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Abendausgabe

Nr. 344. Jahrgang Ausgabe B Nr. 1

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Horwärts

Berliner   Volksblaff

10 Pfennig

Montag

3. Januar 1927

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Zentralorgan der Sozialdemokratifchen Partei Deutschlands

Gemeinsame Friedensarbeit!

Ein Antwortschreiben der französischen   Sozialisten auf das Protesttelegramm des deutschen   Parteivorstandes.

Bom Borstand der Sozialistischen Bartei Frant| stalt annehme. Nach wiederzusammentritt des Barlamentes müßte Frant- stalt reichs ist an den deutschen   Parteivorstand zu Händen des Genoffen hierüber eine Debatte erfolgen, und zwar nicht eine theoretische Otto Wels   folgendes Schreiben eingetroffen: Diskussion allgemeinen Charakters, sondern eine flare, präzise Aus­sprache, damit man in Frankreich   wisse, was man wolle, damit man wähle. Die Stunde sei gekommen, vor dem Lande die Verant­wortung zu übernehmen.

Werte Genoffen!

Sofort nach Empfang Ihres Telegramms betreffend das Urteil des Kriegsgerichts in Landau   haben wir bei der französischen  Regierung dringliche Schritte unternommen, um dieses abscheu­liche Urteil praktisch wirkungslos zu machen. Namentlich war unser Genosse Léon Blum   ganz besonders darum bemüht. Wir wollen natürlich nicht behaupten, daß die getroffenen Maßnahmen allein den sozialistischen   Schritten zu danken sind, aber wir haben Grund anzunehmen, daß diese nicht ohne Einfluß auf die Entscheidung der Regierung gewesen sind.

Es war jedenfalls eine Freude für uns, in dieser Angelegenheit wieder einmal an der Annäherung beider Länder mitzuwirken, wie wir es stets getan haben, und entschieden gegen alles Front zu machen, was die traurigen Erinnerungen an einen mörderischen Bruderkrieg lebendig erhalten könnte.

Andererseits haben wir mit lebhafter Genugtuung von den mutigen Erklärungen eurer Führer im Reichstag gegen gewiffe

nationalistische und militaristische Bestrebungen Kenntnis genommen. So führen die beiden großen sozialdemokratischen Parteien den gleichen Kampf für den Frieden der Welt und für die notwendige Freundschaft zwischen Frankreich   und Deutschland  . So erfüllen wir gemeinsam unsere volle Pflicht gegenüber den eigenen Völkern und gegenüber der Internationale.

Mit brüderlichen Grüßen Der stellvertretende Generalsekretär: gez. Séverac.

Briand   verteidigt Locarno  . Versailler   Gewalt durch Rechtsbindung ersetzt. Paris  , 3. Januar.  ( WTB.) Das Journal" peröffentlicht ein Interview des Außenministers Briand  . Er erklärte, die Politik von

Locarno   sei das Jnswertjehen des Vertrages von Bersailles. Shr Hauptverdienst sei, den Vertrag von Versailles  , von dem man erklärt habe, daß er durch Gewalt erzwungen worden sei, durch eine diesmal freiwillig zugestandene Abmachung bestätigt zu haben. Müsse man denn wiederholen, daß durch den Baft von Locarno Deutschland formell die Grenzen des Vertrages anertenne und sich verpflichte, feine Gebietsänderung, jedenfalls nicht mit Ge­walt, zu versuchen? Sei das denn nichts? Die Tatsache, daß ein System der Gewalt durch ein juristisches ersetzt sei, dürfe nicht außer acht gelassen werden, wenn man sich für den Frieden interessiere. Seiner Ansicht nach biete ein derartiges System, was man auch fagen möge, folide Friedensgarantien. Zur An näherungspolitik erflärte Briand, eine Annäherung fei nichts Leichtes. Der geringste Zwischenfall löse eine Bolemit aus. gelte auch für den bedauerlichen Zwischenfall von Landau  . Man habe ihn ausbeuten wollen. Aber sobald Frankreich   die Be­

Dies

gnadigung der Verurteilten vorgenommen, hätten die Polemiken aufgehört. Das sei darauf zurückzuführen, daß

in Deutschland   und in Frankreich   doch manches anders geworden sei. Um dieses zu erkennen, brauche man nur darauf hinzuweisen, was sich bezüglich der vaterländischen Berbände und der Reichswehr   im Reichstage abgespielt habe. Man brauche ferner nur auf die für beide Länder vorteilhaften wirtschaftlichen Abmachungen hinzuweisen. Das sei eben eine neue Politit, die Ge­

