Unterhaltung unö Ä9issen
Die Vitzbolöe von Neu-Gibbon. 2� Von Jack London . Slief und Wallenstein packten den Schwarzen je an einer Seite und hiellen ihn fest. Und der Mann sträubte sich aus allen Kräften und biß die Zähne über der Zange zusammen. Die Gruppe schwankte hin und zurück. Die Anstrengung war so groß, daß allen der Schweiß von der Stirn troff. Der Stuhl, auf dem der Schwarze gesessen hatte, war er umgestürzt, und er wand sich vor Schmerzen. Kapitän Word, der sich gerade einen Whisky eingoß, hielt in dieser Beschäftigung inne. nur um sie mit Zurufen anzufeuern. Worth ermahnte seine chelfer. festzuhalten, und arbeitete selbst wie toll. Er drehte an dem Zahn, daß er knackte, und dann versuchte er es mit einem plötzlichen Ruck. Keiner von ihnen bemerkte einen kleinen Mann, der die Treppe heroufhumpslte und dann stehenblieb und zusah. Koho war konser - vatw. Seine Vorfahren hatten nie Kleider getragen, und er trug auch keine, nicht einmal einen Lendenschurz. Die vielen leeren Löcher in Nase, Lippen und Ohren zeugten von seiner längst oer- gangenen Putzsucht. Die Löcher in seinen Ohrläppchen waren auf- gerissen, und die Fetzen welken Fleisches, die ihm ganz bis auf die Schultern hingen, zeigten, daß sie von ansehnlicher Größe gewesen waren. Jetzt besaß er nur noch Sinn für das Nützliche und hatte sich daher in eines der sechs kleinen Löcher in seinem rechten Ohr eine kurze Tonpfeife gesteckt. Um den Leib hatte er sich einen ein- fachen Gürtel geschnallt, und darin steckte die scharfe Schneide eines langen Messers. Außerdem hingen am Gürtel sein Betelnußbambus und die Kalkdose. In der chand hielt er eine kurzläufige, groß- kalibrige Sniderbüchse. Er war unbeschreiblich schmutzig und am ganzen Leib voller Narben, am schlimmsten war die, welche eine Lee-Enficld-Kugel an seinem linken Bein hinterlassen hatte, das nur halb so dick wie das andere war. Sein eingefallener Mund ließ darauf schließen, daß nicht mehr viel Zähne übrig waren. Gesicht und Körper waren eingeschrumpft, aber seine kugelrunden, schwarzen Augen, die klein waren und dicht beieinander saßen, waren ganz klar, und ihr ruhiger, besorgter Blick erinnerte mehr an einen Affen als an einen Menschen. Er sah und grinste vor Vergnügen wie ein Aesfchen. Die Freude, die er beim Anblick des leidenden Patienten empfand, kam ihm aus dem cherzen, denn die Welt, in der er lebte, war voll von Qualen. Er hatte selbst ein gut Teil davon gehabt und dafür gesorgt, daß andere noch mehr bekamen. Als der Zahn aus dem Kiefer und die Zange mit einem nervenzerreißenden Geräusch über die anderen Zähne des Patienten und zu seinem Munde herausfuhr, leuchteten die Augen de» alten Koho geradezu auf, und er betrachtete mit Freude den armen Schwarzen, der brüllend zu Boden gesunken war und sich den Kopf mit beiden Händen hielt. .Ich glaube, er wird ohnmächtig/ sagte Gries und beugte sich über das Opfer..Geben Sie ihm einen Schnaps, Kapitän Ward. Sie nehmen am besten auch gleich einen. Worth. Sie zittern ja am ganzen Leibe/ „Ich glaube, ich nehme auch einen/ sagte Wqllenstem und wischte sich den Schweiß vom Gesicht. Da bemerkte er Kohos Schatten und wurde dadurch auf den alten Häuptling aufmerksam. „Hollo! Was ist das für einer?" „Ach. das ist Koho/ sagte Gries liebenswürdig, aber ohne ihm die Hand zu reichen; er wußte Bescheid. Es war nämlich eines