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Abendausgabe

Nr. 550 43. Jahrgang

10 Pfennig

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Ausgabe B Nr. 272

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sind in der Morgenqusgabe angegeben

Redaktion: Sw. 68, Lindenstraße 3

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Volksblaff

22. November 1926

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Zentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands

Lindenstraße 3

Beschlüsse der Luxemburger Konferenz.

Für Verständigung, Rheinlandräumung und Abrüstung.

V. Sch. Curemburg, 21. November.( Eig. Drahtber.) Die Bier länderkonferenz, zu der am Sonntag in Luremburg die Vertreter der sozialistischen Parteien Frankreichs , Englands, Deutschlands und Belgiens zusammengetreten sind, hat sich die Aufgabe gestellt, der Politik der internationalen Berständigung und Bersöhnung, die seit den Ansätzen von Thoiry etwas ins Stocken geraten ist, neue Impulse zu geben. Sie will die Richtlinien festlegen, die der Zusammenarbeit der Arbeiterparteien auf dem Gebiete der Friedenssicherung als Grundlage und Gemeinschaftsprogramm dienen und sie veranlassen, die beteiligten Regierungen auf dem seit Locarno und dem Eintritt Deutschlands in den Völkerbund eingeschlagenen Weg vorwärts zu treiben.

Die deutsche Delegation setzt sich zusammen aus den Genossen Bels, Hermann Müller , Hilferding , Breitscheid , Robert Schmidt, Sollmann, Crispien, Bittor Schiff und Schäfer. Frankreich hat Léon Blum , Renaudel, Auriol, Fauré , Brafe und Paul Boncour entsandt, England ist durch Roberts und Gillies, Belgien durch de Brouquère, van Rosbet und Sage vertreten. Für das Exekutiv­tomitee der Internationale ist Friedrich Adler erschienen.

Die erste Vollversammlung wurde um 10 Uhr morgens er­öffnet. Auf Vorschlag der deutschen Delegation wurde de Brou quère zum Borsigenden gewählt. In seiner Begrüßungs­ansprache begrüßte er die deutsche Anregung zur Einberufung der Konferenz als der notwendigen Fortsetzung des in den Jahren 1922 und 1923 in Frankfurt und Berlin begonnenen Werkes, die sozia­listische Internationale auf ein gemeinsames Fredensprogramm zu Wels- Deutschland

einigen.

mies darauf hin, daß heute die fapitalistischen Barteien und die bürgerlichen Regierungen die Früchte einer Bolitit ernten, für die der Sozialismus jahrelang gefämpft hat, und wofür wir aufs schärfste bekämpft worden sind. Bels gibt einen furzen Ueberblick über die Entwicklung seit der Berliner Besprechung und stellt mit Ganugtuung fest, daß ein großer Teil der damals aufgestellten Forderungen inzwischen verwirklicht worden ist. In Thoiry ist bedauerlicherweise die Frage der Sicherheit Frankreichs und der Räumung des Rheinlandes auf ein Gebiet gezogen worden, auf dem notwendigerweise neue Schwierigkeiten entstehen mußten. Während die Beschlüsse der sozialistischen Internationale die Frage der Räu mung als einen Teil des Sicherheitsproblems be trachteten, hat man in Thoiry ein Finanzgeschäft daraus zu machen versucht. Der Umschmung, der seitdem sowohl in der innerpolitischen Konstellation der einzelnen Länder wie auch in der internationalen Situation eingetreten ist, hat die deutsche Sozial­demokratie veranlaßt, an die Bruderparteien mit der Frage heran­zutreten, ob es nicht zmedmäßig wäre, der Politif des Sozialismus erneut mit einer gemeinsamen Kundgebung Ausdrud zu geben. Als Diskussionsbasis schlägt die deutsche Delegation eine Resolution vor, die im Sinne der Berliner und Frankfurter Beschlüsse sowie im Rahmen der von der Internationale in Hamburg und Marseille gefaßten Entschließung die Richtlinien für die Fortführung der Bolitik der internationalen Sicherung in prägnanter Form zu fammenfaßt. Die Aussprache darüber, an der sich vor allem die französischen und belgischen Genoffen beteiligten, ergab grund fägliche Einmütigkeit über die darin niedergelegten Forde rungen. Nur gegen die redaktionelle Faffung einzelner Abschnitte wurden Bedenken erhoben, denen die Konferenz durch Einsegung eines Unterkomitees Rechnung trägt, das einen neuen Text aus­arbeiten soll. Dieses setzt sich wie folgt zusammen: Müller und Hilferding für Deutschland , Blum und Paul Boncour für Frankreich , de Brouquère und Sage für Belgien , Roberts und Gillies für England.

