Abendausgabe
Nr. 21 44. Jahrgang Ausgabe B Nr. 10
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10 Pfennig
Donnerstag
13. Januar 1927
Vorwärts=
Berliner Volksblatt
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Zentralorgan der Sozialdemokratifchen Partei Deutschlands
Der Beschluß des Zentrums.
Streit über seine Bedeutung. Ablehnung oder Verhandlungsbereitschaft?
Der Beschluß der Zentrumsfraktion, der den Vorstand beauftragt, den Herren Curtius und Stresemann die Bedenken der Partei gegen die geplante Kabinettsbildung darzulegen, wird nach der Meinung der Germania " zwei Folgen haben:
Es werde der Deutschen Volkspartei und ihrem Führer, Herrn Dr. Stresemann, nicht erspart werden können, zu der neuen Lage, die sich aus dem Beschluß des Zentrums ergebe, Stellung zu nehmen. Das Zentrumsblatt verweist in diesem Zusammenhang auf die bekannte Rede Silverbergs und auf eine Erklärung des ,, Sozialdem. Pressedienstes", daß die Sozialdemokratie jederzeit zu Verhandlungen bereit sei. Daraus ist zu schließen, daß das Zentrum die Bolkspartei noch einmal fragen will, wie sie fich zur Großen Koalition ftellt.
Als zweite Folge des Zentrumsbeschlusses erwartet die ,, Ger mania ", daß Herr Curtius heute seinen Auftrag dem Reichspräsidenten zurüdgeben werden.
Die demokratische Presse erblickt in dem Zentrumsbeschluß eine
Absage nicht nur an Curtius sondern an den Gedanken einer Rechtstoalition überhaupt. Sie macht darauf aufmerksam, daß der Vorstand beauftragt wird, nicht mit dem Fraktions vorfizenden der Volkspartei Scholz zu sprechen, was in diesem Fall bas lebliche gewesen wäre, sondern mit dem Parteivorsitzenden Stresemann. Sie sieht darin, wohl nicht mit Unrecht, eine be absichtigte Demonstration gegen den berühmten Redner von Inster burg
und Rönigsberg.
Ganz anders wird jedoch der Beschluß in der Rechtspreise aufgefaßt. Diese vertritt nach einheitlicher Direktive die Auffaffung, daß die Tür zu Berhandlungen nach rechts nicht zugeschlagen sei. Wenn das Zentrum außen- und innenpolitische Bedenken habe, so tönne man ja über sie reden und sie vielleicht zerstreuen. Diefelbe Auffassung wird in der Volkspartei vertreten. Daß der Beschluß, statt mit Scholz mit Stresemann zu sprechen, für den ersteren eine Brüsfierung bedeutet, findet auch die ,, Deutsche Tageszeitung", fie meint aber, über Empfindlichkeiten müffe man in der gegenwärtigen schweren Gesamtlage hinwegkommen.
Wenn auch Persien als das einzige Land unter den GroßIntereffant ist, wie sich die Rechtspreffe zu dem Empfang mächten des Altertums seine Unabhängigkeit bis zur Gegender Gewerkschaften verhält. Der Hugenbergsche Tag" wart bewahrt hat, so ist diese in Wirklichkeit doch nur eine spricht mit frauser Stirn von weitgehenden Wünschen", der scheinbare gewesen. Seit Jahrzehnten ist es ein Kampfplatz Lotal- Anzeiger" von rein auf Demagogie abgestimmten jozialbes imperialistischen Ringens von England und Rußland . In politischen Forderungen" der freien Gewerkschaften. Auch die der Tat steht auch die Geschichte Persiens der Jezizeit unter Kreuzzeitung " fann einen kleinen Seufzer nicht unterdrücken: dem Zeichen russisch - englischen Gegensages. Die Revolution von 1906 war ein Verzweiflungsakt persischer Patrioten, um ihr Land vor dem endgültigen Untergange zu bewahren und ihm seine Selbständigkeit zu erhalten. Nun verständigten sich aber die alten Rivalen in der Frage der Unterdrückung der wurde: Nordpersien war nunmehr russisches, Südpersien hinpersischen Freiheit und unterzeichneten den Vertrag von 1907, kraft dessen Persien in zwei Einflußsphären geteilt gegen britisches Einflußgebiet.
