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Abendausgabe

Nr. 580 43. Jahrgang Ausgabe B Nr. 287

Bezugsbedingungen und Anzeigenpreife find in der Morgenausgabe angegeben Redaktion: SW. 68, Lindenstraße 3 Fernsprecher: Dönhoff 292-297 Tel- Adresse: Sozialdemokrat Berlin  

Vorwärts

Berliner   Volksblaff

10 Pfennig

Donnerstag

9. Dezember 1926

Berlag und Anzeigenabteilung: Geschäftszeit bis 5 Uhr Berleger: Borwärts- Berlag GmbH. Berlin   S. 68, Lindenstraße 3 Ferafprecher: Dönhoff 292-297

Zentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands  

Vor der Entscheidung der Botschafter. Der Kriminalprozeß in Leipzig  .

Briand   besucht Stresemann.  - Ratsbeschlüsse über Abrüstung und Weltwirtschaft.

Schiedsvertrag mit Italien  .

Paris  , 9. Dezember.  ( WTB.) Die Botschaftertonferenz fritt| Genf   als Tagungsort bestimmt. Auf Verschlag Deutschlands  heute nachmittag 5,30 Uhr zu einer Sihung zusammen. wurde der Desterreicher Dr. Schüller zum Mitglied des Wirtschafts. ausschusses gewählt.

Paris  , 9. Dezember.  ( Eigener Drahtbericht.) Das einzige, was aus den heutigen Genfer   Berichten der Morgenpresse hervorzugehen scheint, ist die Tatsache, daß der ganze Erfolg der Genfer   Verhand­lungen von den heutigen Beschlüssen der Botschafterkonfe renz abzuhängen scheine. Je nachdem diese Konferenz sich heute mittag von den wichtigen Erklärungen der deutschen   Delegierten befriedigt oder unbefriedigt erklären wird, wird in der Frage der Entwaffnung und der damit zusammenhängenden Militärkontrolle eine endgültige Entscheidung getroffen werden.

Dem Petit Parifien" zufolge scheint die französische   Regierung plötzlich nicht mehr zu beabsichtigen, sich mit den bisherigen Maß nahmen, die Deutschland   zur Erfüllung der noch ausstehenden Ber­fehlungen" in der Entwaffnungsfrage getroffen hat, zufrieden zu erklären. Das Blatt wirft Deutschland   heute vor, einen abficht­lich schlechten Willen bei der Erfüllung der von der Bot­schafterfonferenz mehrmals gemahnten Berfehlungen", insbesondere in der Frage der Befestigung von Königsberg  , der Frage des an­geblich im Auslande angehäuften Kriegsmaterials und der Reichs­ wehr   an den Tag zu legen. Seit mehreren Tagen wartet die Bot schafterkonferenz vergebens auf" Bräzisionen" seitens der deutschen  Regierung. Es liege auf der Hand, schließt der offiziös ans mutende Artikel, daß bei einer derartigen andauernden Ber. schleppungspolitik" der deutschen   Regierung die Atmo­sphäre des Mißtrauens nicht zerstört werden könne, ebenso wenig, wie sie die Annahme der Kompromißvorschläge erleichtere, die gestern noch in Genf   zu triumphieren schienen. Aus dieser Darstellung er­fieht man deutlich wieder die Drohung der französischen   Regierung, in der heute nachmittag anberaumten Sigung der Botschafter fonferenz in der Frage der deutschen   Verfehlungen, die prinzipiell bereits geregelt schien, Deutschland   in lezter Stunde wieder Schwie

rigkeiten zu bereiten.

Briand bei Stresemann  .

Aus Genf   wird amflich gemeldet: Der französische   Minister des Aeußern Briand   und Reichsminister des Aeußern Dr. Strese­mann, dessen Befinden sich gebeffert hat, sind heute mittag 12 Uhr am Sih der deutschen   Delegation zu einer Besprechung zu

jammengetreten.

Die Meinungsverschiedenheiten über die Entwaffnung

amtlich bestätigt.

WIB. meldet aus Genf  : In den Meinungsverschiedenheiten über die Auslegung des Artifels 180 des Versailler Vertrags   in bezug auf die Königsberger   Festung und über die Frage der Ausfuhr von Kriegsmaterial und Halbfabrikaten ist noch feine Aenderung eingetreten. Die Verhandlungen werden in Paris  , wohin der Generalsekretär der Botschafterkonferenz Maffigli Mittwoch abend wieder abgereift ist, fortgeführt werden.

Der Rat zögert in der Abrüstungsfrage.

Weltwirtschaftskonferenz am 4. Mai.