von Kohos, ihm von den Teufel-Teufel- Medizinmännern bei seiner Geburt auferlegten Tambos, daß sein? Haut nicht mit der eines weißen Vtannes in Berührung kommen durfte. Worth und Kapitän Ward von der Wonder begrüßten Koho, Worth bezeigte jedoch sofort seine Unzufriedenheit, als er die Snider- büchse erblickte, denn eines seiner Tambos war, daß kein Busch- mann, der die Plantage besuchte, Waffen tragen durfte. Büchsen hatten die unangenehme Eigenschaft, plötzlich loszugehen. Er klaschte in die Hände, und ein schwarzer Hausboy aus San Christobal kam angelaufen. Auf einen Wink von Worth nahm er dem Gast die Büchse ab und brachte sie ins Haus. „Koho/ sagte Gries und zeigte ihm den deutschen Regierungs- kommisiar.„Dies groß fella Herr gehören Bougainville — mein Wort, sehr groß fella Herr." Koho, der sich noch gut an den Besuch des deutschen Kreuzers entsann, lächelte, wobei ihm die unangenehmen Erinnerungen beut- lich auf dem Gesicht geschrieben standen. „Reichen Sie ihm ja nicht die Hand, Wallenstein / warnte Gries. „Tambo, verstehen Sie." Dann wandte er sich wieder zu Koho...Mein Wort, du werden zu dick, du machen stopp. Du bald nehmen dich neu fella Mary (Frau), he?" „Zu alt fella mich," antwortete Koho und schüttelte betrübt den Kopf.„Mich nicht mögen Mary. Mich nicht mögen Kai-kai(Essen ). Alles fertig für mich." Er warf einen sehnsüchtigen Blick aus Worth, der gerade den Kops zurücklegte und ein großes Glas hinuntergoß. „Mich mögen Rum." Gries schüttelt« den Kopf. „Tambo für schwarz fella." „Er schwarz fella nicht Tambo," protestierte Koho und wies auf den Arbeiter, dem der Zahn gezogen war. „Er fella krank," erklärte Gries. „Mich sella auch krank." „Du fella großer Lügenpeter," lachte Gries.„Rum Tambo , immer Tambo. Hör', Koho, wir haben groß Rede mit dies groß fella Herr." Und er, Wallenstein und der alle Häuptling setzten sich auf die Veranda, um ihre Staatsaffären zu verhandeln. Sie machten Koho Komplimente, weil er Frieden gehalten halle, und er schwor immer wieder mit Hinweisen auf seine Altersschwäche, daß er jetzt in alle Ewigkest Frieden halten würde. Dann erörterten sie den Plan, zwanzig Meilen weiterhin an der Küste eine deutsche Plantage an« zulegen. Der Boden müßte natürlich Koho abgekauft werden, und der Preis wurde in Tabak, Messern, Perlen, Körben, Walzähnen und Perlmuttergeld— in allem möglichen, nur nicht Rum— berechnet. Während der Unterredung beobachtete Koho durch das Fenster, wie Worth drinnen Medizin mischte und die Flaschen wieder in die Hausapotheke stellte. Ferner sah er, wie der Verwalter seine Arbeit damit beschloß, daß er einen Whisky nahm. Koho merkte sich genau, wo er die Flasche, aus der er sich einschenkte, hin- stellte. Obgleich er aber noch eine geschlagene Stunde noch Schluß der Konferenz sitzen blieb, fand er keine Gelegenheit, sich ins Zimmer zu schleichen: es war immer jemand drinnen. Als Gries und Worth sich dann niedersetzten, um über ihre Geschäft« zu reden, gab Koho sein Vorhaben auf.
„Mich gehen auf Schoner," sagte er und humpelte ab. „So endet alle Größe auf Erden," lachte Gries. Wenn man bedenkt, daß das der furchtbarste, blutrünstigste Mörder auf den Salonwninseln war, daß er den Kampf mit zwei der ersten Groß- mächte der Welt aufgenommen hat, und jetzt kommt er an Bord, um uns einen Schnaps abzuluchsen."
ZlWge kohle.
in Flütsigteit..."
