Abendausgabe
Str. 572 43. Jahrgang Ausgabe B Nr. 283
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10 Pfennig
Sonnabend
Vorwärts=
Berliner Volksblaff
4. Dezember 1926
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Zentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands
Löbe an Geßler.
Ein offener Brief an den Reichswehrminister.
In der Auseinandersetzung um die Reform der Reichs-| mündlich die Richtigkeit seiner Beschwerden abgestritten haben wehr- Rekrutierung hat Genoffe Löbe dem Reichswehr - und daß furz darauf Herr Major Schleicher zugeben mußte, minister einen Brief gesandt, der auf die Ableugnungen daß Sie einer Falschmeldung des betreffenden Offiziers zum des Ministers gegenüber den Behauptungen unserer Ge- Opfer gefallen sind. nossen eingeht. Der Brief hat folgenden Wortlaut:
Sehr geehrter Herr Minister! Als Ergebnis der Prüfung des Materials, das ich Ihnen auf Ihren Wunsch brieflich übermittelt hatte, teilen Sie mir in einem, von Ihnen auch der Presse übergebenen Briefe mit:
In feinem einzigen Fall haben sich auch nur An haltspunkte für das tatsächliche Bestehen von Werbebureaus" ergeben, die den Ersatz aus rechtsstehenden Kreisen vermitteln. Reiner der von Ihnen benannten ehemaligen Offiziere hat die Annahme auch nur eines einzigen Freiwilligen tatsächlich beeinflußt. Denn ein solcher Einfluß fann feinesfalls darin erblickt merden, daß die genannten Persönlichkeiten gleich einer großen Zahl anderer Staatsbürger gelegentlich Gesuche ihnen persönlich bekannter junger Leute um Einstellung in die Reichswehr dem einen oder anderen Truppenteil mit der Bitte um Berüd sichtigung überfandt haben."
Sie nennen dann die Namen der von mir aufgeführten Offiziere Wilhelmi, Rembe, Moser und Weiner und fommen zu dem Schluß, daß ,, die Bearbeitung des Reichs= mehrerfages bei den einzelnen Truppenteilen unter grundsäzlicher Ausschaltueg aller ehemaliger Offiziere ausschließlich in der Hand der verantwortlichen Reichswehrangehörigen liegt".
Wie zuverlässig diese Ihre Angaben sind, erlaube ich mir Ihnen in dem Fall Moser näher darzulegen. Der Hauptmann a. D. Moser, Direktor der Medamerke in Darmstadt , Barfusstraße 10, der in der Stadt als Bearbeiter der Reichswehrangelegenheiten bekannt ist, empfängt die bei ihm sich meldenden jungen Freiwilligen nach Feststellung ihrer Personalien mit den folgenden Fragen, die schon zeigen, daß er nur gelegentliche" Gesuche entgegennimmt: Schulbesuch, Lehrzeit, letzte Beschäftigungsart, Konfession, Bereinszugehörigkeit, Borstrafen, Dienstzeit und Dienstort und Charge des Baters, Verwandte im Heer und der Marine. Dan gibt Herr Moser, der nur ganz gelegentlich Gesuche annimmt, dem Bewerber ein hettographisches Formular folgenden Inhalts: Herrn Dr. Binder, Darmstadt , Frankfurter Straße 16, mit der Bitte, den NN. auf Tauglichkeit der Reichswehr untersuchen zu wollen. Darmstadt , den
gez. Mojer."
Ich erinere Sie, Herr Minister, daß der Abgeordnete Stüdlen sich in einer der letzten Sizungen des Haushaltsausschusses über falsche Angaben, die ihm, dem Haushaltsberichterstatter, über den Preis angekaufter Gewehre gemacht worden sind, beschweren mußte.
Ich muß nach Obenstehendem anehmen, daß Ihnen auch in der Frage der Heereseinstellungen falsche Angaben gemacht worden find, die Sie leider ungeprüft der Presse übergeben haben, weshalb ich mir die Freiheit nehme, auch diese meine Antwort an die Deffentlichkeit zu geben.
Mit vorzüglicher Hochachtung Ihr ergebener Löbe.
