Abendausgabe
fir. 55 44. Jahrgang Ausgabe B Nr. 27
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10 Pfennig
2. Februar 1927
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Zentralorgan der Sozialdemokratifchen Partei Deutschlands
Deutschnationale gegen Stresemann. Die Kriegsgefahr in Amerika .
Der Krach
Die junge Ehe des Bürgerblods fann nicht einmal von Flitter tagen reden, an Flitter wochen denft überhaupt niemand. Der völkische Teilhaber des jungen Glücks fucht nach dem Uebeltäter, der den Graef von der Futterkrippe entfernt hat. Nicht einmal Hindenburgs Trostbrief fann ihm genügen. Deshalb muß die„ Deutsche Zeitung", die neben Hugenbergs Unternehmungen noch am treuesten die deutschnationalen Belange wahrt, schweres Geschüß gegen Stresemann auffahren. Sie bezeichnet Stresemann als denjenigen, der ihren Graef zu Fall gebracht habe:
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Dieser unser Verdacht wird uns nun von unbedingt zuverlässiger Seite dahin bestätigt, daß den Anstoß zu der ganzen Krisis in der Krisis tatsächlich der Reichsaußenminister Dr. Strese mann gegeben hat. Er hat sogar sein Verlangen nach der Ausschaltung der deutschnationalen Ministerkandidaten Hergt und Graef fo weit getrieben, daß er nach der gleichen Quelle fein Amt zur Verfügung stellen wollte, wenn seinem Berlangen nicht Rechnung getragen würde. Es dürfte demnach tein Zweifel bestehen, daß das ganze feindselige Borgehen gegen bie Dertschnationalen auf Stresemann zurückzuführen ist. Selbstver ständlich wird die Schuld des Herrn Mary dadurch nicht gemilbert; die Bertragstreue hätte geboten, daß er zu seinem Worte stand, nach
dem er der deutschnationalen Fraktion sein Einverständnis erklärt hatte.
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Deutschnationale und Vertragstreue?! Das sind doch mohl Dinge, die schwerlich zueinander passen.
Aber die Tägliche Rundschau", die noch immer als Organ Strefemanns gilt, hat die Ablehnung des Herrn Graef durch Stresemann bestätigt. Der Außenminister habe feine außenpolitischen Bedenfen" gegen die Ernennung Graefs zum Ausdrud gebracht und diesem Standpunkt jei ja auch zum Besten der Sache Rechnung getragen worden".
geht weiter.
Auch unsere Bemühungen, die Besetzung des Reichsfinanz ministeriums frei von parteipolitischen Erwägungen zu geſtalten, find mißlungen, trojdem wichtige außenpolitiche Gründe dafür ins Feld geführt werden konnten, den bisherigen Inhaber dieses Amtes, für den wir eingetreten sind, auch wenn er unserer Partei nicht angehörte, auf seinem Bosten zu erhalten.
Aus dieser beredten Klage über die fortgeschwommenen Ministersessel ist eines wichtig, nämlich die Feststellung, daß auf Befehl der Deutschnationalen und nach Billigung Hinden burgs die von der Volkspartei besonders hochgeschäzten& ach minister den Ansprüchen der anderen Koalitionsparteien preisgegeben worden sind. Die Deutsche Volkspartei hat ihre Wahlpropaganda und ihre Werbung unter den höheren Beamten Dr. Scholz, der Fraktionsführer der Deutschen Boltspartei, ist zugleich Borfizender des Reichsbundes der höheren Beamten immer mit der Forderung nach ach leuten für die Regierung geführt. Indem sie jetzt feststellt, daß die fachliche Eignung der Minister nicht berüd fichtigt wurde, daß sogar das Verkehrsministerium unsachlich belegt worden ist, befundet sie, daß sie nicht einmal gegenüber ihren Gesinnungsfreunden ihre politischen Ideale aufrecht erhalten kann. So schlägt sich die Deutsche Volkspartei selbst ins Gesicht!
Deutsche Volkspartei und Reichswehr .
Stresemann konnte auch anders!
In der Erklärung, die die Deutsche Boltspartei als Begleitmufit zum bestellten Hindenburg - Brief an Scholz veröffentlicht hat, heißt es: „ Nach der Rede des Abg. Scheidemann zu der für die Deutsche Volkspartei entscheidenden Frage der Reichswehr war die Große Koalition nicht mehr tragbar."
In Wirklichkeit war die Scheidemann- Rede für die Deutsche Roalition zu verhindern. Sie wollte von vornherein aus sozial. politischen und wirtschaftlichen Gründen den Rechtsblock herbeiführen.
