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Nr. 62 44. Jahrg. Ausgabe A nr. 32

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Zentralorgan der Sozialdemokratifchen Partei Deutschlands

Redaktion and Verlag: Berlin   SW. 68, Lindenstraße 3 Fernsprecher: Dönhoff 292–297.

Sonntag, den 6. Februar 1927

Vorwärts- Verlag G.m.b. H.  , Berlin   SW. 68, Lindenstr.3

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Vertrauen- mit Vorbehalt!

235 Ja, 176 Nein, 18 Enthaltungen.- Untersuchung gegen den Innenminister v. Kendell wegen putschistischer Umtriebe!

W

Der Bürgerblock besteht feit einer Woche. In dieser Woche hat er drei Krisen erlebt: Die Graef   Krise, die Weft arp Krise und die Keudell Krise. Die erste ist durch den Rücktritt Graefs erledigt, die zweite durch Westarps Ent­schuldigung beigelegt, die dritte ist gestern in Berwirrung und Tumult verta gt worden.

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| Polifit, die Anerkennung der Rechtsgültigkeit der in der Verfaffung| Dames- Abkommen, zum Vertragswert von Locarno   und von Weimar   gegründeten republitanischen Staatsform, zum Einfriff in den Bölkerbund geführt hat, ist gekennzeichnet auch für die Arbeit der neuen Regierung volle Geltung behalten soll. durch den Verzicht auf den Gedanken der Revanche, Es ist der feste Wille der Reidsregierung, für den Schuh, ihre Tendenz ist vielmehr die Herbeiführung einer gegenseitigen die Achtung und die Ehre unferer geltenden Ber. Berständigung. faffung in ihrer Gesamtheit, ihrer Organe und ihrer Reichs. farben, wie fie in Artifel 3 der Reichsverfassung festgelegt sind, mit Taffraft einzutreten.

Die Reichsverfaffung ist durch Beschluß der Nationalversamm. lung rechtmäßig zustande gekommen.

Die furze Debatte, die der Abstimmung voranging, mar von unerhörter Spannung. Selbst der nüchterne Herr Marr schien von den dramatischen Stimmungen umwittert, als er mit einem Vorabdruck aus dem Abendblatt des Bor Jeden Verfuch gewaltsamer oder sonst ungesetzlicher 2bänderung wärts" in der Hand eine Untersuchung gegen wird die Reichsregierung als Hochverrat ahnden.( eudell, wie den neuen Reichsinnenminister ankündigte. Landsberg   wird Dir! Red. d. B.") Insbesondere wird sie auch gegen alle als Ankläger unerbittlich. Keudell, der arme Sünder auf der Bereinigungen, die den rechtswidrigen und gewaltsamen Um­Ministerbant, unsicher, zwischen Berlegenheit und schlecht gefturz der bestehenden Staatsform bezweden, vorgehen.( keudell, wie fpielter Recheit schwankend. Eine blasse Stirn, auf der das böse Gewissen thront.

Die Stunde von 2 bis 3 Uhr, für die die Sigung auf Antrag des Zentrums ausgefekt wurde, war die bisher angftvollste des Bürgerblocks. Haftige Verhandlungen. oor läufiges Ergebnis: Noch haben sich die Deutschnationalen nicht entfchloffen, Reudell fallen zu lassen.- noch hat sich das Bentrum nicht entschlossen, seine Entlassung zu fordern.

Die Abstimmung ist nicht zu vermeiden, nicht zu vertagen. Es folgt verabredungsgemäß ein Akt, der in der Geschichte des Parlamentarismus noch nicht erlebt worden ist. Herr v. Guérard besteigt die Redneriribûne und gibt messerscharf die Erklärung ab, das Zentrum bewillige das Vertrauen dem Gesamtkabinett, auch Herrn v. Reudell...

. in der Annahme, daß sich die gegen ihn er­hobenen Anschuldigungen wegen Unterstützung des fogenannten Kapp- Puffches durch die vom Herrn Reichs­fanzler im Einvernehmen mit dem Reichsinnenminiffer zu­gefagte Untersuchung als unberechtigt erweisen."

wird Dir! Red. d. B.")

Das also billigen die Deutschnationalen. Und weiter über die Reichsmehr:

Es werden in nächster Zeit ergänzende Anordnungen bekannt­gegeben werden, nach denen beim Rekrutierungsverfahren die Be­rüdsichtigung aller verfassungstreuen Boltstreife jowie unter Mitwirkung der Verwaltungsbehörden der Länder durch tat­sächliche Auskünfte der ausnahmslose Ausschluß aller verfajfungsfeindlichen Elemente( keudell, wie wird Dir! Red. d. B.) bei der Einstellung von Freiwilligen gewähr­leistet find.

Das also billigen die Deutschnationalen! Und weiter über die Außenpolitif:

So verfteht es sich von selbst, daß die Reichsregierung die bisherige Außenpolitit im Sinne der gegenseitigen Ber. ständigung weiter verfolgen wird.

