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Goastag 2?. November 1926
Unterhaltung unö ÄVissen
Seklage Ses vorwärts
Der Toö ist eine Gewohnheit. von Adolf Abter. Gegenüber von meinem Pariser Hotel befindet sich ein Linder. krankenhau». Don meinem Fenster nu» seh« ich, hinter Bäumen. die Mauern und Dächer der verschiedenen Stationen. Aber ganz vorn, frei unter meinen Blicken, breitet sich«in kleiner Hof au». mit Kopfsteinen gepflastert, von der Straße getrennt durch ein weites Holztor. Er grenzt links an ein niedriges, graues, schmuck- loses Haus. Ein Emailleschild daran mit der Inschrift: Lalle cke J*epc>z. Saal der Ruhe. Totenhall«. Jedpn Morgen um 8 Uhr, wenn ich an» Fenster trete, sehe ich einen schwarzbärtigen Mann ,n weißem Littel über den Hof gehen. Sein dichter Schnauzbart und die buschigen Augenbrauen geben ihm das Aussehen«ine» ehemaligen Feldwebels. Gemestenen Schritte« schreitet er über dos harte Pflaster, und in der morgendlichen Stille der Seitenstraße hallt seder seiner Tritte zu mir herauf. Er ist der Aufseher der Totenhalle, der seinen melancholischen Dienst antritt. Seine erste Amtshandlung ist das Aufschließen der Tür zur Totenhalle. Jeden Morgen im exakten militärischen Tempo dreht sich sein Schlüssel im Schloß: eins zwei. Gewehr ab: eins zw«. Dann drückt er auf die Klinke und öffnet die Tür ganz wett. Don meinem Fenster au, erblicke Ich zwei Särge, die anderen liegen außerhalb meines Gesichtsfeldes. Tag für Tag, immer zur gleichen Stunde, sehe ich zwei Kindersärge. Mein erster Blick in den jungen Morgen fängt sich an den Ruhelagern des Todes.... Zuerst war ich entsetzt. Wollte sofort ausziehen. Aber ein« Scheu, eine eigenartig« Scham verschloß mir den Mund, der die Kündigung aussprechen wollte. Ich stürmte in die Stadt, in, bunte Leben der Boulevard«. Trank und tanzt« im Montmartre. Ich flüchtete vo» dem Hotel mit meinem Fenster zur Totenhall«. Müde, mit bleiernen Gliedern und heißem Kopf kehrte ich m der vierten Morgenstunde heim. Fahle Dämmerung stahl sich durch die Bor  - hänge an meinem Fenster --- Meinem Fenster. Ich zwang mich, nicht hinzusehen. Rur   nicht ans Fenster treten. Dicht an» Fenster treten. Nur nicht ans Fenster treten. Toueismus tn inbrünstigster Anwendung. Ich macht« kein Licht in meinem Zimmer, um nicht die schwer« Müdig  » keit zu verscheuchen. Nur schlafen wollt« ich. Bis In die Mittagszeit hinein. Die achte Stund« verschlafen, da der Türschließer die Toten- hall« äffnet.... Punkt acht Uhr stand ich wieder am Fenster. Irgend etwa« hott« mich hingetrieben. Ich sträubte mich, hinüberzusehen auf die ander« Seite. Richtete bewußt den Blick kerzengerade nach unten auf die Straß«. Aber da hallten auch schon die Schritte auf dem Kopfpflaster. Ob ich wollt« oder nicht: ,ch muhte den Blick auf den Hof richten. Kam der Schnauzbärtige im weißen Littel. Knirschte der Schlüssel im Schloß: eins zwei. Oeffnet« sich die Tür ganz weit. Zwei Kindersärge im jungen Morgen..,. » Am merten Tag« hatte ich mein« Nerven wieder tn der Gv- wall. DI« Vorgänge drüben im Hof und in der Totenhalle sind mir zur Gewohnhell geworden. Ohne Leidenschaft stehe ich jeden Morgen am Fenster und beobachte. Die Särge der Kinder und die Trauer der Mütter und Angehörigen haben nicht» Schreckhaftes, nicht» Aufpeitschendes mehr für mich. Mein sonst so weiche» Gemüt bleibt unbewegt. Ist abgestumpft durch da» gleiche Einerlei an jedem Morgen, zur selben Stund«. Die Gewohnheit mildert, klärt ab, macht objektiv, bringt die Seele wieder in» Gleichgewicht. Auch der Tod ist eine Gewohnheit für den