Und die Vertreter der wirtschaftsfriedlichen Arbeitnehmerverbände? Es ist doch recht bedauerlich, daß Dr. Curtius bei der Behandlung von Fragen, die alle Arbeit nehmerkreise angehen, Unterschiede macht und bestimmte Gruppen
ausschaltet.
freisen gerade noch gefehlt, daß er die Gelben empfangen hätte! Das hätte Herrn Curtius zu seiner„ Popularität" in Arbeiter
Stresemann seinen Beschluß mitteilen. Seine Vertreter werden ihn Das Zentrum wird heute nachmittag den Herren Curtius und jedenfalls tommentieren, und von dem Kommentar wird es ab
hängen, ob Curtius weitere Berhandlungsversuche unternimmt oder ob er, wie die ,, Germania " erwartet, seinen Auftrag an den Reichspräsidenten zurückgibt.
Was nach dem Scheitern der Mission des Herrn Curtius ge: schehen wird, ist noch durchaus ungewiß. Von rechts her versucht man den Reichspräsidenten dazu zu bewegen, daß er eine Rechtsregierung ernennen soll, die nach einem Mißtrauensvotum den Reichstag auflösen soll. Man spricht auch in diesem Zusammenhang von Plänen, mit dem Art. 48 zu regieren, gegen die sich die„ Köln . Volkszeitung" mit großer Schärfe wendet. Bir haben schon gesagt, daß Schwierigkeiten der parlamentarischen Regierungsbildung nach der Verfassung keine Handhabe zur Anwendung jenes Artikels bieten, seine Anwendung würde in diesem Falle einem Staatsstreich gleichzusetzen sein.
Es bliebe also nur die Auflösung des Reichstags, der die Sozialdemokratie mit voller Siegeszuversicht entgegensieht. Weil aber diese Siegeszuversicht sonst nirgends besteht, ist zu er warten, daß man versuchen wird, auf anderen Wegen eine neue Regierung zu schaffen.
Abbruch der Beziehungen zu Meriko?- Ter Bolschewismus als Popanz.
New York , 13. Januar.( 2.) nach Meldungen aus Meriko herricht in dortigen diplomatischen Kreisen die Ansicht, daß noch in diesem Monat mit dem Abbruch der diplomatischen Beziehungen zwischen Mexiko und den Vereinigten Staaten von Nordamerika zu rechnen sei. Diese Meinung sei der Niederschlag des Eindrucks, den die Beschwerden Coolidges und Kellogs in Merito gemacht hätten.
In einer Erklärung an die ,, Associated Preß " spricht der lieberale Präsident von Nicaragua , Sacaja, von Rüdtrittsabfichten, da dadurch vielleicht die Möglichkeit eines Krieges mit den übermächtigen Bereinigten Staaten verringert werde, wenn es auch jeht schon Tatsache fei, daß sich beide Länder in Kriegszustand befinden.
Wie jetzt bekannt wird, versuchte Staatssekretär Kellogg in feinet Erklärung vor dem Auswärtigen Senatsausschuß den Eindruck zu erweden, als ob ganz Mittelamerita unter boliche wistische Herrschaft gebracht werden folle und daß Calles auf den BolHerrschaft gebracht werden solle und daß Calles auf den Bolfchewismus in Nicaragua hinarbelle. Da Amerika völlig antifozialistisch eingestellt ist und feinen Unterschied zwischen Sozialismus und Bolfhewismus macht, fann durch nichts beffer die öffentliche Meinung beeinflußt werden als mit derartigen Schlagworten. Es läßt sich schon ein Nachlaffen der Senatsoppofi
tion erkennen.
Die Zeitungen find mit Greuelmeldungen aus Merito gefüllt. Man fagt, Merito sei in völliger Unordnung. In der Nähe von Merito- City hätten Amerikaner 142 angesehene Megifaner von den Regierungstruppen aufgehängt gefunden.
