Nr. 577 43. Jahrg. Ausgabe A nr. 294
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Mittwoch, den 8. Dezember 1926
Militärkontrolle und Völkerbund.
Die Verhandlungen in Genf.
v. Schubert.
Der Völkerbundsrat selbst behandelte am Dienstag nachmittag eine Reihe von Angelegenheiten ven mehr nebensächlicher Be deutung. Die Frage der Versorgung der bulgarischen Flüchtlinge konnte noch nicht zum Abschluß gebracht werden, da die Bulgarien umgebenden Staaten Schwierigteiten bei der Aufstellung des Versorgungsplanes machten, indem sie verlangten, daß die An siedlung der Flüchtlinge nur 50 Rilometer hinter der Grenze erfolgen dürfe. Dann genehmigte der Rat den Tätigkeitsbericht seines Oberfommissars für Danzig , des Holländers van Hamel, dessen Gehalt zur Entlastung Danzigs fortan vom Völkerbund gezahlt werden soll.
Genf , 7. Dezember. ( Eigener Drahtbericht.) In den Be-| Dienstag nachmittag auch eine Aussprache mit Staatssekretär sprechungen am Montag zwischen Briand , Chamberlain. Stresemann und Bandervelde soll man sich dahin geeinigt haben, die Militärtontrollfommission fo rasch wie möglich aus Deutfchland abzuberufen, angeblich fogar innerhalb 8 bis 14 Tagen. Bis Mittwoch mittag soll sich die Botschafterkonferenz in Paris endgültig darüber schlüssig werden, in welchen Bunkten Deutschland die Entwaffnungspflichten erfüllt habe und inwieweit das noch nicht geschehen sei. An Polizei sollen Deutschland 100 000 Mann Landespolizei und 50 000 Mann Gemeindepolizei zugestanden worden sein; die 8000 Mann Polizei der Hansestädte gelten als Kommunalpolizei. Ueber die Verwendung der früher militärischen Gebäude und über den Ausbau der östlichen Festungen ist eine Einigung anscheinend noch nicht erzielt. Ilnabhängig von den Beschlüssen der Botschaftertonferenz soll der Beschluß auf Aufhebung der Militärtontrolle sofort gefaßt werden, so daß die Militärkontrollkommission noch im Laufe des Dezembers Deutschland verlassen würde.
In der Frage der Uebernahme der Kontrolle durch den Völkerbund sollen nicht nur Vandervelde und Chamber lain, sondern auch Briand dem deutschen Standpunkt, der das Recht einer ständigen Kontrolle des Völkerbundes bestreitet, entgegengetommen sein. Infolgedessen werde damit gerech net, daß in der Donnerstagsigung des Rates die interallierte Militärfontrolle endgültig durch die Völker bundskontrolle abgelöst wird. Diese Kontrolle würden nichtständige Kommissionen versehen; eine Kontrollkommission müßte jeweils auf besonderes Berlangen des Bölterbundsrates eingesetzt werden.
Die Besprechung der vier Außenminister drehte sich schließlich, wie verlautet, noch um die Frage der Zurückziehung der Be= fagungstruppen. Hier sollen nach Abschluß der Tagung des Rates weitere Berhandlungen zwischen den Regierungen folgen, um zu einer Verständigung zu fommen.
Ein Abgesandter der Botschafterkonferenz. Genf , 7. Dezember. ( Eigener Drahtbericht.) Der am Dienstag vermittag hier eingetroffene Generalsekretär der Botschafterton. ferenz, Massigli, hat keinerlei Beschlüsse mitgebracht, sondern Briand über den Stand der Beratung der Botschafterkonferenz unterrichtet. Er wird mit neuen Weisungen versehen am Mittwoch früh wieder nach Paris zurückkehren. Die entscheidende Sigung der Botschaftertonferenz wird unmittelbar nach seiner Rüctehr sein, so daß mit der Entscheidung in Genf für Donnerstag abend oder Freitag vormittag zu rechnen ist. Die Hauptdifferenzen zwischen den Auffassungen der deutschen Reichsregierung und der Botschafterkonferenz bestehen noch über die Ein. und Ausfuhr von Kriegsmaterial und Halbfabrikaten fowie über den Ausbau der Festungen Königsberg und Glogau . Generalsekretär Massigli hatte im Laufe des
Die Frankensanierung. Poincaré über seine Pläne.- Die unvermeidliche Wirtschaftskrise.
