vienstag 30. November 1926
Unterhaltung unö AAjssen
Seilage des vorwärts
Tagebuch eines Schriftstellers. Von Erwin Arche. Sehnsucht!... 11 12. Davon kann eigentlich nur«in Arbeiter sprechen. Als ich vor sechs Monaten noch Tag um Tag vder Nacht um Nacht unten im t-chacht lag und mit meiner Picke in den schwarzen Flöz hinein- schlug, neben mir nur meine kleine Lampensonne, und nichts weiter um mich war als ein gähnendes, grausiges Schweigen, da habe ich in wilden Sekunden gespürt, was es heißt, von Sehnsucht zerrissen zu werden. Da uuten, in der stillsten Stille, übermannte mich damals eine rasende Begierde nach de,, stolzen Gütern der Erde, nach lichttrunkenen, kühlen Wäldern, nach einem sließenden Strom. in dem sich der Himmel spiegelte, oder ich dachte an eine Weltsegler- Jacht, an Entdcckersahrten in gelbe Dschungel und wüste Wild- nisse... Bis mich die Wut beinahe wahnsinnig machte vor soviel Glück, das da jeden Tag jung mit der Welt erwachte und von wenigen heiter und sorglos genossen wurde, während ich bedreckt und geschunden, halbnackt, nach dem Anblick einer Wolke oder eines Sternes lechzte. Das alles aber ist nun vorbei. Noch spüre ich das giftige Lächeln des Schachtmeisters, als er mir an jenem Tage meine Papiere hin- warf, die ich gefordert hatte, um aus eigener Kraft dem schmalen Saum der Freiheit, der mich wie eine Fata Morgana berauschte, näher zu kommen. Tolltopf! Phantast! Das sagte alles dieses Lächeln. Dann kam die winklige Dachkammer mit der Feldbettstelle, der wracke Tisch, die an den Wänden aufgestapellen Bücher und die vielen Nächte bei der Petroleumlampe— bis jetzt, bis jetzt! Ich habe das letzte Wort meiner Arbeit geschrieben, die mich mit einem Riesensprung an das Land meiner unerfüllten Sehnsüchte bringen soll. Doch wenn ich auch schon in der Bucht stehe mit meiner waghalsigen Freude— es würgt mich etwas, ich muß denken an die anderen unten, an ihre verbissene Fron, der ich ent- rönnen bin, ich allein... 16. 12. Heute morgen war Lissy bei mir. In wenigen Minuten ordnete sie meine verwühlte Kammer und freute sich mit mir meines Glückes. Jetzt noch strahlt alles in dem Schein, den ihre Hände hervorgezaubert haben. Bor mir liegen die dicht beschriebenen Blätter: letzte Korrekturen! Auf dem Fenstersims aber trillert ein leicht gesprenkelter Hänfling, ich begleite in summend im Schreiben: das ist doch noch Musik! 20. 12. Recht respektable Häuser besitzen doch die Verleger! Sie gleichen von außen granitnen Burgen oder schimmernden Palästen. Das Eingangstor mit den dorischen Säulen ist wie eine Fanfare, die den Fremden herrisch aufnimmt. Ich hatte Herzklopfen. Lange saß Ich in einem Vorzimmer und wartete. Wie gedemütigt kam ich mir vor, als man mich rief. So müssen wohl die Mächtigen der Erde, die Herren der Welt wohnen— ich saß einem Menschen gegenüber, aus dessen kalt- klarem Antlitz ein stählernes Herrentum glomm. Erzählen wollte ich ja eigentlich von meiner unermeßlichen Tagsehnsucht, wenn der Förderkorb morgens hinuntersauske in den schwarzen Schlund, von meinem nächtlichen, wilden Schaffen— nichts wurde daraus! Stockend beantwortete ich einige Fragen— ein kühles Nicken— und dann empfing er meinen Schatz, der mein Schicksal ist. Wie nach einer schweren Nachtschicht ging ich heim. Fern liegt der silberne Freiheitssaum... Aber noch muß alle Fülle errungen und erkämpft sein! 21. 