Abendausgabe
Nr. 27 44. Jahrgang Ausgabe B Nr. 13
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17. Januar 1927
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Zentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands
Marx verhandelt.
Heute nachmittag entscheidende Besprechungen.
Reichstanzler Dr. Marg hat dem Reichspräsidenten gestern abend mitgeteilt, daß er den Auftrag, auf Grund des bekannten Zentrumsbeschluffes durch Verhandlungen mit den in Frage kommenden Fraffionen des Reichstages die politische Lage und die Möglichkeiten der Regierungsbildung weiter zu flären, annimmt. Marg will demgemäß heute mit den Parteiführern wegen der Möglichkeit der Bildung einer Regierung der Mitte verhandeln. mie in parlamentarischen Kreisen verlaufet, will er zunächst mit den Führern der Reichstagsfraffionen der Deutschen Volks. partei verhandeln, um festzustellen, ob ein Kabinett der Mitte mit Unterstützung der Sozialdemokraten durchzuführen ist. Der Fratfionsvorstand der Deutschen Bolkspartei fritt bekanntlich heute vormittag zu einer Sigung zufammen.
Mit den Fraktionsführern der Deutschnationalen und der Sozialdemokraten will Dr. Marg erst verhandeln, nachdem er die Ansichten der Deutschen Volkspartei entgegengenommen hat. Die Sigung des Fraktionsvorstandes der Deutschen Volkspartei begann nach 11 Uhr vormittags im Beisein des Reichsaußenminifters Dr. Stresemann. Um 2 Uhr war die Situng immer noch nicht mit einem Beschluß beendet. 3m Reichstag verlaufete jedoch,
daß die Bolkspartei zunächst nicht die Absicht habe, den Bemühungen
Dr. Marg Schwierigkeiten in den Weg zu legen.
Stegerwald will nicht.
Pilsudski zwischen Reaktion und Demokratic. Bom Abg. Dr. Hermann Diamand- Warschau. Die Mairevolution Pilsudsfis hat allgemein ent täuscht. Keine der Hoffnungen, denen sich die Faschisten, die Kommunisten und selbst die Sozialisten hingegeben haben, ift in Erfüllung gegangen.
nichts, und das treffe für die Wahlen ganz besonders zu. Im Besten Deutschlands bekennen fich 775 000 bis 900 000 Arbeiter zur 3entrumspartei. Ohne diese Tatsache wären heute noch teine fatho: lischen Beamten in Regierungsstellen. Im Verlauf seiner weiteren Pilsudski ist weder Mussolini , noch Lenin , noch ein SoAusführungen lehnte Stegerwald es für die chriftlichen Gemert- zialistenführer, er ist eben Pilsudski , ein Produkt besonde schaften ab, diese als Schutz gerade für das Bürgertum gegen die rer, polnischer, fozialer und politischer Verhältnisse. Sozialdemokratie gebrauchen zu lassen. Was die Gleichberechtigung Polen befindet sich in einer seine Eristenz ständig beder chriftlichen Arbeiter in der Zentrumspartei angehe, so sei diese drohenden geographischen Lage; es grenzt hunderte Kiloin der Reichstagsfraktion vorhanden, auf dem Lande allerdings meter weit an große Staaten, die feine Grenzen nicht vielfach noch nicht. Die Arbeiter sollten darum im Kampf unermüd anerkennen und nur widerwillig dulden. Pilsudski verlidh fein und unter Umständen auch nicht davor zurückschrecken, hält sich pessimistisch gegenüber dem europäischen Pazifismus, bei fommenden Wahlen eigene Listen aufzustellen. er traut den Allianzen wenig und dem Landfrieden gar nicht; Stegerwald tam auch auf die Regierungsbildung zu er möchte ein militärisch startes, politisch und sozial sprechen und wies darauf hin, daß man die Sozialdemokratie ver nicht zerflüftetes Bolen haben. Diesen Zwed er antwortlich zur Regierung mit heranziehen müsse. Seit dem Tode strebte feine Revolution und erstrebt seine Bolitit. Nun ist Eberts habe bei der Sozialdemokratie eine Rüdentwidlung zum aber Bolen politisch und sozial, wie übrigens alle Staaten Agitatorischen eingefeßt. Stegerwald wandte sich dann gegen die der Welt, nicht einheitlich. Die verschiedenen Kräfte können Deutsche Boltspartei, die er als das Reaktionärfte nicht ohne Gewalt niedergehalten werden; der militärische bezeichnete, was in ganz Deutschland vorhanden sei. Der Bildung Ausbau stellt Ansprüche an die Staatsfinanzen, denen ein einer Rechtsregierung fei die Auflösung des Reichstags vorzuziehen. wirtschaftlich nicht auf der Höhe stehendes Land nur schwer, Wir stehen also vor der eigentümlichen Tatsache, daß der entsprechen fann. Den Bürgerblock spricht, während ihn das Organ der christ Führer der chriftlichen Gewerkschaften in Köln gegen lichen Gewerkschaften in Berlin gegen seinen Fraftions: follegen Marr als Kanzlerkandidaten des Bürgerblocks an= fpricht.