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In der öffentlichen Ratssitzung am Mittwoch nachmittag genehmigte der Völkerbundsrat drei von Benesch eingebrachte Ent­schließungen über die Abrüstungstonferen 3. Die erste Ent. schließung war rein theoretischer Natur. Sie empfiehlt den Bundes­völkern den Abschluß ven Schiebsverträgen und bietet ihnen hierzu die, bisher noch nie gebrauchte, Vermittlung des Rates an. In der zweiten Entschließung wurde der Vorbereitungsausschuß auf­gefordert, dem Rat Borschläge über die Einberufung der Ab­rüftungskonferenz zu machen und das Konferenzprogramm aufzu stellen, sobald es der Stand der Vorarbeiten erlaubt". Dabei warn­ten Chamberlain und Scialoja vor einer überstürzten Ein­berufung. Paul Boncour sprach demgegenüber den Wunsch nach möglichst baldiger Einberufung aus; angesichts des Standes der bereits geleisteten Borarbeiten könne ein genau umschriebenes und begrenztes Brogramm bereits in der Märztagung des Vor­bereitungsausschusses aufgestellt werden. Die dritte Entschließung des Rates genehmigt die vom Ratsausschuß in der vergangenen Beche aufgestellten Richtlinien für ein schnelles Zusammen. treten des Rates im Fall von internationalen Berwicklungen, für die Durchführung finanzieller Unterstüßung für einen angegriffenen Staat und für das In- Gang- bringen wirtschaft­licher Sanktionen zur Abwehr gegen einen Angreifer. Bei der Debatte hierüber bemerkte das holländische Ratsmitglied, daß man sich bisher zuviel nur mit der Abwehr eines bereits geschehenen Angriffes befaßt habe, statt das Hauptgewicht auf die diplomatische Berhinderung eines Angriffstrieges zu legen. In der Dis fussion hierüber warnten Benesch und Boncour davor, Art. 16 ( über die Sanktionen) hinter Art. 11( über das grundfäßliche Recht des Rates, in diplomatische Konflikte einzugreifen) zurückzustellen; die Artikel feien alle gleich wichtig, der einzige Unterschied bestehe darin, daß fie nacheinander angewandt. Dabei vergessen sie, daß es besser ist, einen Konflikt im Reime zu ersticken, statt ihn zum Ausbruch kommen zu lassen.

In der folgenden vertraulichen Ratssitzung wurde der Beginn der Weltwirtschaftskonferenz auf den 4. Mai 1927 feft. gesetzt und nach längerer Aussprache nicht Amsterdam  , sondern

Deutsch  - italienischer Schiedsvertrag.

Genf  , 9. Dezember.  ( Eigener Drahtbericht.) Die Berhand­lungen über einen deutsch  - italienischen Schiedsvertrag haben zu einer grundfählichen Einigung zwischen den Unterhändlern geführt. Es handelt sich um einen Schiedsvertrag, wie er in den Cocarno­verträgen vorgesehen ist.

Die deutsch  - italienischen Verhandlungen über einen Ver­trag schweben seit Monaten. Sie tamen nicht vorwärts, weil Mussolini   mehr als einen Schiedsvertrag haben wollte. Er strebte einen Freundschaftsvertrag mit Deutsch­ land   an. Dabei verfolgte er die Absicht, mit den Verhandlun­gen über einen deutschen   Freundschaftsvertrag auf Frankreich   einen diplomatischen Druck auszuüben, sich eventuell den Verzicht auf seinen Abschluß durch foloniale Konzessionen von seiten Frankreichs   bezahlen zu lassen. Es war nur selbstverständlich, daß die deutsche Regierung sich nicht für solche diplomatische Intrigen hergab. Ebensowenig fam ein Garantiepatt in Frage; Deutschland   hat jetzt am allerwenigsten Veranlassung, Italien   eine Brenner grenze mit Deftereich zu garantieren, die dem Selbstbestim mungsrecht fraß ins Gesicht schlägt.

So muß sich Italien   mit einem Schiedsvertrag begnügen, wie ihn Deutschland   bisher mit zehn europäischen   Staaten abgeschlossen hat: mit der Schweiz  ( Dezember 1921), mit Schweden  ( August 1924), Finnland  ( März 1925), Estland  ( August 1925), mit den vier Locarnoſtaaten Frankreich  , Belgien  , Polen   Tschechoslowakei  ( 1. Dezember 1925), mit den Niederlanden( Mai 1926) und zuletzt mit Dänemark  ( Juni 1926). Dagegen ist der Schiedsvertrag mit Deutschland   für Italien   erst der dritte, da Italien   in der Schiedsvertrags entwicklung zurückgeblieben ist und bisher nur mit der Schweiz  einen allerdings sehr weitgehenden- und mit Spanien  einen Schiedsvertrag abgeschlossen hat.

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Von Gustav Krüger  , Polizeipräsident z. D.