Reichswehrminister Dr. Geßler hat den vorstehenden Brief des Genoffen Löbe heute früh erhalten und daraufhin milgeteilt, daß er den Fall Mofer fofort untersuchen und binnen 24 Stunden Bescheid geben werde.
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Der Manchester Guardian" bringt Mitteilungen über Ver bindungen zwischen der deutschen Reichswehr mit rufft fchen militärstellen; die Nachrichten fallen dadurch auf, daß fie ins einzelne gehende Angaben enthalten. Danach sollen die Junkers- Werke in Rußland eine Fabrik zur Herstellung militärischer Flugzeuge für Deutschland und Rußland gebaut haben, außerdem sollen deutsche und russische Militärsachverständige eine Giftgas fabrit ebenfalls für beide Heere in Rußland errichtet haben. Diese Bestrebungen seien seit fünf Jahren im Gange und machen das russische Interesse für General v. Seedt verständlich. Offiziere der Reichswehr seien mit falschen, von der Berliner Russischen Botschaft visierten Bässen ständig hin und her gereist, um die Fabrit in Gang zu bringen. Im November dieses Jahres seien sechs Schiffe mit Waffen und Muni. tion von Rußland in Stettin eingetroffen. Berantwortlich für diese Machenschaften sei nicht Stresemann, der alles andere als ruffophil sei, doch sei die Verbindung nicht ohne Wissen hoher Offiziere der Reichswehr und des Reichswehrminifteriums möglich gewesen.
Dentsches Dementi.
Dazu bemerkt WTB.
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Schlageter- Bund usw.) des fächsisch- anhaltinischen Gebiets von dem Kommandeur des ersten Bataillons des 12. Reichswehrregiments( Stab Halberstadt ) zusammen mit über 70 ehemaligen aktiven und Reserveoffizieren zur Teilnahme an den dienstlichen Kriegsspielen der ersten und vierten Kompagnie des 12. Reichswehrinfanterieregiments Dessau beteiligt. Die Teilnehmerlifte führte ein Oberleutnant a. D. Krofigt, der offenbar der Berbindungsmann zwischen Reichswehr und Wehrverbänden ist. Am ersten Abend dieser Zusammenkunft hielt der erwähnte Reichswehr bataillonsfommandeur eine Ansprache, in der er den Wehrverbändlern Anweisungen darüber gab, wie die Zusammenarbeit zwischen den Organisationen und der Reichswehr geheimgehalten werden könne. Er empfahl ihnen folgende Ausreden: " Falls irgendwelche Fragen über den Zweck der Zusammenkunft an die Teilnehmer gerichtet werden sollten, so erwidere man, es handele sich nur um eine fameradschaftliche Zusammen tunft aktiver und inaktiver Herren." Diese Zusammenkunft fand in dem Rahmen der Kasino gesellschaft( ehemaliges Offiziersfasino des 93. Infanterieregiments) statt. Welchen Sinn die„ tameradschaftlichen" Zusammenfünfte aber hatten, geht aus folgendem hervor: Es wurden Kriegsplan piele veranstaltet. Man bildete zwei Parteien( rot und blau) und auf jeder Seite das ist bezeichnend für den Zweck der Uebung- wurden aktive und inattive Offiziere forgfältig durcheinander ge mischt. Mit der Abhaltung dieser gemeinsamen Kriegsplanſpiele zwischen rechtsraditalen Wehrverbändlern und aktiven Reichswehroffizieren war jedoch der 3med der Uebung noch feineswegs erfüllt. Im Anschluß daran wurden aktive Hauptleute beauftragt, Referate über die Entwidlung der modernen Kriegstechnik zu halten. Die Werwölfe und Stahlhelmer wurden mit peinlicher Genauigkeit in alle Neuerungen eingeführt, die namentlich bie Infanteriewaffen in der letzten Zeit erfahren haben. Mit welcher Gründlichkeit man vorging, beweist die Tatsache, daß man sich besonders mit dem inzwischen erfolgten Fortschritt bzw. den noch zu machenden Fortschritten des sogenannten Infanteriegeschützes beschäftigte. Es handelt sich dabei, wie den meisten unbekannt sein dürfte, um ein Geschüß, das in einem eventuellen zukünftigen Kriege jede Infanterieformation mit sich führt, um es gegen gefährliche Nahziele, z. B. Maschinengewehre zu verwenden. Unser Hallesches Parteiblatt bemerkt zu diesen Mitteilungen:" Dieser Fall beweist eindeutig und klar, daß die Dementis des Herrn Geßler für die Beurteilung der tatsächlichen Lage völlig wertlos sind. Wir werden dem Herrn Reichswehrminister das vorstehend mitgeteilte Material unterbreiten."
