Einzelbild herunterladen
 

Abendausgabe

Nr. 15 44. Jahrgang Ausgabe B Nr. 7

Bezugsbedingungen und Anzeigenpreife Find in der Morgenausgabe angegeben Rebattion: SW. 68, Lindenstraße 3 Fernsprecher: Dönhoff 292-292 Tel.- Adreffe: Sozialdemokrat Berlin  

Vorwärts

Berliner   Volksblaff

10 Pfennig

Montag

10. Januar 1927

Berlag und Anzeigenabteilung: Gefchäftszett bts 5 Uhr Berleger: Borwärts- Berlag GmbH. Berlin   Sm. 68, Cindenstraße 3 Fernsprecher: Dönhoff 292- 29%

Zentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands

Loebe bei Hindenburg  .

Beginn der Besprechungen über die Regierungsbildung.

Der Reichspräsident empfing heute vormittag zur Einleitung| fie der Kreuzzeitung  " recht geben oder dem ,, otal feiner Besprechungen über die Regierungsbildung zunächst den Anzeiger"? Reichstagspräsidenten Genossen Löbe.

Ferner empfing der Reichspräsident die Führer derjenigen Par­teien, die in der ersten Besprechung am 18. Dezember noch nicht beim Reichspräsidenten waren, und zwar in Bertretung des dienstlich ab­wesenden Abgeordneten Drewiß von der Wirtschaftspartei Prof. Bredt, für die Bayerische Volkspartei   Domkapitular Leicht, sodann den Vorsitzenden der deutschnationalen Fraktion, Grafen West ar p.

Im Laufe des Nachmittags wird der Herr Reichspräsident weiter den Vorsitzenden der Zentrumsfraktion, v. Guerard" empfangen. Man rechnet damit, daß noch heute abend ein Auftrag zur Neubildung des Kabinetts erfolgen wird.

Tagung des Parteiausschusses.

Der sozialdemokratische Parteiausschuß ist heute morgen zufammengetreten, um über die politische Situation zu beraten.

Der abgeschüttelte Loebell. Bernebelungsversuche.

Die deutschnationale Pressestelle ist angesichts der schlech­ten Regie in der deutschnationalen Bresse in schrecklicher Ver­legenheit. Soll sie sagen, Herr v. Loebell seit abgeschüttelt worden, soll sie sagen, er sei nicht abgeschüttelt worden? Soll

16 50 30

Sie veröffentlicht folgendes Spiel mit Worten: Die deutsch   nationale Parteileitung hat teine Erflärung abgegeben. Sie fonnte es auch gar nicht, da thre Mitglieder, besonders der Herr Parteivorsitzende nicht in Berlin  anwesend sind.

Der Vorgang war vielmehr der folgende: Ein großes Berliner  Nachrichtenbureau fragte telephonisch bei uns, der Pressestelle, an, ob der Artikel des Herrn von Loebell im Deutschen Spiegel" der Meinung der Parteileitung entspräch e. Wir, die Pressestelle, wiesen als Antwort auf die Erklärung hin, die Herr Minister von Loek ell selbst loŋalerweise in seinem Artikel abgab, ,, daß er vor Abfassung dieses Artikels mit feinem Parteiführer der Deutschnationalen Volkspartei   sich über die Regierungsbildung aus: gesprochen hätte. Sein Artikel sei vielmehr lediglich in Ausübung feiner Tätigkeit als Präsident des Reichsbürgerrates geschrieben. Herr Minister von Loebell ist also feineswegs des= avouiert" worden, sondern im Gegenteil seine oben wieder gegebene Feststellung ist bestätigt worden."

Das ist recht hübsch um den Kern herumgeredet. Un­berührt bleibt die Frage: entspricht die Ansicht Loebells der Ansicht der deutschnationalen Parteileitung? Es bleibt dabei, daß man nicht zu sagen wagt: ja oder nein, und es bleibt dabei, daß die deutschkonservative Führung Loebell energisch ab­schüttelt.

Die Senatswahlen in Frankreich  .

Erfolge der Linken.

Paris  , 10. Januar:( Eigener Drahtbericht.) Die Senats. wahlen brachten den Linksparteien einen unbeftriffenen Sieg. Gc. wählt wurde in 33 Departements. Von den 108 zu wählenden Senatoren wurden gewählt: Gemäßigte Republikaner 19( früher 22), Linksrepublikaner 16( 21), fozialistische Radikale 48( 51), Sozia­liffen 10( 2), Radikale 7( 8), Konservative 4( 4), Sozialistische Re­publifaner 2( 0), fommunistische Sozialisten 2( 0). Die Sozia­liften haben 8 Site, die sozialistischen   Republikaner   und die tommunistischen Sozialisten je 2 Sige gewonnen. Die ge­mäßigten Republikaner haben 3, die Linksrepublikaner 5, die Radi­falen 1 und die sozialistischen Radikalen 3 Size verloren.

