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Abendausgabe

Nr. 60043. Jahrgang Ausgabe B Nr. 297

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Vorwärts

Berliner   Volksblaff

10 Pfennig

Dienstag

21. Dezember 1926

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Zentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands  

Revidiert England feine Chinapolitik?

Neue Worte, aber der alte Geist.

London  , 21. Dezember.  ( WTB.) Daily News" glaubt, das| Revision der britischen   Politik notwendig gemacht. Der volle Wort­Memorandum, das letzten Sonnabend vom britischen   Geschäftsträger laut des Memorandums werde in dieser oder in der nächsten Woche in Pefing dem dortigen diplomatischen Korps mitgeteilt wurde, veröffentlicht werden. fönne sich als ein epoche machendes Dokument erweisen. Großbritanniens   neue Haltung gegenüber China   werde jetzt zum erstenmal eingehend und offen dargelegt. Das Dokument werde, wenn es veröffentlicht wird, die Behauptung widerlegen, daß die Politik Großbritanniens   in China   von fommerziellem 3m. perialismus diftiert werde. Es erkenne das Borhandensein und die Bedeutung der nationalen Idee in China   an, bedeute aber in feiner Hinsicht eine Rapitulation vor den Forderungen Kantons.

Es wird festgestellt, daß nach britischer Ansicht die Zeit für eine Revision der bestehenden Verträge mit China   gekommen ist und daß Großbritannien   bereit sei, sich mit dieser Frage zu befaffen, soweit die bestehenden Verhältnisse dies gestatten. Borläufig wird jedoch keine Konferenz vorgeschlagen. Das Memorandum fährt fort, es sei notwendig, dem chinesischen Nationalgefühl zu 3u geständnisse zu machen und das chinesische Bolt vor allem von dem Gefühl zu befreien, daß es ungerechtfertigter auswärtiger Ron: trolle unterworfen werde. Es wird daher im Prinzip Ueber einstimmung mit dem Bericht der Exterritorialkommission aus. gebrückt, insbesondere, da man der Ansicht sei, daß China   viel getan habe, um sein Gerichtsverfahren zu verbessern. Das Memorandum schlägt die vorbehaltlose Gewährung der sogenannten Washingtoner Busazsteuern vor.

Das britische   Memorandum ist bisher der Stantonregierung nicht mitgeteilt worden. Es sei nicht als Ultimatum für die anderen

Mächte gedacht.

,, Daily News" schreibt, Großbritannien   habe als erste der Mächte einen Schritt zur Berföhnung mit dem neuen China  getan. Das Hochlommen des chinesischen Nationalismus habe eine

Der Gaskrieg- human!

Pershing und Borah für das Verbot, aber die Opposition aus Humanitätsgründen dagegen.

Washington  , 21. Dezember.  ( EP.) In dem auswärtigen Aus schuß des Senats wurde während der Debatte über die Natis fizierung des Genfer   Gastriegsabkommens ein Schreiben des Generals Pershing verlesen, in dem sich dieser für die Unter­zeichnung des Abkommens ausspricht. Borah tritt wie Pershing für die Ratifizierung des Abkommens ein. Die Opposition, die von dem Borsigenden der Militärkommission Watch house geführt wird, bezeichnete das Gas als eine humane Rriegswaffe.

Daß es nach den Erfahrungen des Weltkrieges noch mächtige Einflüsse gibt, die sich für den Gaskrieg aussprechen, follte man nicht für möglich halten. Und doch ist es, wenig­stens in den Bereinigten Staaten, so. Der parlamentarische Kampf, ob Amerika   den Vertrag über das Verbot des Gas­frieges ratifizieren soll, tobt dort schon seit Monaten. Sein Ausgang ist keineswegs entschieden. Der Antrag der Regie­rung, zu ratifizieren, liegt dem Auswärtigen Ausschuß bereits zum zweitenmal vor. Der Senat hatte ihn nämlich nicht an­genommen, sondern an den Ausschuß zurückverwiesen, ohne ihn zu ratifizieren. Das ist die dort übliche Art, in höflicher Form die Ratifikation eines Vertrages abzulehnen. Es haben sich sehr bald nach Abschluß der Genfer  Konferenz des Böllerbundes über das Verbot des Gastrieges die ökonomischen Kräfte gesammelt, die ein geschäftliches Interesse daran haben, daß der Staat Millionen über Millionen für den chemischen Krieg alljährlich in fein Budget einsetzt. Es wurde ein Reichsverband für chemische Landes­verteidigung" gegründet. Seine Propaganda erhielt einen mächtigen Rückhalt dadurch, daß die American Legion  ", der einflußreiche Verband der Frontsoldaten, das Berbot der Giftgase im Krieg ablehnte. Immerhin scheinen die fort­schrittlichen Kräfte nicht loder zu lassen, um einen Rati fitationsbeschluß im Auswärtigen Ausschuß und im Senat durchzusetzen. Aber es fieht so aus, als ob die Regierung nicht mehr den Mut hat, sich mit Energie für das Giftgas verbot einzusetzen, nachdem ihr Versuch, die Vereinigten Staaten dem Weltgerichtshof des Bölkerbundes beitreten zu lassen, in der wachsenden Opposition zu scheitern droht.