nüchternen Beschauer.... Ich schildere, was ich täglich sehe: Wenn der Aufseher die Tür der Totenhalle geöffnet hat, bleibt er zunächst für einige Augenblicke im Eingang stehen. Er mustert, wie ein Feldwebel sein« Kompagnie, die aufgestellten Särge. Nichts scheint er auszusetzen zu haben. Di« Särge stehen am Fußend« genau ausgerichtet auf Bahren. Einheitssärge in brauner Farbe. Darin ruhen, eingehüllt In weiße Laken, die Körper der kleinen Toten. Der Kopf ist frei und etwa» erhöht gebettet. Sie liegen da so ruliig, so friedlich, al« wenn sie traumlo» schliefen. Nur die Särge verraten, daß e« der letzte Schlaf ist, aus dem es kein Er- wachen gibt. Der Aufseher tritt an den ersten Sarg. Betrachtet da» junge Menschlein, da» so schnell wieder der Erde zurückgegeben wird. Ganz sachte ordnen sein« großen Hände ein« Locke am Kopf de» toten Mägdleins. So behutsam und weich streicheln sie das Blond- haar aus der Stirn, wie es sonst nur die zärtlichste Mutter versteht. Dann zupft er hier und dort am Laken, glättet, richtet. Mit Händen, die rührend sind. Alle die toten Linder sind seiner letzten Obhut an- vertraut, er umgibt sie mit der Sorgfalt eines Daters. Unterdesien sammeln sich draußen vor dem Tor die Angehörigen. Diele, viele junge Mütter. Lange schwarze Schleier hängen über Kopf, Brust und Rücken. Oft auch jung« Mütter, die ohne mann- liche Begleitung kommen, nur eine Schwester oder Nachbarin an ihrer Seite. Und Schülerinnen, di« der toten Freundin das letzte Geleite geben wollen. Proletarierinnen, di« zu arm sind, um sich Trauerkleidung zu kaufen, kleine Blumensträuße in den Händen. Das Schluchzen der Frauen au  » dem Volke dringt zu mir an» Fenster. Arme Mütter, sie denken nicht, daß ihrem vaterlosen Kinde ein hartes Erdendasein beschiedsn war. da» nur der Tod in mildem Erbarmen kürzte. Um 8�4 Uhr wird das groß« Tor an der Straßenseite geöffnet, und alle Wartenden gehen m die Totenhall,. Jeder und jede zu seinem geliebten Toten. Und die Sargträger finden sich ein, Männer In grauschworzen Jacken und dunklen Hosen und ledernen Mützen. Sie sehen au» wie die Nachtwächter der Berliner Wach» und Schließgesellschaft. Sie bleiben auf der Straße stehen, plaudern und rauchen Zlga- retten. Bis der Anführer auf di« Uhr schaut und die Zeit für ge- kommen erachtet. Schnell noch«n paar Züge aus der Zigarette, und die Stummel werden fortgeworfen. Das Geplauder verstummt, die Mienen nehmen berufsmäßigen Ernst an, und in feierlichem Schritt begibt sich die Korona in den Hof. Zwei von ihnen gehen in die Totenhall«. Letzt tritt der Aufseher im weißen Kittel an die Trauernden heran. Wie manche Mutter kann sich von ihrem toten Kinde nicht trennen, immer und immer wieder ein letzter, ein aller- letzter Blicki Schluchzen erfüllt den Raum. Da tröstet der Auf- seher. und mit sanfter Gewalt führt er di« Frauen auf den Hof hinaus. Inzwischen sind di« Leichenwogen eingefahren. Schnell werden den Pferden schwarze Decken übergeschnallt, vi« Kutscher ziehen sich schwarze Handschuh« an. Jeden Tag dieselben Pierd«. dieselben Kutscher, die gleichen Handschuhe. Und der Sesichtsausdruck der mit dem Tod beruslich verkehrenden Männer ist mit der Zeil zur starren Maske geworden,
Die Tintenschwemme.
Das Schiff, üas jchwarzweißrot getakelt, Liegt auf öem Trocknen. Man spektakelt.
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vielleicht bekommt es wkeüer 5ahrt, Venn man nicht Leitartikel spart.
Die Tinte strömt, der Graf an öorö Spricht: Zwar komm' ich vom Flecke fort,
doch einen Zweifel fühl' ich brennen: kann man öies flott geworöen nennen!
