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Abendausgabe

Nr. 58843. Jahrgang Ausgabe B Nr. 291

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Vorwärts

Berliner Volksblatt

10 Pfennig

Dienstag

14. Dezember 1926

Berlag und Anzeigenabteilung: Geschäftszeit 8% bis 5 Uhr Berleger: Borwärts- Berlag GmbH. Berlin S. 68, Lindenstraße 3 Fernsprecher: Dönhoff 292-297

Zentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands

Michaelis, der Friedensverhinderer.

Der kaiserliche Kanzler vor dem Untersuchungsausschuß des Reichstags.

Ist es ein Gespenst oder ein lebendes Wesen, das heute von dem Untersuchungsausschuß des Reichstags erscheint? Es erscheint ein fleiner Mann mit verrunzelten Gesichtszügen, er heißt Dr. Georg Michaelis und war der Nachfolger Bethmann Hollwegs, der zweite Kanzler des Welt­friegs, der drittleßte des Kaiserreichs. Er soll sich verant worten, reinwaschen von der schweren Anklage, die Friedensaktion des Papst es im Sommer- Herbst 1917 verhindert zu haben.

Unausdenkbare Vorstellung! Dieser fleine Mann hätte vielleicht der Welt ein Jahr Krieg ersparen, Millionen Menschenleben retten, dem deutschen Bolf einen Frieden des Ausgleichs und der Verständigung bescheren fönnen. Er. hat es nicht getan. Er hat den Weg, der zu diesem Glücksziel hätte führen fönnen, schon in seinem Anfang durchkreuzt.

Mit dieser Anklage steht der Berichterstatter des Unter­suchungsausschusses, Professor Dr. Bredt, gegen ihn. Kein Revolutionär. Kein Mann der Linken. Kein Republikaner. Sondern während des Krieges freifonservativer Abgeordneter des Preußischen Landtags , jezt Führer der Wirtschaftspartei im Reichstag. Ein Mann, der in seiner Weltanschauung dem kleinen Michaelis sicher näher steht als uns. Immerhin ein Mann, der das Aftenmaterial der Geschichte mit wissenschaft licher Gewissenhaftigkeit erforscht und dem dabei die Wahrheit über den Parteien steht.

Am 1. August 1917 erließ der Bapst eine Note ,, An die Häupter der friegführenden Völker", in der als Friedensziel Rüftungsbeschränkung, Schiedsgericht, Freiheit der Meere, gegenseitiger Verzicht auf Schadenersaß und Kriegskosten gefordert wurden. Deutschland solle Belgien und Frankreich räumen, Belgiens Unabhängigkeit müsse nach allen Seiten gesichert werden, anderseits seien Deutschland seine Kolonien zurückzugeben.

Die englische Regierung gab daraufhin zu verstehen, daß erit verhandelt werden könne, wenn eine flare deutsche Erklärung über Belgien vorliege, was wiederum für die Kurie ein Grund war, noch eindringlicher, als dies in der Note vom 1. Auguft geschehen war, um eine solche Erklärung zu bitten.

Der Papst war zu diesem Schritt durch Zeichen des Friedenswillens aus den verschiedensten Ländern ermutigt worden, nicht zuletzt durch die Friedensresolution des Deutschen Reichstags vom 19. Juli 1917, die von der Sozialdemokratie in Gemeinschaft mit dem Zentrum und der bürgerlichen Linken durchgebracht worden war und die Deutschlands Bereitwilligkeit zu einem Verständigungs­frieden aussprach.

Das ist jene Resolution, die der Reichstanzler Michaelis durch seine geschichtlich denkwürdig gewordene Bemerkung: ,, Wie ich sie auffasse" vor den Augen der Welt entwertet hatte. Schon war das Mißtrauen in die diplomatische Kunst der taiserlichen Regierung so start. daß der Reichstag die Be­antwortung der so wichtigen Bapstnote ihr allein nicht überlassen wollte. Die Regierung erklärte sich denn auch damit einver­standen, daß sich ein siebengliedriger Reichstagsausschuß um die Redigierung der Antwortnote bemühte.

Sie

Von der sozialdemokratischen Reichstagsfraktion gehörten Ebert und Scheidemann diesem Ausschuß an. forderten auf die flare Frage über Belgien eine flare Antwort, sie blieben allein. Man beschränkte sich darauf, einen Bassus zu formulieren, der eine Bezugnahme auf die Kundgebung des Reichstags vom 19. Juli enthielt. Aber diese Kundgebung war eben auch nur in allgemeinen Ausdrücken gehalten und sagte über Belgien direkt nichts. Immerhin fonnte gefolgert werden: wenn die Regierung mit der Kund­gebung des Reichstags einverstanden sei, dann sei fie auch bereit, in bezug auf Belgien die logischen Folgerungen. zu ziehen.

