Nr. 591 ♦ 43. Jahrgang
7. 6dfage ües vorwärts
Donnerstag, lö. Dezember?92H
Schnei/presse. Lücher bewahren uns, was Menschen in der Vergangenheit und in der Gegenwart dachten. So sind sie uns oft gute Freunde. Das arbeitend« Volk hat in großem Maße erkannt, wie wichtig das Buch in seinem Leben ist. Und mancher, der sür wenige Wochen seine Arbeitskraft verkaujen muß, spart und darbt, um sich hier und da ein Buch anschaffen zu können. Gewiß— es gibt auch Biblis. theken. Aber hier kann man die Bände nur entleihen. Vielleicht wird auch einmal von dem einen oder dem anderen der Inhalt zum dauernden Besitz de» Leser». Vieles, das meist« vielleicht und gewiß oftmals da. Wichtigste, wird er aber mit dem Buche auch vom Inhalt zurückgeben. Daher ist die Sehnsucht nach einer wenn auch kleinen, so doch gut gewählten Bibliothek gewiß berechtigt. Die beiden gemeinnützigen Lesergemeinschasten, der„B ü ch e r k r e i s* und die.Büchergilde Gutenberg*, haben sich die Aufgabe gestellt, diesem Bücher- und Bildungshunger der arbeitenden Klaff« Rechnung zu trogen. Bücher, im Inhalt wie in der Form gleicher- maßen einwandfrei und vorblldlich, suchen— hier für die Mitglieder für wenig Geld zum Kauf— und finden dankbar«, begeisterte Ab- nehmer Ist immer wachsender Zahl. Und da» ist gewiß der beste Dank, der denen, die diese Einrichtungen ins Leben riefen und für ihr Bestehen sorgen, abgestattet werden kann. Der Weg zum Such. Sellen weiß der. der einen dieser gut ausgestatteten, inhalts- reichen Bände in der Hand hält, die Arbeil richllg einzuschähen. die dazu nötig war, um ihn mit einem neuen Buche*u erfreuen. Vielleicht sieht er einen Augenblick im Geiste den Verfasser oder den Dichter, der in Tagen und Nächten, in glückoollen, reichen und In erschüttsrnden. unfruchtbaren Wochen am Werke formlc, vielleicht gedenkt er auch flüchtig des Illustrators. Aber sehr häufig wird da» Buch al» naturgegeben« Sache betrachtet, die nicht langsam oder schneller, doch immer wurde, sondern die einfach ist. Und doch, wie grundfalsch ist das. Ein Buch entsteht sogar zwei-, dreimal; und noch öfter. Das erste.Fertig* kann der Verfasser an da» Ende ein«, Manuskript» setzen. Doch ein Manuflript Ist noch kein Buch. Der Verleger wird also gesucht. Stöße von Manuskripten lausen bei der.Büchergilde Gutenberg* und dem.Bücherkreis* ein. Lelloren sichten da» Material und machen einem Ausschuh dann ihr« Vorschläge. Wieder wird gelesen, erwogen, diskutiert, vielleicht— das Wert angenommen. Eine neue Etappe ist erreicht. In die Atmosphäre der reinen Geistigkeit tritt setzt die Technik. dos Such wird»gesetzt". In einzelne Teile zerlegt wird das Manuskript an die Setzer verteilt, die ihre Setzmaschinen fast wie riesige Schreibmaschinen de- dienen. Eine solche Setzmaschine ist von unerhörter Lebendigkeit.
Sie hat nicht nur tausend seltsam geformte, nimmermüde Glieder— sie scheint auch ein Gehirn zu haben. Aus einem Magazin, eine Art von umgestaltetem Setzkasten, fallen die Buchstaben oder Typen in einen Sammler, formen sich zu Worten und Sätzen und gleiten dann zu einer Eußform. in der sie, festgekeilt, dem flüssigen Metall ihre Schriftzüg« ausprägen. Der Setzer entnimmt seiger Moschine den fertigen Schriftsatz in Metall gegasten. Nur Kapitel- und Textüberschriften, soweit sie in besonders großen Buch. stoben gesetzt werden sollen, werden gewöhnlich im Handsatz her- gestellt. Die Seit« wird dann zusammengesetzt, mit Druckerschwärze bestrichen und ein Probeabzug davon hergestellt. Diese.Fahnen- abzöge* werden gesammelt und entweder dem Autor des Buche» �ur Korrektur zugestellt oder aber, wie es auch recht häufig geschieht, im Verlag selber auf Fehler durchgelesen. Der Buchdruck. Erst wenn man festgestellt hat, daß die Seiten fehlerfrei sind, wird von den Gutzseiten der Molernabdruck genommen, das heißt, der Metallguß wird in eine Pappmatrize geprägt, die besonders
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An der Setzmaschine.
