Gonnabenö S. Iaaaar 1927
Unterhaltung unö A�issen
Vellage des vorwärts
Jette. Von Anna Mosegaard.
tSchlub.) .Nee,"— davon wußte Jette wirklich nichts. .Ob sie denn nicht eine verdächtige Person Hab« vorübergehen sehen?" .Nein,— ja.— es sei ihr wohl so gewesen,— als wem, sie in der Früh« so was gehört hätte,— dort drüben,— nach dem Walde zu habe sie von ihrem Fenster aus,— jemanden verschwin» den sehen.— Vielleicht Hobe der Kerl die Absicht— dem Marien- bos« einen Besuch abzustatten. Dar sicher ein Einbrecher"— setzt« sie gleichgültig hinzu. .Ein Mörder ist's," schnarrte der Beamte. „Ein Mörder?" Einen kleinen Schreck hatte Jett« nun doch de» kommen.» Wie der Blitz waren die beiden Männer draußen und rannten dem Walde zu— oerfolgten die Spur, die Jette ihnen gezeigt hatte. .Hm— mögen die ihn nur aus dem Marienhose suchen," dichte Jette und verwischte sorgfältig alle Fußspuren ringsherum. .Hm! hm! Ein Mörder also.— Darnach sah er nun eigentlich nicht aus. Sicher hatte er einmal besiere Tage gesehen.— Zu dumm, einer den anderen totzuschlagen! Ja. aus was für'n Blöd- sinn die Leute oft verfallen:"— philoloxhlerte Jette, wendete das Kopfkissen, das noch den Eindruck von des Mörder» Kopf auf- wies, und kroch ins Bett, und schlief bi» zum Abend. Erschrocken fuhr sie auf. Der Kopf war Ihr so benommen. Ja, warum blökte denn die Ziege so laut?— Ach,— natürlich war sie hungrig. Jette rannte hinaus, fütterte dos Tier, ihm dabei zärt» lich da» Fell krauend. Gemolken mutzte sie ja auch werden. Die Hiihnrr saßen schon längst auf ihrer Stange. Na, die hielten es schon noch aus Als Jette sich bückte, um Feuer in den Ofen zu legen, überfiel sie e-n Schwindel. Der Kops schmerzte ihr,— essen mochte sie auch nichts. So kroch sie wieder in« Bett. Der Schlaf wollte aber nicht kommen. Alle Knochen im Leibe taten ihr weh. Sic fiebert«. Ruhelos warf sie sich hm und her. Draußen heulte und tobte der Winterfturm. Ein richtiges Schneegestöber war's. Ganze Schneeberge wehte der Sturm vor Ihre Hütte. Jette fror selbst im Bett. Darum stand sie auf und versuchte nochmals Feuer in den Ofen zu legen. Es wollte nicht brennen: der Schornstein saß voll Schnee. Als es endlich Tag war, kroch sie fast auf allen Vieren in den Stall, um die Ziege hereinzuholen. Da, arm« Tier stand bis an den Hals im Schnee. Durch all« Ritzen war er herein« oeweht. Am ganzen Körper zitternd, verkroch sich das Tier in einem Dinkel. Es erholte sich jedoch bald. Am Boden kauernd, versuchte sie die Ziege zu melken. Mit vieler Mühe gelang es ihr endlich. Wieder verging ein Tag und eine Nacht. Es schien, als ob draußen all« Möchte der Hölle losgelassen. Durch Sturm und Schnee kämpft« Jett« sich nach einem Derschlag> beim Ziegenstall, um ein mächtiges Bündel Heu hereinzuschleppen. Sie ließ auch die Hühner w die Stube, weil die klein« Küche nach der Mndfeite lag Jette füh'k es. sie war krank, todkrank war sie. Alle ihre Sorgen, gallen nur noch den Tieren. Wenn doch nur ein Mensch käme, sich der Tiere anzunehmen. E» kam niemand. Bei solchem Toben fand niemand in»»flexenhaus". Bon Angstschauern geschüttelt, lag Jette und lauschte. Ks raschelte«was über ihr. Es war gewiß im Schornstein. Richtig, da fiel auch schon«ine Ladung Schnee hinunter auf den Feuer» Herd Mit dem Schnee kam eine weiße Taub«. Sie war ganz er- schöpft: ein Cisklumpen hing an den Schwanzfedern. Jette mußte lächeln, obwohl ihr sterbenselend zumute war. Sie hatte um Hilfe gebetet fijr ihre Tiere, nun schickte ihr der liebe Gott noch