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Abendausgabe

Nr. 606+ 43. Jahrgang

Ausgabe B Nr. 300

10 Pfennig

24. Dezember 1926

= Vorwärts=

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find in der Morgenausgabe angegeben

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Zentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands

Landau vor dem Pariser Kabinett.

Guillaumat für die Begnadigung.

Cindenstraße 3

Vormärz im Nachnovember.

Hochverratsprozesse und Literaturknebelung. Wiederholt ist im Vorwärts" auf den Widersinn der Hochverratsprozesse gewiesen worden, die

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werden, die im Herbst. 1923 gegen die Hitler- Banden sich zu bewaffnen fuchten. Die Braris des Staatsgerichtshofs und des entsprechenden Reichsgerichtsfenats bedarf aber auch sonst noch der Beleuchtung.

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Paris , 24. Dezember. ( Eigener Drahtbericht.) Der Kabinetts- fchlag des Generals Guillaumat auf Begnadigung der Berur immer noch nach Jahren gegen Arbeiter durchgeführt rat, der heute vormittag zusammentritt, wird sich wahrscheinlich nicht teilten den Ministern unterbreitet werden wird. mit seiner beabsichtigten Tagesordnung, sondern mit der eventuellen Begnadigung der in Landau Berurteilten befassen. Der deutsche Botschafter, Herr von Hoesch, hatte gestern abend eine einstündige Unterredung mit dem Kriegsminister Painlevé , der den Besuch des deutschen Botschafters gegen 7 Uhr empfing. Der" Matin" be­hauptet zu wissen, daß Painlevé im Laufe des Vormittags den Ge­neral Guillaumat empfangen hatte, der im Laufe des Nachmittags dann bereits eine weitere Besprechung mit Briand in Gegenwart von Bainlevé gehabt hat. Der General Guillaumat soll, dem Blatt zu folge, Briand und Painlevé vorgeschlagen haben, die Berurteilten zu begnadigen, da durch die Angelegenheit von Germersheim , wie das Blatt erklärt, vor den Augen der Welt der gute Ruf der Be­faßungstruppen nicht kompromittiert werden dürfe". Es sei also mpahrscheinlich, daß im Laufe des heutigen Kabinettsrates ein Bor.

Blutiger Terror in Georgien .

Massenhinrichtungen.

Genf , 24. Dezember. ( Eigener Drahtbericht.) Der Genfer Ver­treter der vertriebenen nationalen Regierung der Republit Georgien, Genoffe Chawicchmily, richtet an die schweizerische sozialdemo. Fratische Partei und an die Sozialistische Internationale einen Aufruf, in welchem die schredliche Unterbrüdung lurch die bol. fchemistische Fremdherrschaft in Georgien dargestelltt mird. Die Verhaftungen und Berbannungen nach dem fernsten Rordrußland und Sibirien dauern danach ununterbrochen an; in legter Zeit mehren sich auch die summarischen Hinrichtun gen von politischen Gegnern wieder. Die offiziell bekanntgegebenen Hinrichtungen der lezten beiden Jahre erreichten die Zahl von 500. Diese Zahl ist troß ihrer Höhe noch sehr unvollständig. Der Appell schließt wie folgt:

Wir fordern die Einstellung der Hinrichtung von politischen Gefangenen. Wir fordern von den Sowjets die Einstellung der Berbannungen von georgischen politischen Gefangenen außerhalb des Landes in einer Art und Weise, wie die Sowjetregierung die eigenen politischen Gefangenen zu behandeln aufgehört hat. Wir verlangen, daß die politischen Gefangenen in den Genuß der ele. mentarsten Menschenrechte gesetzt werden und die Bevöl terung diejenige materielle Unterstützung erhält, deren sie bedarf.

Die bolichemistischen Zeitungen berichten öfter über die Kämpfe, welche die tommunistischen Parteien in bürgerlich regierten euro päischen Ländern für verhaftete Kommunisten führen. Aber wir haben in diesen Berichten nie feststellen können, daß die in Frage fommenden bürgerlichen Regierungen ihren verhafteten politischen Gegnern diejenigen Mindestrechte verweigern, die mir für unsere ein gesperrten Genossen von einer Regierung verlangen müssen, welche fich eine fozialistische nennt."

Kanton fordert Anerkennung.