Calles' Kampf gegen Kirche und Kapital.
Ein tragischer Lebensweg hat in diesen Tagen sein Ende. gefunden: Längst vergessen, seit sechzig Jahren unheilbar geistestrant, starb am 19. Januar Prinzessin Charlotte, die Witwe des in Merito erschossenen österreichischen Prinzen und merikanischen Kaisers Marimilian. Dieser Tod wäre. in einem anderen Zeitpunkt fast unbemerkt geblieben; heute, im Augenblic heftigen Kirchentampfes in Merito und schärffter politischer Spannung zwischen Meriko und den eines Dramas hervor, dessen Schlußatt unmittelbar bevorBereinigten Staaten ruft er die Erinnerung an das Vorspiel zustehen scheint. Es war kein Zufall, daß der Verfolgungswahn der Prinzessin im vatikanischen Balaft ausbrach, als sie einen verzweifelten vergeblichen Versuch unternahm, den Bapst zur Nachgiebigkeit in der Frage des Konkordats mit Merito zu bewegen. Im Kreuzzuge gegen Merito- ein Kreuzzug der katholischen Kirche im Bündnis mit den Rittern des nach Kolonialbesig strebenden europäischen Kapitals fpielte der Batikan eine ausschlaggebende Rolle. Für Merito ging damals der Kampf um die Schicksalsfrage, ob das Land zu einer unabhängigen und fortschrittlichen Re publik oder zu einer fatholischen Monarchie werden sollte, beherrscht von einer Aristokratie von Großgrundbesizern spanischer Herkunft, mit der katholischen Kirche an der Spitze und verbündet mit dem europäischen Kapital. Die liberale Verfassung von 1857 sollte den Staat von der Kirche befreien und durch die Enteignung des kirchlichen Grundbefizes die materielle Grundlage der firchlichen Macht beseitigen. Sie wurde daher zum Ausgangspunkt langer und blutiger Kämpfe, die sich besonders infolge der Hartnädigkeit des Heiligen Stuhls bis aufs äußerste zuspizten. Bieles hat sich seitdem geändert. Die katholische Kirche hat heute andere Verbündete nicht mehr die europäischen Gläubiger der merikanischen Regierung und die europäischen fatholischen Mächte, sondern die Besizer verschiedener Anlagen und vor allem die amerikanischen Petroleumgefell. schaften. Andererseits hat sich die Zusammensetzung det
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,, jedenfalls nur die Wirkung haben, Verstimmungen, die in der Boltspartei nur der dürftige Vorwand, um die Große durch die Agrarrevolution und vielleicht noch mehr durch das
Im übrigen wendet sich die Tägliche Rundschau" entrüftet gegen die Angriffe auf Stresemann. Diese würden Deutschen Bolkspartei nach den Vorgängen in den letzten Wochen fchon reichlich genug vorhanden sind, noch zu verstärken."
Aber diese Mahnung nußt nur wenig. Die Deutsche Beitung" weist nach, daß die vom neuen Kabinett ein timmig gutgeheißene Pariser Vereinbarung über die Ost. festungen usw. eine schwere außen und militärpolitische fowie wirtschaftspolitische Niederlage Deutschlands " darstelle:
Die ganze Schwere dieser Ratastrophe wird man erst erkennen, wenn die Einzelheiten der deutschen Zugeständnisse bekannt werden und dem Reichstage das angekündigte Gesetz über Her stellung und Ausfuhr von Kriegsmaterial vorgelegt wird. Daß die deutschnationale Reichstagsfraktion diesem Gefeh wird zuftimmen fönnen, halten wir für ausgeschlossen, da es eine schwere Schädigung der deutschen Wirtschaft bedeutet.
Das könnte ja bald eine nette Probe auf die Haltbar. feit der Ehe geben, die soeben zwischen den Blockparteien geschlossen worden ist! Wenn man dem Organ des Graef Flügels der Deutschnationalen Glauben schenken darf, find die Deutschnationalen im Begriff, sich mitschuldig an der Niederlage" zu machen, weil sie pofitio mitarbeiten" wollen. Sie werden also doch nicht das Gesetz ablehnen, das ihre neuernannten Minister vorsorglich noch von ihren Kollegen allein haben beschließen lassen!
Die Schlappe der Volkspartei. Preisgabe der Fachminifter" für deutschnationale Ansprüche.