Die Note ging ab. Aber ohne daß der Siebenerausschuß davon ein Sterbenswort erfuhr, fchrieb Michaelis an den päpstlichen Nuntius einen Brief, der in seinen entscheidenden Stellen besagte:

Sind wir mithin im heutigen Stadium der Dinge noch nicht in der Lage, dem Wunsche Euer Exzellenz zu entsprechen und cine bestimmte Erklärung über die Absichten der taiserlichen Regierung im Hinblick auf Belgien und auf die von uns gewünschten Garantien zu geben, so liegt der Grund hierfür keineswegs darin, daß die kaiserliche Regierung grundsäßlich der Abgabe einer solchen Erklärung abgeneigt wäre oder ihre entscheidende Wichtigkeit für die Frage des Friedens unterschätzte oder glaubte, ihre Absichten und die ihr unumgänglich nötig scheinenden Garantien fönnten ein un­übersteigliches Hindernis für die Sache des Friedens bilden, sondern lediglich darin, daß ihr gewisse Borbedingungen, die eine unbedingte Voraussetzung für die Abgabe einer derartigen Erklärung bilden, noch nicht genügend geflärt zu sein scheinen.

Hierüber Klarheit zu gewinnen, wird das Bestreben der kaiser­Lichen Regierung ein, und sie hofft= falls die Zustände ihr Bor­

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haben begünftigen, in nicht allzu ferner Zeit in der Lage zu fein,| Friedensaktion als Zeugen zu vernehmen. An Dr. Michaelis follen Euere Erzellenz über die Absichten und nötigen Forderungen der zwei Hauptfragen gestellt werden: faiserlichen Regierung, insbesondere in bezug auf Belgien , genaner unterrichten zu können.

1. Warum wurde der Reichstag bzw. der Siebenerausschuß oder einzelne Vertrauensmänner der Parteien von den Einwen­dungen der Kurie gegen die Faffung der Antwort auf die Friedens­note des Papstes nicht in kenntnis gefeht?

2. Warum wurde dem Siebenerausschuß des Reichstages die Antwort an den Nuntius Pacelli vom 24. September 1917 nicht vorgelegt?

Damit war ausgesprochen, daß die faiserliche Regierung die Wiederherstellung der Unabhängigkeit Belgiens a b= lehnte, da sie ja Belgien gegenüber Absichten und nötige Forderungen" anzumelden hatte. Damit war die päpstliche Friedensaktion zerschlagen. Zerschlagen hinter dem Rücken Der Zeuge Dr. Michaelis soll diese beiden Fragen in den des Reichstags, der das Gegenteil gewollt hatte. Mittelpunkt feiner Aussagen stellen. Der Vorsitzende des Unter­Das ist die zermalmend schwere Anklage, gegen die sich ausschusses teilt weiter mit, daß die in einem Auffah von Dr. Bredt heute der kleine Michaelis das Gespenst aus der Kaiserzeit, zu Michaelis und die päpstliche Friedenaktion" aufgestellten Behauptun­im Novemberheft der Breußischen Jahrbücher":, Reichskanzler verantworten hat. gen von dem Vorsitzenden des Ausschusses und dessen Generalsekretär Dr. Eugen Fischer im Beisein des Sachverständigen Dr. Bredt geprüft worden feien. Diese drei Herren hätten das Ergebnis ihrer Prüfung wie folgt zusammengefaßt:

Saal 31 des Reichstages. Ein langgestrecktes Rechtect, ein ziemlich nüchtern wirfender Raum. An der einen schmalen Seite der Tisch mit den Mitgliedern des 4. Unterausschusses, des Aus schusses zur Erforschung der Ursachen des Zusammenbruches. Links ein kleiner Tisch mit den Zeugen: Abg. Scheidemann, Graf estarp, der frühere fortschrittliche Abg. Wiemer. In der zweiten Reihe an der einen Seite die Sachverständigen, an der anderen der Zeuge Dr. Michaelis, der aber viel mehr den Ein­brud des Angeklagten macht. Berlassen sigt er da, nervös in seinen Papieren framend. Graf Bestarp geht vorbei und stattet ihm als einziger im Saale einen fleinen Rondolenzbesuch ab. Dann folgen die Tische für die Presse, der größte Teil des Saales ist für die Abgeordneten reserviert. Die Verhandlung ist heute öffentlich, der Andrang außerordentlich stark. Soll doch eines der wichtigsten Rapitel aus dem Weltfriege zur Erörterung gelangen, der Friedensschritt des Papstes.

