Einzelbild herunterladen
 

Nr. 595 4A.Fahrgang SonnabenÜ, 18. Dezember 1926

In 13 Räumen hat eine der drei Neuköllner Versiichsschulen, die 3 2. Gemeindeschule. R ü t l i st r a h e, eine Fülle von zeichnerischen und malerischen Kinderarbeiten öfsentlich ausgestellt, und wer die Lebensgemeinschaftsschule, eine Gründung von Wilhelm P au Isen, noch nicht kennt, hat Gelegenheit, annähernd 1000 Bilder von den Dreijährigen bis zu den Vierzehn- jährigen hinauf zu studieren. Ein gedruckter Führer leitet den Besucher an und öffnet ihm den Blick für Sinn und Bau der gesamten Ausstellung. die Zeiten der SrunSsthvle.

Kunstwerke von Kinöechanü.

fam der Schlüssel für ', r

In den beiden ersten Räumen wird r»e Ausstellung ausgehändigt, und es ist ratsam und lohnend, sich recht genau dort umzusehen. Es kommt auf die Entwicklungsstufen hinaus, die die Schule aus den drei Wänden des ersten Raumes zu veranschaulichen versucht hat. Die Stufe der kleinen unter zehn Jahren mit ihrer Märchen- und Geschichtenwelt: Die innere Vor- stcllungswelt in ihrem eingeborenen Glück von Unmittelbarkeit der Ideen, Frohsinn der Einfall?, Gestaltungsleichtigkeit und Anspruchs­losigkeit beherrscht die Kinder der Grundschule: die Gegenwart der Außenwelt empfinden sie kaum; sie sieben abseits von der Wirklichkeit, ganz ihrem Impuls, ganz ihren Inneren Bildern hin- oegeben. Die Schule glaubt, durch diese Sammlung der subjektiven Kleintindermalerei ein Beispiel gegeben zu haben, das den Gesamt

charakter des geistigen Lebens der Kleinen in der Gnindschule mm zubauen Veranlassung geben könnte. Fünf Räume des ersten Stock- sind dieser Stufe gewidmet. Es geht wie eine große ernste Mahnung

über all diese hundert und hundert Bilder, das Innenleben der Kleinen zu hegen und es vor der Außenwelt förmlich ängstlich zu behüten. Eine erste Bildgruppe im zweiten Raum zeigt die Ab- wege des Achtjährigen, der von seinem Fabulieren abgewichen ist und, verführt von dem Gehabe des Erwachsenen, den Boden seines inneren Reichtums verläßt, um..Stilleben nach der Natur"' zu malen. Es ist, als ob ein Stern aus seiner Bahn geschleudert wurde als ob eine glühende Kohle in das kalte Wasser des Natu- ralismus hineinfällt, um auszulöschen. Das ganze Problem der Unterstufe geht einem aus, wenn man fühlt, wie durch die Brutalität des.Modells" das freudige Schaffen plötzlich bedroht wird wie das unerhört starke Selbstbewußtsein her Sechs- bis Neunjährigen willkürlich durch psychologisch ganz verdrehte gewaltsame Hinweise auf die Natur gebrochen werden kann, lieber dieser liebreizenden Sammlung der Bilder der Grundschule klingt das Goethe-Wort wie ein ganz ernstes Motto an alle Elementarlehrer:.Man reist doch nicht, um anzukommen." Es gibt kein Ziel. Der Weg selbst ist unser Ziel. Am Berge herumzuklettern war die Ausgabe: den Gipfel zu vermeiden war die Absicht. Der Blick vom Gipfel des Märchen- berges ist die erste große Enttäuschung in der geistigen Entwicklmig der Kinder. Einmal muß ste ja kommen, so sicher wie das Wachs- tum aus der Kindheit zum Alterszuftond des reisen Menschen hinab- führ«. Dann bricht naturnotwendig»«ist mit der beginnenden Pubertät die schwere Krisis der ersten Jugendzeit herein. Die Ausstellung folgt dieser Frage aus dos ernsthafteste und mahnt sehr eindringlich alle Unterweisenden Eltern wie Lehrer, die Kräfte der Auflösung und Umbildung jenes Märchenwesens deutlich zu er- kennen, damit der Zusammenbruch des Kinderparadieses nicht un- nützerweise beschleunigt und die Zerstörung der Elemente nicht mehr mutwillig und ahnungslos betrieben werde! Di« Zeichenausstellung hätte einen großen Zweck schon erfüllt, wenn sie die Physiognomie dieses ersten großen Zeitalters der Kinderseele bis zum 10. und 11. Lebensjahre richtig herausgearbeitet hätte. Aweite Stufe, öos Naturfkuöium die im ersten Raum an der den Fenstern gegenüberliegenden Wand mit einer Reihe von Beobachtungsstudien veranschaulicht ist. macht eine neue, ganz anders geartete Individualität erkennbar. Das Kind wird kritisch gegen seinePinseleien": es will über seineKindereien" hinaus.' Das Verhältnis zur Natur dreht sich um. War das kleine Kind bisher der Tyrann über die Natur, so erscheint seht die Natur als der Despot, der das Kind versklaven möchte. Die Kinderverlieren" sich an das Modell. Der Gegen- stand wird gemessen, visiert, auf natürliche Farbe beobachtet usw.

