Abendausgabe
Nr. 611 43. Jahrgang Ausgabe B Nr. 302
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10 Pfennig
Dienstag
28. Dezember 1926
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Es hat diesmal etwas lange gebauert, bis die Nachrichten| Notstand erst fünstlich schaffen wollte, um dann den über die geheimen Pläne der Deutschnationalen in die Deffent. lichkeit durchsicherten; jetzt sind sie vom„ Demokratischen Beitungsdienst" in einer Form wiedergegeben worden, die im wesentlichen den Tatsachen entspricht. Der 18. Dezember war in der Tat ein fritischer Tag, ein Tag, an dem auf den Reichspräsidenten der stärkste Druck ausgeübt wurde, um eine Lösung der Regierungsfrise im Sinne der Rechten herbeizuführen.
Die Rechte will im Reich regieren, sie hat aber feine Mehr heit, solange das Zentrum sich ihr versagt. Was liegt mun der Rechten ihrer ganzen Geistesverfassung nach näher, als die Anwendung des alten Rezeptes: Und bist du nicht willig, fo brauch ich Gewalt"? Gewalt fann aber unter den gegebenen Umständen nur vom Reichspräsidenten ausgeübt werden. Er fann eine Regierung ernennen, ohne den Reichstag durch seine Parteiführer zuvor zu fragen, ob sie ihm gefällt er fann freilich den Reichstag nicht hindern, diese Regierung schon am Tage nach ihrer Ernennung wieder zu stürzen.
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Auf der Rechten rechnete man schon offenbar damit, daß das Zentrum sich der Autorität des Reichspräsidenten beugen und jede von ihm ernannte Regierung zunächst wenigstens tolerieren würde. Sollte aber das nicht der Fall sein, dann spekuliert man auf einen Konflikt, der mit zunehmender Verschärfung schließlich auch die bestehenden staatsrechtlichen Formen sprengen fönnte.
Das Gerede von einer Anwendung des Art. 48 der Ber: faffung liegt ganz in dieser Richtung. Jezt von Art. 48 sprechen, heißt zu einer Verlegung der Verfassung ermuntern. Der Art. 48 ist dazu da, um im Fall eines Notstandes angewendet zu werden. Es hieße ihn bewußt mißbrauchen, wenn man durch Heraufbeschwörung eines Konflitts den
Jubeils letzte Fahrt. Einäscherung am nächsten Montag.
Die Leiche des gestern verstorbenen Genoffen Friz 3ubeil mird am Montag, den 3. Januar, nachmittags 4 Uhr, im Krematorium in der Gerichtstraße eingeäschert werden. Ihre Ueberführung dorthin erfolgt vom Krankenhaus Am Urban am Donnerstag, den 30. De zember, nachmittags 5 Uhr. Für den feierlichen Kondukt wie für eine Trauerversammlung, die später in einem großen Saal Berlins abgehalten werden wird, ist eine zahlreiche Beteiligung der Ge nossinnen und Genoffen zu erwarten.
Der Staatssekretär der Reichskanzlei, Dr. Buender, hat der Reichstagsfraktion der Sozialdemokratischen Partei zum Hinscheiden des Abg. Zubeil im Namen des abwesenden Herrn Reichskanzlers telegraphisch die aufrichtigste Teilnahme ausgesprochen.
Vergleich zwischen dem Reich und Junkers.
Zustimmung des Reichskabinetts.
Die Abmachungen zwischen den maßgebenden behördlichen Stellen und den Junkers- Werten über das Ende der Reichsbeteiligung an den Dessauer Flugzeugwerfen find jetzt vom Reichs. fabinett gebilligt worden. Die Ausführung der darin vor. gesehenen Maßnahmen macht die Einberufung einer General. versammlung der Junkers- Werte notwendig, die Anfang Januar stattfinden und in der wahrscheinlich die Wahl eines neuen Aufsichtsrats erfolgen wird.