Tie Calles- Truppen Herr der Lage. London , 13. Januar. ( WTB.) Nach ener Reutermeldung aus Merito treffen troß der gestriçen beruhigenden Erklärung des Generalftabschefs der Regierung Calles, General Alvarez, daß die revo lutionäre Erhebung bedeutungslos fei, in immer zunehmendem Umfange Berichte über Aufstände, Schießereien und in richtungen in verschiedenen Teilen der Republif in der Haupt stadt ein. Gestern morgen erließ Präsident Calles eine neue Erklärunç, in der er dem katholischen Episkopat die Berantwortung für die Erhebungen unter dem Banner Lang lebe Christus der König " aufbürdet. In der Erklärung des Präsidenten Calles wird weiter behauptet, daß der katholische Epistopat in der Ertenntnis, daß die merikanischen Beziehungen zu den Vereinigten Staaten nach Neujahr sehr gespannt sein würden, die katholische Geistlichkeit angewiefen habe, eine möglichst große Anzahl von Leuten zum Aufstande gegen die mexikanische Regierung zu verleiten. Die Bundesregierung sei davon überzeugt, daß die Aufständischen auf Grund genauer Anweisungen seitens des Epistopats handelten. Auf die Propaganda der Priester, die blind fanatisch ben Anweisungen des Epistopats gefolgt seien, seien die Auf
stände in sechs verschiedenen Staaten zurückzuführen, bei denen 24 Soldaten der Bundestruppen und 75 katholische Aufständische den Tod gefunden hätten. Bei der Einnahme der Städte Cocula, Arandas und Tototlan im Staate Jalisco durch die Bundestruppen seien 26 Aufständische getötet.
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Peking erhöht selbständig die Zölle. Die Zollautonomie angekündigt. Peting, 13. Január. ( WTB.) Die Regierung hat drei Ver. ordnungen erlaffen, durch die ein allgemeiner 3 ufchlags3011 von 2% Pro3. und für Curusartikel ein weiterer Zuschlag von 5 Pro3. eingeführt wird. Diese Zuschlagszölle follen ab 1. Februar erhoben werden. Außerdem wird in den Berordnungen ausgeprochen, daß China vom 1. Januar 1929 an 3ollautonomie erlangt.
Der Minister des Auswärtigen ist angewiesen worden, bei den Mächten auf eine baldige Wiedereröffnung der 3011konferenz, offenbar zur Regelung der Frage dieser Zuschlagszölle, hinzuwirken. In einer weiteren Verordnung wird bestimmt, daß der Ertrag der erwähnten Zuschlagszölle erftens zur Ablösung der Binnenzölle, zweitens für 3wede der inneren und äußeren Anleihen und drittens zum Ausbau der Verwaltung verwendet werden soll.
Die Vereinheitlichung der Tarife.
Die Verkehrsdeputation stimmt zu.
Die Berkehrsdeputation beschäftigte sich am 13. Januar morgens zum zweitenmal unter dem Borsitz des Oberbürgermeisters mit den bekannten Vorschlägen für die Vereinheitlichung der Tarife Tarife und der Organisation der Berliner ftädtischen Berkehrsunternehmungen. Sie ffimmte den Vorschlägen der Direttoren und Sachverständigen mit der Maßgabe zu, daß die Umsteigeberechtigung auch auf den Omnibus zum Preise von 20 1. ausgedehnt werden soll. Ebenso billigte fie die Maßnahmen für die einheitliche Organisation und erteille ihre Zustimmung zur Aufnahme einer Anleihe für Verkehrszwede in Höhe von 90 millionen Mart. Während der Beratungen wurden auch die Bedingungen des amerikanischen Anleihevertrages der Hochbahn besprochen. Man sah in diesem kein Hindernis für den Abschluß der neuen Tarifvereinbarungen. Der Magiftrat wird auf Grund der Vorschläge der Berkehrsdeputation am 14. Januar vormittags in einer außerordentlichen Sihung die Borlagen an die Stadtverordnetenversammlung verabschieden, so daß fie der nöchsten plenariihung am Donnerstag, den 20. Januar, bereits zur Entscheidung vorliegen werden.
Persien von neuem. Das bolsche wistische Rußland Nach dem Kriegsende begann der alte Wettkampf um hatte zwar formell auf alle zaristischen Vorrechte und KonKraft und unter anderem Namen wieder daran, in Persien von zeffionen verzichtet, in Wirklichkeit aber ging es mit neuer dort seine alten Positionen festzuhalten und sie noch mehr zu neuem einzudringen. Auch England fuhr seinerseits fort. erweitern. Sowjetrußland sowohl als auch England schlossen nun 1921 mit Persien Freundschaftsverträge". Die Perser zunutzen, um die Selbständigkeit des eigenen Landes zu bemüten sich ihrerseits, die britisch- russischen Gegensätze aus= feftigen. Die vorhergehende Teheraner Regierung hatte nämlich 1919 mit England einen Vertrag abgeschlossen, der das lich 1919 mit England einen Bertrag abgeschloffen, der das Risa Khan, ein ehemaliger Soldat, der an der Spize alte Perferreich zu einem Vasallenlande machte. Der tatkräftige der Truppen Ministerpräsident Persiens wurde, trug zur politische und wirtschaftliche Erneuerung des Landes wurde Besserung des persischen Schicksals entschieden bei. aber in der Hauptsache durch innere national- persische und wirtschaftlich- fortschrittliche Kräfte zustande gebracht.