ein hilf- loses Geschöpf dazu. Jette stand in der Küche. Sie schwankte, als fei sie betrunken. Den herabgefallenen Schnee schaufelte sie in Töpse, Schüsseln und Waschfaß Run hatten die Tiere doch wenigstens Wasser und Futter für die nächsten Tage,— wenn sie nicht mehr da sein sollt«. Der Taube nahm fie den Eistlumpen ab und steckte sie einfach ins Bett, wo fie sich sehr schnell erhalle. Sie flog bald vom Bett auf den Tisch und leerte durstig eine Untertasse voll Wasser. Jette erinnerte sich, daß sie irgendwo eine Tüte mit Erbsen stehen hatte, die sie letzten Herbst auf dem Acker gesammelt hotte. Sie fand sie im Küchcnschrank und leerte den ganzen Inhalt auf den Tisch. Nun konnte auch die Taub« vorläufig nicht verhungern. Und wenn einer von ihren„Gästen" kommen sollte,— Jette lächelte wieder.—«in rührendes Lächeln,— draußen stand ja noch die Nudelsuppe und fast das ganze Hühnerfleisch. Das würden sie schon finden. Nun. wo für Mensch und Tier gesorgt war. kam die große. wundersekige Ruh« über die Nimmermüde Mit Riesenschritten "V ginge bergab. Das Fieber stieg. Aber st« litt nicht mehr: ihr Geist begann sich zu verwirren. Sie sprach mit der Ziege, als sei sie der Ki-tminolbeomte. Sie bat die Taube, ihr doch«in Schlückchen Wasser zu reichen. Durstend öffnete fie die brennenden Lippen. Gurrend saß die Taube auf dem Lettrande und blickt« fie mit ihren roten, runden Aeuglein an. Jette lächelt«. Sie war wieder ein Kind, ein glückliches, frohe« Kind, das auf dem großen Gutshofe im Elternhause Hunderte von weißen Tauben fütterte. Sie stiegen ihr auf die Schulter, sie stiegen ihr auf den Kopf sie fressen ihr aus der Hand.„Annette! Annette!" ruft eine liebe, weiche Stimme. Die Mutter ist's— Schön und stolz steht sie oben aus der Terrasse und lächell und winkt. Und über allem siegt die Sonne, Sonn«,— Licht und Freud«. Begehrend zittern ihre spröden, rissigen, fiebernde» Lippen. Jette ist tot. Draußen ist die Natur auch zur Ruhe gekommen. Der Sturm hat ausgetobt. Es sst Tauwetter eingetreten. Der erste, der sich nach Tage» im �exenhaus" einfindet, ist Jens Sieinklopfer. Er hat so oft sein« Brotschnitte, die ihm in der Tasche zusammengetrocknet waren, in Jettes Slübchen bei einer Tasse Kaffee hinuntergespült. Heute treibt ihn die Sorge um Jette. Cr muß doch einmal nachsehen, wie sse das Unwetter überstanden hat. Jens muß sich erst einen Weg durch Eis und Wasser bahnen. Als er die Tür öffnet, fliegt eine weiß» Taub« an ihm vorbei ms Frei«. Im Stäbchen scharren die Hühner noch dem letzte« Körnchen. Die Ziege blökt, weil ihr das volle Euter schmerzt. Jette liegt friedsich schlafend im Bett und lächelt. Jens geht näher her- an und sieht, daß die Alte tot ist. Jene Steinklopfer nimmt seine Mütze ab und murmell«in stilles Gebet. Dann geht er zum Semomd-vorsteh«. de» Tod der Alten zu meld«. �
Biel « Kosten hat Jette der Gemeinde nicht verursacht. Es steckt doch noch allerhand Wert in der Hütte mit allem toten und lebenden Jnoentar. Jette siegt aufgebahrt in der steinen Stube. In der Leichen- halle liegt ein toter Vagabund, schlimmer noch, ein Verbrecher, ein Mörder, den man unweit der Stadt gefunden hat. Er ist im Schneegestöber umgekommen. Der On. wo man ihn fand, gehört zum Iwrfe, also muß ihn die Gemeinde begraben. Yen, Steinklopfer steht in der Halle und betrachtet die Leiche. Dieser ruhelose, zu Tode gehetzt« Mensch, auch er trägt den Ab- glänz de» Friedens im Angesicht. Er sieht aber doch merkwürdig
Zu den Kircheuaustritten in öraunfthweig.