Paris , 7. Dezember. ( WTB.) In der heutigen Nachmittagsfizung der Kammer ergriff im Namen der Sozialisten an Stelle des unpäßlichen Abgeordneten Leon Blum der Abgeordnete
das Wort, um die Gefahren einer Wirtschaftskrise zu beleuchten, die die Finanzpolitik der jezigen Regierung hervorrufen könne und deren Folge eine neue Währungsfrise wäre. Der Abgeordnete stellte an die Regierung die Frage: Wir wollen wissen, ob Sie die unbedingte Revalorisierung vornehmen wollen, worauf Poincaré ausweichend antwortete: Das würde eine Operation auf fehr lange Sicht sein. Diese Antwort legte Vincent Auriol in dem Sinne aus, daß Poincaré ohne Zweifel nicht eine unbedingte Revalorisierung plane. Dann also würde die Regierung für die demnächstige Stabilisie rung der Währung sein und in diesem Zusammenhang ging der Abgeordnete auf das Stabilisierungsproblem ein, wie es die So zialisten auffaßten. Zum Schluß fragte er den Ministerpräsidenten, welche Maßnahmen er zur Befämpfung der Arbeitslosigkeit zu ergreifen gedenke. Darauf ergriff Ministerpräsident
in seiner Eigenschaft als Finanzminister das Wort. Er betonte, daß zur Entwertung des Franken, zur Lebensteuerung und zu der Be drohung des Budgetgleichgewichts teine Tatsache mehr beigetragen habe als die verschiedenen aufeinander folgenden Inflationen, die die einzelnen Regierungen vornehmen zu müssen glaubten und die er für seinen Teil stets mißbilligt habe. Alsdann entwickelte Poincaré ein Programm, wonach eine in zwölf Jahren amortifier
Paris , 7. Dezember. ( Eigener Drahtbericht.) Nach halbamtlicher Darstellung ist folgendes die Ansicht der französischen Regierung: Militärtontrolle und Investigationsproblem figurierten auf zwei verschiedenen Plänen. Kontrollkommiffion des Generals Walch, also mit allen EntwaffDie Botschafterkonferenz befasse sich mit der Nützlichkeit einer Revision des Investigationsrechts zu entscheiden. nungsfragen, während der Bölkerbund allein ermächtigt sei, über die In ihren Genfer Besprechungen find, so schließt diese amtliche Auslaffung, weder die alliierten noch die deutschen Unterhändler von diesen grundlegenden Richtlinien abgewichen.
Auch der„ Temps" bestätigt diese von einem vorsichtigen Optimismus getragenen Auslaffungen, wenn er sagt, daß zwar die Genfer Besprechungen anscheinend eine günstige Wendung nehmen gelangen, daß es aber gefährlich wäre, in den in Genf bisher und gute Aussicht bestehe, zu einem prinzipiellen Abkommen zu erzielten Fortschritten etwas anderes als die besten Aussichten für die allernächste Zukunft zu sehen. Erst wenn das endgültige Kompromiß, das man ausarbeiten werde, vorliege, würde man Borteile und Nachteile erkennen und gleichzeitig feststellen können, wer die Roften des abzuschließenden Rompromisses trage.
Die Genfer Meldungen der Abendblätter betonen ebenfalls, daß die Verhandlungen gegenwärtig nicht eine Krise, sondern nur eine Periode des Ab martens durchmachen. Das Terrain jei gereinigt und die Vertretung Frankreichs hoffe, daß die Argumente Briands und Chamberlains Stresemanns 3ögern überwinden merden.
Die nationalistischen Blätter äußern bereits„ Beunruhigung" über das in Aussicht stehende Genfer Kompromiß. In der„ Liberté" wird betont, man fönne sich, wenn man nur wolle, ganz gut für die deutschen D st grenzen eine ähnliche Garantie wie für die Westgrenze vorstellen. Falls Deutschland sich weigern sollte, darauf einzugehen, würde es damit offen seine feindseligen Absichten Polen gegenüber beweisen. Jedenfalls wäre es der größte Fehler, den man begehen fönnte, wenn man den Eindrud erweďte, als ob man sich gegenüber Polen desinteressiere.
bare Anleihe es ermöglichen würde, die furzfristigen Bons von 1922 im Betrage von 3 Milliarden, deren Rückzahlung in Höhe von 1400 Millionen beantragt worden sei, einzulösen.