Gegen den Abrüftungsvertrag von Washington . New York , 28. Dezember. ( WTB.) Der Vorsitzende des Marine ausschusses des Repräsentantenhauses, Butler, forderte in einer Rede, daß die Bereinigten Staaten eine neue Flotte erhalten follten. Er erklärte, er wolle nachdrücklich auf den Kongreß ein zumirten versuchen, um ihn zur Annahme des von dem Marine ausschuß aufgestellten Programms zu veranlassen. Die Bereinigten Staaten seien durch den Washingtoner Vertrag um die besten einen Wert Kriegsschiffe, die je gebaut wurden, und die 30 Millionen Dollar darstellten, betrogen worden, und es wür über den jetzt 50 Kriegsschiffe mit einem Kostenaufwand von 400 Millionen Dollar notwendig fein, bamit Amerika wieder feinen früheren Rang einnehme.
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Bor wenigen Tagen erst berichteten wir von Borstößen in den Bereinigten Staaten gegen die Unterzeichnung des Gastriegverbotes. Jezt steigert sich die reaktionäre Welle u einem offenen Angriff gegen die bisher unbestritte nen Abrüstungsvereinbarungen von Washington . Bisher hat der Präsident ihnen allerdings nicht nachgegeben; Coolidge läßt den Ansturm der Rüstungsinteressenten fich zunächst entfalten. Er hält sich wohl für start genug, ihn fchließlich doch noch zurückzudämmen. Er beabsichtigt anscheinend, die militaristische Bewegung als Argument für eine neue Abrüstungskonferenz zu benutzen, indem er die anderen Mächte vor die Enascheidung stellt, entweder
Die Sachsenkrise.
Vor der dritten Ministerpräsidentenwahl.- Die Ents scheidung bei den Altsozialisten.
Am 4. Januar 1924, zwei Tage vor der LandesversammArt. 48 auf ihn anzuwenden. Außerdem aber muß jede Berfung der sächsischen Sozialdemokratischen Partei schlossen ordnung, die auf Grund dieses Artikels erlassen wird, sofort 23 sozialdemokratische Abgeordnete gegen den Willen der wieder aufgehoben werden, wenn der Reichstag es verlangt. fächsischen Parteiorganisation mit Demokraten und Deutscher Im Rahmen der Verfassung wäre der Art. 48 für einen Bolkspartei die Große Koalition und hielten sie später auch Rampf des Reichspräsidenten gegen den Reichstag eine ungegen den Willen des Parteivorstandes und des Heidelberger taugliche Waffe. Parteitages aufrecht. Sie löften sich am 1. Juli 1926 von der Sozialdemokratischen Partei los und bildeten die Altsozialiftische Partei. Am 31. Oftober 1926 fanden die Landtagswahlen statt, und die Koalition geriet in die Minderheit. Hatten die drei Koalitionsparteien vor der Wahl 50 Mandate gegen 46 der Opposition, so errangen sie bei der Wahl nur 21 Mandate von 96, eine hoffnungslose Minderheit. Das Urteil der Wähler über die Taten der Koalition war vernichtend.
Die Rechte erkennt indirekt felbft an, daß bei der bestehenden Rechtslage der Reichstag der stärkere Teil ist. Deshalb ruft ihre Presse unausgefeßt nach einer Stärtung der Stellung des Reichspräsidenten . Diese Stärkung fann aber eben auch nur, solange fein Staatsstreich beliebt wird, auf verfassungsmäßigem Wege erfolgen, d. h. der Reichstag müßte in seiner Zweidrittelmehrheit bereit sein, einen Teil feiner Rechte zugunsten des Reichspräsidenten aufzugeben.
Bie immer man die Sache auch dreht und wendet, immer wieder zeigt sich, daß der Reichspräsident nicht in der Lage ist, dem Reichstag eine Regierung aufzuzwingen, die er nicht will. Wer dergleichen von ihm verlangt, stellt an ihn eine Forderung, die er nicht erfüllen kann, ohne den Geist und schließlich auch den Wortlaut der Verfassung zu verlegen. Dem Geist der Verfassung entspricht es, wenn der Reichs präfident die Stimmung des Reichstages erfundet und dann die neue Regierung so zu gestalten versucht, daß eine gedeihliche Zusammenarbeit zwischen ihr und dem Parlament zu erwarten ist. Nach dieser Regel ist bisher verfahren worden. Man fönnte von ihr nicht abweichen, ohne die ruhige Entwicklung im Innern zu gefährden, die, troz allen Geschreis der Rechtspresse, durch parlamentarisch entstandene und verfassungsmäßig gelöste Regierungskrisen noch nie gestört worden ist.