Die neuen Femeprozesse. Vor der Anklageerhebung in den Fememordaffären Sand und Wilms.- Das Auslieferungsverfahren Reim im Fall Legner. leber  

den Stand der noch nicht erledigten Femeverfahren, die das Berliner Landgericht III in diesem Jahre beschäftigen merden, und zwar die Fälle Sand, Wilms und Legner, er= fährt die BS.- Korrespondenz, daß die Voruntersuchung gegen die der Ermordung des Leutnants Sand und des Feldwebels Wilms  bziehungsweise der Beihilfe und Anstiftung dazu Beschuldigten nun­mehr endgültig abgeschlossen worden ist, nachdem sie auf Grund der Feststellungen in den Landsberger   Prozessen noch einmal eröffnet worden war. Die Staatsanwaltschaft III ist zurzeit mit der Aus­arbeitung der Anklage beschäftigt, deren Entwurf voraussichtlich aber zuerst an das preußische Justizministerium zur Stellungnahme gehen wird. Im Falle Wilms gehören wieder Schulz und Klapproth zu den Hauptangeklagten, im Falle Sand dagegen nur Klapproth neben anderen Beschuldigten. Es besteht die Wahrscheinlichkeit, daß der Prozeß Wilms noch im Laufe des Januar das Schwurgericht III unter Borsiz des Landgerichts­direktors Bombe beschäftigen wird.

Anders liegen die Dinge im Falle Legner, eines Wachtmeisters der Artillerie, dessen Ermordung zwar feststeht, dessen Leiche aber bisher nicht gefunden werden konnte. In dieser Sache schwebt ein Auslieferungsverfahren gegen den der Beteiligung an dieser Tat ver dächtigen angeblichen Leutnant Reim, der sich auch v. Rheyn" nannte, und der vor einiger Zeit in Sizilien verhaftet wurde. Reim befindet sich immer noch im Gefängnis zu Messina   bis zur Ent­scheidung der italienischen   Behörden über das von Deutschland   ge­

Auf die angeblichen Meinungsverschiedenheiten eingehend, die sich zwischen ihm und seinen engeren Mitarbeitern im Ministerium des Aeußern, also dem zurückgetretenen Ministerialdirektor Sen doug und dem Generalsekretär Philippe Berthelot  , ergeben haben sollten, erklärte Briand  , alle diese Gerüchte hierüber seien reine Phantasie. Ebenso handele es sich um Bhantasie bei den Behauptungen über Meinungsverschiedenheiten, die zwischen ihm und dem Ministerpräsidenten Poincaré   oder den übrigen Kabinetts­mitgliedern anläßlich der letzten Völkerbundstagung aufgetreten fein sollten.

Briand   drückte im übrigen seine Ueberzeugung aus, daß

in Europa   eine. Entspannung zu verzeichnen

sei. Ein System der Schiedsgerichtsbarkeit erseßt das System der Gewalt. Auf die Frage, ob Deutschland   Frankreich   den Krieg erklärt haben würde, wenn ein berartiges Syſtem im Jahre 1914 bestanden hätte, antwortete Briand   mit Nachdruck: Niemals!" Um aber den Frieden zu bewahren, genüge es nicht, davon zu sprechen und bei jeder Gelegenheit zu proklamieren, daß man ihn wünsche. Man müsse energisch wollen und organisieren. Das hindere übrigens nicht, daß alle gewünschten Vorsichtsmaßregeln getroffen werden. Er laffe feine außer acht. Ohne die Politif von Locarno  wäre möglicherweise ein Krieg zu befürchten. Wenn zwei Völker wie Franzosen und Deutsche in Zukunft sich weiter gegeneinander gestellt hätten, was wäre dann geschehen? Es käme verhängnis­vollerweise zu einem Konflikt. Eine Politif, die zu derartigen Ber­hältniffen führen würde, würde er nicht betreiben. Sie flöße ihm Abscheu ein.

Im ,, Matin" veröffentlicht Jules Sauerwein   ein Interview mit Briand  , der erklärte, das verflossene Jahr habe in Europa   eine Friedensrüstung geschaffen, die zwar die 3mischenfälle, die das Leben nicht ganz verhindere, die aber troß allem ein, beachtliches solides der Böller von Zeit zu Zeit in besorgniserregender Weise erschüttern, Werkzeug gegen die Gefahr eines Krieges bilde.

