Abendausgabe
Nr. 67 44. Jahrgang Ausgabe B Nr. 33
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10 Pfennig
Mittwoch
9. Februar 1927
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Offener Brief.
An den Reichsinnenminister von Kendell!
Herr von Reudell hat in der Reichstagsfizung| minifter, haben die Stirn, mich als unglaubwürdig zu bezeichnen, vom 5. Februar den Bertrauensmann des Landarbeiter um sich zu rechtfertigen gegenüber ben gerechten Anflagen, bie gegen verbandes im Kreise Königsberg ( Neumark ), den Ge noffen Saffe, als unglaubwürdig bezeichnet. Genoffe Sie erhoben worden sind! Saffe, der seit 18 Jahren Parteigenoffe ift, seit 1919 8. Februar 1927, Kreistagsabgeordneter des Kreises Königsberg( Neumart), richtet an Herrn von Keudell den nachfolgenden Offenen Brief:
Herr Reichsinnenminister von Reubell ! Sie haben die Stirn gehabt, mich in der Reichstagssigung vom Sonnabend, 5. Februar Sie haben be1927, als unglaubwürdig zu bezeichnen. Sie haben be hauptet, daß ich der Bertrauensmann des Reichstagsabgeordneten
Genossen Landsberg fei. Es ist nicht ehrenhaft, wenn ein Reichsminister, um sich zu rechtfertigen, einen Ziegeleiarbeiter im Dorfe Neuenhagen- Reumart als unglaubwürdig bezeichnet, der ihm im Reichstag nicht sofort entgegentreten fann.
Sie haben zu dieser Behauptung feinen anderen Anlaß, als daß ich Sozialdemokrat bin. Sie fennen mich sehr genau. Ich bin Ihnen in ben Bahllämpfen der letzten Jahre im Kreise oft als Diskussions.
rebner entgegengetreten.
Zu Ihren Behauptungen: Ich habe mich mit dem Reichstagsabgeordneten Genossen Landsberg über die Tätigkeit des früheren Landrats Reubell in der Zeit des Kapp- Butsches niemals unterhalten, meder mündlich noch schriftlich. Sie können nicht bestreiten, daß Sie mir in einem Strafprozeß, der wegen Aufruhrs und Landfriedens
Karl Sasse, Neuenhagen- Neumart. Kendell als Olympiaführer.
Zur Ergänzung unserer Mitteilungen über Herr v. Sendell als Herbergsvater der Olympia fügen wir hinzu, daß Herr v. & endell eine der Nachtübungen der Olympialeute, die im ebft 1926 auf dem Vorwert von Hohenlübbichow einquartiert
waren, persönlich geleitet hat.
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Im deutschnationalen Tag" lefen wir: " Der„ Borwärts" gräbt jezt eine Rede des Zentrumsabgeord. neten Burlage aus, die dieser in der Rumpffizung der geflohenen Rationalversammlung in Stuttgart hielt. Diese Kraftfäße aus der Erregung des Augenblids beweisen nas türlich gar nichts. Männer, die wie Reubell auf ihrem Boften blieben und ohne Rücksicht auf den Streit der Barteien für Ruhe und Sicherheit sorgten, haben viel mehr geleistet, als alle Maulhelben im sicheren Wintel."
Die offen zur Schau getragene Sympathie der beutschnatio nalen Breffe für die Kapp- Berbrecher und die systematische Beschimp1920 geben Herrn von Keubell besonderes Relief.
Wir berichteten bereits, daß in den Handelsvertragsver handlungen zwischen Deutschland und Polen eine ernste Krise entstanden ist. Die Berhandlungen fommen feit Monaten nicht vom Fled Die deutschen Unterhändler legten besonderes Gewicht auf eine vertragliche Regelung von Ein reife, Aufenthalt und Niederlassung deutscher Staatsangehöriger in Polen . Selbstverständlich war dabei, daß man auch die notwendigen Erleichterungen für den deut schen Warenerport zu erwirten suchte, die in jedem Handelsvertrag die Kernfrage darstellen.