Die Außenpolifit, welche die Reichsregierung feit kriegsende ohne Unterlaß unbeirrt verfolgt und die schließlich zu dem Londoner  

Wie auch immer die Haltung einzelner Parteien in der Ber­gangenheit gewesen sein mag, für die Zukunft können die durch jene Afte angebahnte Entwidlung und die dadurch geschaffenen Grundlagen allein maßgebend sein.

Reichskanzler und Außenminister würden dem an fie ergangenen Rufe zur Uebernahme ihrer Aemter nicht entsprochen haben, wenn sie nicht durch die geführten Verhandlungen über die Regierungs. bildung die feste Gewähr dafür befäßen, daß die bisherige ußenpolitit im Sinne der gegenseitigen Verständigung von allen Mitgliedern des Kabinetts einmütig gebilligt wird und daß hinter diefer einmütigen Billigung diejenigen Fraffionen ftehen, welche die Regierung unterffügen.

Das also billigen die Deutschnationalen! Sie billigen es einstimmig! Ebenso einstimmig haben sie gestern auch in namentlicher Abstimmung einen fommunistischen Antrag auf Austritt aus dem Bölkerbund abgelehnt!

Nachdem sie das alles fertig gebracht haben, nachdem sie Grae preisgegeben haben, nachden Westarp wegen seiner zettel verlesen hat, werden sie wohl auch Reudell fallen Rede vom Donnerstag am Freitag seinen Entschuldigungs­lassen! Oder etwa nicht...?

Das Zentrum hat der Regierung das Bertrauen gegeben unter dem Borbehalt, da sich die gegen Herrn v. Keudeil erhobenen Anschuldigungen als ungerechtfertigt er. weisen. Sie sind aber gerechtfertigt. Niemand, der dieses Blatt mit Aufmerksamkeit liest, wird noch einen Augen­blid daran zweifeln können, daß Keudell gehen muß wenn das Zentrum zu seinem Wort hält.

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Keudell, der Harmlose.

Also Vertrauen mit Vorbehalt, Bertrauen auf Widerruf. Bertrauen als Galgenfrist. Denn wenn das Zentrum zu seinem Bort steht, wird es binnen wenigen Tagen genötigt sein, Herrn v. Keudell sein Vertrauen in aller Form zu entstehen. 1920 Kapp- Rebell.- 1924-26 Herbergsvater der Olympia  .- 1923 Beschützer Was dann? Reubells Ende? Bürgerblods Ende?

Die Abstimmung.

Einstmeilen hat die Abstimmung einen größeren Borsprung der Regierungstoalition vor der Opposition gebracht als erwartet wurde 235 Ja gegen 174 Nein, bei 18 Enthaltungen. Das ist auf folgende Ursachen zurückzu führen.

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Erstens waren die Bänke der Regierungspar teien ausgezeichnet besetzt und es wurde bis auf den Abg. Wirth, der mit der Opposition stimmte­vollkommene Fraktionsdisziplin gehalten. Zweitens stimmten neun Mitglieder der Wirtschaft. lithen Bereinigung, darunter Welfen und Bayerische  Bauernbündler, mit Ja; nur der Rest enthielt sich. Drittens enthielten sich die Böltischen bis auf v. Graefe und Henning, die mit Nein stimmten. Die Böllischen nähern sich also und das ist sehr bezeich­dem Regierungslager. Sie bringen es nicht fertig, gegen eine Regierung zu stimmen, in der Herr v. Keudell sitzt. Biertens zeigte die Opposition, auffallende Lücken. Es fehlten 20 Sozialdemokraten, 6 offizielle, 4 linte Kommunisten und 6 Demokraten. Von den fehlenden Sozial­demokraten sind viele frank, andere waren auf der wichtigen Bezirkskonferenz der Bergarbeiter in Bochum  , andere mögen durch andere Gründe, die sie für ausreichend hielten, fern­gehalten worden sein. Die Fraktion wird zu prüfen haben. Das laute und freudige Ja für Republik   und Locarno  Die Deutschnationalen   hielten, wie schon gelagt, glänzende Disziplin. Reiner der wilden Männer fehlte. Freytagh: Loringhoven, Graef  , Eperling, alle waren da! Nur eine bemerkenswerte Lücke, Hugenberg. Sie alle stimmten für den Antrag, dessen erster Teil lautet: ,, Der Reichstag billigt die Erklärung der Reichsregierung." Was ist es, was die Deutschnationalen einstimmig billigen? Was steht in der Erärung? Man muß es noch einmal lesen: Die Reichsregierung, die am heufigen Tage vor die deutsche Boltsvertretung trift, ist sich einig, daß die Grundlage unserer

des Putschmajors Buchrucker von Küstrin  .

Der Reichsminister des Innern v. Keudell darf nach der, Erklärung des Zentrums nur dann im Amte bleiben, menn fich die gegen ihn erhobenen Anschuldigungen als ungerechtfertigt er. weisen. Ein paar Worte zur allgemeinen Würdigung des Falles

vorweg.