Die Beschlüsse der Konferenz.

Nach eingehender Aussprache beauftragte der Unterausschuß de Brouquère und Blum mit dem Entwurf einer neuen Resolution. Nach einem Meinungsaustausch, der völlige Ueberein stimmung aller Delegationen ergab, wurde

folgende Refolution einstimmig angenommen:

entlehnt; Deutschlands Eintritt in den Bölkerbund ist durch die Brüsseler Konferenz und dem Internationalen Kongreß von Marseille im Juli bzw. August 1925 vorbereitet worden. Heute gestatten die erzielten Ergebnisse und die dadurch ge­schaffene günstigere Atmosphäre den Sozialisten, eine neue Stufe des Fortschritts ins Auge zu fassen. Sie wollen auch heute durch ihre Initiative und unter ihrem Druck von den Regierungen die not­wendigen Entschlüsse erwirken, um

das Werk des Friedens vorwärts zu treiben

und um die Konfliktsstoffe zu beseitigen, die noch zwischen Deutsch­ land und Frankreich bestehen; denn die aufrichtige Versöhnung zwischen beiden Ländern bleibt die wesentliche Voraussetzung des europäischen Friedens.

II. Die Resolution der Berliner Konferenz vom April 1923 hatte bereits festgestellt, daß der Frieden in Europa und die Sicher heit Frankreichs ihre sicherste Garantie in einer Stärkung der Repu­ blik und der Demokratie in Deutschland haben". In Deutschland und fast überall in Europa besteht eines der gefährlichsten Hindernisse, die der wirklichen Befriedung entgegenstehen, noch immer in der Pro­paganda ber reaftionären Parteien und der militaristischen Cliquen.

Die Gefahr wird dadurch gesteigert, daß sich faschistische. Parteien in verschiedenen Ländern Europas , Italien , Spanien , Ungarn im Befige der Macht befinden und ihr Regime der Unterdrückung nur aufrecht erhalten fönnen, indem sie wahnsinnige Abenteuer fuchen, um nationalistische Instinkte zu fördern und Ablenkung der Boltsmaffen

vom inneren Druck zu finden.

Pflicht einer jeden Geftion der sozialistischen Internationale ist es, den Kampf gegen den Faschismus auf allen Gebieten fortzusehen und den unterbrüdten Proletariern mit materieller unb moralischer Hilfe beizustehen, deren Ringen nicht nur der eigenen Befreiung vom unerträglichen Drud, sondern auch der Befreiung der gesamten Menschheit von einer Gefahr gilt, die den Frieden ständig bedroht. III. Die wirkliche und dauernde deutsch - französische An­näherung, die für die Festigung des Friedens unerläßlich ist, schließt notwendig das baldigste Ende der militärischen Besetzung deutschen Bodens

ein. Schon auf der Frankfurter Konferenz vom Februar 1922 hatten die in Luxemburg vertretenen Parteien erklärt: Solche Offupationen verlegen die Gefühle der Bevölkerung der besetzten Gebiete und verschlingen die von Deutschland für den Wieder­aufbau der zerstörten Gebiete aufgebrachten Mittel, erzeugen immer von neuem Haß gegenüber den Besezenden und bergen in sich die Gefahr neuer Konflikte."

Eine der wesentlichsten Aufgaben der sozialistischen Parteien besteht also darin, eine schnelle Lösung des Problems der Rheinlandsräumung herbeizuführen. Die Ausführung des Dawes- Plans durch Deutschland , Deutschlands Eintritt in den Völkerbund und das Inkrafttreten der Verträge von Locarno ge­ftatten den Regierungen, eine schnelle Lösung dieser Frage ins Auge zu faffen. Es ist die Aufgabe der beteiligten sozialistischen Parteien, diese Lösung der Frage zu beschleunigen und die Schwierigkeiten aller Art zu beseitigen, die sich ihr noch entgegenstellen. Es muß insbesondere vermieden werden, daß finanzielle Schwierigkeiten ein Hindernis für die baldige Räumung bilden, die der internationale Sozialismus für unerläßlich hält.