widerstandsfähig gegen Wärme ist. Das ist sehr wichtig. Denn in diese Pappsorm wird jetzt flüssige» Blei mit einem geringen AnIImonzusatz gegossen und so die zum Druck fertige Buchseite her- gestellt. Stapelweise werden in einem großen Maschinensaal die Buchseiten gedruckt. Die Buchdruckmaschine oder Schnellpresse nimmt einen hohen Stoß weißer Bogen auf, die je nach Größe des Buches 8 bis 64 Seiten enthalten, und bedruckt die Bogen einseitig, 1600 bis 1100 in einer Stunde, zwischen 4000 und 32 000 Seiten also. Werden Illustrationen in den Text eingeschaltet, so müssen die Ma- lchinen langsamer laufen, da der Jlllistrationsdruck größere Sorgsalt erfordert. Man wird sich dann mit 100 bis 800 Bogen stündlich etwa begnügen. Wenn dann auch die andere Seite des Bogens bedruckt ist, so kommen die Bogen in die �alzmaschine, in der sie je nach Wunsch ein- bis viermal gebrochen werden. Auch kann man sie von dieser Maschine gleich heften lasten, das heißt richtig mit Fäden, denn ein Band, der einigermaßen dauerhaft sein soll, darf nicht mit Metallstisten geheftet werden. Illustrationen und Einband. Inzwischen haben Künstler die Einbanddecke entworfen und die Illustrationen gezeichnet, die aus Metallplatten photographiert und zum Zwecke des Druckes geätzt werden. Der Zeichner hat das Werk noch einmal durcherleben musten. Seine Bilder sind der Nieder- schlag des Inhaltes, der in ihnen gewissermaßen erneut geboren wird. In Tiefdruck , Offsetdruck, Kunstdruck und wie die Techniken alle heißen, werden die Originale wiedergegeben und dem Buche zu- gefügt. Bei der Auswahl der Schriftzcichen, in denen der Text gesetzt ist, hat man schon darauf geachtet, das Buch möglichst seinem Eharakter entsprechend zu formen. Auch für den Einband ist es natürlich wichtig, daß er zum Inhalt und der übrigen Ausstattung des Buches paßt. Erst zu einem solchen, durchaus stileinheitlichen Buch können wir ein wirklich persönliches Verhältnis gewinnen. Der Einband aus Papier oder Pappe wird ebenfalls maschinell hergestellt und geprägt und das Buch dann in diesen farbigen Band gebunden. Einzelexemplare oder besonders kostbare Bücher bindet man wohl auch mit der Hand, das heißt, der Einband wird vom Buchbinder erst am Buche selber zusammengefügt. * Do» Buch hat mit der Fertigstellung des Einbandes sein tech- nische» Werden durchlaufen und ist nun bereit, seinen Weg in die Well anzutreten. Aber wer aus seinem Inhalt und seinen Illustra- tionen Freude und Belehrung schöpft, der soll auch nicht vergessen, daß außer dem Berfaster und Zeichner ungezählte andere noch an dem Werke schassen mußten, ehe wir es uns auf unser Bücherbrett stellen konnten.
