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Hr. 5�7 45. Jahrgang

1. Heilage öes vorwärts

Sonntag, dezember 1426

In der Theatergarderobe.

0 du fröhliche..., Es ist wieder einmal so weit. Kein Klavier, auf dem nicht fest Wochen vorschußweise Weihnachis- stimmung ge- und verübt wird, kein Schaufenster mehr, das nicht finnig mit Tonnenzweigen und Eislametta über die Preise tröstet. In den Straßen wachsen die wurzellosen Weihnachtswälder auf den Granitplatten, hier und da ist noch ein Zipfelchen vom alten Der- liner Weihnachtsmarkt übriggeblieben, und von den Säulen locken die Plakate für allerhand Weihnachtsvorftellungen: Es wird alle» geboten, Revue, Kine, Märchenvorstellung es ist Hochkonjunktur für Weihnachtsstimmung. An den Schaufenstern drücken sich die Kinder die Rasen platt, und die Wunschzettel rr-achsen im Angesicht all der lockenden Dinge zu phantastischer Größe an. Freilich nur bei den ganz kleinen oder bei den wenigen glücklichen Kindern, die nichts von der Begrenztheit des väterlichen Geldbeutel» ahnen. Die anderen und ihrer sind die Mehrzahl diskutieren als jugendliche Realpolitiker höchst sachverständig über Preise und Möglichkeiten, zu den ausgestellten Schätzen zu kommen. In den Kindermärchen unserer Jugend waren der Weihnachtsengel und das arme, aber so brave Kind unumgänglich notwendige, stimmungsördernde Requi. stten, und alle Schiefheiten der Wellordnung wurden ausgerechnet zu Weihnachren immer mit Hilfe einer direkten göttlichen Inter- nention einigermaßen zurechtgerückt. Lange, ach lange noch haben wir, wenn schon nicht mehr an den Weihnachtsmann, so doch an die Macht des Weihnachtsfeftes geglaubt. Wie mögen diese Kinder um ihren Weihnachtstraum gekommen sein? Weihnachtsengelein. .Et siebt nischt Rihrendert wie'n Kind. Wenn irfn Kind in't Kino sehe, muß ick immer weenen!" Also sprach Senta Söneland in ihrer Kintepp-Parodie. Und diese Einstellung des verehrten Publikums ist den Herren Theaterdirektoren auch recht gut bekannt. Darum bemühen sie sich, gerade in der Wechnachtszeit nicht nur Stücke für Kinder herauszubringen, sondern auch möglichst da» Kind selbst aus die Bretter zu stellen, da» Kind in Hauptrollen oder als Komparserie. Der Beschäftigung schulpflichtiger Kinder in den