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Die Absplitterung der Altsozialisten hatte die Sozialdemo fratische Partei bei der Landtagswahl zu einem Dreifrontenfrieg gezwungen gegen Bürgertum, Altsozialisten und Kommunisten. Das Ergebnis der Wahl war ein Verlust von 10 sozialistischen Mandaten und eine Atomi fierung der bürgerlichen Parteien. Einziger Gewinner aus Dem Parteistreit und der Not der unter der Erwerbslosigkeit leidenden Bevölkerung war die KPD. , fie gewann 5 Mandate. Die Wahl spülte das durch die Aufwertung geschädigte Kleinbürgertum an die Oberfläche. Die Innungsmeister, Gewerbetreibende und Hausbesizer lösten sich von der Deutschnationalen und der Deutschen Volkspartei los und folgten der Wirtschaftspartei, die zehn Mandate gewann. Die Deutschnationalen hatten die widerwärtigste Agitation betrieben und die Wirtschaftspartei hatte die Ernte dieser Agitation in ihre Scheuern gebracht.
Es entstanden außerdem vier Splitterparteien: Altfozialisten( 4 Mandate), Demokraten( 5), Aufmertler( 4) und Nationalsozialisten( 2). Jeder dieser Parteisplitter kann bei die Abrüftung zur See weiter fortzuführen oder aber mit einer Mehrheitsbildung das Bünglein an der Wage" sein. den Bereinigten Staaten einen Rüstungswettkampf zu beDer Landtag setzt sich wie folgt zusammen: Sozialdemo ginnen. Immerhin wird die amerikanische Rüstungs- traten 31( 41), Rommuniſten 14( 9), Altsozialisten 4(-), fampagne in England bereits mit großer Aufmerksamkeit Demokraten 5( 8), Deutsche Volfspartei 12( 19), Deutschverfolgt. Es wird vielfach schon zugegeben, daß man selbst nationale 14( 19), Wirtschaftspartei 10(-), Aufmertungsmitschuldig an ihr ist, weil England vor sechs Monaten, als partei 4(-), Nationalsozialisten 2(-), zusammen 96.( Die Washington die Fühler für eine neue Abrüftungstonferenz aus- Sahlen in den Klammern bedeuten den Befikstand vor der streďte, abgewinkt hat; es gab damals zu verstehen, daß es Wahi.) nicht bereit sei, auf seine leberlegenheit an fleineren Schiffen zu verzichten.
Sollte England durch die Drohung mit dem ameritanischen Flottenprogramm dazu bereit werden, Rüstungstonzeffionen zu machen, so wäre das ein Ergebnis, das den amerikanischen Rüstungstreibern allerdings fern genug liegt. Die Methode Coolidges, durch Drohung mit der Auf rüstung die Abrüstung diplomatisch zu för dern, ist allerdings nicht ungefährlich.
Diese Zersplitterung der Parteien erklärt die Schwierigkeiten der Ministerpräsidentenwahl. Nach der sächsischen Verfassung muß die Regierung nach der Wahl zurücktreten und neu gebildet werden. Sie ist zurückgetreten, führt aber die Geschäfte weiter. Die Neubildung der Regierung geschieht durch die Wahl des Ministerpräsidenten, der die anderen Minister ernenni. Der Ministerpräsident wird vom Landtag gewählt. Die Anwesenheit von zwei Dritteln der gefeßlichen Zahl der Abgeordneten ist vorgeschrieben. Sind bei der Abstimmung nicht zwei Drittel der gesetzlichen Zahl der Abgeordneten anwesend. so ist die Wahl in der nächsten Sigung ohne Rücksicht auf die Zahl der Anwesenden vorzunehmen. Gewählt ist, wer mehr als die Hälfte der abgegebenen Stimmen erhalten hat. Die Sozialdemokratische Partei als stärkste Partei des Landtags hat die Initiative ergriffen, ein Regierungsprogramm, gegen das vom sozialistischen und demokratischen Standpunkt nichts einzuwenden ist, aufgestellt und veröffentlicht, den Genossen Hermann Fleißner als Ministerpräsidenten vorgeschlagen und den anderen Parteien ohne Fühlungnahme überlassen, für Fleißner zu stimmen. Für Fleißner stimmten nur die Sozialdemokraten und Kommunisten, die anderen Parteien für ihre eigenen Kandidaten und so wurde verhindert, daß ein Bewerber die Mehrheit der Stimmen erhielt. Bei der z meiten Wahl fand insofern eine Neugruppierung statt, als Aufwertler und Nationalsozialisten für den Kandidaten der Wirtbeschaftspartei stimmten. Der dritte Wahlgang wurde auf den 11. Januar verschoben. Bei der Abstimmung über die Bertagung der Wahl spalteten sich die Altsozialisten. Es besteht der furiose Zustand weiter, daß eine Partei, die Altfozialisten, mit vier Abgeordneten vier Minister unter sieben stellt.