Der Ausgang des Strafverfahrensgegen vier Kriminalbeamte und gegen fünf Taschendiebe in feßen auf die Kriminalpolizei. Es ist glücklicherweise ein Aus­Leipzig lenkt den Blick der Deffentlichkeit mit starrem Ent­nahmefall, aber niemand kann die Hand dafür ins Feuer legen, daß ein solcher oder ähnlicher Ausnahmefall" nicht an jedem Tage in jedem anderen Orte in Deutschland  , in der die Kriminalpolizei einen wesentlichen Umfang hat, eintreten fann. Die Kriminalbeamten, die sich des Amtsverbrechens schuldig gemacht haben, find insgesamt zu 20 Jahren Zucht­haus und zu 14 Jahren Ehrverlust verurteilt worden. Mit einer gewiffen Berechtigung hat das Strafgericht die gemeinen Verbrecher aus der Zunft der Taschendiebe etwas geringer, aber mit ähnlichen Freiheitsstrafen bedacht. Unter den Kriminalbeamten sind zwei Kriminalkommissare, also inner­halb der Kriminalbeamtenschaft höhere Beamte, die übrigen find Kriminalhauptwachtmeister. Auch sie gehören nicht zu den kleinen Chargen, denn unter ihnen stehen noch einige Kategorien anderer Beamter.

Der außerordentliche Vorgang zwingt die maßgebenden Stellen und die Deffentlichkeit, sich mit der Kriminalpolizei, deren Wichtigkeit niemand bestreiten wird, näher zu be schäftigen. Ja gerade die wichtigkeit und die Ver= trauensstellung, die die Kriminalpolizei einnehmen muß, nötigen dazu, hier die kritische Sonde und die bessernde Hand schnell und energisch anzulegen. Mit vieler Mühe und Arbeit und mit großem Aufwand an Energie und Kosten ist seit dem Zusammenbruch des Obrigkeitsstaates die uni­formierte Schußpolizei errichtet, wiederholt umorganisiert, ausgebaut und auch in der Richtung der Personalpolitik so gestaltet worden, daß heute im allgemeinen gesagt werden fann, daß sie zum mindesten mit 50 Broz. aller Beamten als zuverlässig im Sinne der republikanischen Staatsordnung iſt, daß ihre Kraft ausreicht, um Ausschreitungen zu verhüten und, wenn nötig, zu unterdrücken. Bei der grünen Polizei, die nunmehr fast vollständig in eine blaue umgewandelt wor­den ist, ist also viel getan, obgleich noch manches zu tun übrig bleibt."

Im Gegensatz dazu ist bei der Kriminalpolizei so gut wie gar nichts geschehen. Während der frühere ,, Blaue" heute fo jo mehr zu begrüßen, als er den Gerüchten ein Ende macht, die wieder, die schon im Obrigkeitsstaat ihren Dienst getan oder gut wie vollständig verschwunden ist, findet man bei der Der endliche Abschluß des Vertrages mit Italien   ist um Kriminalpolizei noch alle die alten Beamten und Gesichter sich an alle Vertragsverhandlungen des Faschismus knüpfen. zu tun unterlassen haben. Eine Blutauffrischung hat so gut Jeder Staat, der sich mit dem Faschismus in Verhandlungen wie gar nicht stattgefunden. Eine Ausbildung und Ertüchti fichten aus, da alle Welt bei den Berhandlungen des Faschis- schaft ist unterblieben. Ich will damit nicht sagen, daß nicht einläßt, setzt sich zunächst dem Berdachte unreinlicher Ab- gung, eine Einführung in das Gebiet der Kriminalwissen­mus mit Recht Bosheiten und Hinterhältigkeiten vermutet. guter Wille und beste Abficht vorhanden gewesen sei, um das So wiegt der politische Schaden, den jede Intimität mit dem zu erreichen. Tatsächlich aber ist so gut wie nichts geschehen. Faschismus zur Folge hat, zunächst den Nutzen auf, der Die Bestrebungen nach einer einheitlichen und guten Landes­eine engere Bindung mit Italien   auf die Dauer mit sich und Reichskriminalpolizei find an politischen Widerständen bringt. Daher kann der Schiedsvertrag mit Italien   nur auf lange bisher immer gescheitert. Sicht hin grundfäßlich begrüßt werden. Er ist zugleich ein Beweis dafür, daß selbst der Faschismus, deffen Wesen die Gewaltpolitik ist, dem Geiste internationaler Schiedsgerichts­barkeit Ronzessionen machen muß.

Labours Mißtrauensantrag. Unter Stimmenthaltung der Liberalen abgelehnt. London  , 9. Dezember.  ( Eigener Drahtbericht.) Der Miß­trauensantrag der Arbeiterpartei wurde gestern abend im Unter­haus mit 339 gegen 131 Stimmen abgelehnt. Die Liberalen ent­hielten sich der Stimme.