12.(Die Glocken läuten.) Flocke sinkt auf Flocke. Und immer mehr Fenster sldmmen auf im trauten Licht der Kerzen: zuerst sieht man nur eine schatten- hafte Hand, dann flackert ein kleines Licht auf und zuletzt schlagen alle Flammen zusammen in eine Sinfonie des Lichts auf grünem Grund. Ich friere in meiner Einsamkeit. Unsichtbare Chöre, die es nicht wagen hinauszufliegen in Sturm und Braus, klingen von unten hoch in meine Dachkammer und beenden ihre Fahrt in mir: Halleluja! Halleluja! Die Wände singen, die Dielen, die Treppen, das ganze Haus— nur hier oben schweigen die Sänger und ihre Stimmen verstummen. O Einsamkeit.... Plötzlich überfällt es mich, als risse mich jemand zornwütig an den Schultern zurück: Du Feiger, du Weicher, du Weib! Schon stehst du mit einem Fuß aus der Treppe, die zur Besreiung sührt, die zerbrochene Fessel klirrt, ein Morgen wächst dir riesig zu, eine neue Welt— und du weinst im dämmerigen Grau der Frühe! Vielleicht ist schon alles entschieden, dein Werk angenommen, du... Ja! Hart bleiben! Eisern! Das ist es. Und während nun all« Waldbäume prangten im festlichen Schmuck, während die Kinderstimmen gebrochen zu mir herauf- klangen, habe ich das Wort, das sie sangen ernst und doch trunken nachgesprochen: Halleluja! 7. 1. Die Feste sind verklungen und der Alltag überbraust wieder die feinen Schmerzen der Stille des Alleinseins. Ich warte fiebernd auf jene Antwort, der ich entgegenjagen möchte! Einige Male habe ich mich jetzt mit Lissy getroffen. Sie machte es möglich, daß wir eines abends ins Kino gehen konnten. Dieser Abend war wie ein Rausch für mich, wie eine Stunde zwischen Lachen und Gluck . Doch später ergriff mich leise Scham: war ich nicht ein Freibeuter in fremden Gewässern? Das alles mag nach- her kommen, jetzt sind es zwar lustvolle, aber verwirrende Wen- teuer. Und ich dachte, daß ich doch eigentlich warte, wie auf den Spruch eines... Gerichts... 11. 1. Sie ist da. Was? Nun die Antwort. Sonderbar, wie man von der höchsten Ekstase des Hoffens hinunterfallen kann in die Eisregionen des Wissens. Mein Buch gilt als abgelehnt. Es ist heimgekehrt. Aus. Meine kalte Sachlichkeit steht— wenn ich mich recht beobachte — im Bunde mit einem grausigen inneren Chaos. Ich könnte jetzt jahrelang schweigen, oder immerzu schreien: es wäre dasselbe. Zu stumpfsinnig bin ich, um zu schreiben. Ich weiß nichts, ich weiß gar nichts!! 26. 1. Mein neuer Glaube heißt Resignation. Was nützt es. wenn ich mich zerfleische? Wenige Tage nach jenem Zusammenbruch setzte ich meine eisigste, geschästlichste Maske auf und pilgerte zu einem anderen Verleger. Aber ich weiß nicht—: so. wie sich das Milieu solcher Buchkönige äußerst angleicht, so
gleichen sich auch ihre Mienen, ihre» Gesichter. Unbeweglich empfangen sie solch ein Manuskript, an dem doch hastet: Nächte ohne Schlaf, zitterndes Versinken im magischen Stöfs uno noch mehr— eine Seele in Unruhe. Sie müssen steinerne Herzen laben, wie jene Riesen im Märchen.(Schluß folgt.)
die definition.