Die Gefahr des Naturalismus kommt herauf, wenn der Gegenstand isoliert gezeichnet wird. Die bisherige Zeichenschulebringt die Ver- sührung zur photographischen Genauigkeit. Die große Krise zwischen der subjektioistischen Malerei der Kleinen und der objektivistischen der Elf-, Zwölfjährigen verdient das ist der Ausstellung weitere Mahnung die sorgfältigste pädagogische Pflege. Es kommt jener denkwürdige Zustand herauf, wo das Kind mehr als je in seinem Leben in die heftige Spannung zwischen dem Minderwertigkeitsgesühl (der Natur gegenüber) und dem Geltungsbedürfnis(der Gemeinschaft der Mitmenschen gegenüber) hinein gerät. Die drillen Bildergruppen im zweiten Raum zeigen die in der Schule erkannten vielfachen Abwege, Gefahren, Entgleisungen, Ver­führungen und Abweichungen, die in diesem Stadium auftreten können: die koloristische Uebertreibnng der Farbe, die dramatischen Verzerrungen der Häuser, die Pose in der Physiognomie, die Eni- lehnung aus den Malereien der Großen und der Ersatz des unmittel- bar sinnlichen Bildinhalts durch einen mittelbar literarischen. Nach diesen vielfachen Schwankungen zwischen dem Subjekt der eigenen Persönlichkeit und dem Objekt des Modells erklimmt die Jugend die dritte Stufe öer Entwicklung. Cs Ist die Zeit des dreizehn- bis vierzehnjährigen Kinde», wo es den Zwiespalt zwischen Innen und Außen in den ersten An- sängen gleichsam überwindet. Im ersten Raum sind zehn, zwölf Bilder aufgehängt(unter III), die dieses letzte Stadium der geistigen Entwicklung anschaulich machen. Da» Kind der Oberklassen beginnt, sich die Welt mit ihren Objekten geistig zu unterwerfen. Mehr und mehr ist das malerische Erlebnis der Ausgangspunkt der Arbeit,

und im Erlebnis bewegt sich das Kind nun erwachsen in der Diagonalebcne" zwischen Subjekt und Objekt. In vier Räumen des drillen Stocks ist ein Bildmaterial zur Kenntnis der Oeffenllichkell gebracht, das imstande wäre, die Richtungskämpfe aus dem Leben der Künstler neu zu entfachen. Ueber die naturalistisch« Präzision hinaus sieht man Hunderte von Versuchen, das im Erlebnis Ge- schaute nach außen im Bild« darzustellen. Es ist der bekannte Vor­gang in seiner ganzen Breite in das Schulleben hineingetragen, der sich unaufhörlich auch in der Kunstgeschichte aller Völker wiederhol hat, jener Borgang, für den Goethe die Formel von derSubjckti- vierung im Objekt" fand. * Die Entwicklung des Dreifachen, die die Ausstellung zu zeigen versucht, ist eine naturgesetzliche und offenbart ganz allgemein nicht bloß für die Maler die Naturform des menschlichen Geisteslebens überhaupt. Darum kann die Ausstellung weder eine Parodeaus- stellung, noch eine Fachausstellung sein: sie zeigt vielmehr mit der einen Seit« der Entwicklung des Kindes im Zeichnen und Malen zugleich den ganzen Menschen. Ob die Empfindungen nach der künstlerischen oder wisienschastlichen Seite gehen, nach der politischen oder religiösen, immer steht vor dem Menschen die schwei- gende Natur mit ihrer mächtigen Gegenwart des Lebens, und die Ausstellung vennag wohl den Eindruck zu vermitteln, wie hoch die geistigen Taten der Jugend gesteigert werden können, wenn die Natur als schöpferisches Temperament in ihr Leben richtig ein- geschaltet wird. Adolf Jensen .