Nachdem man nun Monate, selbst Jahre fruchtlos ver
handelt hat, ist jetzt eine schroffe 3ufpigung eingetreten, deren Hintergründe nicht ganz durchsichtig sind.
Bolen hat plötzlich eine Reihe von deutschen Reichsangehörigen ausgewiesen und die deutsche Regierung glaubt, daß diese Schifane, übrigens nur ein Glied in der Kette anderer Fälle, nur so deuten zu können, daß deutsche Unternehmungen in Kommunique, das dazu ausgegeben wurde, erklärt, daß das Bolen geschwächt und vernichtet werden sollen. Das amtliche Berhalten polnischer Amtsstellen in der wichtigen Frage der Niederlaffung lediglich aus nationalistischen Rücksichten hervorgehe, daß es jedem internationalen Rechtsempfinden wider spreche und daß es weiteren Berhandlungen jeden wed und Sinn nehme. Sie hat gegen die Ausweisung protestieren lassen. Entgegen einer früheren wird jetzt betont, daß das nicht der Fall sei. meldung, daß die Polen ihre Maßnahmen aufgeschoben hätten,
bruchs im Jahre 1920 gegen mich geführt wurde, ein gute's Beu. fung der Rationalversammlung und der rechtmäßigen Regierung von während der langen Berhandlungen wiederholt verschoben.
munbszeugnis unter Eid ausstellen mußten.
Wenn Sie trotzdem Ihre Behauptung der Unglaubwürdigkeit aufrechterhalten, so weise ich sie auf das Entschiedenste zurüd. Auch
ein Minister hat nicht das Recht, einem Arbeiter ohne jeden Beweis die Ehre abzuschneiden, indem er ihn der Unglaubwürdigkeit bezichtigt. Ich erinnere Sie daran, daß Sie während des Kapp- Butsches auch die Salbern Brüde durch Polizei und zeitfreiwillige Studenten bewachen ließen, daß Sie der Bürgerwehr der fleinen Stadt Zehden a. d. D. befohlen haben, in der Nachbarschaft Ihres Gutes Nachtposten aufzustellen zur Sicherung gegen regierungstreue Arbeiter von Neuenhagen - Neumart.
Ich erinnere Sie weiter daran, daß Sie dem Oberlandjäger Roßmann und dem Hilfslandjäger Ludwig befohlen haben, bei den Bandarbeitern in Neuenhagen von Haus zu Haus zu gehen und nachzufragen, ob sie von dem Arbeiter Saffe zum Generalftrei! aufgefordert worden feien. Sie wollten mich jofort in Saft nehmen lassen, falls die Beamten eine bejahende Ant.
mort erhielten.
Und Sie, Herr von Reudell, jegt republikanischer Reichsinnen.
Reichsgericht und Schwarze Reichswehr.
Ein Zuchthausurteil.
Am Montag wurden vom 4. Straffenat des Reichsgerichts die Ar: beiter Meinhard und Niehoff aus Halberstadt zu zweieinhalb Jahren und einem Jahr, acht Monaten Zuchthaus verurteilt. Sie follen„ Borbereitung zum Hochverrat" und verfuchten Berrat militärischer Geheimnisse dadurch begangen haben, daß Meinhard, der Kommunist ist, den Niehoff anstiftete, einen Reichswehrsoldaten zur Herausgabe militärischer Befehle zu bewegen. Der Soldat meldete den Borfall einem Borgefeßten, und damit tam die Sache ins Rollen. Die Angeklagten erklärten die Aussage des Soldaten für falsch. Es habe sich ihnen lediglich darum gehandelt, material über die Schwarze Reichswehr und ihre Waffenversorgung für den Femeausschuß des Reichstags zu sammeln. Zur Be gründung des Urtells soll nach dem Bericht der Roten Fahne der Borsigende ausgeführt haben:
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Ablenkungsmanöver.
Die Deutsche Tageszeitung" behauptet, im Kreise Striegau in Schlesien habe während des Kapp- Butsches ein fozialdemokratischer Landrat Daubenthaler genau mie Herr von Neudell die Kapp- Berordnungen veröffentlicht und unterzeichnet. Er fei heute Landrat.