Reichsiuuenminister Külz:.Sie vermissen eine Definition, was Schmutz und was Schund ist, im Gesetz? Sehen Sie: Was ich in der rechten Hand halte, ist Schmutz, was ich in der linken Hand halte, ist Schund." Neue Wege öer �lrbeiterbilüung. Das Gesellschafts- und Wirlschastsmuscum in Wien . Von Friedrich Bauermeister . Die bürgerliche Wissenschaft hat mit Hilfe einer lebensfernen Denkmethode sich zum Monopol einer eng begrenzten Kaste von Wissenschaftlern herausgebildet. Der Mensch des Alltags ist, falls er nicht noch unter dem Einfluß einer aus abstraktes Denken ein- gefuchsten Schulbildung steht, gewohnt in Bildern zu denken. Was er denkt, das sieht er innerlich. Er knüpft Bild an Bild. Der Wissenfchastler knüpft Begriff an Begriff. Hinter dem Begriff steht nur selten ein Bild. Daher ist die moderne Wissenschaft für den Menschen des Alltags unverständlich, daher leben zweierlei Arten von Menschen nebeneinander her im selben Lande und können ein- ander nicht verstehen, als wenn sie zwei Sprachen sprächen. Am ehesten hat die R a t u r w i s s e n s ch a s t, die sich des Experimentes bedient, oder die unmittelbar an das Ding, an den Naturgegenstnnd anknüpft, die Beziehung zum Leben, die Anschau- lichkeit aufrechterhalten. Weit schlimmer steht es um ihre Schwester- Wissenschaft, die Gesellschaftswissenschaft. Da wird von Staat. Wirtschaft, Herrschaft, Demokratie, Gemeinschaft, Klasse, Stand, Volk geredet, lauter Begriffe, unter denen man sich sehr viel denken muß, die aber niemand sich bildlich vorstellen kann. Für dfii modernen Menschen, insbesondere für den Arbeiter, der um den Aufstieg seiner Klasse ringt, ist das Wissen um soziale Zusammenhänge wichtig, die Monopolisierung der Gesellschasts- Wissenschaft vermittels einer abstrakten und unverständlichen Denk- weise daher besonders verhängnisvoll. Sozialwissenschaft als Mittel des Klassenringens, als Instrument der proletarischen Revolution! Das kann nicht mehr im Stile einer profefforalen, lebensfremden Wissenschast sich vollziehen, sondern hier müssen die Tatsachen dem proletarischen Geist nahe gebracht, anschau- lich gemacht werden. Das Wort bedeutet nichts, alles das Bild. Nicht den Umweg über den Begriff, sondern den unmittelbaren Weg über das Erlebnis müssen wir schreiten. Ein Versuch, das Gesellschasts- und Wirtschafts- Museum in Wien . Noch ist es ein Anfang, aber ein Anfang. den alle, die sich um die Arbeiterbildung bemühen, beachten sollten. Hier werden ganz neue Wege gewiesen. Wege, die bisher von niemandem beschritten worden sind. Ein Beispiel: Die Stellung der Bevölkerung im Berufsleben. Wenn jeder von den Millionen Menschen, die unsere Mitbürger sind, immer gegenwärtig hätte. welche Bedeutung die Arbciterschast im Volksganzen hat, so würde mancher sich seiner Klassenzugehörigkeit erst bewußt werden. Ein unvergeßliches Bild: Die Bevölkerung Oesterreichs , sechs Millionen Menschen, wird durch 21 Figuren(jede bedeutet 250 000 Menschen) repräsentiert. Die Hälfte sind Erwerbstätige, die Hälfte Nicht- erwerbstätige. Von den 12 Erwerbstätigen sind 2 Selbständige, 10 Unselbständige(Arbeiter und Angestellte) und zwar 6 Männer, 1 Frauen. Also: Auf einen Selbständigen (Unternehmer, Guts- besitzer, Bauern, Gewerbetreibenden) kommen 5 Arbeiter und Ange- stellte! Die Zahl der Kinder bis 11 Jahre beträgt 6, also ein Viertel der Bevölkerung, die Zahl der Hausfrauen im eigenen Haushalt ist so groß wie die der weiblichen Arbeiter und Angestellten, also ein Sechstel der Bevölkerung.(In Deutschland ist die Zahl der Arbeite»
rinnen und weiblichen Angestellten kleiner als die Zahl der Haus- frauen.) Der 12. Teil der Bevölkerung sind Berufslose, ungefähr soviel, wie Selbständige. Keine Statistik, die Zahl a» Zahl reiht, keine Abhandlung, die i» noch so beredten Worten zu schildern sich bemüht, ist imstande, dieses Bild zu ersetzen. Oder drei andere Blätter: Die Sozialversicherung. Die gleichen 10 Proletarier(gleich 2)1 Millionen) wie in der Berufsvcrtei- lung sind dargestellt. An ihnen ist gezeigt, wieviel Personen von der Sozialversicherung ersaßt werden und wieviel schutzlos den Stürmen des wirtfchastlichcn Existenzkampfes ausgesetzt sind. Die Darstellung der Krankenversicherung zeigt, daß hier Oesterreich vorbildtich ist. Aber ist es nicht aufreizend, zu