Die Sozialdemokratische Partei   steht feineswegs auf dem Standpunkt, daß ein Politiker. der früher einmal geirrt und gefehlt hat, für alle Zeit unfähig sei, ein hohes Amt zu befleiden. Aber er muß zwei Voraussetzungen erfüllen: Er muß zu seinen Zaten stehen, und er muß, wenn seine früher bewiesene Ge­finnung mit seinem Amt unvereinbar ist, Beweise dafür gegeben haben, daß er ehrlich und ernstlich) anderen Sinnes geworden ist. Einen so aufrichtig Bekehrten würden wir ebenso aufrichtig be­grüßen und ihm, wenn er sonst ein ganzer Kerl ift, jebes Amt gönnen. Ehe der Landrat a. D. v. Keudell an die Spitze des Reichs ministeriums des Innern berufen wurde, wußte man nichts von ihm, als daß er ein angenehmer Gesellschafter und ein guter Klavierspieler sei. Politisch war er weder im Reichstag, dem er erst seit Dezember 1924 angehört, noch sonstwie in Erscheinung getreten. feit Dezember 1924 angehört, noch sonstwie in Erscheinung getreten. Plößlich trat der Mann ins Licht. Und man erfuhr ebenso plöglich von ihm als politiker ein einziges: Er hatte sich in dem ihm angestammten Kreis Königsberg( Neumart) im März 1920

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als Candrat auf die Seite der Kapp- Regierung gestellt und war damals deswegen aus seinem Amt entfernt worden. Dies das einzige Polititum, das zunächst aus dem Leben des neuen Reichsinnenministers bekannt wurde. Wir waren und find um uns ganz vorsichtig auszudrücken nicht der Meinung, daß nicht der Meinung, daß dieses Politikum allein genügt, seine Berufung zum Hüter der deut­fchen republikanischen Reichsverfassung zu rechtfertigen. Irgendein Bemeis dafür, daß Herr v. Reubell   seine im Rapp- Butsch betätigte Gesinnung geändert habe, liegt nicht vor. Im Gegenteil.

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Der Mann muß zu seinen Taten stehen! Hat Herr v. Keudell das getar? Diese Frage muß mit einem glatten ein beantwortet werden. Er hat seinen Fehltritt von 1920 gar nicht als Gesinnungsdelikt gelten lassen wollen. sondern höchstens als einen Unfall, ber aus misverstandener

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Subordination entstanden war. Er hat sich als den fleinen Beamten hingestellt, der nur den Grundjag fennt: Befehl ist Be­fehl!" Ohne eigene Einsicht und eigene Berartwortung will er ausgeführt haben, was ihm der Regierungspräsident ge­heißen hatte. Aber- peinliches Malheur! der Regierungse präsident hatte ihm gar nichts geheißen. Der sozialdemo tratische Regierungspräsident von Frankfurt   a. d. D. war damals gar nicht an feinem Amtssig, sondern im Brennpunkt der östlichen Butschgefahr, in Rottbus, nachdem er am ersten Tage des Staats­ftreiches das Anfinnen des Reichswehrkommandeurs, Generalmajor v. Grüter, einen gemeinsamen Aufruf zu erlassen, glatt a b. gelehnt hatte. Der Landrat v. Keudell mußte, wenn er nur eine Spur politischen Verstandes besaß, wissen, daß er von diesem Borgesetzten alles eher zu erwarten hatte als die Weisung, die verlogenen Kundmachungen der Kapp- Regierung weiterzuver­breiten. Da wir nicht annehmen können, daß sich Keudell seine Ent­schuldigung ohne weiteres aus den Fingern gesogen hat, rechnen wir mit der Möglichkeit, daß ein höherer Beamter des Frank­ furter   Präsidiums ihm tatsächlich die Weisung gegeben hat, sich auf die Seite der Butschisten zu schlagen. Dann aber blieb es trotzdem seine Pflicht, sich dieser Weisung zu widersetzen. Kein Beamter darf auf Befehl eines Vorgesetzten tun, was sich mit Gesetz und

Berfassurg nicht verträgt.

Wir wollen uns nun nicht lange dabei aufhalten, daß Herr von Keudell durch den Eifer, mit dem er sich als Kapp- Landrat be­tätigt hat- Bedrohung eines Bürgermeisters, der sich weigerte, die aufrührerischen Rundgebungen weiterzuverbreiten, Bedrohung von Arbeiterführern, die für die rechtmäßige Regierung wirften eine Gesinnung bewiesen hat, die er jetzt vor dem Reichstag zu verbergen sucht. Wir haben beffere Beweise!

Wir behaupten und werden beweisen, daß v. Keudell mindestens bis zum Sommer 1926 tonfequent dieselbe Gesinnung be­fäfigte, die im März 1920 die Richtschnur seines Handelns war.

Der Schuhherr der Olympia  . Militärisch wurde der Kapp- Butsch bekanntlich durch den Kapitän Ehrhardt in Bewegung gebracht, burch den berühmten Marsch von Döberig nach Berlin  . Ehrhardt stellte sich dann an die Spize