Heute vormittag hat man mich gefragt, so fuhr Poincaré fort, ob ich einen lan habe und ob ich nicht etwa ein Mechaniter sei, der seine Maschine nicht mehr aufhalten fönne oder ein Reiter, dem sein Pferd durchgegangen ist. Jedesmal, wenn ich auch noch so diskret auf Fragen geantwortet habe, die mir gestellt wurden, hat fich die Spekulation dieser Worte bemächtigt. Ich habe keine Luft, die Spetulation zu begünstigen. Gewiß fann die Revalorisierung einer Währung eine Wirtschaftskrise hervorrufen und Arbeitslosigkeit zur Folge haben, aber es gibt feine Stabilifierung, die nicht ziemlich ungünstige wirtschaftliche Folgen hat. Wer eine schwankende Währung in eine gesunde umwandeln will, muß es verstehen, einen Abgrund zu überschreiten. Man beschwert sich über das Steigen des Franken, das übel ist, das Steigen der Währung ist aber nicht so übel, als die Pessimisten angefündigt haben. Die Regierung hat ein Desastre verhindert und der Inflation ein Ende gemacht und sie hat schließlich ernstlich mit der Amortisierung der schwebenden Schuld begonnen. Auch die Preissteigerung hat sie aufgeholten und schließlich, was wichtig ist, Frankreich habe aus eigener Kraft seine finanzielle Wieder erhebung durchgeführt, ohne seine Freiheit aufzugeben und ohne irgendeine Bedingung des Auslandes erfüllt zu haben.
Poincaré erflärte weiter, es gebe teine Finanz- und Währungsreform ohne eine attive Handelsbilanz. Diese Tatsache dürften auch die ausländischen Bläu biger Frankreichs nicht verkennen. Frankreich fönne nur 3ahlungen an fie leisten, wenn es fie regulär transferieren fönne, d. h. wenn es Waren und Devisen zu seiner Verfügung habe. Eine tatsächliche oder rechtliche Stabilisierung würde nicht den ersten Transferierungsversuch aushalten. Schließlich betonte Poin caré noch, daß man die Einzelheiten des Stabilisierungsplanes angesichts der ausländischen Spekulation nicht bekanntgeben dürfte
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Unter dem Polizeigesetz.
Man spricht leise in Italien .
Was gibt's neues?" fragt einer den anderen in Italien . Die Antwort ist ein Achselzuden, ein skeptischer Hinweis auf die Zeitungen, in denen nichts steht. Dann blicken Frager und Gefragter spähend um sich, ob die Luft rein ist, und schließlich werden die Gerüchte ausgetramt: der soll verhaftet fein, jenem hat man das Haus verbrannt, der andere liegt im Krankenhaus, dem Vierten steht die Verschickung ins ZwangsDomizil bevor. Die Gerüchte sind der Fluch jedes Regimes ohne Pressefreiheit; sie wachsen im gleichen Verhältnis zur Knebelung. Es gibt fein Mittel gegen fie, als Freiheit. Wer durch eigenen Augenschein um die Verwüstungen wußte, die in Rom in der ersten Woche nach dem letzten ,, Attentat" stattgefunden haben, und als einzigen Widerhall davon in den Zeitungen die Verherrlichung der faschistischen Disziplin sand, das Lob der strengen Manneszucht der Squadristen, der hatte so eine ungefähre Formel, um sich die Ereignisse in den kleinen Städten und auf dem Lande vorzustellen. Dazu kommen Folterung des maximalistischen Abgeordne dann Stichproben durch einzelne verbürgte Fälle, wie die ten Nobili, den man mit einer Zigarette die Augenlider verbrannt hat, so daß die Erhaltung der Sehfähigkeit in Frage alles vernichtet hat und für die die Rückkehr in die Heimat steht. Dazu kommen die Berichte der Flüchtlinge, denen man den sicheren Tod bedeuten würde. Wo alle Berichte verstummen, da tritt die Erinnerung an frühere Schreckenstage in die Lücke: Was mag in Molinella geschehen sein? Was mag die feige graufame Gewalt, die dort seit Jahren herrscht, in jenen Tagen geleistet haben, wo Sengen und Plündern als verdienstlich galten, wo sich jede persönliche Rache oder Habgier den Mantel der patriotischen Entrüstung umhängen durfte?