Abendvorstellungen ist ja sreilich ein Riegel vorgeschoben, sie wird von der Polizei nur ausnahmsweise erlaubt, und es ist recht gut, daß die Polizei nicht verschwenderisch mit derartigen Ausnahme- erlaubnissen umgeht. Manche Theaterleiter haben da nämlich ein. recht weites Gewissen. Je kleiner das Kind ist, um so besser wirkt es auf das Gemüt der Zuschauer, und so ist es säst die Regel, daß! die erlaubte Altersgrenze erheblich unterschritten wird. So wurde L einem Theaterleiter, dem die engagierte Liliputanertruppe erst einige Tag« nach der Premiere eintreffen konnte, erlaubt, bei den ersten' drei Aufführungen einige siebenjährige Kinder auftreten zu lassen. Bei der Premiere mußte man sich überzeugen, daß das jüngste der engagierten Kinder drei Jahre alt war! Run schritt die Polizei ein. besonders, da der Herr versuchte, die Kinder wegen des Bei- falls, den sie bei dem Publikum fanden, statt der Liliputaner weiter auftreten zu lassen. Die Aürforgestelle des Polizei Präsidium» hatte ober nun noch einen Kampf mit den Eltern der Kinder zu bestehen, die denleichten" Verdienst der Kinder nicht missen wollten be­sonders die Mutter bat und bettelte, und wollte nicht begreifen, was denn Schlimmes daran sei, wenn ihr Kind um IV Uhr abends .eben mal über die Bühne laufe". Gewiß, die Familie hatte viel- leichr aus dem Gelde, das das Kleinchen soleicht" verdienen konnte, schon einen gan.zen Weihnachtsplan aufgebaut, und wie über eine Sache oder ein Haustier über das Leben des Dreijährigen verfügt! Denn es geht ins Bodenlos«, was Eltern dabei fertigbringen. Da ist von der Polizei vor einiger Zeit demVerein zum Schutze der Kinder" ein�ilmkind" übergeben worden. Das vierjährige Kind filmte oerbotenerweiie seit Iahren, und die Eltern hatten au» ihm eine sehr ergiebige Einnahmequelle gemacht. Dafür hotte das Kind mit seinen vier Iahren auch das Gewicht und die körperliche Entwick. lung eines zweijährigen! Eine andere Filmfirma, der es erlaubt worden war, ein fünfjähriges Kind für einige Szenen zu beschäf. tigen, präsentierte auf dem Film einen Säugling von drei Mona- ten! Daher ist die Polizei nun auch sehr streng geworden, und weder der Herr Direktor, der für feine Revue 33 Kinder beschäftigen wollt«, noch feine anderen Kollegen, die auf billige Weise ihre Kom- parseri« auffüllen»nd statt hinreichend vorhandener arbeitsloser Schauspieler die billigen Arbeitskräfte der Kinder ausnutzen wollen. bekommen dazu die Genehmigung. Denn billig sind die Kinder schon! Eine Mark und fünfzig für die Vorstellung gelten als gute Bezahlung, aber off wird erheblich weniger gezahlt. Und trotzdem ist nur zuvielAngebot" von Kindern da. Jetzt, wenn für die Nachmittagsvorstellungen der Weihnachtsstücke die polizeilichen Vor- schritten gelockert sind, melden sich weit mehr Kinder, als wirklich gebraucht werden Dabei ist es charakteristisch, daß es sich hier meist nicht um Schauspielerkinder oder Kinder von wirklicher Bühnen. begabung handelt, sondern um Proletarierkinder au» dem Umkreis des Theaters, um die Kinder der Keller und Hinterhöfe. Sie bringen keine Spur von Begeisterung, und Theaterblut mit, und das, was unseren Kindertagen Höhepunkt war, das Theaterspielen mit der Küchenschürze als Räubermantel und der Gardine als Brautschleier es ist ihnen Geschäft und Arbeit. Lehrreich ist das Bild eines demnächst herauskommenden Films, in dem eine große Anzahl von Kindern beschäftigt werden durften. 30 Kinder stehen aus dem Bild: die Hauptdarstellerin mit verzweifelt vorgestreckte» Händen in großer Pose und um sie herum die Schar der Kinder mit stumpfen, unbewegten Gesichtern und steifem Körper. Gewiß, auch die Eltern dieser Kinder werden das Geld, dos die Kleinen verdienen, vielleicht recht gut gebrauchen können, und diese Filmfirma hält sich für die Unterbringung der Kinder

in aufnahmefreien Zeiten wirklich an die bestehenden Vorschriften. Aber die Schädigungen durch das grelle Licht der Lampen, die Schä- digungen durch diese Arbeit an sich sind nicht zu vermeiden eben­so wie bei der Beschäffigung der Kinder im Theater die Kinder, denen janebenher" noch Schule und Schularbeit läuft, stets über- lastet werden. Und ist es da wirklich richtig, wenn immer wieder Ausnahmen von den Kinderschutzgefetzen gestattet werden, noch dazu zu Gelegenheiten, die mitKunst" sehr wenig zu tun haben? Es geht auch anders: fast jede Kinderrolle kann auch von irgendeiner jugendlichen Schauspielerin gespielt werden, und gar dieKinder- komparserie" ist nichts anderes, als ein Mittel, Schauspielergagcn zu sparen. Und wenn de» Eltern derWeiynachtskinder" auch wirksich ein recht gut gebrauchter Nebenverdienst entgehen sollte durch eine strengere Handhabung des Kinderschutzgesetzes dafür haben um so mehr erwerbslose Schauspieler Brot, die ihr Leben auf diesen Broterwerb eingestellt haben. Oer.Veihnachtslaufjunge". Lehrstellen sind rar. Aber Lausstellen gibt es verhältnismäßig viel. Denn derLaufbursche" als die bÜligere Arbeitskraft muß. wo es irgend geht, den Hausdiener ersetzen. Wo es nicht gerade erforderlich ist, schwere Lasten, zu bewegen, werden am liebsten eben schulentlassene Jungen eingestellt, denn die sind ja die billigsten. fünfzehn Mark in der Woche gilt als sehr hoher verdienst, ober es ist keine Seltenheit, daß dem Schulentlassenen ganze acht Mark Wochenlohn geboten werden! Zur Weihnachtszeit aber tritt als Ersatz-Ersatz derWeihnachtslaufjunge" an. Wer das ist? Na, das ist der kleine Bengel, der beim Kaufmann oder bei sonst einem kleinen Geschäftsinhaber dazu da ist, koulante Bedienung und flottes Weihnachtsgeschäft zu symbolisieren. Laufjungen dllrsen ja schon von zwölf Iahren an beschäffigt werden, freilich soll die Dauer ihrer Beschäftigung drei Stunden täglich nicht überschreiten. Wer fragt aber in der Weihnachtszeit danach! Und so trabt so ein kleiner Bcngcl, oft mit 2v Pfund und darüber im Rucksack oder im Liefer- tnch, vom Schulschluß bis zum Ladenschluß durch die Straßen,»m den Käufern die Weihnachtseinkäufe ins Haus zu bringen. Als Entgelt bekommt er höchstens fünf Mark für die Woche undTrink- geld". Aber die Stellen, an denen man wirklich auch an den kleinen Boten denkt, der die Weihnachtsfreude ins Haus bringt, sind