Die Sozialisten fönnen nunmehr auch im Senat eine eigene Fraktion bilden. Auffallend ist der Linksfieg vor allen Dingen in den Departements Seine und Rhone  ; auch in den anderen Departe­ments zeigte fich eine starke Linksströmung. Rechts gewählt haben nur die elsaß  - lothringischen Departements, die Pyrenäen  und die Vendée  . Von den bisherigen Rechtsfenatoren von Paris  ist dagegen ein einziger wiedergewählt worden.

*

Der allgemein angekündigte Rud nach links, den die

hätten.

geistige Erneuerung eines Drittels des Senats bringen sollte, ist erfolgt. Allerdings nicht in dem Maße, wie manche Opti­misten es erwarteten. Der Gewinn der Linken beträgt nicht 15, sondern nur 8 Size. Indessen ist eine starke Linksorien 15, sondern nur 8 Size. Indessen ist eine starke Linksorien tierung insofern doch zu verzeichnen, als innerhalb der Linken die Sozialisten wesentlich gestärkt- aus dem Kampf her zum Teil auf Kosten der Radikalen aus dem Kampf her vorgehen. Deshalb zieht der Matin" mit Recht aus der Wahl die Lehre, daß die Sozialisten die Haupt­sieger des Tages find. Auch die nichtsozialistischen Blätter der Linken sind mit dem Resultat durchaus zufrieden, während die Blätter des Nationalen Blocks fich gleichfalls den Anschein der Zufriedenheit geben, indem sie darauf hinweisen, daß die hochgeschraubten Erwartungen ihrer Gegner sich nicht erfüllt Das indirekte Wahlverfahren bringt es mit fich, daß Das indirekte Wahlverfahren bringt es mit sich, daß die öffentliche Meinung weniger Intereffe für die Parteien und deren ziffernmäßiges Abschneiden als für den Erfolg oder dem Mißerfolg einzelner prominenter Persönlich feiten zeigt. Deshalb liegt das politische Schwergewicht der gestrigen Senatswahlen vor allem bei der Niederlage einiger der bekanntesten Führer des Nationalen Blods. Daß insbesondere Millerand durchgefallen ist, dürfte, obwohl allgemeinen erwartet, in den Augen der öffentlichen Meinung Frankreichs   das politische Symbol dieses Wahl­tages sein. Für den Mann, der noch vor zweieinhalb Jahren Bräsident der Republik   war, und der, als er vor Jahresfrist einen freigewordenen Senatsfig in Baris erobert hatte, meinte, den politischen Kampf als Führer des Nationalen Blods wieder aufnehmen zu können, ist dies ein schwerer Schlag. Möglicherweise bedeutet das für ihn den endgültigen Abschluß seiner politischen Karriere. Das gleiche gilt für den bisherigen Senatspräsidenten de Selves, der im Jahre 1924 mit den Stimmen des Nationalen Blocks zum Senatspräsidenten gewählt worden war. Für die bisherige reaktionäre Senatsmehrheit ist de Selves Niederlage eine empfindliche Lektion. Endlich ist die Niederlage des Pariser Senators Billiet von Interesse, der als Vorsitzender der

|

Die Sozialisten Sieger.

sogenannten Bereinigung zum Schuße der wirtschaftlichen Interessen" der Herrgott der reaktionären Parlamentarier war, deren Wahlen er mit Hilfe seines Verbandes wesentlich finan­zierte.

Der einzige Erfolg, auf den die Gegner der Linken hin­weifen fönnen, ist der Sieg des bisherigen Präsidenten der Deputiertenfammer, Raoul Péret  , über den früheren Unterrichtsminister im Kabinett Herriot  , François Albert. Diefes Ergebnis hat jedoch mehr persönliche als politische Ursachen. Und, obwohl Péret ein gemäßigter Politifer ist, so darf er doch nicht als ein Mann des Nationalen Blods hingestellt werden. De Selves Niederlage und Bérets Senatswahl werden zur Folge haben, daß die in den nächsten Tagen wieder zusammentretenden beiden parlamentarischen Körperschaften neue Präsidenten werden wählen müssen. Eine Präsidentenneuwahl ist zwar zu Beginn jeder Jahressession immer fällig, aber diesmal werden sowohl in der Rammer wie im Snat ganz neue Männer um den Präfi­dentenfig fämpfen müssen.

