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Str. 10 44.Jahrgang

1. Beilage des Vorwärts

Der Film als Entdecker.

Alt- Berlin wird jest systematisch entdeckt, entdeckt für die Ber­finer, die, wie das alte Wort sagt, ja zumeist aus Breslau sind. Aber längst bevor sich Bezirksämter und heimatkundliche Bereini­gungen zu Führungen durch Alt- Berlin entschlossen, war das ma­lerische alte Berlin schon entdeckt werden, entdeckt von dem mo­dernsten Stiefbruder der Kunst vom Film. So macht es einen wirklich merkwürdigen Eindrud, wenn man plöglich an einer grau verwitterten Mauer ein Blechschild sieht, das streng darauf hinweist, man müsse die Erlaubnis zu Filmaufnahmen zuvor beim Hausver: malter einholen. In dem engsten öffentlichen Verkehrsweg Berlins , dem Durchgang, der durch das Haus Fischerstr. 30 nach der Fischerbrüde führt, ist aber so viel gefilmt worden, daß ein früherer Verwalter der alten Häuser sich auf diese Weise ein lukratives Rebeneinkommen schaffen wollte. Freilich geht Alt- Berlin im Film stets unter falscher Flagge. Aus einem harm­lofen Produktenlagerfeller des Durchgangs wurde die berüchtigte Verbrecherspelunte Londons , aus dem malerischen alten Hof Betristr. 15, dem meistgemalten und gefilmten Stück Berlins , wurde gewöhnlich ein Stück Alt- Nürnberg, und aus dem Krögel wurde jogar Kanton. Verwunderlich mag es scheinen, daß die Stadt so fest auf ihrem Schein der Wegegerechtigkeit besteht, aber wiederholte Volkszählungen" haben bewiesen, daß der Durchgang Fischerstraße Fischerbrücke dech troh seiner Enge und Berstedtheit von so vielen Personen benutzt wird, daß sich seine Verbreiterung vielleicht einmal ebenso nötig machen wird, wie jetzt der Durchbruch

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Durchgang durch das Haus Fischerstraße 30

im Zuge der Parochialstraße, dem auch einige uralte Häufer der Waisenstraße zum Opfer fallen werden. Die Anwohner aber freuen sich der wachsenden Berühmtheit ihrer Straßen und Häuser, denn Film und Führungen liefern ihnen Gratistheater, dem sie

Der alte Hof, Petristraße 15

manchmal recht scharfe Krititer sind: So'n Quatsch- Schmeineställe follen det da drieben jewesen sind! Det sind schon immer Jeräte­schuppen fier die Fischer jewesen; die haben nie Schweine jefehen, het mißten doch die Leute wissen, die hier schonst länger int Haus wohnen, wie der junge Mensch ieberhaupt uff de Welt is!"

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Stieffinder der Eisenbahn.

Der Berkehr im Berliner Süden.

Die im nahen Süden Berlins liegenben Drte gehören bezüglich tes Borortverkehrs auch zu den Stieffindern der Eisenbahn. Wenn man andere Linien auf die Länge ihres Borortnerkehrs hin prüft und diese meist 30 bis 35 Kilometer betragenden Streden mit diesen Etreden vergleicht, so wundert man sich, wie rückständig diese Linien bezüglich ihres Borortverkehrs find.