sehen, daß außer den drei Zwanzigsteln öffentlichen Angestellten in Oesterreich nur ein Zwanzigstel der im- selbständigen Berusstätigen, nämlich nur die Angestellten, der Alters- und Invaliditätsversicherung unterliegen? Die Alters- und Invalidi- tätsverficherung für alle Arbeiter ist ja das Ziel, für das unsere Genossen im österreichischen Parlament schon seit Jahren einen heftigen Kamps führen. Stellen wir uns nun vor, wieviel Leitartikel notwendig sind, um einen, Menschen, der diesen Dingen noch fern steht, einzuprägen, wie wichtig dieser Kamps ist! Hier genügt ein Bild. Es ist wie ein lebendiger Protest, w'e eine Kundgebung dieser Massen selber, die in 10 schematisierten Figuren repräsentiert sind. Die Methoden der anschaulichen Darstellung gesellschaftlicher Zustände sind heute noch ganz unentwickelt und zum Teil sogar fehlerhaft. Bekannt ist ja die Anwendung von Kurven in der Statistik. Für den, der gewöhnt ist, Kurven in sctncm Berufe zu verwenden, sind sie gewiß ein Mittel, sich schnell zu insormicren. Er wird auch meist nicht merken, wenn die Kurve in Fällen angewendet wird, wo sie gor nicht am Platze ist. Die Kurve soll uns eine Bewegung wiedergeben, aber nicht einen Zustand. Die Thermo- meterkurve versteht fast jeder. Es ist klar, daß die Temperatur, wenn sie zuerst 37 Grad betragen hat und nach mehreren Stunden 39 Grad, sich inzwischen von 37 Grad auf 39 Grad gesteigert haben muß und nicht gesprungen sein kann. Etwas anderes aber ist es zum Beispiel, wenn wir die Zahl der Geburten oder Sterbesällc in einer Kurve darstellen wollten. Man zählt sie nicht in einem bestimmten Zeit punkt, sondern in einem Zeit r a u in. Daher ist es Abstraktion, wenn wir von einem Wachsen der Geburten- oder der Gcstorbenenzahl sprechen. Hier ändert sich nicht eine Menge all- mählich, sondern ich erhalte die Zahl innner nur, wenn ich cincn bestimmten Zeitraum abgrenze: und je kleiner der Zeitraum, desto kleiner die Geburten- oder Gestorbenenzahl(wenn ich dagegen mit dem Fieberthermometer in kürzeren Abständen die Temperatur messe, so wird deswegen die Temveratur nicht geringer, sondern ich erhalte eine genauere Kurve), lieber solche logischen Fehler der Darstellung setzt sich der Gelehrte ohne weiteres hinweg, er übersieht sie. Für den llngelehrtcn aber, der nicht in Begrissen, sondern in Bildern denkt, bilden sie unüberwindliche Hindernisse der Anschauung. Wo von Mengen die Rede ist, will er mit Recht Mengen sehen, nicht Punkte, aus denen jede Kurve besteht. Grundprinzip des Gesellschaft?- und Wirtschastsmuseums ist daher, Mengen durch Mengen von Signaturen darzustellen. Die Signatur soll schcniatisch im Bild den gezählten Gegenstand wiedergeben, z. B. Menschen oder Tiere oder Hänser oder Fabriken. Für diese Signaturen hat— in Form und Farbe— das Museum schon jetzt eine systematische Methodik entwickelt, die dem Verständnis des Handarbeiters ange- paßt ist.» Die Ausstellung des Museums, die vorläufig nur provisorisch ist, weil es noch an geeigneten Räumen fehlt, wird ständig von Arbeiter- organisationen unter sachlicher Führung besucht. Au? den Erörte- rungen, die sich an die Besichtigung der Schaugegenstände knüpfen, kann die Museumsleitung regelmäßig entnehmen, ob sie auf dem richtigen Wege ist, und wie sie ihre Methodik ausbauen muß. bs ist das Erfreuliche dieses Museums, daß es im innigsten Kontakt mit seinen Besuchern steht und die Anregungen für den weiteren Ausbau von ihnen erhält. Museen sind meist Sammlungen toter Gegenstände, die im Leben sonst keinen Platz mehr haben. Kunst- werke, die man an ihrem Aufstellungsort nicht mehr als Notwendig- keit empfindet, oder Maschinen, die nicht mehr Verwendung finden, die man aber zur Erinnerung ausbewahren will, steckt man in ein Museuin. Das Gesellschasts- und�Wirtschaftsmnseum ist in diesem Sinne kein Museum, sondern eine Schansammlung von Darstellungen aus dem lebendigen täglichen Lebe». Träger des Museums ist die Gemeinde Wien , die eine sozialistische Verwaltung hat, die Wiener Arbeiterkammer und eine Reihe von Sozialversicherungsinstituten. Es sind also die Vertreter der Arbeiterbewegung, die hinter diesem Museum stehen. So ist dos Gesellschasts- und Wirtschastsinuseuin in Wien eine Institution aus der Arbeiterschaft für die Arbeiterschaft!