IV. Hingegen haben die sozialistischen Parteien erkannt, daß die Räumung des Rheinlandes mit einer befriedigenden Lösung der Abrüstungsfrage praktisch verbunden

ist. Deutschland hat sich verpflichtet, abzurüsten und die Einleitung einer allgemeinen Rüstungsbeschränkung aller Nationen zu ermög­lichen". Die in Versailles vertretenen Regierungen sowie alle Re­gierungen, die in den Böllerbund eingetreten sind, haben die feier liche Verpflichtung übernommen, diese Rüstungsbeschränkung zu ver= wirklichen. Die organisierte Arbeiterschaft aller Länder muß die Er­füllung dieses Versprechens mit Entschiedenheit fordern.

Die Luremburger Konferenz stellt fest, daß nach dem Abschluß der technischen Vorarbeiten die Einberufung der allgemeinen Ab­verrüftungskonferenz nur noch von dem Willen der Regierungen abhängt. Die Konferenz erklärt, daß

I. Die am 21. und 22. November 1926 in Luremburg fammelten Bertreter der belgischen, deutschen, englischen und franzöft schen Seftionen der sozialistischen Arbeiterinternationale ftellen mit Genugtuung feft, daß als Ergebnis der Konferenz von London und Locarno , der Bölferbundstagung von 1926 in Genf und der zu fommentunft von Thoiry wesentliche Fortschritte in der Berständigung und der Politik der europäischen Böffer erzielt worden sind.

jede ungerechtfertigte Verzögerung die schlimmsten Folgen haben würde. Ein Versagen des Bölferbundes auf diesem Gebiete müßte zu einer Krise des Böllerbundes führen. Der Bölferbund muß die allgemeine Abrüstung entschlossen und schleunigst in Angriff nehmen und damit die Kontrolle der Abrüstung für alle Völker durch.

Nicht Schuld der Sozialisten war es, daß diese Fortführen. schritte nicht früher und vollständiger verwirklicht wurden. Sie haben alle beteiligten Parteien zu folidarischen Anstrengungen zusammen­gefaßt; allen Angriffen zum Troß, die allein schon dieses Bufammenwirten jeder einzelnen Partei eintrug, haben sie bereits un­mittelbar nach dem Kriege jene Grundfäße aufgestellt, die ihre Re­gierungen nur allzu spät und nur unvollständig zur Anwendung gebracht haben.

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Der Dawes Plan ist in seinem nüßlichen und gerechten Teil durch den von der Frankfurter Fünfländerkonferenz ausgearbeiteten Blan beeinflußt worden. Der Bertrag von Locarno ist dem Protokoll der sozialistischen Zusammenkunft in Berlin im April 1923

Die Arbeiter Deutschlands und Frankreichs müssen auf ihre Regierungen einen Drud ausüben, damit diese den nötigen guten Willen zeigen, die eine, um die ießten von Deutschland versprochenen Abrüstungsmaßnahmen bald durchzuführen, und die andere, um zu verhindern, daß durch schifanöse Forderungen die notwendige Ausführung der interalliierten Militärfontrolle hinaus­gezögert wird.

Die Kontrolle der deutschen Abrüstung fann in Zukunft nur im Rahmen einer allgemeinen Konvention gedacht werden, die allen Staaten gleiche Rechte gewährt und gleiche Pflichten auferlegt,

wie übrigens auch die Abrüstung Deutschlands nur denkbar ist, im Hinblick auf die Weltabrüstung.

Bis zu dem Zeitpunft, we diese Gesamtorganisation ausgebaut sein wird, und um die Räumung der rheinischen Gebiete nicht hinaus. zuzögern, würde es sich empfehlen, daß der Völkerbund eine aus Vertretern von Bundesmitgliedern bestehende zivile Kommission bildet, in der Deutschland vertreten ist. Es darf keine Anstrengung gescheut werden, um zu erreichen, daß in denkbar fürzester Frist dies Regime durch ein anderes ersetzt wird, das einen streng vertraglichen Charakter hätte und auf der Grundlage strikter Gegenseitigkeit stehen müßte, um die Feststellungen zu treffen, die notwendig sind, um den, Eintritt der Verträge von Locarno am wirksamsten zur Anwendung zu bringen.