Als Deutschland   den Bertrag über das Giftgasverbot unterzeichnete, erschien das als eine Selbstverständlichkeit, faum wert, sie zu erwähnen. Soll Europa   wirklich das Trauer­spiel erleben, daß Amerika  , dessen Massen mit Kreuzzugs­gebanten gegen den Militarismus zur Teilnahme am Welt­frieg begeistert wurden, nun den Giftgas militaris mus eines neuen Weltkrieges international billigt?

Sozialisten gegen Pilsudski  .

Parteitagsbeschluß der PPS.

Warschau, 21. Dezember.  ( Eigener Drahtbericht.) Der außer ordentliche Parteitag der polnischen Sozialdemokratie, der am Sonntag und Montag tagte, bewilligte den Beschluß des Zentral­egetutiofomitees über die oppofitionelle Haltung gegen die Regierung. In der Entschließung heißt es jedoch gleichzeitig, daß dieje Oppo.

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Der Artikel des englischen liberalen Blattes über das Memorandum, das der neue englische Gesandte in China   den Gesandten in Pefing überreicht hat, ist geschickt aufgemacht. Er dient, ebenso wie ein halbes Dußend anderer Mitteilungen englischer Nachrichtenagenturen heute morgen, dazu, mit den schönklingenden Säßen von einer fünftigen Gleichstellung Chinas   Propaganda zu machen. Ueber die Betonung der Bereitwilligkeit zu einer grundsätzlich neuen Einstellung hin­aus findet sich an wirklichen unmittelbaren Zugeständnissen darin so gut wie nichts.

Ranton, es ist auch nicht der Regierung in Peking  , soweit Das englische Memorandum ist nicht der Regierung in diese noch vorhanden ist, überreicht worden. Der englische  Gesandte hat es seinen Kollegen, den Vertretern der anderen Mächte in Peking  , übergeben. Statt mit China   zu ver­handeln, verhandelt England mit anderen Mächten über China  . Englands angeblich neue Politik besteht also darin, mit neuen Worten die alten Methoden anzuwenden. Diese eine Tatsache zeigt beffer als viele Worte, wie es mit bem neuen Geist englischer Politik gegenüber China   bestellt ist.

Bürgerkriegstragödie.

Condon, 21. Dezember.  ( Ep.) In Kalgan  , der chinesischen Teehandelsstadt südlich von Peking  , wurden 300 chinesische Kulis, die von den Nordtruppen gefangen genommen worden waren, in offenen Güterwagen nach Norden transportiert. Als die Wagen am Bestimmungort angekommen waren, stellte es sich heraus, daß die Gefangenen sämtlich erfroren waren. Die Behörden fandten die 300 Ceichen in denselben Wagen wieder nach Kalgan   zurüd.

fition nicht den Sturz der gegenwärtigen Regierung Pilsudski  bezwedt, sondern lediglich deren Retonftruttion anstrebt. Jeder monarchistische Einfluß soll ausgeschaltet und gleichzeitig eine Aenderung der Politik gegenüber den Minderheitspölfern herbeigeführt werden. Die Entschließung wurde einstimmig an­genommen.

Polnisch  - russischer Gefangenenaustausch. Riga  , 21. Dezember.( TU.) Zwischen der polnischen und der Sowjetregierung wurde, wie aus Moskau   gemeldet wird, ein Aus. tausch von Gefangenen vorgenommen. Die Sowjetregierung hat acht in Rußland   verhaftete Briefter gegen 3 wei in Bolen verhaftete Kommunisten ausgetauscht.