Bom deutsch  - italienischen Vertrag

dente er nicht schlecht, im Gegenteil. Ueber ihn seien seit Unter­zeichnung der Locarnoverträge Berhandlungen geführt worden, und unterzeichnen. Der Vertrag, der in Wendungen, an denen man nichts ausfeßen fönne, abgefaßt sei, füge fich in das allgemeine Friedenssystem ein, deffen qualifizierter Garant der Völkerbund sei. Auf die französisch- italienischen Zwischenfälle eingehend, erklärte Briand  , er halte diese für vorübergehende Erscheinungen, und er glaube nicht, daß sie den Charakter tragischer Abenteuer an­nehmen könnten. Nachdem Briand   dann noch die Haltung der französischen   Politik gegenüber den Ereignissen in China   in demselben Sinne definierte, wie es fürzlich bereits in einer amtlichen Auslaffung geschehen war ( abwarten und nicht eingreifen. Red. d. V."), schloß er wie folgt: Was man auch tun mag, um die öffentliche Meinung in Frankreich  in Erregung zu versehen, das französische   Volk ist über die Aufrecht erhaltung des Friedens orientiert. Das soll jedoch nicht heißen, daß man dem blindlings vertraue und die Borichtsmaßnahmen außer acht laffe, die ein großes Land zu feiner Zeit vernachlässigen fann. Aber das einzige Mittel, eine so große Aufgabe zu verwirklichen, ist, sich entschlossen ans Werf zu machen. Dies ist der Leitgedanke der Friedenspolitik, die ich mit allen meinen Kräften, solange ich die Verantwortung für die Beziehungen Frankreichs   zu den anderen Nationen trage, verfolgen werde.

stellte Auslieferungsgesuch. Aus diesem Grunde läßt sich zurzeit noch nicht absehen, wann der Fall Legner seine gerichtliche Sühne finden wird.

Der tschechische Ludendorff. Gajda an der Spitze der tschechischen Faschisten.

Klassengegensätze in Indien  .

Sozialer und nationaler Kampf. Bon Franz Josef Furtwängler  .

Bombay  , Anfang Dezember. Innerhalb des ungeheuren indischen Landes bildet Bombay   eine Präsidentschaft für sich. Diese Präsidentschaft hat auch ein Parlament. In diesem Parlament haben die Arbeiter einen einzigen Vertreter, den klugen und sym­pathischen Barsen Ginwala. Stimmberechtigt ist bei den lokalen Wahlen nur, wer zehn Rupien monatliche Wohnungs­miete bezahlt. Der Arbeiter aber fann für Miete in den allerseltensten Fällen mehr als fünf bis sieben Rupien aus­geben. Zum zentralen Parlament aber, der gesetz­gebenden Versammlung, fann nur der wählen, der über zwei­tausend Rupien Jahreseinkommen hat, das heißt, kein ein­iger indischer Arbeiter! Es ist ein gar färgliches Entgegen­kommen, daß seit der letzten Legislaturperiode die Regie­kommen, daß seit der letzten Legislaturperiode die Regie­rung selbst einen Abgeordneten der Ar= versieht zurzeit unser Freund Joshi. Die politische Recht­beiter fürs Parlament ernennt. Dieses Amt losigkeit ist so in die Augen springend, daß es nicht wunder nehmen fann, wenn die Empörung der Arbeiter sich so sehr nach der politischen Seite wendet. Der proletarische Be­freiungskampf ist hier ein eminent politischer Kampf.

Diese Betrachtung führt mich zur Erwähnung einer an­deren Versammlung und ihres Publikums. Ich habe bei anderer Gelegenheit ein wenig von unserem später zu er= stattenden wirtschaftlich- sozialen Bericht vorweggenommen, in­dem ich von der feststehenden Tatsache der oft aller Beschrei­bung, spottenden Unterkunftsverhältnisse der hiesigen In­dustriearbeiter und von der billigen Ausrede sprach, daß der indische Arbeiter es eben so gewöhnt sei und selber in diesen Verhältnissen bleiben wolle. Der Mann, der uns diese Ent­schuldigung hier zu Lande zum erstenmal vortrug, war ein indischer, eingeborener Unternehmer, was mich ganz besonders seltsam berührte.

In den ersten Tagen unseres Aufenthaltes in Bombay  fand nun eine Bersammlung der indischen National partei statt. Jeder von uns Delegierten wurde persönlich um eine politische Sache handelte, in die wir uns hier grund­dazu eingeladen, und wir erschienen diesmal, da es sich fäglich nicht einmischen, als stumme Gäste.