Literarische Abende im Gewerkschaftshans. Im. Rahmen der großen Weihnachtsbücheraus. st«llunst. die täglich von 12 Uhr ab im Berliner Bewerkschafts- haus« geöifnet ist. finden an ollen Abenden besondere literarische Abend« statt. Sie sollen den vielen Besuckzern des Gewerksäiasts- houses einen Uederblick über dies wirklich gut« Schrifttum aus den verschiedensten Gebieten vermitteln. Für diel« Beranftaltungen. die allabendlich um Uhr beginnen, wird ein Eintrittsgeld nicht erhoben. Nachmittags um 3 Uhr spielt regelmäßig ein Kasperletheater zur Belustigung der Kinder.
vir wunöer öer Klara van Haag. 39s van Johannes Vuchholh. Aus dem Dänischen übersetzt von Erwin Magnus . Frau Klara sah den«eltfernen Ausdruck in den Augen des Professor» und sagte nur:„Kommen Sie Tee trinken! Aber wir müssen das Tier ja dazu einladen.* „Ja, natürlich müssen wir das. Aber wenn sie mich «inladen, dann sage ich ab." „Reden Sie mir nicht ein, daß Hans Iuhl ein Snob ist, sagte Frau van Haag mit Ueberzeugung und trat ins Wohn- zimmer. Der Professor bedachte sich«inen Augenblick, dann folgt« er ihr. Aber die Gnädige konnte nicht leugnen, daß sie beim Anblick von Johan Fors sehr enttäuscht war. Sie hatte ihn sich Im Malerklttel, bunt wie eine Biene im Frühling, am liebsten mit einem großen Hut aus dem Kops« und einem fleckigen Farbentopf in der Hand gedacht. Jetzt stand er da, in fertig genähtem, ziemlich schlechtsitzenden Zeug von un- bestimmter Farbe, Blechuhrtette und gewöhnlichem Kragen. Auf dem Stuhl nehmen ihm lag ein schwarzer Filzhut, unheimlich steif und konfirmandenartig. Aber das schlimmste von allem war vielleicht doch, daß der romantische alte, ver- fchlissene Fuchspelzbeutel mit dem nickelbeschlagenen Geigen» tasten vertauscht war. O, pfui Johan! Jetzt war nur zu hoffen, daß er sich grob und amüsant bei seinem Tee benahm. Der Professor war«in solcher Mann, datz er alles für den tun konnte, der ihn amü- sierte. Aber nein. Johan Fors fügte sich auch der Gnädigen in diesem Punkt schlecht.... Die Hand zitterte ihm, wie sie es bei jedem verlegenen jungen Mann getan haben würde, er aß nur wenig, möglicherweife, weil er sich reichlich versorgt hatte, ehe er von Hause wegging. Der einzige Punkt, in dem er sich, wie man sagen konnte, auszeichnet«, war, daß er viel Sahn« in seine Teetasse goß— aber damit konnte er sich keinen Erfolg schaffen. Selbst den Goldhelm hatte er ge- waschen und gekämmt, daß er ganz verdorben war. „Gesegnete Mahlzelt!" Der Professor schob seinen Stuhl zurück, sah hilflos aus und ging einige Male zum Fenster und zurück, setzte sich seinen Kneifer auf und flehte das Gesicht der Gnädigen an, sagte aber, da keine Gnade darin zu lesen war. mit plötzlicher Barschheit:„Schließen Sie auf! Bitte! Ich bin bereit!" Johan schloß aus. Die Schlösser knackten zweimal flott.