200 000 englische Vergarbeiter auf dem Pflaster. Condon, 9. Dezember.  ( WTB.) Morning Post" zufolge find jegt ungefähr 800 000 Bergleute an der Arbeit, und man erwartet, daß sich ihre Zahl bis zum Jahresende auf 900 000 erhöhen wird. Ob die übrigen 200 000 por dem Streit beschäftigt gewefenen Bergleute wieder eingestellt werden können, wird, so sagt" Morning Bost", u. a. bapon abhängen, ob England seine früheren Märfte wieber.

erobern fann.

Reichswehr   und Reaktion. Oberst v. Luck, Olympia   und Reichswehrminister Geßler. Zu Beginn der heutigen Landtagsfihung verlas Abg. Heil­mann( S03.) eine Erklärung gegen den Brief, den der Reichswehr­minister Dr. Geßler an den Genossen£ öbe gerichtet hat. Heil­mann legte eine Anzahl von Briefen des Obersten von Cud vor, aus denen unzweideutig hervorgeht, daß in zahlreichen Fällen Oberst Cud junge Leute der Reichswehr   zur Einstellung empfohlen hat, daß aber auch von sich aus Reichswehrstellen bei Oberst von Lud nicht nur nach der förperlichen Eignung, sondern auch nach der Gesinnung, d. h. der völkischen Gesinnung, der einzustellenden jungen Leute gefragt haben. Heilmann fügte hinzu, daß die von ihm verlejenen Schreiben dem Reichswehrminifter jeder­zeit zugänglich waren, so daß seine gegenteiligen Erklärungen nur eine leichtfertige 3rreführung der Oeffentlichkeit dar­ftellten.

eine durchgreifende Arbeit. Der Kriminalbeamte ist in bezug Und doch verlangt geradezu gebieterisch die Zeit auch hier auf die Ausübung seines Dienstes nicht zu vergleichen mit dem uniformierten Beamten. Während diesen die Uniform nötigt, immer Beamter zu sein, verleitet die Zivilkleidung des Kriminalbeamten ihn gar zu leicht zum Anpassen an seine Umgebung, zum Hineingleiten in die hundertfachen Ver= fuchungen, die sich ihm tagtäglich verlockend bieten. Mehr als jeder andere Beamte muß der Kriminalist gefestigter Charakter sein, und weniger Beamter als Vertrauens­mann des republikanischen Rechtsstaates, dem er zu dienen hat. Das setzt voraus, daß einmal in bezug auf die Charakter­eigenschaften und das andere Mal auch in bezug auf die All­gemeinbildung Anforderungen gestellt werden müssen, die nur durch besondere Auswahl erfüllt werden können. Menschen mit solchen Eigenschaften haben aber Anspruch darauf, daß ihre Kraft entsprechend bewertet wird. Das ist heute nicht der Fall. Die Mehrzahl der Kriminalbeamten erhält ihr Ge­halt aus der Gruppe IV bis VII. Das find Beträge, die den Beamten zwingen, einen ständigen Kampf mit wirt fchaftlichen Gorgen und nöten in seiner Familie zu führen. Nichts zermürbt den Menschen leichter als dauernde Sorge und Not. Und wenn er in einem solchen Zustande Versuchungen zum Opfer fällt, dann darf man die Schuld nicht einzig und allein auf seine Person schieben.

Der tüchtige und strebsame Kriminalbeamte muß, wenn er seinen Berufsanforderungen gewachsen sein soll, sich dauernd selbst bilden. Dazu gehört ein laufender Selbstunter­richt, ein Studium der täglich auftauchenden Neuerungen auf den vielseitigen technischen, wirtschaftlichen, Verkehrs- und politischen Gebieten, das Studium von Kriminalliteratur. Das alles ist selbstverständlich nicht ohne geldliche Aufwen­dungen möglich. Es ist nicht angängig, ja unter Umständen sogar schädlich, damit zu rechnen, daß den Kriminalbeamten durch ihre erfolgreiche Tätigkeit ja immerhin erhebliche Zu­wendungen in Gestalt von ausgelobten Belohnungen zu­fließen. Das Kapitel Belohnungen" ist eins der unange­nehmsten innerhalb der Kriminalpolizei. Ihr Erringen ist nicht immer ein Beweis für besondere Tüchtigkeit und für hervorragende Leistungsfähigkeit. Oft spielt der Zufall eine große Rolle dabei. Wenn größere Belohnungen in die Hände von untüchtigen, charakterschwachen und nicht gefestigten Be­amten fallen, werden fie feineswegs zur Folge haben, daß