Freitag, 7. Januar 1927

angeschlossen ist, mit der Eisenbahn aber nur burg Fernzüge, die weit nach Mitteldeutschland führen, erreicht wer­Den tann. Aber nicht nur Lichterfelde - Süd wird durch diese Bahn schlecht bedient, sondern auch die vor den Toren Groß- Berlins ge­legene Kreisstadt Zeltow. Auch dieser Ort ist durch die Straßen­bahn bequem erreichbar, mit der Eisenbahn aber nur unter Be­mußung von Fernzügen. Auch die weiter füdlich an dieser Bahn gelegenen Ortschaften werden durch die Bedienung durch Fernzüge geschädigt und in ihrer Entwicklung geradezu aufgehalten. Die Be­dierung der im Kreise Teltow gelegenen Ortschaften durch einen Fernverkehr verteuern notwendigerweise den gesamten Fahr­verkehr, sind doch die Fahrkarten im Fernverkehr erheblich teurer als beim Vorortverfehr. Ginige Zahlen mögen dies hier andeuten. Nach Trebbin z. B. toftet ein Fahrt in der vierten Klasse etwa 1,10 M., nach Ludwigsfelde etwa 0,75 M., während diese sich beim Vorortverkehr auf etwa 0,40 R. bzw. 0,30 M. dritter Klasse stellen würden. Die Berteuerung des Bahnverkehrs bedeutet eine wirt­fchaftliche Schädigung der Anliegergemeinden und deren Bewohner jowie der lebhaft an dieser Linie( Teltow , Luckenwalde ) angesiedelten Industrie. Auch der nicht spärliche Ausflüglerverkehr wird durch diese hohen Fahrpreise abgelenkt und nicht gefördert, zumal für diese Strecke nicht einmal, außer Trebbin , billigere Sonn­tagsrüdjahrkarten ausgegeben werden. Daß die eigentliche Stammstrede nicht weiter belastet werden darf, ist jedem Kenner und auch der Reichsbahnverwaltung Berlin flar, wohl aber fönnte, und dies müßte möglichst bald erfolgen, die elektrische Bahn Bots­damer Bahnhof- Lichterfelde- Dit verlängert werden. Die Bestim mung des Endpunktes dieser Vorortlinie dürfte zu langwierigen. Berhandlungen zwischen den Reichsbahndirektionen Berlin und Leip­ zig bzw. Halle a. d. S. führen, da das Aufsichtsrecht der Reichsbahndirettion Berlin nur nur bis Groß­ beeren reicht. Somit untersteht ein großer Teil der dicht bei der Reichshauptstadt gelegenen Drischaften eisenbahnverwaltungstechnisa; den Direktionen Leipzig und Halle; auch so ein Monstrum des heiligen St. Bureaufratius und der Politik vom grünen Tisch. Um den an der Anhalter Bahn gelegenen Ortschaften einen besseren und billigeren Anschluß an Groß- Berlin zu geben, wäre notwendig: 1. sofortige Einführung des Vorortarifes bis Trebbin bzw. Luckenwalde und 2. Ausbau und Ber­längerung der elektrischen Eisenbahn vom Pots­damer Bahnhof bis Trebbin bzw. Luckenwalde . Wünschenswert wäre es allerdings, wenn der Vorortverkehr bis nach Luckenwalde ausgedehnt würde, weil 1. die nicht unbedeutende In­dustrie dieser Stadt hierdurch eine große wirtschaftliche Förderung erfahren würde, 2. den Siedlern um Woltersdorf eine billigere und bessere Berbindung mit Groß- Berlin, der Arbeitsstätte dieser Sied­ler, geboten wird, und 3. dem Ausflugsverkehr der Berliner dadurch einige landschaftlich schöne Gebiete( Glauer Berge, Woltersdorfer Forst, Hoher Golm, Elstal und Kloster Zinna ) erschlossen werden. Auch hier sollte die Eisenbahn zur Entwicklung der Kreise Teltow und Luckenwalde beitragen und somit auch ihren Verkehr und dessen Wirtschaftlichkeit fördern.

Phantastische Gerüchte.

Zum Knochenfund in der Landsberger Straße.

Der Snochenfund auf dem Grundstück Landsberger Straße 55, über den wiederholt berichtet wurde, lassen milde Gerüchte und immer unsinniger als das andere immer noch nicht zur Ruhe kommen. Seine Aufklärung hat er zwar längst gefunden, aber das hilft alles nichts. Das Haus, das seif 25 Jahren der Stadt Berlin gehört, iſt mindestens 150 Jahre alt und auf dem früheren Kirchhof der Georgengemeinde erbaut. Ein Dieter wohnt barin schon 33 Jahre. Seine Eltern hatten es schon 20 Jahre vorher ebenfalls bewohnt. Der Mann entfinnt sich, daß schon früher bet Erbarbeiten auf dem Hofe Knochen gefunden wurden. Sie wurden hätte. In dem Raum, den jegt die Seifenhandlung inne hat, eröff bamals beseitigt, ohne daß man erst viel Aufhebens davon gemacht nete im Jahre 1810 ein gewiffer Lang eine Konditorei, die faft 100 Jahre später, 1907, in eine Schanfwirtschaft umgewandelt. wurde. Diese bestand bis 1916. Ihre letzten Inhaber waren Droß­müller und Rey. Das Geschäft ging flott und zählte zu seinen Gästen namentlich Leute, die Rennen zu besuchen pflegten oder fonftwie mit den Rennbahnen zu tun hatten. Eine Kaschemme war diese Wirtschaft nicht. Sie wurde 1916 geschlossen. Dann zog eine Drogenhandlung ein. Vor ungefähr zwei Jahren wurde auf dem Grundstück eine neue Wasserleitung gelegt. Dabei wurde wieder