Der liebe Golk:.Ich selber würde es auch nicht anders machent".'~■
aus in seiner wollenen Deiberjack«. Jen» möchte darauf schwören, daß er diese Jacke oft an Jette gesehen hat. Di« kam es nur, daß so viel« von Jettes„Gästen" von ihrem Tod« erfuhren? Wer kann es jagen? Die Kinder der Landstraße kennen sich ja im weiten Umkreise. Alle, die mehr oder weniger im »Hexenhause" ein. und ausgingen, finden sich hier wieder zusammen zum letzten Schmaus. Zum Leichenschmaus, den ihnen Jette noch selber zubereuet hatte. Jens Steinstopfer wärmt die Nudelsuppe, die er in der Küche findet, st« hat zwar schon einen steinen Stich ins säuerliche, ober das macht absolut nichts, sie schmeckt vorzüglich. Jette liegt im Sarge und lächell ihnen zu. Als das letzte Hühnerbein abgenagt ist. tragen sie den Sorg hinaus. Mit Tannengrün haben sie ihn geschmückt und nun sieht der schwarz« Armensarg gar nicht so häßlich aus. Durch patschigen Schnee gehen sie hin- über zum Friedhof. Das Schneewasser dringt den Aermften der Armen unbarmherzig durch die zerrissenen Stiesel. Sie achten es kaum. Sie ziehen die verschlissenen, dünnen Jacken enger zusammen. Zähneklappernd umstehen sie die Gruft. Jyab' Dank. Mütterchen!— Schlafe wohl, du Gute.— Nimmermüde!" Dumpf poltert die Erde aus Jettes Sarg. Das Gefolge löst sich vom Grabe. Wie der Wind einen Haufen Blätter aufwirbelt und in alle Winde verstreut, so treibt das Schicksal auch dies« Menschen auseenander. Jette ruht nun aus auf dem kleinen Kirchhofe. An der Weiß- dornhecke liegt st«. Neben ihr schläft der Mörder. Man hat ihn zwar an der Mauer verscharrt. Jette liegt aber so nah«, daß sie sich über dem schmalen Pfad, der die beiden Gräber trennt, de» quem die Hände reichen können. Frühlingssonne küßt Jütlonds Heid«. Frühlingssonne küßt Jettes und de« Mörders schmucklose Hügel.
Mus To'ftois Leutnantsjahren. Als Tolstoi noch fern im Kaukasus in MMtärdienst stand, ewig umherbummelnd, trinkend, Karten spielend und dabei doch stets von neuem fei« Laster oerfluchend, schrieb er alltäglich sorgsam nieder, was er an Anstagen und Vorwürfen gegen fich vorzubringen hatte. Sogar während des Krimkrieges, auf feinen ausgedehnten Reisen durch Europa und in den ersten Jahren auf dem heimatlichen Gut Jasnaja.Poljano setzt« er nie damit aus, all« feine Erlebnisse, fein« er« kannten Schwächen und Fehl« gedankllch durchzuarbeiten und schrift- sich niederzulegen. Und dann, eines Tages, hörte« auf bannt, er fühlt« sich zum erstenmal glücklich und geläst. er arbeitet« an seinem Wert.Krieg und Frieden ". Bis zum Jahre 1878 sollt« das Tagebuch unberührt in seiner Schublade schlummern. Merkwürdigerweise sind die Aufzeichnungen Tosstois aus dieser frühen Epoche erst in der ollerletzten Zell veröffentticht worden, zwei »önte:.Tolstoi» intim« Tagebücher� erschienen in französischer Sprach«, herausgegeben von Chuzevill« und Pozner. Aus diesen Tagebüchern kann man schon im jungen Tolstoi den alten sehen. Tolstoi ist unnachfichtlich gegen sich, er schreibt: ,Lch bin häßlich, bösartig, schlecht erzogen, reizbar, jähzornig und ungerecht gegen andere. Eigentlich bin ich sogar unwissend, dazu bin ich auch un- «ntscfalossen, unbescheiden, unduldsam und dann wieder schüchtern, wie «in Kind. Dabei bin ich unglaublich«ingebildet, wie all« Schwäch- singe. Mir fehlt«s an Tapferkeit." Und so geht es noch lange Zeilen weit«: j» unbarmherzige» Eelbsworwürsen, er erniedrigt sich au»