�Lebensart." Von Erna Büsing. Es ist eine unbestreitbare Tatsache, Reichtum und Armut haben eine grundverschiedene Lebensart. Schöne Reisen, ausgesucht gutes Essen, kostbare Bücher, Kleidung nach persönlichem Geschmack, alles. olles das ist möglich, wenn man Geld hat, und undurchführbar, wenn man keine besitzt. Folglich bestimmt der Geldbeutel die Lebensart, so denkt man für gewöhnlich. Doch die mit der jetzigen. sogenannten göttlichen Wcltordnung Zufriedenen behaupten das Gegenteil. Sie sagen, die Lebensart bestimme den Inhalt de» Geldbeutels. Und sie haben womöglich recht, ich sah es heute morgen an einem lächerlich einfachen Beispiel. An einer Straßenecke etablierte sich ein junger Mann. Das heißt, er stellte ein bretternes Etwas hin, das einen Tisch zu b«- deuten hatte. Darauf legte er einige Stückchen Seife und ein paar Zeuglappen, die er eifrig mit Farbresten und Tinte bespritzte. Dann rieb er die Flecken aus und pries dabei die reinigende Kraft seiner Fleckenseife. Die Anpreisung siel ihm merklich schwer, denn seine Stimme war heiser. Sie war nicht von heute oder gestern über- schrien, o nein, ein vernachlässigstes Leiden war sicher die Ursache. Dem jungen Mann hätte Davos gut getan, vielleicht hätten auch schon die schlesischen Bäder genügt. Doch, wie dem auch sei, er betrachtete es jetzt für der Menschheit dringlichste Ausgabe, sich die Kleider zu beschmutzen, damit er sie reinigen und seine Seife an- vreisen konnte. Die Zuschauer umstanden ihn in einem dichten Kreis. Eine Frau trat vor mit einem fleckigen wollenen Umschlagetuch. Eilig stürzte sich der junge Mann auf das willkommene Demon- strationsobjett. Er rieb mit Eifer, weil das Tuch sehr fleckig, und mit äußerster Behutsamkeit, weil das Gewebe sehr mürbe war. Und der Fleiß sand seinen Lohn, die Flecken schwanden. Beglückt zeigte er das Tuch. Die Besitzerin war nicht nur alt, sie war auch arm. Augenblicklich brauchte sie die Seife nicht, die Alte griff aber trotzdem in die Tasche und holte 35 Pfennige, sie waren der Rest ihrer Barschaft, heraus und kaufte ein Stück Seise. Ein reicher Herr mischt« sich unter die Zuschauer. Kleidung und körperlicher Befund deuteten Wohlhabenheit an. Der reiche Mann nahm seinen Hut ab. der innen einen Fettrand hotte, zeigte mit dem Finger gebieterisch auf die Schmierwolke und gab den Hut dem jungen Mann. Der rieb und rieb, zerrieb ein halbes Stück Seife und reinigte den Hut. Nicht ein Fetzchcn Fett blieb von der ganzen ansehnlichen Ansammlung zurück. Glückstrahlend übergab der heiserne, hustende Mann den Hut seinem Besitzer. Der wohlhabende Herr nahm den Hut. sah ihn scharf prüfend an, nickte wohlwollend, setzte den Hut auf und ging seiner Wege. Jetzt denk« ich, vielleicht bestimmt doch die„Lebensart" den Inhalt des Geldbeutel».