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ktr. 551 45. Fahrgang

7. Heilage öes vorwärts

Dienstag, 25. November 142b

Die Lotterie öer �lrbeiterwohlfahrt, Ein Mittel der Tclbsthilfc. Saft immer, wenn Lose zu einer Lotterie angeboten werden, geht ein« frischfröhlich« Debatte an über die moralische Berechtigung eines solchen Glückspieles. Man läßt es sich schließlich noch gefallen, wenn «s sich um Dombau-, Rote-Kreuz- und andere Lotterien handelt. Der Spaß muß aber aufhören, wenn es unser« eigene Sache betrifft. In den letzten Jahr« haben einige uns nahestehende Organi­sationen kleinere und größere Lotterien ausgespielt. Am umfang- reichsten waren die der Arbeiterwohlfahrt in verschiedenen Orten und Bezirken. Sie hatten Erfolg, und der Zweck der Mittel- Beschaffung auf diesem Wege wurde erreicht. Unseren Lesern ist be- tonnt, daß die Arbeiterwohlfahrt nach einem Wort des Freundes unserer Tätigkeit, des verstorbenen Reichspräsidenten E b« r tdie soziale S e l b st h i l f e der Arbeiter" ist. Es herrscht wohl kaum«ine Meinungsverschiedenheit darüber, daß unser« Wohlfahrisarbeit durch ihr achtjähriges Wirken und Entwickeln ihre brennende Notwendigkeit erwiesen hat. Wir aber sollDie Arbeiter- Wohlfahrt" ihre gewaltigen Aufgaben lösen, wenn ihr keine größeren Mitiel zur Verfügung gestellt werden können? Gewiß kann ein« Lotterie nicht das Allheilmittel zur Beschaffung von Geldern sein. Aber sie ist«in Mittel aus einer Reihe anderer derSelbsthilfe". In dem Wirken derA r be i t« r w o h l fa h rt" drückt sich der höchste und reinste Will« zur Gemeinschaftshilfe. zur Solidarität aus. Darin und in vielem anderen noch unterscheiden sich unsere Organisationen von denen bürgerlicher Art. Di« Opfer der kapitalistischen Wirtschaftspolitik dürfen nicht als die armen Teufel, die nun mal Pech hatten, und denen man mitleidig vom Ueberfluß helfen muß, angesehen werden. Ihre Lebens- kraft, ihr Will« zur Mitarbeit sollen ungebrochen bleiben, auch wenn vorübergehend materielle Hilfeleistungen nötig werden. Kein Gefulst der Abhängigkeit und Bedrückung darf als demorali- sierenda Wirkung langsam einsetzen, wie es so häufig in diesen Zeiten arger Not zu beobachten ist. Ein schlimmer Feind des stolzen, un- gebeugten Kampfe zw illens ist der Pauperismus, mit dem der Verlust des Stolzes und die Einbuße der moralischen Widerstandskraft leicht verbunden ist. Die durch die heutige Wirtschaftsordnung veranlaßt« internationale Krise mit ihrer Massennot kann selbst- verständlich nicht von Wohlsahrtsorganisationen privater Art bekämpft werden. Hier müssen großartige Aktionen von Wirtschaft, Staat und Gesellschaft, die in engster Verbundenheit mit- «inander stehen müssen, einsetzen. Was mit der theoretischen und praktischen Forschungsarbeit der »Llrbeiterwohlfahrt" in gesttzgeberischer Hinsicht geleistet werden muß. bedarf keiner besonderen Erklärung. Darüber hinaus aber erwartet «in besonder«? Gebiet der Fürsorgearbeü unsere Schöpferkraft als private Organisation: Wir müsset» dieFührung übernehmen aui manchen Gebieten vorbeugender Hilf«. In den Großstädten brennt lichterloh die Not der erwerbslosen Jugend. Es fehlen L«digenh«ime, sowohl für Männer, als auch für Frauen und Mädchen. Es mangelt an Heimen für solche Kinder, die zwischen Waisenhaus und Fürsorgeanstalt stehen, wo uns das Experiment der Erziehung durch Arbeit im sozialistischen Sinne lockt. Wir denken an V o r a s y l e und Heimstätten für Arbeitslose, Jugendheime, die gleichzeitig alkoholfreie Gast- und Versammlungsstätten für alle unsere Mitarbeiter sind. Das ist ein kleiner Ausschnitt aus dem Riesenreich gesellschaftlicher Aufgabelt, die der Staat von heute leider nicht löst, auch nicht lösen kann. Dazu soll uns die Lotterie helfen. Daß die Ergebnisse so reichlich sein werden, daß all« oben genannten Projekt« ihrer Lösung näher gebracht werden, nimmt niemand an. Daß aber von den Be- zrrken schon längst überlegte und durchgearbeitete Pläne durch voraus- sichtlich« Ueberschüsse verwirklicht werden können, ist gewiß. Es ist sehr erfreulich, daß der Hauptausschuß mit einer Zentral-Lotteri« und damit mit einer Zusammensasiung vieler Kräfte begonnen hat. Wir müssen alles tun, um bei diesem ersten Versuch die größten Erfolg« zu erzielen. Denn unsere Lotterie soll sich einbürgern. Sie kann es gewiß bei dem niedrigen Preis der Los« und den in Aussicht stehenden Gewinnen. Sie kann zu einer ständigen Einrichtung des Hauptausschusses für Arbeiter­wohlfahrt werden, geeignet, lausend größer« Einnahmen aus dieser Selbsthilfe zu erreichen. Darum hängt von dem ersten Gelingen sehr vieles ab.