Außerordentlich charakteristisch für die Politit der Deutschen Volkspartel ist der Rechtfertigungsversuch, mit dem sie ihren Wählern ihre Haltung bei der Bildung des Rechtsblocks zu erklären sucht. Sie hat so ziemlich alle Wünsche nach einer Berücksichtigung ihrer Ansprüche im Kabinett preisgeben müssen. Bon der erwarteten Be lohnung für die wackeren Dienste, die sie als Einpeitscher des Rechtskabinetts den Deutschnationalen geleistet hat, fann jezt überhaupt nicht mehr die Rede sein. Um nun vor ihren Wählern nicht ganz mit leeren Händen dazu stehen, hat sich der Vorsitzende der volksparteilichen Reichstagsfraktion von Hindenburg den im ,, Borwärts" bereits veröffentlichten Brief schreiben lassen, der die Schlappe der Bolfs. partei als ein Opfer für die ,, nationale Sache" darzustellen fucht. In ihrem Kommentar bemerkt die Nationalliberale Korrespondenz" zu der Regierungsbildung u. a.:
Die Deutsche Bolkspartei hat geglaubt, sich der dringenden Bitte des Reichspräsidenten nicht versagen zu sollen, obwohl man ihr zu mutete, ein Ministerium aufzugeben, das von einem der Ihrigen verwaltet wurde, der als einer der besten Sachtenner Deutschlands in seinem Fache gilt, und der einem Manne weichen sollte, für den gerade die se Vorauslegungen nicht gegeben find bei aller Würdigung feiner sonstigen Kenntnisse und Fähig teiten. Nur die äußerste Ueberwindung konnte die Frattion dahin bringen, in dieses Opfer zu milligen. Die Verantwortung für die unjachliche Bejehung des Verkehrsminifteriums fällt auf diejenigen, die entgegen ihrer früher oft ausgesprochenen Ueberzeugung die Be feitigung des Fachmannes durchgejezt haben.
Die Boltspartei fucht also den Anschein zu erweden, als wäre Scheidemanns Rede völlig unberechtigt gewefen und als würde in der Reichswehr alles in schönster Ordnung gewesen sein.
Es gibt Grenzen der Heuchelei, deren Ueberschreitung bestraft werden muß. Deshalb stellen wir fest, daß es unter den bürgerlichen Politifern faum einen Menschen gab, der so schlecht auf die Zustände in der Reichswehr und auf die Politit Dr. Geßlers zu sprechen war, wie Dr. Stresemann felbft.
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Nicht allein, daß Dr. Stresemann seinem Merger über Geßler gegenüber deutschen Politikern seit Jahr und Tag bei jeder Gelegen. beit Luft machte er ist es ja bekanntlich gewesen, der im Frühjahr 1925 einer Reichspräsidentschaftskandidatur Geßlers aus außen politischen Gründen widersprach seine Gegnerschaft gegen den Reichswehrminister ging sogar viel weiter. Bir behaupten und fürchten tein Dementi daß Stresemann wemge Tage vor der Rede Scheidemanns einem Ausländer gegenüber sich sehr abfällig über die Zustände in der Reichswehr und sehr entschieden über die Notwendigkeit ihrer Reform im Sinne der Forderungen der republikanischen Parteien geäußert hat.
Wir fürchten tein Dementi, weil wir das diene gleichzeitig als Warnung vor einer unüberlegten Ableugnung dafür 3eugen zur Verfügung haben!
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Vertragswille der Kantonregierung. Nach Zurückziehung der Anglotruppen aus Schanghai . New Yort, 2. Februar. ( WTB.) wie Affociated Preß" willigkeit erklärt, einen neuen Vertrag mit Großbritannien zu unteraus Hankau meldet, hat die kantonregierung amtlich ihre Bereitzeichnen, sobald die britischen Truppen aus Schanghai zurückgezogen worden find.
England rüstet weiter. fiff Argus", das in Chatham für 275 000 Pfund umgebaut London , 2. Februar. ( WTB.) Das Flugzeugmutter. wurde, ging heute von Portsmouth nach China mit Flugzeugen, Flugzeugteilen und Borräten in See. Nach seinem Eintreffen in China werden die englischen Streitkräfte dort über 80 Flugzeuge verfügen. Ein weiteres Kontingent britischer und indischer Truppen ist von Bombay nach China abgegangen.
Die Nationalbewegung.