V. die sozialistischen Parteien müssen dafür sorgen, daß im Zu sammenhang mit der Lösung des Reichsproblems das Schicksal der Bevölkerung des Saargebietes endgültig und ihrem Willen entsprechend geregelt werde. Es liegt im Interesse feines Landes, die harte Zeit, die der Versailler Vertrag der Saarbevölkerung auf­erlegt hat, fortdauern zu lassen. Eine ferundschaftliche Regelung, für die alle Voraussetzungen bereits geschaffen sind, würde die deutsch - französische Annäherung wirksam fördern.

und Annäherung eine endgültige und vollkommen befriedigende Lö­VI. Endlich erfordert das Werk der internationalen Versöhnung fung der Reparations- und Schuldenfrage. Der internationale eigenen Anstrengungen auf diesem Gebiete ermöglicht haben, seine Sozialismus hat allen Anlaß, auf Grund der Fortschritte, die ine sozialistischen Ansichten bewiesen, die auf der Konferenz von Frank Bemühungen fortzusetzen. Die Erfahrung hat die Richtigkeit der furt und auf den Internationalen Kongressen von Hamburg und Marseille durch nachstehende Resolution zum Ausdrud tam:

,, Allgemeine Streichung der aus dem Kriege stammenden inter­nationalen Schulden, ausschließliche Verwendung der deutschen Zah­lungen für de Wiederaufbau der zerstörten Gebiete, Mobilisierung der deutschen Schuld nach Maßgabe der Mögli, eit und Billigkeit."

Heute lastet das Problem der interalliierten Schulden auf dem Wirtschaftsleben und auf den politischen Beziehungen aller großen Völker. Die Gesamtsumme der deutschen Schuld ist noch nicht festa gesetzt. Das Fehlen ihrer Mobilisierung hat zur Folge, daß sich nach wie vor ein Schuldnerftaat und Gläubigerstaat gegenüberstehen. Gemäß den von ihm stets vertretenen Grundsäzen muß der inter­nationale Sozialismus auf die

Streichung der inferalliierten Schulden hinarbeiten, sowie auf die Beschränkung der deutschen Schuld nach dem Wert der tatsächlichen Wiedergutmachung.

Dann fann eine Mobilisierung der deutschen Schuld erfolgen, die eine schnelle finanzielle Befreiung Deutschlands bewirken wird.

Reparations- und Schuldenproblem nicht allein die ehemals krieg­VII. Schon die Frankfurter Konferenz hatte erkannt, daß das führenden Länder berührt und daß sie nicht von den allgemeinen Problemen getrennt werden können, von denen alle Völker durch die Problemen getrennt werden können, von denen alle Böller durch die Nachwirkungen des Krieges betroffen worden sind. Nachwirkungen des Krieges betroffen worden sind. Die Konsolidierung des Friedens hängt zum großen Teil von der Entwicklung des weltwirtschaftlichen Solidaritätsgefühls ab. Die Luxemburger Konferenz stellt die wesentlichsten Fortschritte fest, die. auf diesem Gebiet in den letzten Monaten erzielt worden sind, deren Notwendigkeit so oft von der Internationale unter Angabe der ge­eigneten Mittel und Wege betont worden sind.

Aber die sozialistischen Parteien dürfen nicht den Großkapitalisten die Leifung der neuen Gebilde überlaffen, in denen die Bezeichnung und der Austausch der Güter fich konzentrieren. Sie müssen una b lässig fämpfen, um eine größere Beteiligung des Staates und der Arbeiterorganisationen an der Leitung dieser Zentren zu sichern, in denen alle Fäden der Wirtschaft zusammenlaufen. Sie müssen besonders dafür sorgen, daß unter den neuen Verhältnissen, die die industrielle Entwicklung geschaffen hat, die Löhne und Arbeits­bedingungen geschützt werden.

Die Konferenz erinnert die vertretenen Parteien an die Not­wendigkeit, in ihren Ländern die

Rafifitation des Washingtoner Abkommens über den Acht­

ftundentag

durchzusehen. Dies ist eines der wichtigsten Mittel, den neuen An­fturm fiegreich abzuschlagen, den der internationale Rapitalismus auf eine der wertvollsten Errungenschaften des Proletariats unternimmt. Die Konferenz erinnert außerdem an die entsprechenden Beschlüsse der Brüsseler sozialistischen Konferenz vom Januar 1925.

Die Arbeiter dürfen sich nicht von der Wirtschaftskonferenz auf­halten lassen, die der Bölferbund vorbereitet und bei der ihre Inter effen so offenkundig auf dem Spiele stehen. Die Luremburger Kon­ferenz ersucht die Sozialistische Arbeiterinternationale, fich mit der Amsterdamer Gewerkschaftsinternationale in Verbindung zu setzen, damit eine gemeinsame Zusammenkunft noch vor dem Zusammentritt der offiziellen Konferenz einberufen werde, um dort die geeigneten Propaganda- und Aktionsmaßnahmen festzulegen.

VIII. Die Luremburger Konferenz übermittelt die vorstehende Resolution dem Exekutivkomitee der SAJ. mit der Bitte, sie allen angeschlossenen Seftionen zur Kenntnis zu geben,