eröffnet mit dem akademischen Viertel die Sigung. Er teilt mit, daß Der Vorsitzende, der deutschnationale Abgeordnete Philipp, eröffnet mit dem akademischen Viertel die Sizung. Er teilt mit, daß Der Unterausschuß beschlossen habe, im Anschluß an das Gutachten des Sachverständigen Dr. Bredt den früheren Reichskanzler Dr. Michaelis über die Frage des Verhaltens der Reichsregierung gegenüber dem Reichstage und dem Siebenerausschuß oder anderen Bertrauensmännern des Parlaments in Sachen der päpstlichen

1. Die Darstellung des Sachverständigen Prof. Dr. Bredt ( Preußische Jahrbücher, Nov. 1926, Seite 190 ff) über den Ein­druck, den der Entwurf der deutschen Note auf den Kardinal­Staatssekretär Gaspari gemacht hat, findet in den Akten im wesentlichen ihre Bestätigung.

2. Die kurie hielt nach den Mitteilungen des Kuntius Pacelli die Friedensaktion für gescheitert, wenn die im Entwurf vorgelegte deutsche Antwortnote unverändert bliebe. Aus den Affen ift bezeugt, daß Pacelli fein tiefes Bedauern darüber ausgesprochen hat, daß seine vielfachen Berjuche, die deutsche Regierung zu einer Aenderung ihrer Haltung zu bewegen, ergebnislos geblieben sind.

Die hier erwähnten Akten sind dem Zeugen Dr. Michaelis im Auswärtigen Amt zur vertraulichen Einsichtnahme zur Verfügung gestellt worden. Mit Rücksicht auf die diplomatischen Gepflogenheiten soll aber in der öffentlichen Vernehmung auf diese Schriftstücke nur insoweit Bezug genommen werden, als ihr Inhalt durch die Bera öffentlichungen von Dr. Bredt, Ritter von Lama, Abg. Scheidemann u. a. bereits an die Deffentlichkeit gelangt sind. Von der Ladung des früheren Staatssekretärs von Kühlmann als Zeugen ist zunächst Abstand genommen worden, dagegen sind die

Der preußische Etat für 1927.

Rede des Finanzministers Höpker- Aschoff im Landtag.

Auf der Tagesordnung der heutigen Landtagsfizung stand als einziger Bunft die Begründung des Etats für 1927. Das Haus war start besetzt. Der Finanzminister ergriff sofort das Wort.

Finanzminister Höpker- Aschoff

Der Etat ist den parlamentarischen Körperschaften in diesem Jahre früher vorgelegt worden als je vor dem Kriege. Die Staats­regierung rechnet daher mit seiner Erledigung noch vor dem 1. April 1927. Der État für 1925 enthielt ein Defizit von 229 Millionen. Im Sommer dieses Jahres ist mitgeteilt, daß das Defizit nach Abschluß des Rechnungsjahres auf 194,8 millionen berechnet worden ist. Da aber in den Ausgaben Anleiheausgaben enthalten waren, die im Vorgriff auf spätere Anleihegefeße gemacht und am Schluß des Jahres außerplanmäßig verrechnet worden waren, die aber nach Bewilligung der Anleihegesetze auf Anleihe überwiesen werden fönnen, so vermindert sich das Defizit des Jahres 1925 weiter auf 131,1 millionen. Am Anfang des Jahres 1926 war demnach noch ein Betriebsfonds von 68,9 millionen vorhanden. Die Entwicklung von 1926 ist folgende: Die Reichssteuerüber­weisungen werden ein mehr von 65 Millionen, die Landessteuern ein Mehr von 10 Millionen bringen, die Betriebsverwaltungen da­gegen ein Weniger von 66 Millionen.

Bei den Steuern verdient die Hauszinssteuer beson dere Hervorhebung. Der Grundgedanke dieser Steuer wird vielfach mißverstanden und daraus erwächst ein gewisser Groll. Sie ist einerseits Inflationssteuer, andererseits Werterhaltungssteuer.

Der Hausbesitzer darf sich nicht auf Kosten des zu drei Bierteln enteigneten Hypothekengläubigers bereichern. ( Sehr gut! fints.) Er muß sich vielmehr selbst gleich dem Hypo­Kapitals begnügen. Die endgültige Gestaltung der Hauszinssteuer hekengläubiger mit geringerer Berzinsung seines ursprünglichen liegt noch nicht feft; auch die Berhandlungen mit dem Reichsfabinett schweben noch. Aber die Hauszinssteuer tann jedenfalls nicht von heute auf morgen abgebaut werden, sondern erst, wenn die Erträge anderer Steuern wachsen und die Bauwirtschaft nicht mehr so große Zuschüsse erfordert.