Dammrutsth bei Neu-Dranüenburg. 2300 Kubikmeter Bahndamm weggesackt. Ein großer Dammrutsch, der glücklicherweise rechtzeitig entdeckt wurde und so kein Unheil angerichtet hat, ereignete sich am gestrigen Montag früh aus der Strecke S t e t t i n N c u- B r a n- d« n b u r g. Dort ist das Gelände in der Umgebung des Bahn- dammes sehr moorig, und zwischen den Stationen Spanholz und Netzka, etwa 10 Kilometer von Neu-Brandenburg entfernt, sackte der Bahndamm in einer tänae von mehreren hundert Metern voll. ständig wea, so daß die Eisenbahngleise etwa 5 bis 6 Meter frei in der Lust hängen blieben. Durch den Dammrutsch, der sich kurz nach Possieren eines Personenzuges vollzog, sind etwa 2300 Kubikmes�r Damm verschwunden. Der Personenverkehr wird durch Pendel- betrieb aufrecht erhalten, während der Güterverkehr durch Umleitung weiter geführt wird. Der Personenzug 3Z7 Neu-Brandenburg Strasburg(Uckermark ), der die Unfallstelle gegen 6 Uhr 22 Minuten morgens passiert hätte, konnte rechtzeitig von dem Erdrutsch be- nachrichtiot und annehalten werden, da in der Nähe der Unfallstelle Bahnarbeiten ausgeführt wurden, und der Dammrutsch sofort der nächsten Blockstation gemeldet wurde. Wie wir hören, wird der Schaden bereits bis zum heutigen Dienstagabend ausgebessert sein, so daß weitere Berkehrseinschränkungen nicht eintreten.