Westarp bekennt sich zur Monarchie!
Im Lager der christlichen Gewerkschaften Spielen fich merkwürdige Dinge ab. Ihr Organ Der Deutsche " hat in den letzten Lagen mit großem Eifer gegen Marg als Kanzlerkandidaten der Mitte Herrn Stegerwald als Kanzlerkandidaten der Rechtsregierung proflamiert. Obwohl Stegerwald bis in die letzte Beit hinein fich gegen die Rechts regierung ausgesprochen hatte, war schwer anzunehmen, daß cine folche Attion unternommen werden könne im stritten Begenfaß zu Stegermald felbst. Das scheint nun aber doch der Fall zu sein, denn ein Eigenbericht aus Köln meldet unserem Bolle die Freiheit nur zuteil werden wird, wenn folgendes:
In Köln sprach am Sonntag nachmittag in einer großen Stund gebung der Arbeiterzentrumswähler der ehemalige preußische Ministerpräsident Stegerwald über Arbeiterzentrumswähler und Politit". Als Gäste waren in der Bersammlung u. a. anwesend Minister Hirtfiefer, Abgeordneter Giesberts und andere prominente Zentrumsführer. Stegerwald forderte zur Beiterführung des Emanzipationstampfes der Arbeiter auf. Das Berhältnis des Befihes zum Nichtbesih habe sich sehr verschärft. Die Gleichbe rechtigung der Arbeiterschaft, die zwar verfassungsmäßig festgelegt fei, fei in der Braris noch lange nicht vorhanden. Das habe u. a. auch der Fall des Kölner Regierungspräsidenten er wiesen. Oberbürgermeister Adenauer und der Landeshauptmann Horion hätten für den Regierungspräsidentenposten einen vorge bildeten Beamten verlangt, fie haben aber, so führte Stegerwald aus, vergessen, daß wir nicht mehr in einem Beamtenstaat leben. 30 Jahre Lebensarbeit gelten schließlich auch so viel wie 4 bis 5 Jahre approbiertes Atademiestudium. Wenn jeder Kommunal beamte fich seinen Aufsichtsbeamten selbst wählen fönnte, wie Oberbürgermeister Adenauer das getan habe, fo grenze das an kor ruption. Die Zentrumspartei sei ohne starken Arbeiteranhang
Rede des Reichstagspräsidenten Löbe in Lodz . Lodz . 17. Januar.( Eigener Drahtbericht.) An der Jubelfeier der deutschen Sozialistischen Arbeitspartei Polens am Sonntag nahm Genosse Reichstagspräsident 2öbe teil. Er überbrachte die Glück. wünsche der Deutschen Sozialdemokratischen Partei und bezeichnete als Aufgabe der deutschen Sozialdmokraten in Bolen, dant deren Mittlerstellung zwischen den Sozialdemokraten Bolens und und Deutschlands , versöhnend für beide Länder zu wirken.
Im Laufe seiner Ausführungen wandte sich Genosse Löbe gegen die falsche Auslegung seiner legten Rede in Danzig durch die nationalistische Preffe und erklärte ausdrücklich, nichts Unfreundliches gegen Polen gejagt zu haben. Die Aufforderung zu Kriegsrüstungen sei das größte Berbrechen und tein vernünftig denkender Mensch in Deutschland und Polen könne an die Lösung auch nur irgendeiner strittigen Frage durch Krieg denten. Landesgrenzen feien niemals emig und unterliegen Beränderungen, jedoch sollten diese nur auf rechtlichem Wege und nur im Sinne aller Beteiligten vorgenommen werden. Heute seien aber die Beteiligten bazu noch nicht bereit. Die Nationalisten suchten immer Borwände zur Berhegung. Das bewiesen die Fragen Elsaß Lothringen und polnischer Korridor. Der Streit über diese Fragen fei überflüssig und höchst gefährlich. Die Beseitigung von Mikständen, die sich aus dem Bestehen des Korridors ergeben müffen behoben werben, aber nur auf friedlichem Wege.