Die wunöer öer Klara van Haag. 42s Von Johannes Buchholtz . Aus dem Dänischen übersetzt von Erwin Magnus . Zwei Tage später reiste der Professor fast ebenso plötzlich ab. wie er gekommen war, und es wurde leer und still im Zollamt nach ihm. Hedwig und er waren dicke Freunde ge- worden. Er kommandierte sie zuweilen von den Töpfen an den Flügel, half ihr väterlich zurecht, fauchte sie an und lobte sie schließlich über alle Maßen. Er schenkte ihr Noten, und als er abgereist war, steckte ein Zehnkronenschein an ihrer Hutnadel. Der konnte ja nur von ihm sein. Die Gnädige rief Hedwig herein und sagte:Hedwig du lahst und hörtest, daß Iohan Fors neulich hier war. Ich habe nun einen wichtigen Bescheid für ihn, willst du ihn ihm bringen?"' Nein," sagte Hedwig. Ja, sag' nun nicht so schnell nein. Denn der Bescheid wird sehr niederschlagend auf ihn wirken, so daß er ein bißchen Trost gebrauchen kann." . Ich kan ihm leider keine Botschaft bringen." Ist etwas geschehen?" Ich mag ihn nicht mehr!" Frau van Haag sah d:m aufrechten, blonden Mädchen lange forschend ins Antlitz. Dann sagte sie mit frischer Stimme, die wohl geignet war, jugendlichen Schwermut fortzuwehen:Ja, aber ich. Und er soll keinen Brief bekommen, der ihm doch keme Antwort auf all die wichfigen Fragen gibt, die in ihm entstehen. Danim will ich selbst zu ihm in die Kirche gehen, oder wo er sonst zu finden ist." Hedwig seufzte und sagte:Nun ja!", worauf sie wieder an ihre Arbelt ging. Die Gnädige traf in der Kirche nur einen Malerlehrling, der meinte, daß Iohan Fors daheim in der Werkstätt wäre: so ging sie denn dorthin, und ganz richtig, da stand Iohan und staffierte einen Iagdwagen aus, aber nehmen ihm lag der Malermeister auf den Knien und strich eine Kommode an. Beide nahmen den Hut ab, und Iohan kam ihr lächelnd ent- gegen. Der Meister legte sich zwar wieder zu seiner Arbeit nieder. aber sein« Ohren neigten sich bedenklich zu Iohan und der SaflbigeQ._..._______ i