Winzig« Särglein, von einem Träger auf den Arm genommen, und größere Särge, von vieren feierlichen Schrittes getragen, werden in die Wagen geladen. Dahinter gruppieren sich die Leidtragenden. Pünktlich um 9 Uhr trabt die erste Fuhre aus dem Hof. Die Träger klopfen sich den Staub von den Röcken und schreiten, je zwei an jeder Seite, neben dem Wagen einher. Der Obmann sieht nach der Uhr. Es hat wieder einmal auf die Minute geklappt. Einen Leichenzug sah ich, da folgte ein altes Mütterchen ganz allein hinter dem kleinen Sarg. Das Leben hatte Iharte Furchen in ihr Gesicht gegraben. Sie trug den Kopf tief gesenkt. Di« Lippen preßten sich aufeinander, und ununterbrochen rieselten stille Tränen aus wundervoll gütigen, aber unendlich traurigen Augen. Hanz allein humpette die Frau hinter dem Sarg einher. Wer kennt ihr Leid? Wem gilt der Schmerz dieser weinenden Mutter? Um S�i Uhr ist alles vorbei. Der letzte Wagen ist aus dem Hof gefahren. Der Schnauzbärtige schließt das große Tor. Greift in die Tasche, zieht ein Päckchen Frankenscheine heraus und beginnt zu zählen. Trwkgelder der Leidtragenden. Der Mann lebt von den Toten. Er streicht sich den Bart. Geht zur Leichenhalle, schließt die Tür. Der Cchlüsiel kreischt im Schloß: elns zwei. Ein« Blume ist von einem Kranz abgefallen und auf dem Hof liegen geblieben. Die hebt der Aufseher im Vorübergehen auf und steckt sie In» Knopfloch seines weißen Kittels. Wie gestern und vorgestern, wie Immer schon. Aus Gewohnheit....
Unterwegs nach Znöien. von Franz Zosef Furtwängler. a>n« Vbordmmfl der TeiUlorbeiteriniernotionale unter IZtthnmfl des intctnolionnTcn Sekret Srs Genossen Tom Show l>at vor kurzem eine Studienreise noch Indien   anortretcn. Iwei Deutsch  «, die Genossen Karl Schräder, Borsstzender des Terttlurbeiterveibandez. und!?. I. ssurtwSngler, Sekre­tär des ADGZZ.. nclimen an ihr teil. Sie werden über ihre ärlebniss« imVorwärts" berichten. Die» Ist der Abend des vierten Tages an Bord. Seit fünfzig Stunden haben wir die Straße von Mesiina hinter uns und werden morgen früh In Port Said   anlegen. Bis zur Stunde haben wir durchaus ruyige See, klaren Himmel und ein« Sommcrwürme, die von Stunde z» Stunde brennender wird. DieRajputana" der englischen Peninsular& Oriental Navigation Company, die uns von Marseille   nach Bombay bringt, ist ein Schiff von etwa der Größe des LlvyddampfersBremen  ", zeichnet sich jedoch vor diesem»nd den meisten Atlantikschiffen durch größere Frelglbigkeit an Kabinenraum und Inneneinrichtung aus. Bemerkenswerter ist indessen ein anderes Unterscheidungsmerkmal, darin bestehend, daß unser Dampfer nicht wie die gleich großen Schiffe der Amerika  -Linien eine zweite Klasse und eine drilte in der Form desZwischendecks" hat sondern erste und zweile Klasse zusammen, ein Anlaß, sich die Zusammensetzung des Passagier- Publikums näher anzusehen. Der Amerikadampfer beherbergt in bunter Mischung olle Be- Ntfe und sozialen(»chichteii zwischen dem Pankeemillianär und dein auswandernden europäischen   Lohnarbeiter. Die Reisegesell- schoft auf einer solchen Jndienfahrt ist dagegen viel homogener und läßt sich unschwer in ihre sozialen Elemente zerlegen. Die erst« Klasse birgt ein halbes Dutzend besonders erlauchter Reifegäst«, die in der Passagierliste mitSeine Hoheit" aufgeführt lind. Der schlichte Bürger nimmt mit mehr oder weniger Ehrfurcht davon Kenntnis, daß er auf engem Räume vereint ist mit fünf regierenden(dies Wort wird überall mit einem besonderen Akzent belegt) Maharadschas, unter denen sich mit großem Gefolge der mächtige Fürst von Alwar   befindet, Den fünf akttoen Landes-