Der nom Potsdamer Bahnhof geleitete und elektrisch betriebene Verkehr endet bereits nach 9,5 kilometer in Lichterfelde Ost, das heute ein Teil Groß- Berlins ist, während der vom Bots­damer Bahnhof nur 12 Kilometer entfernte Ortsteil Richter felde Süd bereits dem Fernverkehr angehört. Es mutet wie ein Kuriofum an, wenn man bedenkt, das Lichterfelde - Süd wohl durch eine Straßenbahn an das Verkehrsnetz von Groß- Berlin I auf dem Hof und im Hause selbst gegraben. Auch damals tamen

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Die Wunder der Klara van Haag. Beingläser da, waren gefüllt, und er wurde Willkommen" der Säge zerrte. Er arbeitete fo eifrig, daß er nicht einmal

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Bon Johannes Buchholz.

Aus dem Dänischen übersetzt von Erwin Magnus .

17. Rapitel.

Siverts Hochzeit hat stattgefunden. Es war eine große Hochzeit mit vielen Menschen, sowohl in der Kirche, wie hinter. her. Die Eltern der Braut waren ja beide tot, aber die des Bräutigams lebten; sie waren dabei und hatten einen feltenen Festtag. Namentlich die Mutter des Bräutigams.

Aber was ist ein Fest mert, wenn man niemand hat, mit dem man sich hinterher darüber unterhalten kann. Das hatte Anna nicht.

Nicht mit ihrem Mann; ihn verließ die Feststimmung am Abend desselben Tages und er verfant wieder in feinen Ziegeleigrübeleien.

Leider auch nicht mit Frau van Haag, die in der letzten Set so merkwürdig schweigsam und traurig geworden war, als wäre fie frant.

Anna schrieb on Emanuel. Warum tommst du denn nicht heim? Komm jeßt, sobald du fannst, daß ich dir von der Hochzeit erzählen tann. Du machst dir keine Borstellung davon, welch ein Anblick es war, als Sivert mit schimmernd weißen Handschuhen, von seinem Bater geführt, durch die Kirche ging. Minna wurde von Ingenieur Svejdal geführt, dem fie schon verziehen hat. Wir beiden alten Leute Bater und ich gingen zeitig heim, aber wir hatten doch das Schönste mitbekommen. Komm jetzt, daß ich es dir erzählen

fann.

So fam Emanuel denn, aber er ist der Mann, der die Sache von Grund auf untersuchen will, und deshalb hört er nicht recht auf die blumigen Ergüsse der Mutter, er macht mit einiger Beflemmung einen Besuch bei den Neuvermählten.

Er faufte Blumen unterwegs und trat in Minnas Laden. Gie tam aus dem Hinterzimmer in schwarzer Schürze mit geblümter Kante. Eine blanke Schere hing ihr an einer Seidenschnur um den Leib. Hier und dort hatte sich ein Fädchen auf ihrem Kleid festgefeßt. Emanuel erhielt einen Eindruck von Gesundheit und Arbeitsluft, und das sagte ihm unmittelbar zu und verlöschte ganz die Ironie, die sich in ihin aufgespeichert hatte. Es ist auch nett, dachte er, daß sie nicht von seiner Abwesenheit auf der Hochzeit spricht. Sie gab rur einer jungen Dame, einem Lehrmädchen, einen Auftrag und

ging mit ihm in die Wohnung hinauf. In einem Nu standen geheißen. Herzlichen Glückwunsch. Dank für Ihre Liebens­würdigkeit.

Geschäftsmäßig, aber gerade deshalb angenehm frei von Lächerlichkeit, ging fie umher und zeigte überall auf Palmen, Bilder, Leuchter und Silber.

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Bon meinem Ontel. Bon Rothe. Von Sörensen in Randers fühlen Sie, wir schwer- Baters Freund. Bon Weißes. Von van Haags. Und hier ein goldenes Hals­band, die Morgengabe meines Mannes."