Es war das letztemal, daß der Superkargo der Wonder einem Eingeborenen einen Streich spielle. Er war gerade in der Kajüte dabei, eine Liste über die' Waren aufzustellen, die mit den Wal- booten an Land geschafft wurden, als Koho die Kajütstreppe her- untergehumpell kam und sich ihm gegenüber an den Tisch setzte. „Mich gleich ganz sterben." wimmerte der alle Häuptling. Alle- Lebensfreude schien ihn zu verlassen zu haben.„Mich nicht möge» Mary. Mich nicht mögen Kai-kai. Mich zuviel krank sella." Es folgte eine lange Pause, in der sein Gesicht unsagbare Sorge um seinen Leib ausdrückte, den er mit allen Zeichen des Schmerzes zärtlich streichelte. „Bauch gehören mich zuviel krank," wieder folgte eine Pause, die offenbar eine Aufforderung an Denby bedeutete, seine Meinung zu sagen. Schließlich mit einem Uesen Seufzer.„Mich mögen Rum." Denby lachte herzlich. Der alte Kannibale hatte ihm früher schon wiederholt Schnäpse abgeluchst, und das strengste Verbot, das Gries und Mac Tavish ausgestellt hatten, galt gerade dem Ausschank von Alkohol an die Eingeborenen von Neu-Gibbon. Das Unglück war, daß Koho auf den Geschmack gekommen war. Er hatte die Freuden des Trinkens in früheren Tagen nach einem Ueberfall auf den Schoner Dorset kennengelernt, mußte aber damals die Freude mit allen anderen Männern des Stammes teilen, und so hatte der Vorrat nicht so weit gereicht. Als er später mit seinen schwarzen Kriegern die deutsche Plantage überfallen hatte, war er klüger gewesen: er legte gleich Beschlag aus alle Trinkwaren. Das Ergebnis war natürlich ein einzig dastehender prachtvoller Rausch gewesen, die gemeinsame Wirkung von einem Dutzend verschiedener Spirituosen, von Bier mll Chinin bis zu Aprikosenschnaps. Der Rausch hatte monatelang gedauert, und als er vorbei war, saß Koho da mit einem Durst, den erst der Tod löschen konnte. Wie alle Wilden hatte er eine Neigung für starke Getränke, und jetzt hungerte jede Fiber seines Körpers danach. Er sehnte sich nach dem ange- nehmen Gefühl, wenn die Würmer in seinem Hirn krabbelten, nach dem seligen Frieden und dem Wohlbefinden, das der Rausch ihm schenkte. Und je älter, je überdrüssiger er der Weiber und Feste wurde, je mehr sein alter Haß ausbrannte, desto größer wurde seine Sehnsucht nach dem lebenserneuernden Feuerstrom, der sich, aus Flaschen ergoß— aus jeder Art von Flaschen, er erinnerte sich deutlich des Geschmacks jeder einzelnen Sorte, die er versucht hatte. Stundenlang konnte er jetzt in der Sonne sitzen und der Erinnerung an die gcwalttgen Orgien nachhängen, die der Zerstörung der deutschen Plantage gefolgt waren.(Fortsetzung folgt.)
Mm Lagerfeuer öer Serglappen. Der deutsch « Arzt Dr. Ludwig Kokil verSfsrntltcht soeben im Verlag von Strecker und Schröder, Stuttgart , unter dem Stiel„Rordlicht und Mitternachtsonnc"«in Buch l« M.) Uber seinen Aufenthalt, bei den Lappen, unter denen er im Auftrag der norwegischen Regierung vier Jahre als A-gt gewirlt hat. Mit den nomadisierenden Naturkindern und ihren Serdcn zog er zur fltist« und teilt« mit ihnen Lager und Mahl. Ein solclies Lager schildert der nachstehende Abschnitt. Wenn je das Wort des Dichters„Raum ist in der kleinsten Hütte für ein glücklich liebend Paar" Sinn hatte, so hier. Die beiden Naturkinder, Ole Aslaksen Sombi und Anne II waren Neulinge in der Ehe, denn eist vor einer Woche hatte sie der Pfarrer in Pvlmak kirchlich verbunden. Aber nicht einmal sie konnten ungestört ein Zell für sich in Anspruch nehmen, denn die Wächter der Herde besuchten häufig dieses Stilleben, und wenn sie von ihren Wachen kamen, loderte jedesmal das Feuer für ihre Mahlzeiten wieder auf. Anne I und Anne II waren zwei grundverschiedene Menschen- kinder. Erstcre, die in unserem Zelte wohnte, war fünfundzwanzig Jahre alt, schalthast und zu allerlei Spaßen aufgelegt, wie sie auch jeden kleinen Scherz belachte. Sie war von mutwilligem Tem- perament, das etwas Außergewöhnliches ist bei diesem Volke, so daß wir mehr als einmal die Diagnose Manie auf der Zunge hatten.