Die
Neben den Fremdmächten hatten die zahlreichen perfischen Feudalen( Khans) ungestört und ohne Kontrolle in den Provinzen unter den verschiedenartigen, größtenteils noch nomadischen Stämmen des Landes gewirtschaftet. Der asiatische Feudalismus herrschte in Persien in voller Kraft. Der Frondienst war dort- und ist es teilweise noch heute- das allgemein verbreitete Wirtschaftssystem. Jeder Khan regierte wie ein selbständiger fleiner König in seinem" Lande: mit eigenen bewaffneten Kräften, eigenen Gesetzen und Gerichtsbarkeit, Steuersystem, ja oft auch mit eigener Außenpolitik". Kurzum, Bersien lebte noch in seinem tiefen Mittelalter. Alles dieses abgeschafft zu haben, ist kein geringes Verdienst; und es kommt nicht zuletzt Risa Khan und feinen Anhängern zu.
Schon 1924 hatte Risa Khan beabsichtigt, die alte Kad= scharen Dynastie zu beseitigen und die republi tanische Staatsform einzuführen. Dabei unterstüßte ihn, außer den inneren fortschrittlichen Elementen, auch die britische Diplomatie. Dieser entgegen traten aber die russischen Bolschemiſten. In Gemeinschaft mit den persischen Reaktionären brachten sie die republikanischen Pläne Risa Khans zum Scheitern. Dieser schlug daher einen anderen Weg ein: am 31. Oftober 1925 vollzog er, durchaus im Einverständnis mit dem Medschlis( dem Parlament) den Staatsstreich. Der feit Jahren im Ausland weilende und vom Volke tief verachtete Achmed Schah, der in Paris und an der Riviera seinen Bergnügungen gelebt hatte, wurde einmütig abgesetzt, die im Dezember einberufene Nationalversammlung wählte Risa Khan zum neuen Schah. Moskau fand sich mit den neuen Tatsachen ab. Seine und Londons Anerkennung des neuen Schahs erfolgte in Teheran gleichzeitig. Aber beide Mächte verschmähen feine Mittel, um die persische Regierung unter ihren Einfluß zu zwingen. Daß Persien heute nicht weniger als 45 Broz. seiner Einnahmen für die neugeschaffene, wenn auch nicht große Armee( 35 000 Mann) aufwendet, daran tragen neben den persischen Militärkreisen und dem Schah selbst nicht zuletzt die russische und englische Diplomatie die Schuld.
Das wirtschaftliche Uebergewicht im heutigen Berfien gehört doch England. Rußland hat vieles von seiner früheren Pofition eingebüßt. Während z. B. zur Vorkriegszeit 55 Proz. des persischen Außenhandels auf Rußland entfielen in Nordperfien hatte es feinen Kon-, turrenten, auf alle übrigen Länder aber zusammengenommen nur 45 Broz., darunter England mit 21 Broz., so ist das jezige Verhältnis etwa umgekehrt. England beherrscht heute fast den persischen Markt. Etwa 70 Proz. der persischen Einfuhr deckt England. Sowjetrußland gibt sich allerdings Mühe, den früheren Zustand in Persien allmählich wieder zu erreichen, jedoch ohne großen Erfolg. Der deutsch= persische Handel macht verhältnismäßig gute Fortschritte; er hat den Borkriegszustand beinahe wieder erreicht.
Innerhalb des Landes versucht die Regierung die früheren Eisenbahnbaupläne, wenigstens teilweise, zu verwirklichen. Die Nord- und Südpersien vom Kaspischen Meere bis zum Persischen Golf verbindende Linie ist schon in Angriff genommen. Sie soll durch das südpersische Delgebiet gehen und auch die nordpersischen Delquellen dem Weltmarkt erschließen. Dieses Projekt stammt von den Engländern und findet auch heute noch Londons Unterstügung. Damit würde