London , 2. Februar. ( WTB.) In einer Unterredung mit dem Sonderberichterstatter des„ Manchester Guardian" in Schanghai be tonte der frühere Außenminister der Kantonregierung, ang, daß in China feine Mißftimmung gegen Deutschland , Desterreich( gemeint find natürlich die Nachfolgeftaaten! Red. d. B.) und Rußland bestehe, deren besondere Vorrechte aufgehoben seien und mit denen China neue Berträge auf der Grundlage der Gleichberechtigung und Gegen feitigkeit abschloß. Er wies darauf hin, daß alle Forderungen der chinesischen Nationalisten in dem Memorandum, bas der Friedenskonferenz im Jahre 1919( zu Versailles ! Reb. d. B.) unterbreitet wurde und welches von Tschen abgefaßt war, also lange bevor die Nationalisten irgendwelche Fühlung mit Rußland nahmen, enthalten find.
ändert.
Hervortreten der organisierten Arbeiterschaft wesentlich verUnabhängigkeit und fortschrittlichen Entwicklung bleibt aber Als unerläßliche Voraussetzung seiner nationalen für den merikanischen Staat weiter die Notwendigkeit bestehen, sich gegen imperialistische Interventionen von außen sowie gegen die Wühlarbeit der katholischen Kirche im Innern zu schützen.
Diese Zusammenhänge machen es begreiflich, daß die Regierung des Präsidenten Calles zugleich mit der wirtschaftspolitischen auch eine Kirchengesezgebung durchführt, wodurch sie ihre beiden mächtigsten Feinde gegen sich mobilisiert. Sie war gezwungen, zugleich den Kampf gegen den amerikanischen Imperialismus und gegen die katholische Kirche aufzunehmen, weil diese beiden Mächte, wenn nicht formell, so doch faktisch verbündet, die Sicherung der nationalen Unabhängigkeit und die Verwirklichung fortschrittlicher Reformen, wie Lösung der Agrarfrage und Steigerung der Produktivität der Landwirtschaft, Bekämpfung des Analphabetentums, Ausbau des Arbeitsrechts usw. verhinderten. Die merikanische Regierung ist sich der Bedeutung des fremden Kapitals für die wirt her auch keine Beschlüsse gefaßt, die die Tätigkeit dieses Kapischaftliche Entwicklung des Landes wohl bewußt; sie hat datals unmöglich machen oder wesentlich erschweren würden- vorausgesezt natürlich, daß dieses Kapital bereit wäre, in Merito nicht wie in einem Koloniallande, sondern wie in jedem anderen selbständigen Lande zu arbeiten. Wenn fie von den Petroleumgesellschaften und den ausländischen Grundbesitzern überhaupt verlangt, daß sie ihre Eigentumsrechte in Konzessionen umwandeln lassen und auf die Anrufung ihrer Regierungen bei eventuellen Stret früheren Erfahrungen, um das Land vor Interventionen zu tigkeiten verzichten sollen, so tut sie dies auf Grund ihrer sichern sowie um die Herrschaft des eigenen, demokratisch ge= schaffenen Rechts durchzusetzen. Diese Forderungen, deren Anerkennung für jedes europäische Land schon längst eine Gesetzgebung feinen ausländischen Grundbesiz innerhalb der Selbstverständlichkeit bedeutet, muß Meriko erst durch befondere Maßnahmen sicherstellen. Wenn die mexikanische Brenzzone( 100 Kilometer von der Landgrenze und 50 Kilometer von der Küste) zuläßt, so hat das vor allem den Zweck, zu verhindern, daß auf diesen Gütern Banden zum Kampf gegen die Regierung gebildet werden, die von jenseits der Grenze mit Waffen versorgt werden. Die Tatsache, daß vor ein paar Wochen in der amerikanischen Grenzstadt El Paso schon eine neue merikanische Regierung proflamiert wurde und daß in der Grenzzone revolutionäre" Kämpfe ausgebrochen sind, ist der beste Kommentar zu diesem Gesetz.
feineswegs eine Verfolgung der Religion. Die religiöse Was die Kirchengesetzgebung anbelangt, so bebeutet fie Toleranz der Regierung Calles wird nicht nur von ihr selbst proflamiert, sondern auch von allen objektiven Augenzeugen bestätigt, darunter von den Vertretern der evange Tischen Kirche, die zwar feine Freunde des Katholizismus, aber sicherlich auch keine Feinde der Religion find, und in ihrer Feindschaft gegen den Katholizismus nicht so weit gehen würden, die Verfolgung der chriftlichen Religion zu unterstützen. Die gesamte Gefeßgebung ist formell tein Ausnahmerecht für die katholische Kirche , sondern bezieht sich auf