Süd- und Mittelamerika in Aengsten. Vor den Eingriffen der Vereinigten Staaten . London , 28. Dezember. ( WTB.) Der Washingtoner Bericht erstatter der Times" meldet, alle zentral und südameri tanischen Bertreter in Washington , mit denen er über die Landung amerikanischer Seeftreitkräfte in Nicaragua gesprochen habe, hätten den Schritt der Bereinigten Staaten als einen Fehler ersten Ranges" bezeichnet, der alles Gute, was in den letzten vier Jahren unter Staatssekretär Hughes erreicht worden sei, vernichte, die Angst und das Mißtrauen gegenüber den Bereinigten Staaten wieder anwachsen laffe und den amerikanischen Eir fluß in gewissen, am Karaibischen Meer liegenden Ländern nicht nur nicht vermindern, sondern noch vergrößern werde.
Auch der Berichterstatter der Morning Post" meldet, daß die Gesandten der zentralamerifarischen Republiken in Washington for gt feien und die Ansicht verträten, daß die Bereinigten Staaten sich anfchickten, wenn nicht dem Namen nach, so doch tatsächlich ein Protettorat über ganz Zentralamerila zu erlangen. Sie fähen darin eine flagrante Berlegung des Washingtoner Vertrags vor 1923 mit den zentralamerikanischen Staaten.
Ein Faschistenurteil in Litauen . Bier Kommuniften zum Tode verurteilt und begnadigt. Riga , 28. Dezember. ( Eigener Drahtbericht.) Die litauische Regierung teilt amtlich mit, daß vier tommunistische Führer in einer außerordentlichen Sigung des Kriegsgerichtes wegen angeblicher Borbereitung eines Butsches zum Tode verur teilt wurden. Der Ministerpräsident hat das Urteil, dessen Vollstredung bereits gemeldet worden war, aufgehoben.
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Landbunddämmerung auch in Ostpreußen . Die als Gegner des Landbundes seit mehreren Jahren entstandenen einzelnen bäuerlichen und fleinbäuerlichen Verbände, zwischen denen zum Teil feine einheitliche Auffassung über die Ziele einer fortschrittlichen Bauern politik bestand, haben sich vor kurzem zusammen an den Berhandlungstisch gesetzt und ihre Vereinigung unter dem Namen„ Ostpreußischer Bauernbund" beschlossen.
Was ist das Ziel dieser standalösen, den Parlamentarismus diskreditierenden Verschleppung der Wahl? Die Deutsche Boltspartei will, wie im Reich, den Bürgerblo e, den sie ohne die Altsozialisten nicht erreichen fann. Deshalb umwirbt sie die Altfozialisten und verspricht ihnen einen Ministerposten. Die Altsozialisten wissen, daß die Teilnahme an einer Bürgerblodregierung, das Zusam mengehen mit den Deutschnationalen, ihren politischen Tod bedeutet.
Die Altsozialisten und die Demokraten erstreben die Große Roalition. Da diese ohne die Sozial demokratische Partei nicht möglich ist, hoffen sie, daß der Barteivorstand der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands auf die sächsische Partei einwirken wird, um die Sozialdemo= fratie für die Große Koalition zu gewinnen. Diese Hoffnung scheint trügerisch zu sein.
*) Wir zählen den früheren Besigstand nicht, weil die Partei fich erst furz vor den Wahlen gebildet hat.