Deutschland und Bolen feien aufeinander angewiefen Deutschland brauche Polens Agrarprodufte und fönne durch vergrößerten Export die Arbeitslosigkeit mindern. Bolen wiederum brauche Fertigerzeugnisse und muß Bich und Landprodukte ausführen. Durd) regen wirtschaftlichen Berfehr merbe au bas persönliche Sichfennenlernen beiber Länder mehr
Die Kräfte, die im Deutschen " wirksam find, traten gestern auch in einer Versammlung in Berlin in Erscheinung In einer Reichsangestellten- Tagung" der Deutschnationalen Partei fprach unter dem Borsiz des Herrn Lambach, des Führers der deutschnationalen Handlungsgehilfen, Graf est ar p. Der Graf feierte die Zeit des Kaifertums als eine Zeit des Aufstiegs und des Glücks und sagte, man müsse danach streben, wie der zu einer Staatsform zu kommen, die alle nationalen Kräfte zusammenschließe". Nach einem anderen Bericht sagte er mörtlich ,,, daß unes sich von der deutscher Befensart fremden Staatseinrichtung freimacht und zu einer seiner Ueberlieferung und seinen politischen Bedürfnissen entsprechen den Staatsform zurückkehrt."
Nach diesem Bekenntnis des deutschnationalen Parteiführers zu einem Programm des attiven Monarchis mus dürfte es Parteien, die sich noch als republikanisch" bezeichnen, nicht leicht werden, eine Verbindung mit den Deutschnationalen einzugehen.
Westarp und andere erklärten die Sozialdemokratie als antisozial" und versicherten, daß nur bei den Deutschnationalen die richtige soziale Gesinnung zu finden sei. Schließlich wurde eine Resolution angenommen, in der der deutschnationalen Reichsfagsfraktion der Dank für die Maßnahmen, die zum Sturz der Minderheitsregierung geführt hätten, ausge[ prochen wird. Die Reichsangestellten Tagung erwarte von der Reichstagsfraktion, daß sie sich jedem Versuch, erneut eine Minderheitsregierung ins Leben zu rufen, widerseze und jede Regierung, die sich nicht auf eine feste Mehrheit mit Ein schluß der Deutschnationalen stüße, mit allen parla mentarischen Mitteln befämpfe.
gefördert, wodurch wieder die allgemeinen Beziehungen beffer werden. Der Redner schloß mit dem Hinweis auf die Not: wendigkeit wirtschaftlicher Konsolidierung Europas . Der kapitalistischen Entwicklung muß eine starke fozialdemokratische Politit entgegengestellt werden.
Nach ihm sprach Abg. Diamand für die polnische Sozial. demokratie, der auf das wiederauftauchende drohende Kriegsgespenst hinwies, das mur durch den gemeinsamen Widerstand aller flaffenbewußter Arbeiter beseitigt werden könne. Eine wirtschaftliche Notwendigkeit" zum Krieg läge weder für Deutschland noch für Polen vor, da die Getreideerzeugnisse in Deutschland wie in Polen leicht vervielfältigt werden könnten. Die Kapitalisten beiber Länder widersetzten sich dem aber, weil es sich nicht bezahlt mache. Mit einem Hoch auf die Internationale schloß Genosse Diamand.
Weitere Vertreter der PPS. forderten zur Bildung einer gemeinsamen Front aller fozialistischen Bar teien Polens auf.
Die Berliner Dauerverhandlungen. Warschau , 17. Januar. ( Eigener Drahtbericht.) Abg. Genoffe Dr. Diamand, Mitglied der Delegation für die Handelsvertragsverhandlungen in Berlin , erflärte Bressevertretern gegenüber, daß zahlreiche großagrarische und großindustrielle Kreise Deutschlands den Abschluß eines Handelsvertrags aus Konkurrenzgrünben hintertreiben. Falls die neue beutsche Regierung sich auf die Linte stüße, müsse sie dahin wirken, daß der Bertrag schnell zustande fommt. Schwierig fel vor allem eine Berständigung in gewiffen set 3011 fragen, dagegen fei man in der vielumstrittenen Frage des Niederlassungsrechts einer Einigung bereits rahe. Deutschland erhalte das Meistbegünstigungs- und Niederlaffungsrecht, aber nur für wirtschaftlich intereffierte Personen.