Frankenfälscher Windischgrät wird krank. Er muß operiert werden aber man erfährt nicht

warum.

Budapest  , 21. Dezember.  ( WTB.) Auf Grund eines ärztlichen Gutachtens des Justizärzterates wurde Prinz Windischgräß gestern nachmittag aus dem Gefängnislazarett in das Bartfanatorium übergeführt, wo er einer Operation unterzogen wird. In einer Unterredung erklärte Profeffor Berebelo, die Krankheit des Prinzen Windischgräß mache unbedingt eine Operation notwendig, er werde den Prinzen heute einer Untersuchung unterziehen und dann entscheiden, wann die Operation vorgenommen werden soll.

Wandlungen.

Das Verhältnis der sozialistischen   und der christlichen Arbeiterbewegung.

Bon August Erdmann.

,, Der entscheidende äußere und innere 3wang zur Wandlung der fapitalistischen Wirtschafts= gesinnung wird entweder vom Sozialismus aus­gehen, oder diese Wandlung wird ausbleiben. Das Heil­mittel für geistige Massenverirrungen liegt erfahrungsgemäß in den Gegenwirkungen, die sie bei anderen Gliedern der Boltswirtschaft auslösen. Der moderne Soziciismus ist die stärtste Gegenwirkung, die der Geist des Rapitalismus hervorbrachte."

Wo steht das? In einem fozialdemokratischen Blatte? Nein, sondern in der Schrift ,, apitalismus und So Dr. Auguft Pieper, Prälat und oberster Leiter des Volks ialis mus als seelisches Problem" cont vereins für das katholische Deutschland  .

Pieper hat am margistischen Sozialismus und besonders an der Sozialdemokratie manches auszusetzen. Er sieht im wissenschaftlichen( dies Wort bei ihm im Zusammenhange mit Sozialismus immer in Anführungszeichen gefeßt!) SD­zialismus eine Lehre voller Irrungen; er verwirft den Klassenhaß( das Wort Klassenbewußtsein fennt er nicht!) ebenso wie den Klaffenkampf. Aber er hat noch viel mehr am Rapitalismus auszusehen während er die angeblichen Fehler und Mängel am Sozialismus in gewiffem Sinne mehr als tragische, dermals wirkliche Schuld auffaßt.

So beim Klassenhaß", der ihm erscheint als der natürliche Gegenstoß des tödlich verlegten Lebens­gemeinschaftswillens der von der alten Volksgemeinschaft ent­erbten Arbeiter gegen den Geist des Rapitalis mus", wie nach ihm überhaupt im Sozialismus hinter allem Hasse eine verlegte große Liebe lebt und webt"

Oder beim Klassenkampf, wo er furz und bündig erklärt: ,, Der Klassentampf von oben zwang dem Proletariat den brutalen Klaffenkampf auf." Wenn er dabei weiter erklärt, daß die große Anzahl der Sozialisten einen Klaffenegoismus treibe so fchroff, wie er früher von den Befißenden nicht vertreten worden sei, fo müssen wir als Sozialdemokraten mit einem Leider! be­fennen, daß er darin irrt.

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so

Dder bei dem überaus törichten Vorwurf der Partei­borniertheit und Parteiunwahrhaftigkeit", aus der heraus die Sozialdemokraten nach 1918 fich als unfähig zum Wiederauf­bau erwiesen und ihre Vormacht" so selbstsüchtig ausgenutzt haben soll, daß der neue Staat hilflos verarmte und nach außen wie nach innen ohnmächtig wurde worauf er dann bemerkt, das sei die unabwälzbare tragische Mitschuld der Sozialdemokratie, der herrschende Geist des Ka­pitalismus trägt die größere Schuld."

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Aber bei allem, was er am Sozialismus, insbesondere am angeblich falten, nationalistisch marristischen Sozialismus auszusehen hat, erkennt Pieper doch an, daß der Sozialismus, mit dem man es im Leben zu tun habe, mehr als ein ab= Strattes Berstandeserzeugnis ſei:

,, Er ist Lebenswille. Aus diesen Lebensgefühlen schöpfen die heutigen Sozialisten den Mut und die Kraft, so lange nach neuen Programmen, Mitteln und Wegen des Klaffenkampfes zur Ber­wirklichung des Sozialismus zu fuchen, wenn die alten sich als un­zureichend erwiesen haben, als sie überzeugt sind, daß die Gegner des Sozialismus aus Klaffenintereffen deffen Lebenswillen zur Herbeiführung einer höheren Boltsgemein­ich aft ablehnen."