dauernd vor sich selber, er schwelgt fast in Sellsstherabsetzung und in der Verneinung alles Guten in sich. Damals war Tolstoi 25 Jahr« alt. Diese Tagebuchblätter des jungen Tolstoi entheben uns eigentlich der Mühe, fein Leben in zwei Abschnitte zu zerteilen, in den Tolttoi vor und nach der Bekehrung. Denn sein Leben, wie er es in d'.„i«n Blättern genau zergliedert, war doch von einer bewundernswerten und geschlossenen Einheitlichkeit. Aus diesen Tagebuchaufzeichnungen sst klar ersichtlich, daß er schon immer ein Evangelist gewefen ist. Cr schreibt:„Ich erfetze alle Gebete durch das„Dater unser", denn in ihm sind alle anderen enthalten."— Das ist nicht der Alle mtt den buschigen Augenbrauen und dem langen welßen Bart, der so sagt. sondern ein junger strammer Fähnrich, der sein Leben mit seinen Kameraden voll auskostet und zwischen zwei Saufgelagen und zwei Kartenpartien daheim crm Schreibtisch sich selbst zu finden bemüht sst. »Leo Rikolajewitsch", sagte einmal sein Bruder,„hat wieder einmal den ganzen Kaviar vom Brot geschleckt und läßt uns die leeren Scheiben stehen." Am gleichen Abend schrieb, noch den Duft des Kaviars auf der Zunge, derselbe Leo Nikolajewissch in sein Tagebuch. daß er niemals m seinem Leben wieder Kaviar essen werde. So geht er radikal und völlig rücksichtslos gegen sein« Fehler an. In etwas eigenartiger Weise oersucht er, in sein« Sündenbuch- führung Ordnung und Uebersicht zu bringen, er numeriert« sie«in- fach. Er kam bei dieser Methode auf recht hohe Zahlen, denn im allgemeinen war er doch noch seinen eigenen Ermahnungen gegenüber etwas ungehorsam. Eines Tages jedoch erkannte er. daß irgendwo noch ein Denksehler stecken müsse, daß er auf diesem Wege nicht viel erreichen würde. Schritt für Schritt muß ich das Terrain«robern, sagt er sich und sst auf diese Entdeckung sehr stolz.„Mein Haupt- irrtum", schreibt er,„war, daß ich Selbstveroollkommnung mit Voll- kommenheit oerwechselt«. Man muß erst einmal damit beginnen, sich selber klar zu sehen, seine Fehler zu erkennen und dann zu versuchen. dies« Fehler zu tilgen. Das sst richtiger, als gleich nach einer nie erreichbaren Bollendung zu streben." Der von ihm hiermit erkannte Gedanke war an sich banal genug, aber er war doch der Ursprung seiner ganzen moralischen Cntwicstung, die ihn in die geistige Hölx führt«. Zwischen Stößen unbezahlter Milch-, Brot- und Schneider- rechnungen, die alle seine Schubläden füllten, stellte er sein moralisches Soll» und Habenkonto aus. Dabei kam er so weit, daß er seine Hauptfehler auf nur drei reduzieren konnte: Unbeständigkeit, Eharakterschwäch« und Faulheit. Wochen hindurch beschließt er jede Togebuchniederschrist mit dem Satz:„Was mir am meisten in diesem Leben fehll, ist, mich von meiner Unbeständigkeit, meiner Charakter- schwäche und meiner Faulheit zu befreien." Tolstoi wendet also schon damals die autosuggestive Methode an, mit der Jahrzchnt« später der Nancyer Apotheker Couö erfolgreich„arbeitete". Auch Tolstoi sieht Erfolg«. 18S7 schreibt er:„Ick) bin beglückt von der Schnelligkeit, mit der meine moralische Entwicklung fortschreitet." Wenn ein junger Mensch, mitten im Kaukaius. in einem un- kull werten Lande, inmitten unwissender Dauern und einer fast zügellosen Sodoteska ein so naives und doch von starkem Willen zum Guten ersülltes Tagebuch schreiben kann, wenn er sich immer wieder damit abquäll, neue seejische und geistig« Erkenntnisse zu sammeln. dann tonn man schon ruhig von ihm sagen, daß er anders, besser ist, als die ihn umgebenden Menschen, die sinnlos und unüberlegt i» täglichem Einerlei tatenlos ihr Leben abrollen lassen und es ver- geuden. Tolstoi liest viel in seinen stillen Stunden, er liest Dickens , Goethe, vor allen Dingen aber Rousseau , den er zwar später. für viel« seiner Irrtümer verantwortlich macht, den er aber auch als seinen großen Lehrmeister anerkennt. An der übrigen»renzosikchen Literatur kann er sedoch kaum Gefallen finden, er sieht einige Stücke von Molier«, die ihm gar nicht zusagen, er lehnt, und das mit vollem Recht, Roman « von Eugen Sue ab und spricht einige Male von Albernheiten, die er bei Balzac gesunden haben will. Welche—, das sogt er leider nicht. Sicher aber sst, daß ihm der sranzissssche Esprit in seiner