Der Matin" fügt zu seinem Bericht die Hoffnung, daß die Be­gnadigungen der verurteilten Deutschen noch vor den Weihnachts tagen erfolgen. Es ist in der Tat dringend zu münschen, daß der Kabinettsbeschluß ohne Zögern erfolgt. Dabet ist, wie im Falle des Generals von Nathusius Ende November 1924, zu beachten, daß eine Begnadigung erft möglich ist, wenn das Urteil bereits rechtskräftig ist. Ebenso wie damals muß erst die Revision gegen das Urteil zurückgezogen werden, ehe die Begnadigung er­folgen fann. Diese juristische Schwierigkeit braucht aber nicht zu hindern, daß das Kabinett bereits heute den Kriegsminister Bainlevé beauftragt, die Begnadigung sofort zu, vollziehen, sobald das Revi­sionsverfahren eingestellt ist.

dinal Erzbischof Schulte in Köln freue fich des chrift lichen Geistes im Stahlhelm und seiner tirchlichen Betätigung. Nachdem diese Behauptung auch in anderen Stahlhelmversamm­

lungen wiederholt wurde, hat nunmehr das Erzbischöfliche General vifariat in Köln auf eine Anfrage aus Zentrumskreisen zu dieser Etahlhelmbehauptung, folgende Antwort erteilt:

Bir teilen Ihnen mit, daß S. Eminenz uns beauftragt haben, die S. Eminenz zugeschobene Sympathie für den Stahl helm zu dementieren. S. Eminenz fügen die Erklärung bei: Niemals habe ich mich über Stahlhelms christlichen Geist und firchliche Betätigung gefreut und folche Freude geäußert. Schon deshalb nicht, weil ich niemals Gelegenheit hatte, über Geist und Stellung des Stahlhelms aus eigener Erfahrung oder auf Grund zuverlässiger Berichte mir ein Urteil nach der behaupteten Rich­tung zu machen."

Es blieb dem Stahlhelm vorbehalten, einen Erzbischof in unwahrhafter Weise zum Mitgliederfang zu mißbrauchen. Er hat damit seinen wahren Geist enthüllt.

Papst und Faschismus.

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Mussolini steht unter Gottes Schuh aber warum schützt er nicht die Katholiken?

Aus Anlaß der Beförderung des Erzbischofs von Warschau , Lauri, zum Kardinal hielt der Papst vor dem geheimen Kon­fiftorium eine bedeutsame politische Rede, in der er zunächst scharf gegen die Verfolgung der Ratholifen in merito Stellung nahm, sowie die französisch en Katholiken, die der aktiven royalistischen Bewegung angehören, ermahnte, stets die Religion der Politik vor­anzustellen. Dann verbreitete er sich ausführlich über den Faschismus, sprach seine Freude über die Errettung Mussolinis, die durch das fast mit den Augen erkennbare Eingreifen der göttlichen Borsehung" bewirkt worden sei. Er hob dabei hervor, daß er zu den ersten gehört habe, die ihre Glüd­wünsche und Danksagungen geäußert hätten. Um so schärfer wandte

Es will nicht nur mit den Konsuln, sondern mit den er sich aber dann gegen die im Anschluß an das letzte Attentat Gesandten der Mächte verfehren.

Condon, 24. Dezember. ( WIB.) Manchester Guardian" berichtet aus Pefing. Kanfon versuche die Mächte zur An­erfennung 3u wingen. So verlaufe, Tichen habe den Konfuln in Hankau mitgeteilt, daß er in Zukunft als Minister des Aeußeren anzureden fei, und daß amtliche Mitteilungen an ihn vom Gesandten in Pefing oder aber in deffen Namen unter­zeichnet werden müßten.

Der Stefanoff- Prozeß wieder vertagt.

Vor dem Bukarester Kriegsgericht. Am Donnerstag tam aus Bukarest die Nachricht, daß dort der Prozeß gegen Boris Stefanoff begonnen habe. Heute wird gemeldet, daß das Kriegsgericht die Berhandlung von neuem ver­tagt habe.

Der Mitangeklagte Itatschento fonnte vor Gericht nicht mehr erscheinen. Nach den landesüblichen unsäglichen Martern durch die fgl. rumänische Verbrecherbande der Siguranza( Sicherheitspolizei) hatte man ihn schwer gefesselt nach Rischinem übergeführt, zur Ber­meidung von Demonstrationen bei der Ankunft" ihn aber eine Station vorher aussteigen lassen, damit er der nach den Folte­rungen faum gehen konnte die restlichen 15 Kilometer zu Fuß zurüdlege. Dabei wurde er auf der Flucht" erschossen.