Zeichnungen eines 12 jährigen Schülers.

Hafeneinfahrt."Dampferanlegestelle." Anmerkung der Redaktion: Die Zeichnungen entstammen nicht dem Su»stell»ng«bestande der obenerwähnten L2. Ge« meindeschule. Sie sind uns von einem Lehrer einer anderen Berliner Schule zur Verfügung geslelll worden, illustrieren aber trestlich alle? in dem Artikel gesagte.

Die Wunöer öer Klara van Haag. 41Z van Johannes vuchholh. Aus dem Dänischen übersetzt von Erwin Magnus . .Kasper Egholm!" sagte der Professor und blieb plötzlich stehen.Ist es möglich! Gott , es tut förmlich im Kopf weh. an so ferne Zeiten zu denken. Er war ja der Fescheste von uns allen, und der, den Sie vorzogen. Wir sahen auf ihn herab, weil er nur Krämerlehrling war. Aber wir konnten sehen, daß er ein Teufelskerl war, und wir haßten ihn. weil Sie es auch sehen konnten. Wie ging es eigentlich zu? Eines schönen Tages war er verschwunden. Ist es ihm gut ge- gangen?" Ja, wie geht es uns denn hier auf der Welt," sagte die Gnädige. Ich meine, ist er schöner geworden als Sie! Runder als ich, oder" Wir können zu ihm hineingehen." Nein, ach. warten S!« ein wenig. Sagen Sie, was i st Kasper Egholm jetzt. Das Haus kommt mir doch etwas ver- wildert vor. Kaufmann ist er nicht mehr. Wie? Ich sehe etwas wie ein Schild an der Tür. Was ist er?" Frau Klaras Stirn runzelte sich. Sie hatte sich so auf eine erfrischende Begegnung zwischen den beiden gefreut. Aber Hans Iuhls kleine Worte verdarben ihre Pläne. Dieses Prosefforenhirn würde im Vogelfluge eine Linie von dem fernen zu dem gegenwärtigen Egholm ziehen und zu dem Ergebnis kommen, daß es ihm sehr elend hier in der Welt ergangen war. Was er ist? Photograph ist er. Im übrigen aber noch derselbe Teufelskerl wie damals. Ich möchte ihn gegen keinen tauschen! Das Haus gehört ihm und hören Sie er ist im Begriff, es zu verkaufen und reich zu werden. Möglicher- weife kauft er sich dann ein Rittergut. Aber kommen Sie! Wir wollen umkehren wir müssen auch heim und sehen, was Hedwig zum Frühstück hat. Sagte ich Ihnen, daß Hedwig Egholms Tochter ist?" Der Professor fühlte sich erleichtert, daß sie umkehrten, doch sagte ihm ein Instinkt, daß er es der Gnädigen nicht recht gemacht hatte. Jetzt versuchte er e» wieder gut zu machen. indem er Hedwig lobte. Wirklich jetzt verstehe ich, woher ste ihre Haltung und