Düppel als Lunge von öerlin. Die Herrschaft Düvpel-Dreilinden, deren Ankauf durch die Stadt Berlin dem Magistrgt wünschenswert scheint, wurde auf Einladung des Stadtrates Busch, des Borsitzenden der städtischen Grundeigentumsverwaltung. am Montag von Vertretern der Presie besichtigt. Der Gutshof Düppel bietet keine besonderen Reize, aber die ausgedehnten Waldungen, die zum Gut gehören, könnten einmal eine sehr wertvolle Erholungsstätte für die Berliner werden. An der 736 Hektar großen Gesamtfläche, die erworben werden soll, sind Waldungen mit rund 500 Hektar beteiligt, und 400 Hektar hiervon sollen als Dauerwald erhalten bleiben und der Volksgesundheit dienen. Das Gebiet ist auf zwei Bahnlinien zu erreichen, auf der Wannseebahn über Station Dreilinden und auf der Berlin -Potsdamcr Stammstrecke über eine noch einzurichtende Station hinter Zehlendorf-Mitte. Jetzt sind groß« Teile dieser Waldungen noch durch Gitter abgesperrt und dem Verkehr entzogen, so daß die Spaziergänger nur wenig von ihnen zu sehen bekommen. Stadtrat Busch, der bei der Desichti- gung die Vorteile eines Erwerbs von Düppel samt Dreilinden dar- zulegen sich bemühte, wies darauf hin, daß auch die als Bauland verwendbaren Teile des Gebietes von höchster Wichtigkeit für Berlin sind. Es sei dringend zu wünschen, daß diese Ländereien, deren Besiedlung in nicht serner Zeit erfolgen werde, nicht der Ter- rainspekulation in die Hände fallen. Wenn es nicht gelinge, das zu verhüten, werde der Wald für die Berliner verloren fein, und man werde sich auf ein« Verschandelung der Landschaft gefaßt machen müssen._ Unglücksfälle am Lnisenkaual. Die Zuschüttung des Luisenstädtischen Kanals hat in den letzten Tagen weitere Unglücksfälle spielender Kinder zur Folge gehabt. Die Zuschüttung des Kanals wird abschnittsweise vorgenömmeli. Es wird an einem Ufer so viel Sand angefahren, bis ein fester Streifen Sand die Anlegung von Kleinbahnschienen möglich macht. Dann fahren Kleinbahnzüge weiteren Sand heran und der Rest des Kanalbettes wird zugeschüttet. Um das Wasier noch absacken zu lassen, werden in gewissen Abständen noch Stellen freigelassen. Diese Wasierlöcher liegen nun erheblich unter dem ausgeschütteten Sande. Schon während an der weiteren Zu- schüttung gearbeitet wird, spielen die Kinder den ganzen Tag aus dem Baugelände, wobei die Sandberge als Rutschbahn benutzt werden. Häusig werden auch Zeck und andere Spiele gespielt. Bei dem wilden Umherjagen der Kinder ist sehr häufig eines der spielenden Kinder die steilen Ufer zu den Wasserlöchern herabgerutscht und konnte nur mit gewalligen Anstrengungen von herbeieilenden Arbeitern und Passanten gerettet werden. Eine be- sonders gefährliche Stelle ist in unmittelbarer Nähe der Admirals- brücke. Dort spielen die Kinder vor allem in den Abendstunden und Sonntags? Der ganze Abschnitt wird dann von älteren Jungen mit den Loren befahren. Da die Schienen bis an die noch nicht zugeschütteten Kanalstellen führen, ist es als ein Wunder anzusehen, daß bisher keine größeren Unglücksfälle bei diesen Fahrten vorgekommen sind.

Wie bereits mitgeteill, ist am Bußtag dort ein Junge er- trunken, zwei Kinder konnten noch in letzter Minute von her- beieilenden Erwachsenen gerettet werden. Am Donnerstag mittag ist wieder ein Junge in ein solches Wasserloch gefallen, doch konnte er glücklicherweise auch noch gerettet werden. Es ist völlig unverständlich, daß der Magistrat den Kindern das Spielen auf so gefährlichen Baustellen ermöglicht. Vor allem muß in den Abend. stunden die Baustelle ausreichend überwacht werden, dazu reicht aber ein Wächter allein nicht aus.

