!Tr. 549 ♦ Sosntag, 21. November 1925
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Der Totensonntag bringt wieder eimnal den Unterschied in der Bestattung unserer Toten, den Unterschied auch in der Anlage und Pflege der Friedhöfe in Erinnerung. Starr wandte sich die Kirche aus dogmatischen Gründen gegen die„heidnische Unsitte der Leichen- Verbrennung", gegen die Vernichtung des„Auferstehungskeimcs" und trieb allein schon dadurch Hunderttausend« aus ihrer Gemein- schast heraus. Bis man unter der zwingenden Macht des neuen Jahrhundertgeistes wenigstens zugeben mußte, die Sitte der Erd- bestattung sei nicht in Gottesworten begründet. Eine ernste Welt von tiescmpsundenen Gedanken baut sich auf auch an den Stätten, wo noch Grabhügel alter kirchlicher Form sich mit Aschenurnen im Todesfrieden mischen. Ueberall, wo Totenrest« liegen, sproßt heute mehr wie je der Same der Vergebung und Versöhnung, überall sollen aus den dunklen Pforten des Todes die Quellen der Menschenliebe rinnen. Grabinsthrifien. Karl Julius W e b e r, der von 1767 bis 1832 lebte, hat in seinen vielbändigen, unter dem Titel„Demokritos " veröffentlichten«hinterlassen en Papieren eines lachenden Philosophen" ein ganzes Kapitel auch über Grabinschriften verfaßt Wohl die markanteste Stelle ist hier die Uebersetzung des Ausspruches eines Popen:«Es ist in der Grabinschriften Poesie stets viel gesagt gewesen, doch die eine hälsle glaubt man nie. die andere wird nimmer gelesen." Zu jener Zeit und noch früher war man in der Wahl der Grabschnften von Skrupeln wenig gequält. Teils wurden Verstorbene, die all ihren Lebcnsglanz, alle ihre Reichtümer und Würden hinter sich zurück- lassen mußten, unverdient gelobt, teils goß man noch über den Toten mit derben Schriftworten beißenden Spott aus. So sagt eine der bekanntesten, früher oft nachgeahmten Grabschriften dieser Art: «Mein Weib deckt dieser Grabstein zu. für ihre und für meine Ruh'." Noch derber heißt es auf dem Grabstein einer alten Jungfer:«Ich suchte lang' vergebens einen Mann, zuletzt nahm mich der Toten- gräber an, und auf einem anderen verwitterten Stein:«Hier ruht der Gastwirt Morgenrot, an dessen Tisch man schlecht gegessen, jetzt bildet er selber Table d'hote, an der die Würmer besser essen." Sehr 'arkastisch klingt_es:«Hier liegt Hans Klein, das wird bezeichnend
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ein." Leisen Spott redet auch der Grabstein eines Schneiders zu Niltach in Bayern :«Der Kleider hat er viel gemacht, doch kein un- sterbliches vollbracht: dazu gehört ein größerer Meister, der kleiden kann nur pure Geister mit ewig schönem Festgewand im andern bessern Vaterland." Die Pietät neuerer Zeit hat sich von der Der- spothing und Verhöhnung der Toten an ihrer letzten Ruhestätte immer mehr entfernt, soweit nicht' in politisch bewegten Perioden tierisch verrohte, nur pathologisch zu bewertende Kreise ihre Todes- opfer wie das krepierte Vieh behandeln oder gar die Gräber längst Verstorbener wie die Vandalen verwüsten. Man kennt zwar noch auf gewissen Kirchhöfen die Unduldsamkeit, eine kirchliche Zensur über Grabschristen auszuüben und nur Bibelsprüche zuzulassen, aber sonst hat sich, von ganz gelegentlichen Ausfällen orthodoxer Grab- redner abgesehen, überall das schöne Herzensgefühl durchgesetzt, das Leben mit dem Tode zu versöhnen und zu handeln nach dem Worte: «Zm Tode sind wir alle gleich, groß, klein, klug, närrisch, arm und reich." Alle deutschen Dichter haben sich lebhaft mit dem Tode be-