Militärrevolution mit der Waffe in der Hand lebhaften Anteil genommen; die Eisenbahner des ganzen Landes haben durch entsprechende Behandlung des Zugverkehrs den Sieg Bilsudskis herbeigeführt, sie erhofften aber für den Fall des Sieges eine soziale und wirtschaftliche Besserung ihrer Lage. Sie sind feine Militaristen und erwarteten nach dem Siege eine 2 brüstung, eine Berminderung der Militärfoften. Diese Forderungen aber fönnen bei den Be strebungen Bilfubftis nach einer Klaffenharmonie nicht erfüllt. werden.
Die Warschauer Arbeiterschaft hat an der Pilsudskischen
völkerung, die die gewaltige Breissteigerung der landwirt Befriedigt ist die landwirtschaftliche Beschaftlichen Produkte mit dem Siege Pilsudskis in Verbindung
bringt.
Logisch sucht Pilsudski die Extremen beider sozialen Rich tungen niederzuhalten. Er bekämpft die ertremen Nationa listen und die sozial reaktionärsten Elemente, aber er sucht den gemäßigten Großgrundbesig, den einsichtigeren Groß fapitalismus für sich zu gewinnen. Es werden Bestrebungen fichtbar, die Arbeiterschaft für eine nichtsozialistische politische und Gewerkschaftsbewegung zu gewinnen, ein Bestreben, das bisher erfolglos geblieben ist.
Die polnische Reaktion, die vieles mit den Methoden. der Pilsudski - Regierung gemein hat, die wenn auch zu weitergehenden Zweden den Parlamentarismus beschränken, die Breß- und Redefreiheit aufheben. das demokratische Wahlrecht verfälschen, die ganze Macht für die befizenden Klassen zurückerobern möchte, fucht unauffällig den Einfluß Pilsudskis in der Armee einzuschränken und organi fiert gleichzeitig eine eigene Kampforganisation, eine faschistische Armee, die unter den Studenten, den Kleritalen in den Städten und den reaktionären Bauern Anhänger findet.
Sie ist der Berantwortung für bestehende Mißstände enthoben. Das neue Regime erleichtert der Reaktion ihr Geschäft. fie erreicht thr Ziel der Beschränkungen der bürgerlichen Freiheit, der Herabfezung des Parlamentarismus, der Spaltung der Demokratie ohne die Berantwortung zu tragen und ohne den oppositionellen Standpunkt zu verlassen. Im Baria. ment fann die Regierung in ihren reaktionären Maßregeln immer auf die Stimmen der von ihr befehdeten Nationaldemokraten mit Gewißheit rechnen.
Die Lage der Demokratie in Polen und es scheint, daß die Sozialistische Partei die einzige nennenswerte demofratische Partei in Polen ist, gestaltet sich unter diesen Verhält niffen äußerst schwierig. Der Kampf Bilfubftis mit der ertremen Reaktion stumpft naturgemäß die Waffen der sozia liftischen Opposition ab, eine gründliche Niederlage Bilsudskis
nachdem es ihm gelungen ist, die Demokratie zu schmächen Ein Zusammenwirken mit Bilsuditi ist ausgeschlossen durch und zu fprengen wäre der Sieg der ertremen Reaktion. seine absolutistischen Methoden; ein solches Zusammengehen scheint auch Pilsudski nicht erwünscht, da es ihn in seiner Bewegungsfreiheit beschränken würde. Es sind auch aus seiner Umgebung Elemente ausgeschloffen, welche die Eignung hätten, fich eine eigene Meinung zu bilden und schon gar fie derjenigen des Marschallpremiers entgegenzusetzen.
Für die Gefa br einer Politit, peren ganzer Inhalt die Einsicht und Tattraft eines einzigen Mannes ist, fehlt den Bilsudsti- Leuten jede Einsicht. Wenn sie auch auf das Glüd Bilsudstis schwören, das jeden Mißerfolg ausschließt, so follten fie doch fich der Einsicht nicht verschließen, daß in dem Augenblid des Versagens der physischen Kräfte Bilfubftis Bolen ohne lebensfähige, entschlußbereite, tatkräftige Organisation bafteht. Es fehlt den Leuten an Berständnis für die Notwendigkeit eines Faktors der Stetigkeit in der ftaatlichen Führung.
Wenn man auch das Regime Bilsubsti nicht als reaftionär in der landläufigen Bedeutung des Wortes nennen fann, so muß man boch zugeben, daß es eine gefahrvolle Unterbrechung in der foiol und politischen Entmidlung Bolens bedeutet.