genau geschrieben werden können. Viele der Opfer werden Die Geschichte dieser Novembertage wird vielleicht nie nie mehr reden. Jedenfalls sind Dinge paffiert, von denen die Regierung, troß der einschüchternden Wirkung, die sie fich deshalb nicht, weil man sie im Ausland nicht hat so geheimvon Roheit und Gewalt verspricht, nicht erbaut war, besonders halten können wie in Italien selbst. Vor allen Dingen soll das frasse Hervortreten der persönlichen Motive bei den diesmaligen Verwüstungen die Behörde in Sorge sezen; es ist diesmal in großzügiger Weise geplündert und gestohlen worden. Bürgert sich dieses Faschistenrecht über Hab und Gut des Nichtfaschisten für jedes Intermezzo politischer Störung ein, so wird es schwer halten, es wieder auszubürgern. Man benutzt heute die Attentatsentrüstung zur Begleichung gar zu vieler und verschiedenartiger Rechnungen. Gerade deshalb hat das Bestreben der Regierung, die Verfolgung der Nichtfaschisten ganz der privaten Initiative zu entziehen, mit großen Schwierigkeiten zu rechnen. Was die Begeisterung" der Horden wachruft, ist eben nicht nur die Lust am fremden Schaden, sondern auch die Rücksicht auf den eigenen Vorteil. Für den fremden Schaden kann die Regierung durch ihre Organe sorgen, aber nicht für die Beute, auf die die Squa driften ein Anrecht zu haben glauben.
Die faschistische Presse predigt nun in allen Tonarten ihren Leuten, sich fünftighin mit der behördlichen Repression zufriedenzugeben. Ein Mailänder Abendblatt schreibt:„ Das Gesetz über die Verteidigung des Staates, im Berein mit dem neuen Polizeigefeß, gibt der Regierung eine furchtbare Waffe, um jedes Verbrechen mit politischem Hintergrunde sowohl zu verhüten als zu bestrafen. Nichts tann gegen das Regime unternommen werden, ohne zu den strengsten Maßnahmen zu führen, und die Polizeiorgane tönnen von Gesetzes wegen die genauesten vorbeugenden Erhebungen vornehmen. Ein geheimer politischer Polizeidienst mündet in die politische Berfchichung und das Zwangsdomizil ein." Hier liegt das abfchließende Nachwort diefer Novemberunruhen. Mein ist die Rache!" sagt die Regierung und setzt sich damit in Kontrast zu den Neigungen und Intereffen eines Teiles der Faschisten. Freilich kennt die Regierung ihre Leute und verlangt nichts Unmögliches. Wenn sie wünscht, daß man dem Besitzer eines Ronkurrenzunternehmens, oder dem Gläubiger, oder dem, dessen Gattin oder Haus man begehrt, nicht die Woh nung vernichtet und ausraubt, weil das im Ausland einen schlechten Eindruck machen kann, so hat sie nichts dagegen, dafs der betreffende Faschist seine Intereffen auf legalem Wege" durchfeßt, indem er nämlich den Befiher des Unternehmens, des Schuldscheins, der begehrten Gattin oder des erstrebten Hauses für das Zwangsdomizil oder die poli. tische Berschi dung vorschlägt. In diesen Tagen sind die ersten politischen Verschichungen angeordnet worden, auf Grund des Artikels 18 des neuen Polizeigesetzes. Die Maßnahme wird ohne den Schein einer Gerichtsverhandlung oder eines Verhörs durch eine Kommission verhängt, die in jeder Provinz vom Regierungspräsidenten. Staatsanwalt, Bolizeidirektor, Kommandant der Karabinieri und einem höheren Offizier der Miliz gebildet wird. Die Strafe kann für die Dauer von fünf Jahren verhängt werden und die Anweisung des Ortes erfolgt durch die Zentralregierung. Der Ort, in dem