ihren Blick hat. Nach dieser Mitteilung werde ich sie mit noch größerem Interesse ansehen." Ja," sagte Frau van Haag schlau,und jetzt steht es so, daß dieser Iohan Fors der Schatz von Hedwig Egholm ist!" Tut mir leid" Kein Wort vor dem Frühstück, hören Sie!" Herr van Haag und der Professor trafen sich nur bei den Mahlzeiten. All dies Gerede über Musik langweilte den Zoll- Verwalter bis zur Unerträglichkeit. Bei anderen konnte es glänzend gehen mit Londoner Nebel und ähnlichen Erleb- nisten, vor dem Professor aber klang seine Stimme so seltsam leer und hohl. Nur eines tat er. um sich zu behaupten: er wechselte dreimal täglich das Zeug, erschien sogar zuweilen in seiner neuen Uniform. Aber was half das? Niemand beugte sich vor seiner Feinheit. Der Professor zog nur das knackende Futteral hervor, wenn gespielt werden sollt«. Unendlich überflüssig fühlte er sich, wenn die zwei anderen lebhaft zu reden begannen und in Lachen über Dinge und Menschen ausbrachen, die ihm völlig unbekannt waren. Dann schützte er Arbeit im Bureau vor. erhob sich und gab hekab- lassend die Hand, woraus er in Wangs ' Hotel ging, ein Glas Tee mit Rum trank und ein interessantes Gespräch mit der Wirtschafterin führte, die Frau Wang hieß und die Schwicger- tochter des alten Wang war. Sie hotte früher ein Pensionat gehabt und war von der Aktiengesellschaft zur Ausnutzung der Touristen engagiert worden. Tüchtig war sie, soweit es Esten und Trinken betraf, außerdem war es. wie gesagt, interessant, mit ihr zu reden. Sie erzählte Herrn van Haag von der Un- tüchtigkeit und Untugend der Mädchen, von der Gasrechnung, die sie um drei Kronen heruntergebracht hatte, von einem Herrn, der sich über die Anchovis beklagt hatti, und dem Kaufmann, der die Dose doch nicht gegen eine neu« eintauschen wollte. Von ihrem Mann, der sich in der Trunkenheit beim Fischfang ertränkt hatte, und der jetzt vielleicht nicht wahr- scheinlich nicht bei Jesus war. Mit leicht verständlichem Uebergang erwähnte sie hier daß sie den Herrn Zollverwalter letzten Sonntag in der Kirche gesehen. Sie sprachen dann einiges über Religion und Bekehrung und andere merkwürdige Dinge. Herr van�Haag berichtete z. B. von einer sonderbaren Wanderung, die er einmal im Londoner Nebel unternommen hatte. Die Hände vorgestreckt so war er gegangen. Und andere Hände waren ihm begegnet so. Hier stieß er sanft gegen Frau Wangs Hände, sie faßt« sie mit einem schnellen, kleinen Ruck, ehe sie sie wieder losließ,

lachte viel und patschte sie fort. Das tat sie nicht, um den Zollverwalter zu kränken, und er faßte es auch durchaus nicht als Kränkung auf. Frau Wang war nicht gerade jung, aber ihre Absätze waren sehr hoch. Das verlieh ihr Haltung, einen Knick nach vorn, den der Zolloerwalter bemerkte, und der ihm gefiel. Stirnhaare hatte Frau Wang auch. Daheim im Zollamt fand Frau van Haag unterdesten den Augenblick gelegen, um den Profestor zu bitten, sich über Iohan Fors auszusprechen. Ja," sagte Hans Juhl bedenklich, ergriff sein Litörglas und ließ einen letzten Tropfen auf seine Zunge laufen.Aber sagen Sie mir zuerst eines: Bin ich ein Humbugmacher oder bin ich?" Nicht die Spur, lieber Freund!" Schön, ich wollte mir ein Attest sichern, ehe es zu spät ist. Hören Sie nun werden Sie böse nennen Sie mich undankbar oder was Sie wollen: Iohan Fors kommt durch eine Empfehlung von mir nicht weiter." Beurteilen Sie ihn so strenge nach dem kleinen Diebstahl von Schumanns Abendlied? Alles andere war doch originell." Alles war gestohlen!" Nein, hören Sie, lieber Hans Juhl. Wollen Sie mir einen Komponisten und Kompositionen nennen." Gut, daß ich mein Attest habe. Die Komponisten kann ich nämlich nicht nennen, und doch ist alles gestohlen. Hören Sie nun: Der Bursche hat ein gutes Gehör. Ein absolut glänzendes Gehör er saugt Musik von allen Seiten ein. Wenn er heimkommt, nimmt er die Geige und gibt wieder. was er in den Ohren hat, aber falsch! So kommen seine Kompositionen heraus." Mir wird es so schwer, zu glauben, was Sie sagen." Mir auch. Die ersten zehn Minuten war'ch wirklich der Ansicht, einem Künstler gegenüber zu stehen. Künstlerblut ist, weiß Gott , auch in ihm. Aber" Der Professor schnitt eini Grimasse,seineKompositionen" sind nichts wert, im Gegen» teil, sie würden ihm bei fleißigem Unterricht nicht gutzumachen» den Schaden zufügen, einem Unterricht, für den er. alles in allem, zu alt ist. Abgelehnt also! Ich ärgere mich übrigens, daß er nichts von Ihnen, liebe Frau Klara, gestohlen und umgearbeitet hat. Dann würden Sie mich leichter verstanden haben." Frau Klara hob den Kopf, als wollte sie etwas sagen, gab es wieder auf, trommelte leise mit der linken Hand, seufzte und verstand. (Fortsetzung folgt.)