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Stahlhelm und Erzbischof.

verübten Gewalttaten:

Er gab seinem Bedauern Ausbrud, daß man, während er, die Bischöfe, die Briefter und die Gläubigen sich in Danksagungen vereinigt hätten, Gewalttätigteiten und Verwüstun gen gegen Berfonen, Sachen, Einrichtungen, Häuser begangen hat, ohne Halt zu machen vor den heiligen Gebäuden, ohne Halt zu machen vor der ehrwürdigen Autorität der Bischöfe und dem heiligen Amte des Briefters. Die besten fatholischen Gläu­bigen hat man verfolgt, führte er aus, gerade sie, deren Glaube und Religion die tätigsten und begeistertſten Berteidiger Don Ruhe und sozialer Ordnung sind, denn ihre Organisation und ihr Wert dient dem allgemeinen religiösen, fulturellen, wirtschaft. lichen und sozialen Nußen. Ich versichere meinen treuesten Söhnen, daß ich ihre Leiden tenne, daß ich mit ihnen gelitten habe. Run ist der Sturm vorbet, aber der Schaden, die Trümmer bleiben. Blühende Werte sind zer. stört oder ernstlich beschädigt worden. Wir wissen, daß strenge Befehle ergangen find, um jeder Gewalttätigkeit zuvorzutommen, fie zu unterdrüden und sie zu bestrafen. Wir erfreuen uns dieser weisen Maßnahmen der Regierung; indessen sind damit die religiösen Intereffen noch nicht vollständig gesichert, und gerade die religiösen Intereffen sind in Wahrheit die höchsten Interessen eines Boltes. Es scheint, als ob noch eine buntle Gefahr für die Organisationen und Werte der Katholiten be steht, eine Gefahr auch für die chriftliche Erziehung der Jugend. Es scheint ferner, als ob eine Auffassung vom Staat zum Ausdrud fommt, die nicht eine fatholische Auf. faffung ist. Troß der erlassenen Befehle hat es den Anschein, als ob auch jetzt noch Feinde der Gesellschaft und der Religion vorhanden find. Wir geben der Hoffnung Ausdruck, daß man hin fort feinen Grund haben wird, ähnliche Feststellungen zu machen, daß jeder Grund für Mißtrauen beseitigt ist und daß eine voll. ständige und einträchtige Zusammenarbeit zum Wohl und Glück der Allgemeinheit sich entwidele.

Der chriftliche" Geist des Bundes offenbart sich. Aus Köln wird uns geschrieben: Der Stahlhelm, der im Rheinlande troß aller mit reichlichen Geldmitteln unterstützten Propaganda nicht recht gedeihen will, griff in den letzten Monaten zu den gewagtesten Mitteln, um in Zentrums freifen Anhänger zu finden. So berichteten jüngst niederrheinische Blätter, daß ein Stahlhelmkreisführer, Baron v. Loe, in einer Bersammlung des Stahlhelms im Kreise Cleve erklärt habe, Kar. I gesehen wird.

Diese deutliche Mahnung würde an Wert gewinnen, wenn sie nicht von den Faschisten so ausgelegt werden fönnte, als verdamme der Bapst lediglich die an gläubigen Katholiten verübten Gewalttaten. Eine generelle Verurteilung der Gewalt würde mehr im Sinne der Lehre desjenigen liegen, als dessen Stellvertreter auf Erden der Papst von der katholischen Welt an­

In der Dentschrift des Preußischen Innenministeriums über den Bund Wiring" und den Sportverein Olympia " ist die sehr umfangreiche Begründung für die Aufhebung des Ber­bots durch den Staatsgerichtshof zum Schuße der Republik " enthalten. An dem Beschluß haben mitgewirkt der Senats­präsident Niedner, der Reichsgerichtsrat Arnold und der Landgerichtsdirektor a. D. Reppchen. Diese drei Herren find in ihren Entschlüssen vollkommen einstimmig gewesen und werden deshalb durchaus einverstanden sein, daß ihre Namen der Mitwelt erhalten bleiben. Denn ihre Beschluß­begründung stellt im Gegensatz zu der Behandlung fom­munistischer Arbeiter eine einzige Berteidigungs­fchrift für die Butschverbände dar. Alle be­lastenden Schriftstücke, die man bei den Haussuchungen fand, werden liebevoll so lange gedreht und gewendet. bis die wahren Absichten der Butschbündler in reine ,, Berteidigungs­maßnahmen" umgebogen sind. Einige Säße für viele:

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Es ist aber auch für die Feststellung, was denn mit den bei Oberst a. D. von Luck beschlagnahmten Grundsäzen" beabsichtigt gewesen ist, teineswegs unbeachtlich, daß dort gesagt ist das etwaige Hinausziehen der Verbände aus Berlin müsse it Uebereinstimmung mit der Reichswehr erfoig( t diese Darlegung läßt... die Angabe der Beschwerde führer nicht unglaubhaft erscheinen... Es wäre ja auc auffällig, daß..."