Immer wieder betont Pieper, daß der Sozialismus der Träger eines überaus starten Lebens- und Gemeinschafts­willens sei, und diesen Willen möchte er, der sich ,, nicht zu Strafantrag im Prozeß Rouzier. den Sozialisten, aber auch nicht zu den Parteigängern des beantragte der französische   Staatsanwalt nach furzem Plädoyer lebens gewillten Nicht fozialisten und die Anhänger des Landau  , 21. Dezember.( TU.) Im Germersheimer Prozeß Geistes bes Kapitalismus" zählt, nugbar machen in der Weise, ,, daß die zu einer ernsten Reform des Boltszusammen heute gegen den Unterleutnant Rouzier ein Jahr Gefäng- Lebens gewillten nicht fozialisten und die Anhänger des nis, bei den deutschen   Angeklagten stellte er das Strafmaß frei, laffentämpferischen Sozialismus, beide aus dem ersuchte jedoch, die Angeklagten, die sich in das unbeseßte Gebiet geflüchtet haben, schwerer zu bestrafen,

Rouzier habe sich im Falle Müller einen absichtlichen Totschlag, bei Matthes und Hodmann eine gefährliche Rörperverlegung zuschulden tommen lassen. Jedoch fönne man wegen Herausforderung mildernde Umstände annehmen. Der deutsche Verteidiger der deutschen   Angeklagten forderte für sie Freisprechung, da die Verhandlung ihre Un­schuld ergeben habe.

Erdbeben in Südamerika  .

Ein Bulkan in Tätigkeit. Guayaquil  ( Ecuador  ), 21. Dezember.  ( WEB.) Nach Mel­dungen von der Grenze von Columbia ist die Stadt Corlo jama in Columbia durch ein Erdbeben zerstört worden. Man glaubt, daß der Bulkan Cumbal fich in Tätigkeit befindet. 3n Tulfan( Ecuador  ), 95 Meilen nordöstlich von Quito  , wurde mehrere ftarte Erdff öße wahrgenommen.

Der Staatspräfident hat sich an die Unglüdsstätte begeben. Es find Lebensmittel, Kleidungsstüde, Arzneien und Zelte dorthin ge­fchafft worden. Ein gestern abend von 3piales( Columbia) abge­fandtes Telegramm meldet, daß in der Gegend des Bulfans Cumbal teine Opfer an Menschenleben zu beklagen find.

zwingenden Bewußtsein, daß sie als Glieder des einen deutschen  Bolles zueinander gehören, über die Bejahung des Sinnes des neuen fozialistischen Lebenswillens eine Eini­gung suchen, welche dann beide gemeinsam in einer höheren organischen Lebensgemeinschaft des Vertrauens und des Wohlwollens zu verwirklichen gewillt sind."

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Ein Anhänger des klassenkämpferischen Sozialismus würde das, was hier angebahnt werden foll, ganz gewiß mit etwas anderen Worten ausdrücken. Aber feiner von uns wird die gewaltige Wandlung verkennen, die sich in diesen Aeußerungen aus dem Lager des katholischen Bolksvereins gegenüber den dort geltenden Auffassungen in den ersten Jahrzehnten seines Wirkens fundgibt. Der Volksverein wurde 1890 gegründet zur Bekämpfung der schweren Irrtümer und bedenklichen Umsturzpläne" der Zeit, die ,, vor allem die Sozialdemokratie nicht nur verbreiten, sondern auch praktisch ins Leben einführen will". In diesem Geiste wurden von M.- Gladbach die Angehörigen der katholischen Arbeiterver­eine und die christlichen Gewerkschaften unterrichtet. Der Sozialismus, die Sozialdemokratie war für alles, was fich christlich nannte, der Feind. In dieser Stimmung haben fich fatholische und sozialistische Arbeiter jahrzehntelang gegen­übergestanden. Dieser Kampf hat gemiß der Arbeiterbewe­gung im allgemeinen geschabet, aber das, was von M.- Glad­bach beabsichtigt war: der Sozialdemokratie den Weg zu