Großes ßabrikfeuer in Spanüau. Ein Transformatorcnhnus vernichtet. Ein gefährliches Feuer kam gestern nachmittag gegen 3 Uhr in einem den Deutschen Industriewerken A.-G. gehören­den Gebäude in Spandau , Freiheit 4/6, zum Ausbruch. Aus noch nicht ganz einwandfrei geklärter Ursache, vermutlich aber durch Kurzschluß, entstand in den Transformatorenhaus, das die gesamten Fabrikanlagen mit Licht versorgt, Feuer, das mit rasender Schnellig- heit um sich griff. Infolge der starken Hitzeentwicklung platzte ein Transformator. Das brennende Oel ergoß sich in den Raum und setzte auch den zweiten Transformator in Brand. Beide Um- former fielen den Flammen zum Opfer. Die Fabrikfeuerwchr war zunächst machtlos. Die Spandauer Berussfeuerwehr mußte herbei- gerufen werden, die unter Leitung des Baurates Müller an der Brandstelle erschien. Das Feuer hatte inzwischen auf den Dachstuhl des einstöckigen Gebäudes übergegriffen, der bald lichterloh brannte. Aus insgesamt 4 C-Rohren wurde etwa zwei Stunden long Wasser fegeben. Mehrere Schoumlöschap parate und Trocken- euerlöscher mußten zur Bekämpfung des Feuers benutzt werden. Die Mannschaften hatten nicht nur unter großer Hitze, sondern auch unter beißendem a m p f und Qualm zu leiden. Größte Gefahr bestand eine Zeitlang für das links und rechts an- grenzende Schalt- und Maschinenhaus mit seinem wertvollcn In- halt, doch gelang es unter größter Anstrengung ein Weitergreifen des Feuers zu verhindern. Erst gegen 6 Uhr abends war die Ge- fahr so weil beseitigt, daß die Wehren wieder abrücken konnten. Die Ausräumungsarbeiten, die von der Fabrikfeuerwehr vorge- nommcn wurden, dauerten noch längere Zeit. Arbeiter, die in dem Transformatorenhaus beschäftigt waren, sind glücklicherweise nicht zu Schaden gekommen. Der Betrieb wird durch das Feuer nicht in �Mitleidenschaft gezogen, da die Werke auch noch an das städtische Stromnetz angeschlossen sind. Nach kurzer vorüber. gehender Stromunterbrechung konnte schon gestern die Arbeit fort­gesetzt werden. Der Schaden ist erheblich. Die Schö neberger Feuerwehr wurde gestern abend gegen �8 Uhr nach der Kolonnen st r. 3/6 gerufen, wo in einem Kinovorführraum Feuer ausgebrochen war. Das gesamte Inventar wurde ein Raub der Flammen. Die Feuerwehr löschte den Brand in kurzer Zeit. Die Entstehungsursache ist nicht bekannt.

Selbstmorde iu der Badewanne. Auf eine immerhin nicht alltägliche Weise schieden im Laufe des gestrigen Tages zwei Menschen aus dem Leben. Der in der Richard- straße 98 zu Neukölln wohnende Fabrikant Robert P r i tz k o m ertränkte sich in der Badewanne. Vorher drehte er noch den Gashahn in der Badestube auf- Obgleich der Vorfall nach kurze? Zeit bemerkt wurde, war ärztliche Hilfe bereits vergebens. Einen Selbstmord auf die gleiche Art verübte gestern abend gegen 6 Uhr in der Wartenburastraße 10 zu Schöne borg die Söjahrigc Witwe Marie D z a n z. In einem Anfall von geistiger Umnachtung riegelte sich Frau D. in der Badestube ein, ließ die Wanne voll Wasser laufe» und ertränkte sich. Als man sie ausfand, war der Tod bereits eingetreten. Die Leichen der beiden Selbstmörder wurden beschlagnahmt und in das Schauhaug gebracht. * Der in dem Hause Mariannen straße 49 wohnende 65jährige Tischler Paul Lehmann und seine 61jährige Ehefrau Johanna wurden gestern früh gegen, �9 Uhr in dem mir Gas angefüllten Schlafzimmer in d e n Betten liegend t o t aufgefuilden. Hausbewohner waren auf den Gasgeruch aufmerksam geworden, so daß sich Feuerwehr und Polizei gewaltsam Einlaß in die Wohnung verschaffen mußten. Aus Hinterlassenschaften der Frau geht hervor, daß sie wegen Ehezwistigkeiten und Nervenzerrüt- tung Selbstmord verübt hat. Es wird vermutet, daß der Ehe-