Und Gott weiß, ob die Gnädige und der Professor jetzt das strahlend neue rote Tuch im Kasten sahen? Es schien nicht. Johan war beklommen und wagte nicht einmal zu denken, daß er einmal gemeint hatte, der Professor solle dl« Stücke nieder- schreiben, die er, Johan, spielte. Verflixter Blick, den der Professor hatte. Er glich dem Blick des Auges, das über dem Altar gemalt war. Sollte die Musik zu etwas werden, so mußte ver Blick einigen Abstand einnehmen. Johan drehte die Wirbel und setzte Bogen und Geige an. Rein, jetzt wußte er, was schlimmer als alles andere war. Hedwig sollte alles, jeden Ton mit anhören! Sie sollte ihn unter die Erde höhnen können, wenn es schief ging! „Spielen Sie los!* sagte der Professor. Nein, nein, es ging nicht. Hier nicht. Johan wagte nicht einmal den Bogen auf die Saiten zu legen und zu stimmen. „Wenn ich mir erlauben darf," begann er und drehte die Geige in den Händen,„dann möchte ich mir gern erlauben— den Herrn Professor zu bitten, mit in die Kirch« zu gehen und mich dort zu hören." „Was sagen Siel In der Kirche? Mir schien, Sie sagten. in der Kirche!" „Ja, es klingt besser in der Kirche, wenn also „Donnerwetter, was sagen Sie. Mann," sagte der Pro- fessor und knackte mit rasender Schnelligkeit sein Futteral auf. „Ich sage, hier klingt es ja nicht richtig— ob wir nicht in die Kirche gehen wollen. Hier ist der Schlüssel, und da sind wir ja mehr unter uns." „Sind Sie Organist?" „Nein!" „Glöckner vielleicht?" Die Gnädige wehrte schnell ab, indem sie sagte:„Ich erzählte Ihnen ja gestern, Professor, daß Johan Fors die Kirche malt." „Vom Stadtrat gewählt," sagte Johan bescheiden. „Dann möchten Sie vielleicht vor dem Altar stehen und spielen, während wir in den Stühlen sitzen?" „Nein, ich pflege aus der Kanzel zu stehen," sagte Johan und drehte die Geige noch einmal. Der Professor blinzelte eine Weile von Johan zu Frau Klara und wieder zurück. Verflogene Erinnerungen stürmten auf ihn«in. Wahrlich, er verstand, daß Frau Klara das mit- machen konnte. Sie hatte stet» gewußt. Sensationen um sich zu schaffen. Er erinnerte sich merkwürdiger Dinge aus dem Hause des Konsuls, ihrem Heim in Helsingör . Herrlicher
Dinge. Amüsanter Dinge. Er selbst war übrigens die glück- liche Hauptperson in einigen von ihnen gewesen Aber— Aber nein! Jetzt war er Professor Hans Jvhl, bekannt hier und in einigen anderen Landern. Keine Sensalion— keine Reklame sollte seinen Namen schwärzen. Wer sicherte ihn gegen Entdeckung bei diesem sonderbaren Kirchenkonzert? „Nein" sagte er und stampfte mit seinen kleinen Füßen auf den Teppich.„Ich lasse Ihnen zwei Minuten, wollen Sie spielen, so spielen Sie. und ich werde Sie hören. Wenn nicht. dann—- für mich macht es keinen Unterschied." „Selbstverständlich spielen Sie." sagte die Gnädige hyp- notisierend. „Aber dann müssen Sie wenigsten» ins andere Zimmer gehen. Ich kann doch nicht--" Der Professor machte ein paar Schritte vorwärts, als wollte er schlagen, aber Frau van Haag drehte ihn um, nahm 'einen Arm unter den ihren und ging ine Kabinett. Dort hielt ie ihn die halbe Stunde gefangen, die Johan zu seinen Kunst- tücken brauchte. Vderkwürdige Töne strömten zu ihnen herein. Das. was die Gnädige an jenem Abend vor der Kirche erlauscht hatte, war nichts gegen das, was er jetzt hervorzauberte. Eine einfache kleine Melodie lieh sich hören: sie kam wieder, sie war so leicht erkennbar. Einer lichten Frau glich sie. Da geschieht etwas mit ihr. Was? Die Frau löst ihr Haar, sie sitzt an einem rauschenden Elv, ihr Bild zeigt sich zitternd bewegt lm Strom. Singend geht sie zwischen weißen Birken den Elo entlang, und jetzt— jetzt streckt der Wasser- mann seine mächtigen Arme aus und zieht sie an sich. Ein Höllenlärm schäumender Wellen, fallender Felsen, krachender Stämme. Ein Erdruffch von Tönen—! Johan fiedelte auf allen Saften auf einmal. Der Pro- fessor setzte sich den Kneifer zurecht und studierte ein Bild, das Hyazinthen im Grase vorstellte. Stille. Aus dem rauschenden Strom gleitet die kleine Melodie. Gleitet die lichte Frau heraus. Tot und herrlich gleitet sie am grünen Elvufer unter weißen Birken entlang. Johan schloß ersterbend mit Tönen, so fein wie Mondlicht. Der Professor nahm das Bild herunter und trat ans Fenster, um die Signatur zu finden. Bunte Töne. „Wie heißt das?" ruft die Gnädige. „Aus Budapest !" antwortete der Musikmaler, ohne ein- zuhalten. .Konnte es mir denken!" nickte die Gnädige. (Fortsetzung folgt.)