Der Umstand, daß an Bedingungen für diese Abwehr gedacht ist, kann den Biting nicht belasten; denn selbst menn diese Bedingungen zu mißbilligen wären, ergäben fie nichts von Anwendung von Gewalt gegen die Republik ."

Die eingehenden militärischen Sportübungen der Olympia " können nach dem Staatsgerichtshof, wanglos unter den Begriff des Sportes" gerückt werden, die Annahme der Berwaltungsbehörde, daß die Borberei. tungen der beiden Berbände nur für innerpolitische 3wede bestimmt sein tönnten, tann nicht als zutref= fend erachtet werden".

In dieser Weise geht es endlos weiter mit der Wider­legung des Verdachtes, daß auch nur ernstlich an Vor­bereitung des Hochverrats oder ähnliches gedacht sein könnte. 3war ist der, Biting" die unmittelbare Fortsetzung der Putschbrigade Ehrhardt, von deren Tätigkeit doch auch einiges zu Ohren der Richter vom Reichsgericht ge­kommen sein sollte. Aber selbst, daß die Polizei bei Mit­gliedern Militärmunition beschlagnahmt hat, gibt dem Staatsgerichtshof nur zu der Bemerkung Anlaß:

Es tommt darauf nicht an, meil ganz vereinzelte in einer Gruppe vorkommende Fälle, die von der Bundeslei= tung nicht verhindert werden können, nicht zum Verbot der Bereinigung führen fönnen."

An anderer Stelle jetzt der Niedner- Senat auseinander, was Kampf" ist:"

Jedenfalls fann 3iffer VII des Arbeitsprogramms( Ehrhardts) wonach man sich mit der Republik und der vorhandenen Staats­form und Berfassung insofern abgefunden hat, als zurzeit ein Rampf gegen fie... finnlos fei, und nur Kräftezersplitterung bedeute, nicht ohne weiteres als Propagierung der Gewalt gedeu­tet werden... Das wäre mur möglich, wenn man unter Kampf regelmäßig die Anwendung der Faust versteht." Diese milde Auslegung gilt für Ehrhardt, der den Kapp- Putsch machte, dessen Banden Erzberger und Rathenau tillten" und ihn selbst aus der Haft des Staatsgerichtshofs befreiten! Sie gilt für Ehrhardt, ben der Staatsgerichts­hof vergeblich wegen Meineids und Anstiftung zum Meineid verfolgte. Sie gilt für alle, die mit Hafenfreuz am Stahl­helm herumlaufen und, troß der Sowjetgranaten, für ihre dunklen Pläne die Furcht vor einem Kommunisten­putsch vortäuschen! Sie alle finden beim Staats­gerichtshof liebevolles Berständnis.

Ganz anders aber liegen die Dinge, wenn es sich um Arbeiter und um Kommunisten handelte. Außer der Denkschrift des Innenministeriums liegt uns eine andere Dentschrift vor. Sie ist von der Bereinigung links­gerichteter Berleger" herausgegeben und stellt das Walten ber Justiz gegen revolutionäre Literatur oder was fich dafür hält, fehr eingehend und leider sehr beschämend für die Republit dar. Diese Dentschrift führt eine große Reihe von Berboten und von Strafverfolgungen gegen literarischen Revolutionarismus auf, fo daß man sich bei ihrer Lektüre in die fin sterften Retten des Bormärz zurückversett glaubt. Buchhändler und Dichter werden gleichermaßen verfolgt und verurteilt, wenn der Staatsgerichtshof in den literarischen Erzeugnissen Vor­bereitung des Hochverrats" oder des Bürgerkrieges vermutet. Er ist dabei durchaus nicht so weitherzig wie gegen Ehrhardt und seinesgleichen. Er stellt vielmehr als gerichtsnotorisch hin, daß die Kommunistische Partei den Bürgerkrieg wolle und deshalb schlußfolgert er, daß auch jede ihrer Schrif. ten notwendig den Bürgerkrieg vorbereiten müsse!