Doch, da wir keine Psychiater waren, nahmen wir sie als da», was sie auch anderen Menschen schien: als eine glückliche, ungeschminkte Natur, die man vielleicht am besten als„wunderlich" bezeichnen würde. In Höhenluft und Hüttenrauch aufgewachsen, gingen ihr« Gedanken kaum über die Feucrstelle hinaus, an der sie allerding? Meisterin zu sein schien. Im Gegensatz zu ihren dunkelbraunen Augen und ihrer gelben gegerbten Haut hatte die Neuvermählte helle Augen und einen zarten, fast milchigen Teint. Wohl handfester in ihrem Körperbau, war sie doch von weicher, fast verträumter Art, mit einem Zug von Traurigkeit oder Schwermut um den Mund. Erst zwciundzwanzigjährig, war sie durch ihre Che in dieses unruhige Wanderleben geworfen worden, nachdem sie ihre Jugend in warmen Balkenhäusern verlebt hotte. Die Männer der beiden waren kurz und stämmig gebaut: der junge Ehemann hatte einen breiten stierigen Nacken, der auf die schwere Arbett der Berglappen wies. Im Zelte aufgewachsen und in der Wiege mit aus diese Wanderungen genommen, waren die weiten Oedmarken seine Welt und werden es bis zu seinem Tode bleiben. Aslak Olsen war dagegen nur mütterlicherseits Nomade. Sein Vater ist ansässiger Flußlappe und übergab ihn mit zwölf Jahren dem Zelt und den Herden. Aber diese Schule ist ihm gut bekommen. Er gitt als ein ganz besonders tüchtiger Berglappe in seiner Zunft, im Fahren im Pulk, im Wersen des Lassos, im Zähmen und Stehlen von Renntieren. Mit ihm habe ich die meisten meiner Reisen ausgeführt, harte und leichte, und er war mir immer ein brauchbarer und verläßlicher Kamerad. Noch ein Gast aber teilte in diesen Tagen unser enges Zelt. Dilgo, der Hund, wich nicht von seinem Lager, zu dem er mit besonderer Borliebe unsere müden Leiber erwählte. Ihm fiel auch die Rolle des Geschirrwaschens zu, das unter seiner Zunge blank wurde wie ein Spiegel. « Oft traf uns am ersten Abend ein fragender Blick unserer Gast- geber, was uns fremde Männer wohl veranlaßt haben möchte, unser Leben für diese Tage mit ihnen zu teilen. Denn das Wort Wissenschaft ist ihnen fremd und daher unfaßbar, wie man Freude an einer Sache haben kann, di« ja ganz außerhalb unseres ruhigen Lebens lag. Auf vielerlei kam die Rede an diesem Abend. Jeder Abschluß des Tages dringt diesen Menschen ein« Erleichterung, die erst zu- gänglich werden, wenn die ersten Flammen aus den Scheiten schlagen: noch mehr, wenn ein Jodaska, ein kleiner Schnaps, die Worte leichter macht. Dann verstummt das Thema über dos Herr- liche Reisewetter und die gute Före, und aus überlieferten Schätzen berichten die Worte. Nach zögerndem Beginn hören wir seftsame Geschichten in solchen dämmernden Nächten. Hinter dem Bekenntnis zum Christen- tum lauern auch heute noch Jbmil, der alt« Lappengott, dessen Name mit Scheu genannt wird, die Noeidi, Zaubermänner und Vermittler zwischen Geistern und den Menschen, die Gusittars, die unterirdische Geister darstellen und ihre Rennby haben wie die Menschen mit weißen und gesprcnleltcn Renntieren. Lassen di« Menschen sie nicht in Frieden, io stellen sie Schlimmes an. Sie nehmen den Menschen das Leben und senden Tod und Krankheit zu ihnen. Nur des Nachts kommen sie. und es ist einerlei, ob es Winter oder Sommer ist. Ja. Aslak hat bei Polmak it re Ronnby gesehen, und um sie freundlich zu stimmen, setzte er Renntierfleisch unter die Birkenstomme. Er hat auch an den Uferbergen des Varangerijordes, tu Morien- nas. Giertanas gesehen, der unter der Erde lebt und so stark ist, daß sich niemand findet, der