Die Namen der einzelnen Parteien haben besonders bei den Senatswahlen nicht viel zu bedeuten; sie sind sogar zum Teil geradezu irreführend. So hat die sogenannte ,, Repu­blitanische Linke" mit der Linken in Frankreich   ebenso wenig zu tun wie in Deutschland   die Volksparteien mit dem Bolte. Auch die Rechtsradikalen" haben natürlich mit dem Faschis­mus nichts gemein, sondern sind lediglich nach rechts ab­gesplitterte Teile der Partei Herriots, die im Senat den Namen Demokratische Linke" trägt. gesplitterte Teile der Partei Herriots, die im Senat den

"

Die Sozialisten waren bisher mit insgesamt 6 Mann dieser Demokratischen Linken gewissermaßen als Hospitanten angeschlossen. Jetzt werden sie wohl mit 14 Mann als selbständige Fraktion auftreten fönnen, zumal die beiden Sozialistisch- Kommunisten", die beiden Pariser Vorort­bürgermeister Morizet und Bachelet, die nur ganz furze Zeit bei der Kommunistischen Partei waren, sich zweifel­los den Sozialisten wieder anschließen werden. Es sind noch drei weitere Pariser   Borortbürgermeister und Abgeordnete im Seine- Departement als Senatoren gewählt worden, der frühere Minister Herriots und Briands Pierre Laval  und die Genossen Boilin und Auray  . Dadurch wird eine Deputiertenneuwahl in der Bannmeile von Paris   notwendig werden, die von den Kommunisten gewünscht wird.

77 Kinder getötet.

Kinobrandkatastrophe in Montreal.  - Panik unter Kindern.

Montreal   in Kanada   ist von einer furchtbaren Brandtatastrophe heimgesucht worden. In einem Kino entstand während der Vor­ftellung Feuer, in dessen Gefolge unter den Zuschauern eine Panit ausbrach. Als der Feueralarm ertönte, wurde das Parterre zwar in Ruhe geräumt, dagegen entstand unter den Kindern, die sich auf der Galerie befanden, eine furchtbare Panit. Sie versuchten unter laufen Schreien ins Freie zu gelangen und ftauten sich am Aus­gang. Die meisten Opfer fanden in dem Gedränge auf einer nach der Straße führenden Wandeltreppe den Tod. Die Zahl der Ber­letzten beträgt etwa 30. Nach dem Schauhause find 77 Leichen der bei der Panik erdrückten Knaben und Mädchen gebracht worden.

Gajdas Glück und Ende.

Der tschechische Faschismus und sein ,, Duce". Bon Senator Wilhelm Nießner, Brag.

des Direktoriums des tschechoslowakischen Faschismus ab­Bor einigen Tagen wurde ein gesamtstaatlicher Kongreß gehalten, dem von der faschistischen Presse historische Be­deutung zugesprochen wird, denn er habe drei entscheidungs­volle Beschlüsse gefaßt. Er hat beschlossen, die faschistische Bewegung von der Bindung mit politischen Parteien loszu­lösen und seine Unabhängigkeit festzulegen, er hat unter bombastischem Getue dem Faschismus einen Führer in der Person des weggeschickten Generalstabschefs Gajda gegeben und er hat ein faschistisches Programm gefchaffen. Das alles hat die 84 Teilnehmer des Kongresses so entzückt, daß sie nach der im Schlußworte ihres neuerwählten Duce enthalte­nen Ankündigung, in einem Jahre werde der Faschismus im Staate entscheiden, in wahre Jubelstürme ausbrachen.

fangszeiten des italienischen Faschismus getreulich abgeguckt. Das sogenannte Programm ist jenem aus den Ana Auch der tschechoslowafische Faschismus will nicht nur eine nationale, sondern auch eine soziale" Bewegung sein und verspricht unter dem Schlagwort ,, Das Wohl der Heimat sei das höchste Gesez", die soziale Frage zu lösen. Auf den demokratischen Weg foll vorläufig nicht verzichtet werden, was bedeutet, daß der Faschismus das Parlament zur Stär­fung seiner Reihen benügen möchte. Dem Sozialismus wird der Krieg erklärt, die bisherigen" Gedanken, Ansichten und Methoden der sozialistischen   Parteien werden als ,, unmoralisch und schädlich" abgelehnt. Der Faschismus will weiter gegen Korruption und Lügendemokratie, gegen alle Elemente, die nicht bedingungslos auf dem Boden des Staates stehen, tämpfen und auf die nationale Konzentration der Tschechen und Slomaten hinarbeiten.