Auf der polnischen Seite haben sich die Streitpunkte Ursprünglich war es die Einfuhr polnischer Kohle nach Deutsch land, die die größten Schwierigkeiten bereitete. Später traten Deutschland mehr in den Vordergrund. Buzugeben ist, daß die Fragen der Ausfuhr polnischer Lebensmittel nach die Lage der deutschen Unterhändler dabei eine außerordentlich schwierige war. Denn gerade bei den Tarifverhandlungen zeigte fih, daß Polen dem Export deutscher Waren geradezu unübersteigbare 3ollmauern entgegengefeht hatte, daß Wir fennen die Angelegenheit Daubenthaler nicht. Ber. es aber durchaus nicht geneigt war, wesentliche Zugeständnisse hält es sich so, wie die„ Deutsche Tageszeitung" behauptet, so würden wir den Landrat Daubenthaler für den Bosten des Reichsleichterungen für den Absah seiner agrarischen Produkte gezu machen, wenn Deutschland den polnischen Bartner Er innenministers als nicht qualifiziert halten. Das ist der währte. Immerhin war das der Bunft, an dem man die springende Punkt! Bolen zwingen fonnte, Farbe zu bekennen, ob fie wirklich einen Handelsvertrag wollten oder nicht. Durch die Bildung der Bürgerblodregierung scheint jezt eine Wendung eingetreten zu sein, die den polnischen Unterhändlern jede Aussicht nimmt, in den Agrarfragen der Führer der Deutschnationalen, Graf West arp, in seiner etwas zu erreichen. Die drohenden Wendungen, die Rede zum Regierungsprogramm Bolen gegenüber gebraucht hat, die Betonung des landwirtschaftlichen Zollschukes in den Aeußerungen der jetzt führenden Politiker des Reichslandbundes, so insbesondere des Ernährungsministers Schiele, waren in der Tat geeignet, das Intereffe der polnischen Delegation an weiteren Verhandlungen wesentlich zu schwächen. Daher bleibt die Frage offen, ob nicht die Verhandlungen ohnedies in der nächsten Zeit zum Abbruch gekommen wären.
Kendelldebatte voraussichtlich Freitag. Wenn Marg fertig ift!
Der Aelteftenausschuß des Reichstags bejchloß, die tommuniftische Interpellation über den Fall Kendell auf die Tagesord. nung der Reichstagsligung am nächsten Freitag zu fehen unter der Boraussetzung, daß bis dahin Reichskanzler Marg die angekündigte Unterfuchung abgeschloffen hat.
Wenn die Arbeiter sehen, wie ihre Klaffengenoffen megen poli. tischer Delikte behandelt werden und wie es auf der anderen Seite den hochgeborenen Rappisten im Deutschen Reiche geht, fönnen fie da noch an gleiches Recht glauben?
Madrid , 9. Februar. ( WTB.) Nachrichten, die um Mitternacht hier eintrafen, bestätigen, daß der portugiesische Kriegsminister gestern nachmittag Oporto mit regierungstreuen Truppen besetzt hat.
Tschangtfolin gegen Kanton.
Eine Kundgebung.
Wenn egtrem rabitale Bartelen sich Nachrichten, bie im Intereffe der Landesverteidiung geheimzuhalten find Beting, 8. februar.( BIB.) Tschangtfolin hat eine Befannt Nachrichten über die Schwarze Reichswehr und deren Waffen- machung erlaffen, in der er Aufrechterhaltung der Sou verforgung zu beschaffen versuchen, so untergraben fie im Ber - peränitätsrechte Chinas , Wiederherstellung der öffent folg damit auch die Schlagkraft des Heeres nach außen, obwohl lichen Ordnung, Zusammenarbeit zwischen Kapital und Arbeit, Ent. fie nur beabsichtigen, fie für den Bürgerkrieg zu gewicklung des Berkehrswesens und Rechtsreformen anfünbigt. Er brauchen." geißelt den extremen Radikalismus, der unter dem Einfluß gewisser Agenten einer fremben Mast, die das unglückliche chinesische Boll auf falsche Wege führe, in Sübhina in Erschei nung trete, und übernimmt die Verpflichtung, Leben und Eigentum der Ausländer zu schüßen und die Finanzlage Chinas fidherzustellen. Die Kundgebung jagt weiter: Gleichheit und internationale Be. handlung sind die einzige Gewähr für den Weltfrieden. Unsere Pflicht gegenüber Ausländern, bie in China wohnen, ist, ihr Leben und Eigentum zu schützen.