vätern gesellt sich einKronprinz", der Erbe des großen Maisur- staates. Was sonst sich an Indern in der ersten Klasse befindet, sind Großkaufleute, Grundbesitzer und Rechtsanwälte, welch letztere als besonders reich gelten. Die Europäer erster Fahrkartengüte sind ebenfalls große Handelsleute, Baumwollagenten und-fabri- kanten aus Manchester  , hohe und Köchste Regierungsbeamte, die auf dem höchsten Gipfel der Würde den TitelCollector" Steuereinholer" führen. Diele dieser Beamten haben ihre Familie bei sich. Die wenigsten unter ihnen betreten Indien   zum ersten- mal. In der Regel kehren sie von einem mehrmonatigen Urlaub zurück, den sie nach Ablaui einiger Dienstjahre erhalten und samt Familienanhang und Kindermädchen in Old-England zugebracht haben. Auch die zweite Passagierklasse ist in ihren Hauptmassen ziein- lich gleichförmig. Fünf Gewerkschaftsfekretäre dürsten für den Nichtwissenden etwas schwor zu katalogisieren sein. Einige lässig gekleidete ganz junge Leute wird man gleichfalls nicht auf den ersten Blick als Jockeis erkennen, die für die Rennbahnen von Boinbay und Luknau bestimmt sind, sondern eher für der väterlichen Zucht entronnene Bauernjungen halten. Welter entziehen sich ein argen- tinischer Journalist, ein Pariser Exporteur und Valutaspekulant, ein Syrier und ein Chinese nebst Gemahlin der Typisierung. Die übrigen Reisenden der zweiten Klasse sind ohne tiefe Menschenkennt- nis an Gebärde und äußerer Erscheinung zu erkennen. Da sind Offiziere in Zivil, von ihren Frauen begleitet für das übrige Militär gibt es andere Schiffe für billige Massenbeförderung> kleinere Existenzen des Händlertume, Bankangestellte und Bureau- fräuleins, die unteren Beamten des Staate» und schließlich dl« ganzen zahlreichen Gefolgschaften der Maharadschas, worunter sich auch Frauen befinden. Diese tragen zum Teil die grellfarbigen Tücher ihrer Eingeborenentracht, andere europäische Frauenkleidung, Seiden- strllmpfe und Pagenhaar. Grüßt man eine dieser Damen, so beantwortet sie den Gruß, indem sie leicht de» Kopf senkt und zwei Finger der rechten Hand langsam zur Stirn führt. Die Art dieser Ehrbezeugung ist so anmutvoll, daß sie sedc Derwechslung mit einer ähnlichen Geste ausschließt, mit der man in Berlin   die höfliche Rede begleitet:Mensch, du hast'n Bogel!" Die Männer scheinen diese Grußform nicht zu pflegen. Auch von ihnen sind manche europäisch, manche indisch gekleidet. Mit der verschiedenartigen Tönung ihrer Hautfarbe, der Buntheit ihrer Röcke und Turbans bieten sie eine frohe Augenweide. Wie in der ersten Klasse, sind auch hier indische Studenten und Vertreter intellektueller Berufe. mit denen sich lohnende Unterhaltung führen läßt in Borberettung auf den Besuch ihrer Heimat. Der«in« von ihnen hat mtt Rabindrannth Tagur die Tour durch Deutschland   gemacht, spricht klug und zutreffend über unser Land und hat ein seltenes Geschick, einem indische Gedanken und Gesinnung näherzubringen. Im allgemeinen findet wenig Verkehr und Unterhaltung zwischen Europäern und Indern statt, doch scheint es mir nicht, als ob man diese'Zurückhaltung einem Hochmut der Engländer gegenüber den indische» Mitreisenden zuschreiben könne, denn der Verkehr der Weißen, also fast ausschließlich der Engländer, untereinander fft kaum weniger steif und knapp, was wahrscheinlich in der eigen- artigen Zusammensetzung der Passaglere seinen Grund hat. Man könnte wohl mit ihnen um die Welt fahren und würde kein« tausend Worte Englisch   brauchen, denn das Gespräch erschöpft sich fast immer in der gegenseitigen Versicherung, daß es heute sehr schöne» Wetter sei, aber schrecklich warni. Tagsüber wird häufig Decktennis ge- spielt, und abends sogar manchmal getanzt. Was unsereiner ge- legentlich entbehrt, sind besonders dte Deckkonzerte unserer deutschen Schiffskapelle, die immer etwa« Stimmung m die Monotonie der Seereise bringen. Doch statt dessen gibt es hier täglich neue Beobachtungen und Wahrnehmungen und das interessante indisch« Schiffepersonal, dessen Arbeits- und Lebensverhältnisse zu studieren mein nächstes Beginnen fein wird wenn nicht die lähmende Hltz« im Roten Meer   es vereitelt.