die Vunöer öer Klara van tzaag. 10] Von Johannes Vuchholh. Aus dem Dänischen übersetzt von Erwin Magnus . 7. K a p i t e l. Frau van Haag riet richtig die tapfere Hedwig wünschte, daß Iohan Fors bei Tag oder Nacht, mit oder ohne Geige wieder- käme. Sie wollte ihn nicht von sich stoßen. Er kam nur nicht. Er war wie aus der Stadt verschwunden. Wenn Hedwig Kuchen holen sollte, setzte sie ihrenneuen Hut aus und ging durch Knarrestraße, Aalstraße und Süderstraße, ganze drei Straßen. Sie hätte ohne Hut gehen und sich wohl mit einer Straße begnügen können, denn der Bäcker wohnte gleich um die Ecke. Aber Hedwig meinte, das könne sie nicht, denn in der Süderstraße wohnte ein Maler. Das Tor zu seiner Werk- statt stand offen. Hedwig drehte den Kopf und warf einen raschen Blick hinein. Ach. da war nur der Malermeister selbst und malte an einem trübseligen eichenen Sarg. Hedwig entdeckte, daß die Küchenschränke vergesien waren, als alles andere gestrichen war. Es sähe schrecklich aus, sagte sie zur Gnädigen. Ja, wenn du die Schmutzerei über dich ergehen lassen willst, dann sag' nur Bescheid beim Maler." Wollen gnädige Frau nicht selbst so gut sein... Sie kommen doch vorbei." Das sähe am besten so aus, dachte Hedwig. Am nächsten Tage erschien ein Malerlehrling mit seinen Töpfen und Pinseln. Hedwig sah ihn mit nicht geringer Der- achtung an. Er taugte zu nichts als zum Anstreichen. Jedoch ließ sie sich herab zu fragen:Ist euer Geselle weggegangen?" Me'nrn Sie Iohan Fors?" Wen sonst!" sagte Hedwig gleichgültig, aber der Name hatte sie doch getroffen, so daß ihre Wangen rot wurden. Er arbeitet draußen auf einem Gut, Lundgaard wohl." Jetzt hätte Hedwig viel darum gegeben, zu erfahren, ob Iohan Fors jeden Abend heimkam, aber das konnte sie ja nicht fragen. Statt dessen sagte sie:Ist das nicht der, der spielen kann?" Er kann spielen, und er kann alles, was er will," sagte der Malerlehrling und blickte mit Augen auf, die vor Be- ldunderung blitzten. Da gab Hedwig dem Malerlehrling Kaffee mit Wecken.

Am Abend machte sie sich auf geheimnisvolle Weise schon um sieben Uhr frei und ging träumend durch den Wald nach Lundgaard zu. Wer konnte wissen.... Sie setzte sich auf eine weiße Bank, wo zwei Wege zusammenstießen, beide führten nach dem Gute, aber unwillkürlich entschloß sie bei sich. das Iohan den breitesten und ebensten, den Hauptweg kom- men müsse. In diese Richtung wandte sie nun ihr Gesicht. Immer wieder versuchte sie vor sich hinzusehen, auf den Tanz der Anemonen über dem Waldboden oder in die hellen Kronen der Buchen nein, eine Sekunde später starrte sie nach der Wegbiegung auf allerhand phantastische Gestalten, die von selber auftauchten. Keine von ihnen wollte jedoch zum leben- digen Iohan Fors werden. Sie trommelte auf ihre weißen Schneidezähne und ärgerte sich über sich selber, weil sie jetzt mit ausgestreckten Händen einem nachlaufen mußte, der sie vor allen anderen mit seinem Spiel ausgezeichnet hatte, einem, der recht eifrig hinter ihr hergewesen war. Aber das tat alles nicht soviel, wenn es nur wieder gut zwischen ihnen werden konnte. Wenn sie ihn nun direkt um Verzeihung bat, wenn... Es schimmerte ein« süße Träne in Hedwigs Augen. Vor ihm wollte sie sich beugen, aber sonst vor keinem in der ganzen Well. Kam er nicht dort? Ach nein, es war nur sie selbst, die den Oberkörper bewegte, daß die Bäume sich kreuzten. O je, wie steif einem der Hals wurde! Aber da kam er ja. Nein, es war eine Mücke gerade vor ihrer Nase. Sollte sie Du oder Sie zu ihm sagen? Er selbst hatte in jener Nacht ohne weiteres Du gesagt. Hätte sie ihn doch bei sich spielen lassen, daß das ganze Zollamt eingestürzt wäre. Die Gnädige würde ihr schon verziehen haben, wenn sie gehört hätte, wie alles zusammenhing. Wenn er jetzt an der Wegbiegung erschien, wollte sie auf- stehen und ihm entgegengehen. Selbstverständlich wollte sie nicht direkt um Verzeihung bitten, mit Worten, im Gegenteil, sie wollte ihn anlachen so. Laß uns doch nicht dumm fein, Iohan. Wir haben uns doch so gern, um die Zeit mit ein- gebildeter Beleidigung zu vergeuden. Hedwig erhob sich und veranstallete eine kleine General- probe mit dem Lächeln und der Kopfbewegung, die alle diese Worte enthalten sollte. Guten Tag, Iohan Fors."(Den Nachnamen konnte sie sich wohl leider nicht ersparen.) Und dann wollt« sie still vor ihm stehen. So. Ein, zwei, drei Schritt vor ihm. Jetzt kannst du ja oersuchen, ob du vorbeikommst!"