Bleibt der Rechtsblock?
Stimmen zum Schmutz- und Schundgesek. Es ist tein Wunder, daß in der Rechtspresse über die Annahme des Schmutz- und Schundgesezes eitel Befriedigung herrscht. So schreibt die Kreuzzeitung ":
Wohl gemerkt, nicht der mit der Bearbeitung des Heeresersages beschäftigte Offizier, sondern Herr Moser, sendet den Bewerber zum Arzt, entweder zum Reichswehrarzt Dr. Binder, mit dem Herr Mofer doch eigentlich nichts zu tun haben sollte, oder zu einem nationalistischen Arzt Dr. Binder, mit dem die Reichswehr nichts zu tun haben sollte. Sodann sendet Herr Moser, der in den Rechtsverbänden Heffens eine Rolle spielt, den Mann mit einem weiteren hettographierten Formular zur Polizei, läßt dieses mit Lichtbild und Unter schrift des Vaters versehen und fordert eunmehr die polizeiliche ha ben tann, störend auf die bevorstehenden Verhandlungen als ein Kleinhandelsgesetz bezeichnet worden wie einmal in dem
Auskunft nach Borstrafen, Hilfsschule, Fürsorge, Beleumdung, Zurechnungsfähigkeit, Betteln, Landstreicherei usw. ein. Nachdem die Polizei dieses Formular ausgefüllt hat, prüft Herr Moser ob die Papiere in Ordnung sind. Alles das in einem Bureau, das zur höheren Ehre der Republik mit den Bildern des Erkaisers und des völlischen Abgeordneten Ludendorff , mit schwarzweißroten Fahnen und acht Säbeln geschmückt ist. Damit ist aber die gelegentliche" Tätigkeit des Herr Moser noch nicht beendigt. Er kontrolliert auch den weiteren Gang feiner Bewerbungen bei der Reichswehr und sendet den pon ihm weitergegebenen Bewerbern nach einiger Zeit die Aufforderung zu:
„ Herr.
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Ein englisches Blatt bringt Meldungen über angebliche Be. ziehungen militärischer Art zwischen deutschen und russischen Stellen. Da ähnlichen Behauptungen schon wiederholt entgegengetreten morden ist, dürfte es sich erübrigen, auf ihre erneute Beröffentlichung einzugehen, die offensichtlich nur den 3 med in Genf einzuwirken.
Es ist übrigens bekannt, daß die sozialdemokratische Reichstagsfraktion mit der Reichsregierung in Berhandlungen über Abstellung von Mißständen in der Reichswehr steht. Man darf ohne weiteres annehmen, daß die Behauptungen des Manchester Guardian", der bekanntlich ein großes liberales Blatt und feineswegs dem deutschen Bolte feindlich gesinnt ist, bei diesen Berhandlungen eine Rolle spielen werden.
Kriegsspiele in Sachsen- Anhalt .
Neues Material für Dr. Gekler.
Halle a. d. S., 4. Dezember. ( Eigener Drahtbericht.) Unser Hallesches Parteiblatt, das„ Boltsblatt", ist heute in der Lage, folgendes absolut verbürgtes Material über die 3u sammenarbeit zwischen Reichswehr und Wehr verbänden zu veröffentlichen. Im Herbst 1925 wurden die führer der Wehrverbände( Werwolf, Stahlhelm, Treufchaft Lützow,
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Nach erbitterten Kämpfen ist gestern das Jugendschutzgesetz im Reichstage zur Annahme gelangt. Die Bedeutung dieser Tatsache liegt nicht so sehr in einer für die praktische Auswirkung erheblichen Wichtigkeit ist es doch gelegentlich nicht ganz unzutreffend Umstande, daß es in gewissem Sinne den Auftakt für die tommenden großen Auseinandersehungen, wir denken dabei vornehmlich an das Reichsschulgeset, bildet, also auf tulturpolitischem Gebiet.