Was ihrem Geiste entsprang, ist heute das gebräuchlichste und sinnigste Vorbild für Grabschriften, wobei häufiger« Wieder- holungen durchaus nicht stören. Eine Fülle herrlicher Worte aus Dichtcrmund ist beispielsweise auf dem Berliner Gemeindefriedhose in Friedrichsfelde den Toten in die Ewigkeit mitgegeben. So manches richtet sich ernst und eindringlich wohl noch mehr an die Lebenden, daß sie das Leben sich selbst und den Mitmenschen gut und schön machen. V Schon gleich hinter dem Portal mahnt und warnt aus Findlingsgestein Freiligraths unsterbliches:«O lieb', solang' du lieben kannst... die Stunde kommt, wo du an Gräbern stehst und klagst!" Wer weiß, ob es immer auch im Leben stimmte, wenn auf so vielen Grabsteinen steht:«Die Liebe höret nimmer auf." lieber- zeugender ist es, wie Hinterbliebene Goethes«Edel sei der Mensch..." umgewandelt haben in«Edel war er, hilfreich und gut." Schön berührt auch der vielfach in einfachen Stein und in Marmor ge- meißelte Spruch:«Wer im Gedächtnis seiner Lieben lebt, de: ist nicht tot. Er ist nur fern. Tot ist nur, wer vergessen wird." Und wie viele sind so bald vergessen! An wie vielen offenen Grüften der Freistellen-Massenhügel hat nicht ein einziger Leidtragender gc° standen! Gern wird als letztes Geleitwort aus Epiktot gewählt: «Der Tod ist nichts Schreckliches, nur die Vorstellung vom Tod macht ihn furchtbar", oder Körners„Durch Todesschlaf bricht ewiges Morgenrot". Auch Goethes«Dieser ist ein Mensch gewesen, und das heißt ein Kämpfer sein" kehrt oftmals wieder. Im Anklang hieran preist eine Grabschrift:„Sie alle, die dich einst gekannt, haben dich einen Mann genannt." Aus vielen Goldbuchstaben spricht freudigste Lebensbejahung mit den Worten:„Und wenn einer fröhlich sein will, der sei es heut.... morgen ist es ungewiß." Ueppiger Efeu auf wuchtigem Gestein überwuchert sast die Klage:«Er liebte die Sonne so sehr, darum war er so glücklich... und so elend, als ein Mensch auf Erde sein kann." Oder es seufzt von hoher Marmor- säule mit gestürztem Kapitäl der Chorgesang aus Schillers„Braut von Messina":«Was sind Hofsnungen, was sind Entwürfe?" Dann
wieder packt den stillen Friedhofswandler machtvoll der Kekenncrmut auf dem Grabstein des Gründers der Humanistischen Gemeinde: «Aus stillem Denken keimt ein wachsend Leben, dos wird die Welt aus ihren Angeln heben, und wär' es auch nach Hunderten von Iahren, ein Tag erscheint dem ausgesprochnen Wahren." Ist es Zufall, daß dicht dabei unsere größten, besten Führer ihre legte Ruhestätte fanden? Wilhelm Liebknecht , Jgnaz Auer, Paul Singer und manche andere bedürfen im Tode nicht der mahnenden Worte. Ihre Taten gehören der Geschichte an. Die Liebe des werktätigen Volkes zu seinen großen Toten hört nimmer aus. Urnenaufbewahrung. Welchen großen Umfang die Einäscherung der Verstorbenen und damit der Gedanke durchaus pietätvoller hygienischer Beseitigung irdischer Menschenreste in wenigen Jahren angenommen hat, zeigen am besten unsere großen Urnenfriedhöse. Die Kirche sperrt ihre
Ein Urnenhain