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Man muß schon Mitglied des 4. Straffenats der Reichswehr fein, um nicht zu bemerken, daß die Kommunistische Partei die Träume von der Eroberung der Macht im Bürgerkrieg längst aufgesteckt hat. Das Ungeheuerlichste an dieser Begründung" aber -die Richtigkeit des Berichts der Roten Fahne" vorausgefeßt- ist die Behauptung, daß die Schlagkraft des Heeres nach außen" durch Sammlung von Nachrichten über die Schwarze Reichswehr untergraben wird.
Die Schwarze Reichswehr war eine ungefegliche Einrichtung. Ber fie förderte, verging fich gegen das Gesez. Diese ungesetzliche Einrichtung und ihre Förderer sollen aber unter den Schutz des
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Protestversammlung
Gefeßes gestellt fein, und wer sie stört, foll dafür ins 3ut Morgen abend haus wandern?! Nun ist aber nicht wahr! die Schwarze Reichswehr völlig beseitigt, das Intereffe an ihr ist nur noch ein historisches, durch Enthüllungen über fie fann also die Schlagkraft des Heeres gar nicht mehr untergraben werden. Welche Intereffe hat bas Reichsgericht, eine Einrichtung zu schügen, die gar nicht mehr besteht?
Die unentschuldbaren Uebergriffe der Polen gegen das Deutschtum jenseits der Grenzen, die Duldung von Ausschrei tungen selbst gegen sozialdemokratische Führer, die fortgesetzten Schifanen gegen deutsche Siebler und Gewerbetreibende in Polen stellen in der Tat nur ein Glied in dem gan zen System eines Staates dar, der nach außen hin nationalistische Politik treibt und wirtschaftlich fich isolieren will, bustrie hochzuzüchten. Bolen wußte feit Wochen, wie die leg um hinter den Bollmauern eine möglichst starte eigene Inten Ausweisungen aufgefaßt werden würden, hat sie aber trozdem nicht rüdgängig gemacht. Daraus können die beutschen Berhandlungsführer das Recht herleiten, das polnische Vorgehen als eine Herausforderung zu betrachten. Troßdem ift es fraglich, ob die deutsche Regierung recht damit handelt, diefe Herausforderung anzunehmen und nun die Berhandlungen, die lehten Endes auf Wirtschaftsfragen ab zielen, an Gründen des diplomatischen Preftiges scheitern zu laffen. Bei den letzten Ausweisungen handelt es sich überwiegend um Leute, die nicht in Polen dauernd anfäffig waren, sondern um solche, die eine befristete Aufenthaltserlaubnis hatten und die daher der Ausweisung verfielen, wenn diefe Aufenthaltsbewilligung nicht erneuert wurde. Im Verhältnis zu vielen anderen Uebergriffen, die man von Bolen hingenommen hat, ist also der jezige teine welterschütternde Angelegenheit. Man scheint vielmehr auf beiden Seiten verhandlungs müde zu sein und sucht aus der verfahrenen Situation herauszufommen, indem man dem anderen die Gründe für den drohenden Abbruch der Verhandlungen zuschiebt.
Der Wiederbeginn des deutschpolnischen Wirtschaftstrieges steht bemnach bevor. Man muß fich fragen, ob die deutschen Unterhändler alles getan haben, um diese für große Kreise der deutschen arbeitenden Bevölkerung bedenk liche und für den Arbeitsmarkt nachteilige Entwicklung zu verhindern. Zum mindesten scheint es, daß der Führer der deutschen Delegation, Staatssetretär 2e wald, nicht mit überwältigendem Geschid vorgegangen ist. Nach der Kritit, die darüber auch in industriellen Kreisen laut geworden ist,
im Sportpalast. find tatsächlich manche Gelegenheiten in der Berständigung