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Minnas einzige fleine Lüge. Emanuel tannte die Gold­tette mit dem Medaillon aus und ein. Seine scharfen Knaben­augen hatten sie um Minnas Hals hängen sehen, solange er denken konnte. Aber jegt mar fie frisch gepugt und Herr

gott , Minna wollte ja nur mit der Lüge ihren Mann ein wenig puzen.

Sivert ist nicht zu Hause?" benutzte er den Anfas, um zu fragen. Mein Mann ist im Keller. Er sägt Holz. Ich habe zwei Fuhren Brennholz gekauft, das er fägen soll." Wieder herrlich flar in ihren Ausdrücken. Ich habe gekauft! Das er fägen foll!

Aber die Glaserei," fragte er. Soll die ganz still liegen?"

,, Nein, die Leute dürfen sich gern daran gewöhnen, daß ein Glasermeister hier im Keller wohnt. Ich will nur tein Schild auf der Straße haben."

Minnas Augen wurden flug. Sie überlegte diese Sache noch einmal: Ein Schild ist notwendig für einen Manu­

fatturwarenhändler. Die Leute tommen aus einer anderen Stadt oder vom Lande kaufen, eine Krawatte oder einen neuen Hut, wenn ihnen das Schild in die Augen fällt. Aber ein Glafermeister, nein. Plagt einem eine Scheibe, so geht man zum nächsten Glasermeister, und den fennt man ja im voraus. Ja, vielleicht," schloß Minna und drehte sich auf dem Absatz energisch herum. Bielleicht gehen ein paar Dere verloren, aber ein Schild foftet auch Geld, und außerdem verunziert es das Haus und verringert damit dessen Wert. Es wird fein Schild aufgehängt."

Emanuel nickte, einig mit ihr. Als eine angemessene Zeit verstrichen war, verabschiedete er sich und bat um die Erlaub nis, die Hinterireppe hinaus zu gehen; er wollte noch Sivert sehen, und als er halbwegs unten war, hörte er, wie eine Säge zu schneiden begann. Er tauchte durch die Kellertür

hinunter und sah mit schadenfrohem Lächeln, wie Sivert an sein Kommen hörte. Die Sägespäne saßen mie Buder in seinen schütteren Loden. Erst ais Emanuel faft eine Minute hinter ihm gestanden hatte, wandte er sich mit einem ängst­lichen Blick in den Augenwinkeln um.

fallen.

,, Ach, du bist es," sagte er entzückt und ließ die Säge ,, Störe ich nicht?"

Sivert schüttelte den Bruder und fagte flehentlich: Ach, laß es jegt vergessen sein, du weißt ja, die Weiber haben ihre Einfälle. Kann ich dafür? Und außerdem finde ich den Einfall lobenswert. Ich hätte selber darauf tommen tönnen." Eingeräumt!"

Dank für die Aufmerksamkeit zu unserer Hochzeit. Ach, du haft vielleicht gar nichts geschickt? Das ist auch einerlei. Ich fann es nicht lassen, die Worte zu sprechen, sobald ich einen Sie uns nicht das Bergnügen? Ja, danfe, wir finden aud), Menschen sehe. Bielen Dank für die Aufmerksamkeit! Machen daß wir uns sehr nett eingerichtet haben!- Kannst du hören, welche Fortschritte ich schon in der Bildung gemacht habe? Ich bin ja ein ganz anderer Mensch geworden, was ist doch nur prit mir geschehen?"

,, Schön, aber laß uns von etwas anderm reden. Vielen

Du hast dich verheiratet, Alter!".

Sivert schüttelte verwundert und lächelnd den Kopf. Wirklich? Dent einmal, daß mir das zustoßen mußte. und dazu mit einer Modewarenhändlerin! Ich muß sehr glücklich sein, wie ich mir denken kann."

Ich verstehe auch nicht einen Muck von der ganzen Geschichte," sagte Emanuel ernst. ,, Daß ich glücklich bin?"

Daß du sie bekamft."

,, Das ist doch sehr leicht verständlich. Ich schrieb ja einen Brief an sie, daß jetzt die Reihe an mich gekommen wäre, da es wohl keinen andern mehr gäbe, auf den sie sich Hoffnung machen könnte."

,, Das war flug."

Ja, das war flug. Darum schickte ich den Brief nicht ab, sondern schrieb einen andern, in dem gerade das Gegenteil stand. Daß fie viele andere bekommen könne und dergleichen. Ja- denn ich habe bemerkt, daß es immer schief geht, wenn man etwas Riuges tut."

( Fortsetzung folgt.)