, die nicht recht in Ordnung waren, warum er gedacht hatte... Petrea Bisserup, die Tochter eines reichen, ver- storbenen Bürstenbinders... Aber Sivert hatte sich der Ehe entzogen, indem er sich versteckte. Und jetzt näherte der Termin sich. Frau van Haag hatte ein unsicheres, zwingendes und schwindelndes Gefühl. Wenn sie nur zuhörte, klang Egholms Erzählung wie eine amüsante, aber sehr unwahrscheinliche Geschichte. Wenn sie aber den niedergeschlagenen Blick und die verzweifelt gerunzelte Stirn des Erzählers sah, wurde ihr klar, daß er die Geschickte als völlig wahr und traurig verstanden haben wollte. Das Ergebnis war, daß Frau van Haag jedenfalls ihren Ekel und ihren Zorn vergaß. Sie ergriff ihn am Arm. als wollte sie ihn wachrütteln, und sagte

mit ungehaltenem Erstaunen:Aber sind Sie denn voll- kommen verrückt, Kasper Egholm?" Das bin ich wohl," sagte er unsicher und ihm schien selbst, daß er gleichsam erwachte. y. Kapitel. Um gut in eine Geschichte hineinzukommen, ist ein er- probtes Hausmittel, den Anfang zu überspringen. Frau van Haag und Egholm wurden einig, dies hier zu hm. Jetzt saßen sie beisammen und suchten heitere und wehmütige Erinnerungen aus einer fernen Zeit hervor. Keiner von ihnen erinnerte sich anscheinend an irgend etwas von einem brüllenden Wilden, der soeben einen furchtbaren Lattenstumpf hoch über den Kopf eines Weibes gehoben, dagestanden war. Auch diese«! Weib erinnerte sich nicht an etwas Derartiges. Sie war hereingerufen worden und hatte sich viele Male'die Hand an ihrer Schürze abgewischt, ehe sie sie, beehrt und glücklich, Hedwigs Gnädigen reichte. Sie kam ja gerade von der Gartenarbeit, die leicht schwarze Finger machte. Sie hörte lächelnd zu, was die beiden sich zu erzählen hatten. Ja. das war eine wunderbare Zeit," sagte Egholm. Die Lust war gleichsam eine ganz andere. Die Menschen auch. Nirgends Armut. Schweres Silberzeug in jedem Heim. Vollblutpferde in den Ställen. Der Konsul fuhr ja nie mit mehr als zweien. Aber sein Schwager und mehrere andere spannten stets vier vor ihre Staatswagen." Und die Feste!" Die Feste, ja! Die Gartenfeste waren am prachtvollsten. Ich entsinne mich namentlich eines, bei dem der Garten von Hunderten von schwelenden roten Pechfackeln eingerahmt war." Das war damals, als die französischen Kriegsschiffe uns besuchten." Richtig. Ach, das war ein schönes Fest. Ich hatte die Fackeln angefertigt, und dann mußte ich doch draußen stehen." Nicht die ganze Zeit!" Nicht die ganze Zeit? Kam ich doch herein? Erinnern, Sie sich ein wenig daran?" Lud Sie nicht jemand ein und schenkte Ihnen Cham - pagner ein?" Bei dem chinesischen Pavillon! War das damals? O. Sie riefen mich im Dunkeln. Sie hatten mich wohl herumschleichen sehen, und Sie befahlen Iespersen, dem Krämerkommis, der den Weinausschank besorgte, mir ein Glas zu geben. Seine Augen waren eitergrün vor Wut, aber Sie befahlen." Zwei Gläser. Eines für Sie und eines für mich!" (Fortsetzung folgt.)