Es war ein anderes Bild als die bisherigen Versamm­lungen. Reine ärmlich oder halbbekleideten Proletarier, dicht zusammengedrängt nach indischer Art auf teppichbelegtem Erdboden fauernd. Hier saßen, in der großen Festhalle der Stadt, Brahmanen im vollen Ornat, über der Hornbrille das rote oder gelbe Stirnmal des Krishna- oder Bishnupriesters, das man zum Zeichen der Würde auch als Direktor der Baumwollspinnerei Soundso beibehält. Es war in dieser Versammlung gar viel von Indiens   Freiheit oder von seiner Befreiung die Rede, allein der Ton, der bekannt­lich die Musik macht, war anderer Art, als in den Versamm­lungen der Arbeiter. Wie schrill flang aus dem Munde jener Armen jedesmal die Anflage gegen bie Regierung, die dem Bolte das Recht vorenthält, an den Stellen der Gesetzgebung ihr Leid zu klagen, ihre Wünsche zu äußern. Nicht gemildert wird die Schärfe des Tones durch die Tatsache, daß die un­mittelbaren Quäler dieser Menschen seltener Engländer als Indier selbst sind: thatigekleidete indische Fabrikwächter, Untermeister, Dorfobleute usw.

In dieser Großbürgerversammlung herrschte ein anderer Tonda flang aus dem in Worten ausgedrückten natio. nalen Gegensatz ungewollt stets das mehr oder weniger gemeinsame Wirtschafts- und Profitinter­esse hindurch.

Ein vornehm gekleideter Hindu trat auf uns zu und be­indische Unternehmer, aus deffen Munde wir unlängst die grüßte uns höflich. Wir erkannten ihn wieder. Es war der Erklärung vernahmen: wir möchten uns an den üblen Wohn­verhältnissen der Industriearbeiter dieses Landes nicht allzu fehr stoßen, die ,, Eingeborenen" dieses Landes seien es eben einmal fo gewöhnt. Dies Wiedersehen wirkte wie eine Blizz­photographie, wie ein Bild für einen sozialökonomischen An­fchauungsunterricht. Mittags mit dem fremden Eroberer am grünen Tische des Aufsichtsrats weitgehende gemeinsame Prag  , 3. Januar.  ( Eigener Drahtbericht.) Sonnabend und Interessen wahrnehmend, alle Praktiken des europäischen  Sonntag fand in Brünn   die Reichskonferenz des tschechoslowa Rapitalismus verteidigend, ist man in der abendlichen Ber­fischen Faschist enrates statt, die die Streitigkeiten innerhalb fammlung national. Man versteht darunter das Recht des des fleinen Faschistenhaufens bereinigen sollte und die den ersten gebildeten Hindus, zu allen Rängen in der Armee des Bersuch darstellt, den Faschismus in der Tschechoslowakei   als selbst- Landes aufzusteigen. Haben wir das Richtige getroffen, als ständige politische Bewegung, unabhängig von anderen politischen wir einander, wie aus einem Lippenpaare kommend, das Barteien zu etablieren, während man bisher die Faschisten als den Wort zuflüsterten: ,, Nationalliberal?" Man ist unzufrieden, rechten Flügel der Nationaldemokraten( Kramarsch- Partei) be- weil der Sohn des Bahlungsfähigen, wirtschaftlich Mächtigen trachtete. nicht Leutnant im Garderegiment werden kann, aber man weiß gleichzeitig die Ruhe und Ordnung" zu schätzen, womit der alle Vorrechte beanspruchende politisch Mächtige das Land und sein Wirtschaftssystem fegnet.

Der politisch bedeutsame Beschluß dieser Faschistentagung ist aber der, daß an die Spitze des dort gewählten siebengliedrigen Direk toriums der abgeurteilte und pensionierte Generalstabschef Gajda gestellt wurde, der als tschechischer General Spionagegeschäfte für Rußland   gegen Frankreich   trieb und dennoch lebenslänglich im Ge­nuß der Hälfte seiner Bezüge bleibt, die er als Generalstabschef hatte. Der vom Staat ausgehaltene General tritt nun offiziell an die Spize der schechischen Schwarzhemden, die eine tschechische Nationaldiftatur anstreben. Borderhand wird man wohl den Gajda mit seinen paar hundert Anhängern nicht ernst nehmen, aber die sozialistische Arbeiterschaft wird das, was jetzt vielleicht noch taum mehr als Kinderei ist, feinen Augenblick aus den Augen verlieren dürfen.

Zwischen hinein spielt in verschiedenen Industrien der Kampf um die Beteiligungen und Interessensphären" zwischen einheimischem und britischem Kapital, wobei der politische Status hier und da ebenfalls zugunsten des letzteren ausschlägt. So ist der politische Freiheitstampf dieser indischen industriellen und kommerziellen Oberklasse ein Ringen um die Profitrate, verschärft um die Stärkegrade der staatsbürgerlichen Benachteiligung des einen Partners. Denn bie Wirtschaftspolitit wird legten Endes. von den Europäern entschieden, und deren Inter­