die wunöer öer Klara van Haag. 18Z Van Johannes Vuchholh. Aus dem Dänischen übersetzt von Erwin Magnus . Petreas Mutter hatte ihre Einwilligung davon abhängig gemacht, daß Sivert auch sie versorgte. Auf den Vater machte der Bericht keinen Eindruck. Was bedeutete ein wahnsinniger Traum, wenn man erst erwacht ist. Die Gnädige strich Emanuel übers Haar. Anna kam mit verschiedenerlei Eingemachtem auf kleinen Schüsselchen. Sie hatte Stachelbeergelee, das nur ein paar Jahre jünger als Emanuel war, und sie hatte etwas, des- gleichen nicht einmal Staatsrats aufzuweisen hatten: ein- gemachte Walderdbeeren. Die Gnädige war begeistert und Anna glücklich über all das Lob, das über sie herniederströmte. Es kam ein solches Gefühl der Sicherheit über sie, daß sie zu sagen wagte, was sie wollte. „Sind das nicht auch schreckliche Possen, ein Kind mit. einem solchen Auftrag wegzuschicken?" „Ja, was soll der arme Mann machen, wenn Herr Sivert es nicht wagt," lachte die Gnädige. „Dann soll er entweder selbst gehen oder mich schicken." „Du wärst ein schöner Bote! Wo du ihn vor mir ver- steckst und mir die Leiter wegreißt, wenn ich endlich...!" „Die Sache ist vergessen!" sagte die Gnädige gebieterisch. „Ja, ja, das ist sie," sagte Egholm hastig. „Wenn aber Sivert nach Hause kommt, gerätst du doch wieder außer dir." „Das ist noch nicht sicher..." Die Gnädige wußte Rat. O, sie befand sich in ihrem Element. Hier gab es doch etwas zu regieren, etwas, das nicht in zierlich beschnittenen Buchsbaumhecken stand, wie das kleine, langweilige Gärtchen des Zollamtes. „Darf man nicht Sivert jetzt gleich begrüßen?" fragte sie. „Ja. wenn wir ihn nur finden könnten, aber..." „Ist er nicht auf dem Boden," entfuhr es Emanuel, der gelauscht hatte, ohne zu verstehen. „So. du kennst den Boden auch, du Schlingel! Nein, er ist durch mein gutes Dach gebrochen und weggelaufen." „Dann liegt er unter deinem alten Boot. Das hatten wir verabredet, wenn.. „Hol' ihn," sagte die Gnädige.
Fünf Minuten später kam Emanuel wieder. Er ließ die Äüchentür offen. Draußen stand Sivert, räusperte sich und zog an seinem dünnen, weißen Schnurrbart. „Komm herein, du!" Da kam Sivert, in krampfhaft strammer Haltung, den Mund zusammengepreßt und die Stirn gerunzelt, aber doch nicht besonders imponierend anzusehen. Das grüne Zeug hatte sehr darunter gelitten, daß es mehrere Wochen ununter- krochen auf seinem Körper gesessen hatte. Er blickte nicht auf, sondern schritt, von einem Instinkt geleitet, geradeswegs auf Frau van Haag zu und knickte tief in einer Verbeugung zu- sammen, die ihn fast umgeworfen hätte. „Die gnädige Frau will, daß du am Leben bleibst," sagte Egholm. „Dafür bin ich sehr dankbar," sagte Sivert ernst. „Du weißt nicht, wem du gegenüber stehst?" „Doch. Und es stimmt, was Emanuel gesagt hat." „Was hat Emanuel gesagt?" „Daß sie einer Herzogin gleicht." „Nun ja," sagte die Gnädige, die ein wenig rot geworden war,„ich muß wohl etwas Hepzoginnenhaftes tun. Jetzt soll jeder einen Wunsch sagen, und ich will versuchen, ihn zu erfüllen. Es darf nichts allzu Großes sein; mein Herzogtum ist bescheiden. Mütterchen muß ansangen. Was wünscht Mütterchen sich?" Aber Anna weiß nichts, was sie locken kann. Nein, ihr fällt nicht das geringste ein— es sei denn, daß sie sich wünschen darf, die gändigc Frau möge ihcken viele glückliche Tage wie heute verschaffen.... „Sofort bewilligt!" sagte die Gnädige und streicht ihr mit einem Finger über die Wange.