Da entstand ein Geräusch, das Hedwig als Blätterrauschen auffaßte und nicht beachtete. Als sie aber gerade lachend und triumphierend vor dem eingebildeten Iohan stand, strich der wirkliche, von dem schmalen Seitenweg her, auf dem Rade vorbei. Hedwig wandte sich um, ihre Blicke trafen sich»inen Augenblick, sie sank vor Scham förmlich zusammen. Hatte er gegrüßt? Sein großer Malerhut flatterte in seiner linken Hand, die die Lenkstange hielt, so daß es nur war, als ob er genickt hätte. Gewiß, es leuchtete in seinem starken Gesicht, aber er mußte ja im selben Augenblick das Rad über die Wagenspuren werfen, so daß nicht viel dabei herauskam. Hedwig trat mitten auf den Weg und sah ihm nach. Seine gelbe Mähne stand rückwärts über seinem Kopfe wie der Federschmuck eines Indianers. Aber gesetzt, sein Lächeln müßte ganz anders gedeutet werden. Vielleicht hatte er verstanden, daß sie gerade feinet- wegen hier war. Sonst wäre er wohl abgestiegen. Niedergeschlagen ging Hedwig tiefer in den Wald hinein. Die Anemonen und die Siebensterne verloren ihre Farbe, und das grüne Buchenlaub wurde grau. Und das nicht allein, weil die Sonne unterging. Hedwig schritt stark aus, ohne auf Zeit oder Ort zu achten. bül sie einen mit hohen Adlerfarnen bewachsenen Hang er- rWhte. Hier klapperten zwei Rebhühner mit schrecklichem Spekcakei>n die Höhe. Hedwig blickte sich um und merkte, daß sie sich verirrt hatte. Vor ihr stond ein unheimlicher Tannenwald. Die schwarze Nacht selbst lag hinter seinen Stämmen eingesperrt wie ein wildes Tier in seinem Käfig. Hin und wieder erhob sich ein Geräusch, wie schweres Atmen oder sogar Schnarchen. Aber umkehren wollte Hedwig nicht. Sie tauchte ins Dunkel hinein, wo der Nadelboden alles Geräusch außer dem Rascheln ihrer Kleider erstickte. Es kam ein Augenblick, da der Schrecken des Waldes Hedwig übermannte. Sie dachte, daß ein entsetzlicher Tod ihr nahe wäre. Sie begann zu laufen. Die Zweige rissen und zerrten an ihr mit ihren starren, mageren Fingern. Das alles dauerte weniger als eine Minute. Wenn ich sterbe, so scheide ich von Iohan Fors, dachte sie, und der Gedanke erfüllte sie mit unbezwinglicher Lebenslust. Sie wollte auf demselben Weltkörper bleiben wie er. Gleich darauf hatte sie sich wieder in der Gewalt. Das Geräusch, das sie gehört hatte, mußte ja das Schlagen der Wellen sein! Bald war sie am Velt, dann fand sie leicht ihren Weg. (Fortsetzung folgt.)