stärker ist. Er hat ihn gesehen mit seinen drei Kopsen, als er in der Erde verschwand. Ob ich denn nicht den großen Stein gesehen hätte, der den Eingang in sein« Höhle verschließt, oder den großen Wal, den er mit seinem Lasso aus dem Fjord gezogen habe, fragte er mich. Obwohl wir so zwischen Menschen lebten, denen die Kultur neben anderen Erscheinungen, wie Syphilis und Tuberkulose, den Stempel des Christentums gebracht hat, spürten wir doch unter diesem dicken Firnis den Zauber und die Macht ihrer alten Geister- welt. Jeder hatte sich im Lause des Slbeuds aus feinem beschränkten Räume häuslich eingerichtet. Die Fellkleider hielten gut die Wärme. Als noch ein neues Scheit aus die Glut gelegt wurde, sahen wir über unserem Gegenüber ein Stück Zeltttich wie einen Borhang fallen, der dem Ehepaar Ruhe und unserer Neugier für heute ein rasches Ende brachte. Die Menschen hier sagen sich nicht„gute Nacht". Sie sind darin von einer wohliitenden Formlosigkeit, und auch die Scheidung in Fremden- und Familienlager war sicher nur eine augenblickliche Errungenschaft. Da rollten auch wir uns zusammen, zogen die Beine an, klappten die warme Lappenmlltze über die Ohren und Stirn und schliefen bald ein, wenn auch gelegentlich ein Windstoß an die Zeliwand stieß, so störte uns das weiter nicht. Aus der Fern« aber drang ab und zu ei» scharfer Anschlag der Hunde oder der Ruf eines Wächter», der die Herde betreute.
Das Ende der Zahnschmerzen. Wenn man die Lebensbeschrei- bungen und eigenhändigen Auszeichnungen der Menschen der Ver> gangenheit durchsieht, so findet man sehr häufig ausführlich wchmerzen geschildert, die heute kaum noch erwähnt werden. Zum Beispiel das Zahnweh. Friedrich II. hat bekanntlich gesogt, daß bei Zahnschmerzen einem auch die Kantische Philosophie nichts nützen könne, und er wollte damit zeigen, wie ohnmächtig der Mensch diesen Qualen gegenüber ist. Hottet bekennt in seinen Lebeuserinnerungen, das Zahnweh habe ihm seine ganze Jugend zerstört, und er sei erst von dem Augenblick an überhaupt ein Mensch geworden, da er— keine Zähne mehr hatte. Der Junge mit der dicken Backe und dem umgebundenen..Maulkorb" war früher eine ständige Erscheinung, die in ollen Bilderbüchern eine halb komische, halb tragische Rolle spielte, und jeder Mensch des lg. Jahrhunderts— von früheren Zeiten ganz abgesehen— hat noch mehr oder weniger oft an Zahn- geschwüren gelitten. Nunmehr aber scheint es, als wenn das Ende dieser„Mcnschheitsplage" nahegerllckt sei. Die Zohnheiltunde ist heute so weit,, daß sie den Leidenden nicht nur rasch von seinen Schmerzen befreit, sondern sogar überhaupt das Auftreten dieser Pein verhindern kann. Amerikanische Zahnärzte klagen in neuester Zeit darüber, daß sich die Zahl ihrer Patienten ausfällig oermindert, daß die Menschheit„zu gute Zähne" bekommt. Heutzutage geht nicht nur jedermann reckjtzeitig zum Zahnarzt, sondern die Zahnpflege wird schon bei den kleinsten Kindern durchgeführt, und die Schulzahnärzte sorgen dafür, daß die älteren Kinder auf einen guten Zustand ihres Gebisses halten. Die Verbesserung der hygienischen Bedingungen, die Aufklärung der Mütter, die früh eingreifende Sorgfalt der Aerzte— all das hat die Zahnschirerzen. unter denen früher der Mensch wie unter einer„gottgewollten Prüfung" litt, vertrieben oder zum mindesten sehr verringert. Auch englische Aerzte versichern, daß die Zahl der Kinder, die schlechte Zähne haben, sich sehr vermindert hat, und das gleiche ist sicherlich auch bei den deutschen Kindern der Fall.