„Und Kasper Egholm wünscht sich wohl ein kleines Rittergut?" „Lieber ein großes!" „Damit müssen wir ein bißchen warten, aber gibt es nichts anderes, mit dem wir gleich anfangen können?" Nein, Egholms Phantasie hat durch das eine Wort, das sie genannt hat, eine so reißende Fahrt angenommen, daß sie sich nicht aufhalten läßt. Er findet, daß ihm nur dies eine in der Welt mangelt: ein Rittergut. Da geht die Gnädige zum Nächsten, Sivert. Er macht wieder seine sonderbare Ver- beugung und sagt, indem er die eine Hand flach ausstreckt: „Nach Amerika !" Es ist, als erwarte er, daß die vornehme Dame eme Rune in seine Hand schriebe, die ihn zum Amerikaner machte. Nach Amerika ! Ja, das wäre wirtlich die beste Lösung, denkt die
Gnädige und ändert augenblicklich ihr Urteil über den merk- würdigen, weißhaarigen Menschen. „Da sollen Sie hinkommen, Sivert," sagte sie und drückt ihm die ausgestreckte Hand.- Emanuel wurde rot, weil jetzt die Reihe an ihn kam, und ehe er gefragt wurde, fuhr der Wunsch aus ihm heraus:„Ich möchte gerne Pastor werden!" „Das ist ja eine schrecklich anspruchsvolle Familie!" sagte die Gnädige streng. Als aber Emanuel den Kopf beugte und noch röter wurde, fuhr sie lächelnd fort:„Nun ja, auch für dich wird wohl Rat werden!" Kurz darauf ging Frau van Haag. Egholm und seine Frau begleiteten sie über die Grabenbrücke, jedem von ihnen hatte sie eine ihrer Hände überlassen, über die sie mit Eifer so lange wie möglich wachten. Ihnen war, als wäre ihr Lebensroman umgeblättert zu einem neuen entscheidende Kapitel, in dem es allen«Handelnden gut ginge. Frau van Haag fühlte etwas Entsprechendes, nämlich, daß sie ein Dichter wäre und einen eigenartigen Stoff in die Feder bekommen hätte. Hedwig würde sich wundern, wenn sie erfuhr, wie der Versuch ausgefallen war. Sie sollte nicht angeführt werden, sondern ihren Wunsch haben wie die anderen. Sie hatte wohl nur einen Wunsch: einen Mann mit einem großen Hut und einer Geige. Den sollte sie bekommen, wenn Klara van Haag irgend etwas dazu tun konnte. Das Leben hatte diese Klara gelehrt, daß Liebenden geholfen werden müsse. Während sie diese Gedanken dachte, entdeckte sie plötzlich verwundert, daß sie von Freude und Elastizität erfüllt war. Etwas Aehnliches hatte sie viele Jahre lang nicht gefühlt. Und sieh, wie der Frühling in den letzten Tagen vom Himmel gefallen war! Das Gras, die Hecken und Gärten dufteten. Uebee den Wäldern, die jetzt leuchtend grün waren, standen schimmernd weiße Wolken, und der frische Belt wond?rte und wanderte. Klara van Haag legte den Kopf in den Nacken. Sie spürte stolz die Schwere ihrer kastanienbraunen Haarpracht und war dankbar, daß sie noch jung und stark war. Hier ging sie mit leichten Schritten über die Fliesen des Pflasters. Jetzt trat sie froh in ihr reines, luftiges Haus... nun ja, oben in der Ecke der einen Stube saß«nohl ein lebender Leichnam. Aber was— in der Küche ging Hedwig Egholm mit krokosblauen Augen. Hör, sie sang... Malle Duses herbe Liedstrophe. Ja, Hedwig und sie wollten schon den Leichnam unter die Erde singen! (Fortsetzung folgt.)