-

Interessanter als das Konglomerat von schwülstigen Phrasen, das Programm genannt wird, ist die Person des erwählten Faschistenhäuptlings. Er zählt 34 Jahre und war bis vor furzem Generalstabschef der tschechoslowa­fischen Arme. Als Rudolf Geidl   und Sohn deutscher Eltern geboren, nennt er sich heute Radola Gajda   und hat eine abenteuerliche Karriere hinter sich, die nur in unruhigen Reiten, wie es die Kriegs- und Nachkriegszeit war, möglich ist. Nach Absolvierung des Untergymnasiums wurde er Brattikant in einer Drogerie, später Gehilfe und rückte bei Kriegsausbruch freiwillig in die österreichische Armee ein, in der er es bis zum Feldwebel brachte. Gleich vielen anderen überlief er zu den Montenegrinern, wo er sich in edler Be­scheidenheit als Regimentsarzt ausgab. Da seine medizini fchen Kenntniffe sich nicht auffallend von jenen anderer öfter­reichischer Regimentsärzte unterschieden haben dürften, fchöpfte man gegen ihn erst spät Berdacht, doch entzog er sich dem drohenden Disziplinarverfahren, indem er in Rußland  , wo er hingeschickt worden war, in die serbische Legion ein­trat. In die tschechische Legion übersetzt, wurde er Stabs­tapitän, erhielt das russische   Georgskreuz, wurde kurz darauf Generalmajor und Regimentskommandant und im Jahre 1918 Oberbefehlshaber aller Truppen an der ostsibirischen Front. 1919 wurde er Generalleutnant in der Armee des Admirals Koltschat, in welcher Zeit eine ungeheure Macht in seiner Hand vereinigt war. Bieles   aus dieser Zeit ist in Dunkel gehüllt, doch finden sich einzelne, welche behaupten, Gajda feit mit unerhörter Rücksichtslosigkeit und unmensch­licher Grausamkeit feinen Weg nach oben gegangen. Erst 1920 in die Heimat zurückgekehr, machte er an der Barifer Krieasschule einen Schnellfriensturfus durch, wurde dann Divisionär von Kaschau   und 1924 Chef des General­stabs der tschechoslowakischen Armee. Es erscheint nicht weiter erstaunlich, daß in einer Reit, in der in allen Ländern die Generäle prätorianische Gelüfte zeigen und sich so mancher zum Diftator aufschwingt, ein Mann von dieser glücksritte­rischen Vergangenheit und solchem Aufstieg mit seiner Rolle nicht zufrieden, nach dem Höchsten, der unumschränkten Macht im Staate gierig, war und er begann daher Fäden zu der aufteimenden faschistischen Bewegung zu spinnen, mit deren Hilfe er sein Ziel zu erreichen hoffte. Schon vor Jahresfrist wurde General Gaida in allen faschistischen Versammlungen als der tommende Diktator gefeiert. Die tschechischen Sozial­demokraten interpellierten aber der damalige Landesver teidiauinasminister antwortete prompt. Gaida fei fein Faschist, nur Soldat, der sich von aller Politit fernhalte und dem unrecht geschehe, wenn man ihn umstürzlerischer Gelüfte bezichtige. Derfelbe Gajda aber saate vor einigen Tagen auf der Faschiftenkonferenz: Als Soldat konnte ich diese Funktion( die Führerstelle) nicht annehmen, weil dies die militärischen Vorschriften nicht erlaubten Doch war ich im Geiste mit euch!" Gajda ist nämlich mittlerweile verab­

ichiedet worden. Man hat festgestellt, daß er zur Zeit seines

Pariser   Aufenthalts den Sowiets feine Svionagedienste gegenüber Frankreich   angeboten habe, was woh. da Mar­fchall Foch fich heftig gegen Gaida ausforach, in Brag schon früher bekannt gewesen sein dürfte, ohne daß dies feiner Ernennung zum Generalstabschef hinderlich wurde. Erft als er unbequem wurde, erinnerte man sich dieser dunklen Enisode in feiner Bergangenheit und fänte ihn ab. Nach seiner Ver­abschiedung wurden weitere Dinge über ihn bekannt- welche, darüber wird fiefftes Schweigen bewahrt und so wurde gegen den pensionierten General das Disziplinarver­fahren eingeleitet, das mit seiner Degradierung endete. Er­