Der Zuschußbedarf der Hoheitsverwaltungen ohne die Erwerbslosenfürsorge vermindert sich voraussichtlich um 19,5 Millionen. Außerplanmäßige Ausgaben, darunter große Be­träge für Hochwasserschäden und Boltsschulbauten, werden 73,2 mil lionen erfordern. Die Erwerbslosenfürsorge wird 140 bis 150 Millionen verschlingen; werden die Ausgaben für die pro­duftive Erwerbslosenfürsorge auf Anleihe verwiesen, so tommen wir mit den für die Erwerbslofenfürsorge in den Etat eingestellten Be­

trägen aus.

Wahrscheinlich wird also das Rechnungsjahr 1927, einschließlich des im Etat vorgesehenen Fehlbefrags von 64 Millionen, mit einem Fehlbetrag von 103,7 millionen abschließen.

Die Entwicklung der Anleihe ausgaben ist folgende: Bis zum 1. Oftober 1926 waren auf bewilligte Anleihegesetze 189 Mil­

lionen flüssig gemacht. Davon find 80 Millionen 1925, 70 Millionen im ersten Halbjahr 1926 für Ausbau von Häfen, Bergwerken, Elek­trizitätswerken, Dedlandkultivierungen, Eindeichungen usw. ausge geben worden. Der Rest wird in der zweiten Hälfte des Rechnungs­jahres 1926 verbraucht werden. Das neue Jahr bringt einen neuen Anleihebedarf für die Ausgaben der produktiven Erwerbslosenfür­ferge und für eine verstärkte Förderung der Neubautätigkeit. Es ist unmöglich, mit den großen Ausgaben, die im Interesse der Zu­funft gemacht werden müssen, die notleidende Gegenwart zu be­lasten.

Die Reichssteuerüberweisungen bringen im Jahre 1927 ein Mehr von 24,4 Millionen gegenüber bem letzten Gtat. Die preußischen Steuern sind in den vorjährigen Beträgen ein­

gesetzt. Die Betriebsverwaltungen werden 31 Millionen weniger erbringen, da die Forsteinnahmen 1920 überschätzt wurden. Für die Erhöhung des Wohnungsgeldzuschusses für den Fall einer Mieterhöhung wurden 10 Millionen, für die vorhandenen Staats­bauten 22 Millionen eingesetzt. Die Ausgaben für die Erwerbs­lofenfürsorge übernimmt das Reich. Der Unterschied des Etats für 1927, von dem für 1926, läßt sich dahin zusammenfassen: Die Ausgaben der Erwerbslosenfürsorge von 165 millionen fallen weg; diese Verminderung wird aufgehoben durch Mehrausgaben wie Wohnungsgeldzuschuß und Bauunterhaltung und durch den Wegfall der außergewöhnlichen Einnahmen des Borjahres im Betrage von 96,2 millionen.

Die Berechnung der Reichssteuerüberweisungen beruht auf der Gestaltung des vorläufigen Finanzausgleichs. Preußen hat im Reichsrat verlangt, daß den Ländern und Gemeinden die bisherigen Ueberweisungen aus dem Jahre 1927 zugeführt werden, daß also insbesondere die Umsatzsteuer nach einem garantierten Auf­diesen Forderungen angeschlossen. Die Reichsregierung wird die tommen von 1500 Millionen verteilt wird. Alle Länder haben sich Rosten der unterstützenden Erwerbslosenfürsorge den Ländern und Gemeinden abnehmen. Der Reichstag wird entscheiden müssen, ob die Gemeinden zu der Krisenfürsorge der Ausgesteuerten ein Viertel cder ein Neuntel beizutragen haben.

Ob es möglich sein wird, in den kommenden Jahren die Steuer­last zu ermäßigen, hängt von der wirtschaftlichen Entwicklung ab. Mit einer als baldigen Sentung der Steuern fann aber nicht gerechnet werden, da die Länder und Gemeinden zum Aus­gleich der Folgen des Krieges außerordentlich hohe Ausgaben zu leisten haben. Die starte Anspannung des Etats für 1927 zeigt diese Belastung. Der Minister schloß mit der Versicherung, daß der Etat aber auch auf der anderen Seite beweise, daß die preußischen Finanzen gesund und widerstandsfähig sind.( Bravo lints und in der Mitte.) Die Besprechung des Etats wird auf Mittwoch, den 15. Dezember, mittags 12 Uhr, vertagt. Zwei deutschnationale An­träge zur Geschäftsordnung, die Unterstützung der durch die Typhus­epidemie Geschädigten der Stadt Hannover und die Abänderung der fommunalen Grenzen in Oberschlesien mit auf die Tagesordnung zu sehen, werden abgelehnt.