etrvas oberflächlichen und spöttischen Art durchaus nicht behagt. Di« Antik« ist ihm bedeutend'kieber. Er war 28 Jahre all, als er die Schönheit der Jlias entdeckt«, er erschauert« innerlich vor Begessterung und Ehrfurcht. In seinem Tagebuch findet sich «in« Notiz, die er macht«, als er gleich noch der Lektüre der Jlias noch einmal das Evangelium gelesen hatte:»Konnte denn Homer nicht erkennen, daß das Schön« die Lieb« ist?" Tolstoi war, entgegen feiner eigenen zu strengen Meinung gegen sich, durchaus nicht faul. Er schrieb unzählige Bogen, voll mit den verschiedensten Beodachtirngen, auch solchen historischen und geographischen Inhalts. Sein Ideal, regelmäßig jeden Morgen einen Bogen zu schreiben, wie es z. L. Zola stets getan, tonnte er nie erreichen, dazu war sein Geist doch zu unruhig. Es war ihm nie möglich, sich zu festgesetzter Stunde programmäßig an seinen Schreibtssch zu setze» und programmäßig zu arbeiten. Nach jahrelangem Kampf« resigniert« er in dieser Beziehung. Wenn er fühlte, daß die Wogen seiner Ge- danken über ihm zusammenschlugen, daß er sie nicht mehr bändigen und in«ine geschlossene Form bringen konnte, dann warf er oie Papier « beiseite, nahm sein Gewehr und ging hinaus aus die Felder zur JaQÄ. Auch über sein« sentimentalsten, sein« intimsten Erlebnisse, seine Erlebnisse mit Frauen berichten diese Tagebuchblätter. Einen ziemlich wciten Raum nimmt darin Valeria Arseniewna«in. Di« Familie Arsenjew wohnt« in allernächster Nachbarschaft von Jasnaja-Poljana Tolstoi war häusiger Gast dort, allgemein nahm man an, daß er Dalerias wegen so viel bei den Nachbarn welle, daß er die Haus- tcchter liebe. Er selber schreibt jedoch, daß er Valeria fast dumm fönde, well sie unverständliche, wenn auch liebenswürdige Torheiten daherrede, daß sie sicherlich leichtjertig. affektiert und stumpfsinnig fei, daß sie häßliche Arme habe und eines Tages entdeckt er voll Entsetzen, daß sie auch noch dicker geworden, als sie bisher gewesen, Lein Urteil lautet«, daß«r auch nich, da« geringst« für sie empfände. Aber am 24 Oktober 185« schreibt er plötzlich:»Ich bin beinah« oerliebt in Valeriol" Seine Meinung sst also ganz plötzlich und scheinbar un- motiviert umgeschlagen, aus einem dummen Gelchöps wurde über Nacht ein reizendes Mädchen. Tolstoi fühlte wohl selbst die Un» Wahrscheinlichkeit dieser Wandlung und er reist nach Petersburg , um feststellen zu können, ob die Neigung einer Trennung standhält. Dort schreibt«r in sew Tagebuch, daß«r zwar noch viel an Valerio denk«, daß dies ober wohl daher kommen möge, daß er in dieser Zest temer anderen Frau begegnet sei. Di« Heirat, die von den Arseniews stark erhofft wurde, kam nicht zustande. Dagegen heiratet« Tolstoi 1862 im Aller von 33 Jahren Sophie Der«. Auch bei dieser Angelegenheil ging nicht alles so glatt, wie man erwartet, auch hier bestand zuerst ein Mißverständnis bei den zukünftigen Schwiegereltern. Alle Welt glaubte, daß er in die Aeltest« der Bersmüdels. in Lisa, verliebt sei. und man war sehr erstaunt, fast ein wenig verärgert, als er um Sophies Hand bat. Von dieser Zeit an müssen die Tagebuchaufzeichnungen vor den alltäglichen Notwendigkeiten zurücktreten. Di« Ehe und landwirt- schafttich« Unternehmungen nehmen ihn zu stark in Anspruch. Sein Leben fließt nicht sehr leicht, er hat viel Schulden und findet überdies m seiner Arbeit keinerlei Befriedigung. 1865 ließ er alles im Stich und«ist« in die Steppen von Samara Er glaubt«, daß er, wie seine Brüder, lungenschwindsüchtig sei und wollte sich durch einen längeren Aufentwalt in der lustigen und freien Stepp« und einer Stutenmilchkur ausheilen. Zu dieser Zeit trat«in Stillstand in der mystsschen Entwicklung Tosstois«in, einer Entwicklung, deren Keim in der Zeit vor semer Verheiratung, in der Zeit, wo«r im Kaukasus fein Tagebuch be- gönnen, gelegen hat.«t.