Die Tägliche Rundschau" geht noch einen Schritt weiter, indem sie erklärt:
Es ist ganz falsch, wenn die demokratische und die sozialdemo fratische Presse erklären, daß der Bürgerblod bei den Berhandlungen angestrebt worden sei. Es ist von dem Reichstanzler und von der Zentrumsfraktion nicht gerade anzunehmen, daß sie besondere Vorliebe für eine solche Koalitionsbildung hegen. Die praktische Erfahrung hat aber bewiesen, daß nur diese Mehr heitsbildung möglich war, um die Regierungsvorlage durch)- zusehen. Sicher wird diese praktische Erfahrung nicht ohne Nachwirtung bleiben. Es wird sich voraussichtlich zeigen, daß auch das Reichsschulgeset und auch die notgefehliche Regelung der Arbeitszeit mit der Sozialdemokratie nicht durchzuführen sind. Das sind eben praktische Erfahrungen, die mehr bedeuten als alle theoreti fchen Erörterungen und Rombinationen.
hier. Ich bitte um Mitteilung über den Stand Ihres eingereichten Einstellungsgesuches. gez.: Moser, Bartusstraße." Aus elledem ist zu ersehen, Herr Reichswehrminister, daß es Werbebureaus für die Reichswehr in Deutschland nicht gibt. Im Falle Moser ist es uns gelungen, alle Einzelheiten für den Beweis des Gegenteils zu ermitteln. Fälle, in denen republikfreundliche Kreise von der Reichswehr nach der Quali- Neue Zunahme der Arbeitslosigkeit in Berln bestätigt auch die Germania ", indem sie erklärt:
Um 4000 in der letzten Woche.
fifation für einen Bewerber gefragt wurden, find mir bisher leider nicht bekannt geworden. Anfragen in den Rechtskreisen find gang und gabe und entsprechen auch den gegen- Die Arbeitslosigkeit hat in Berlin während der letzten Woche wärtigen Heeresergänzungsvorschriften. Wenn die Herren wieder recht beträchtlich zugenommen. Die 3 a hl der Arbeit. Kompagnie oder Batallionsführer ihre persönlichen Besuchenden stieg um 4000 auf 242 000; in den letzten ziehungen" nach diesen Vorschriften ausnuten sollen, so ergibt drei Wochen zusammen hat sich die Zahl der Arbeitsuchenden um es sich eben, daß monarchisch gesinnte Offiziere nur mon- nicht weniger als 12 563 vermehrt. archische Beziehungen haben und deshalb dränge ich auf eine Abänderung dieser Vorschriften.
Ich erinnere Sie, Herr Minister daran, daß Sie in einem ähnlichen Fall dem Abgeordneten Künstler schriftlich und
Angesichts dieser neuen Verschärfung am Arbeitsmarkt, die zum Teil durch das Eintreten der Wintersaison bedingt ist, muß mit aller Entschiedenheit verlangt werden, daß das Arbeitsbeigaffungsprogramm schleunigft durchgeführt wird.
Daß der Wunsch, den Rechtsblod von gestern dauernd aufrechtzuerhalten, beim Zentrum nicht besonders groß ist,
Es ist eine. gelinde ausgedrückt, Berkennung, von einer fulturfeindlichen Koalition zu sprechen, und sie als Vorläufer der tommenden Regierungspolitit an die Wand zu malen. Was sich indes neu gezeigt hat, ist die Notwendigkeit, eine Regierung auf fester Basis zu bilden. Wenn sich die aufgeregten Gemüter auf der Linken beruhigt haben, werden auch sie erkennen, daß die geftrige Abstimmung fein Glied einer sorgsam vorbereiteten Kette gewesen ist, sondern eine Episode. Die parlamentarischen Borgänge der letzten Tage werden dann kein Wendepunkt in der inneren Politik Deutschlands sein, wenn die Linte es mit der Mehrheit des deutschen Boltes möglich macht,