Wenn ich mir einen Mantel anziehen und mitkommen dürfte?" sagte Iohan mit seinem guten Lächeln und behende lief er durch eine kleine, vollkommen übermalte Holztür in sein Zimmer. Drinnen standen ein Schrank und ein notdürftiges Bett. Die Gnädige dacht«, wie jemand nur in dem Farbengeruch schlafen könnte. An die Wand waren nur ein paar Bilder ohn Rahmen gehängt, was sie vorstellten, konnte man bei der schlechten Beleuchtung nicht sehen. Als Iohan aber die Schranktür öffnete, sah Frau van Haag, daß auf der Innen- feite ein Pappstück mit einem Mädtenkopf in schwarzer Kreide befestigt war. Sie trat einige Schritte näher und sagte etwas wie:Binden Sie doch keinen Kragen um!" Gleichzeitig sah sie, daß es Hedwigs Kopf war. aufs genaueste getroffen, mit Lichtern in Augen und Haar. Sogar mit Hedwigs Haltung. Born am Kleide steckte das kleine Schmuckstück, das Frau van Haag ihr am ersten Tage geschenkt hatte. Iohan schloß die Schranktür zu und ging in die Werkstatt. Er knöpfte noch an seinem Mantel und begleitete die Gnädige, ohne den Meister eines Wortes zu würdigen. Sie gingen hinaus, an einigen Gärtchen vorbei, und hatten auf der anderen Seite ausgedehnte Stoppelfelder. Es ist nichts besonders Gutes, was ich Ihnen zu erzählen habe," sagte die Gnädige. Nein, ich konnte es mir denken. Der Professor fand meine Stücke nicht hübsch." Ja, hübsch schon, aber---" Es lag Frau von Haag nicht, weich zu werden, ober sie hatte soeben dies Bild von Hedwig, ein unbedingtes Kunstwerk gesehen, und dabei war ihr ein neuer Plan durch den Kopf geschossen. Dieser Mann sollte nicht verworfen werden, aber wie? Er hatte ja em Anrecht darauf, die Wahrheit zu erfahren.Aber der Professor meinte, Ihre Stücke seien nicht originell." sagte sie in freundlichem, ruhigem Tone. Meint er vielleicht, etwas davon sei gestohlen," sagte Iohan. Ja, wenn Sie es selbst sagen, so---" Ein Zittern fuhr durch Iohans Körper. Gestohlen!" sagte er und scbnappte nach Luft. Ge- stöhlen! Meine Stücke, die ich selbst gemacht habe! Nicht ein Ton ist gestohlen!" Sehen Sie, Iohan Fors, mir gefällt Ihre Musik aus- gezeichnet. Sonst hätte ich ja nicht Hans Iuhl Hergerufe«.

Aber sehen Sie Schumanns Abendlied ist doch wohl nicht von Ihnen? Nicht wahr?" Iohan ließ den Mund offen stehen. Ja, das war das letzte, was Sie Hans Iuhl vorspielten. Sie nannten es nur Anemonen im Walde." Iohan wurde blaß. Dann habe ich mich geirrt. Wie kann ich mich auch an alles in der Welt erinnern. Ich habe selbst über hundert Stücke gemacht, aber ich habe über zehntausend gehört. Kann mich meine Erinnerung da nicht täuschen? Ich bin in allen Ländern im Süden gereist, und jeden Abend wenn ich arbeitete wenn ich Geld hatte also, bin ich im Konzert gewesen, weil Musik meine schönste Freude ist. Ich bin acht- zehn Wochen in Wien gewesen. Gestohlen! Ich stehle nicht." Die Sätze hatten sich überstürzt. Plötzlich ging ihm die Luft aus. Er hielt sich beide Hände vors Gesicht, wandte sich ab und stützte die Stirn gegen einen Baum. Einige Aehren- sammler auf dem Felde eine Frau und zwei Mädchen richteten sich auf und blickten erstaunt auf die beiden. Nun will ich Ihnen noch etwas sagen," sagte Frau Klara voll Mitleid.Der Professor sagt« nicht nur das eine. Er sagte, es wäre Künstlerblut in Ihnen. Unbedingt, sagte er. Er meinte auch nichts Entehrendes mit dem Wortgestohlen". Aber er meinte, Ihre Tüchtigkeit könnte sicher besser in einer anderen Kunstart Ausdruck finden, z. B. in der Kunstmalerei." Iohan wandte der Gnädigen ein verzerrtes Gesicht zu und sagte:Versteht der Professor etwas anderes als Musik?" Aber freilich! Und ich verstehe auch beides. Ich habe ein Bild mit Hyazinthen gemalt, das sogar an meiner eigenen Wand hängt. Ich glaube, sie können ein tüchtiger Maler werden, und der Professor und ich wollen Ihnen helfen, soviel wir können. Aber jetzt kommen Sie mit. Sehen Sie, die Leute gucken uns nach!" Es glückte der Gnädigen, Iohan froh und zuversichtlich zu machen. Er zog seine Brieftasche heraus und lieferte ihr die Zeichnungen ab, die er darin hatte. Andere größere und bessere wollte er ihr am nächsten Tage bringen. Als sie sich an der Zollamtstreppe trennten, schimmerten seine starken. schönen Zähne in einem großen Lächeln. Sein Gruß war, wie Frauen ihn sich wünschen. Als Frau Klara ihm durch das Fenster über der Treppe nachsehen wollte, stand cr noch mit dem Hut in der Hand da. Der Wind hob seinen blonden Haarbusch und schwang ihn hierhin und dorthin. (Fortfetzung folgt.)