Nr. 6844.Jahrgang
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1. Beilage des Vorwärts
Ein Jubiläum des
Massenbaus
Die deutsche Ziegel and Tonindustrie selert in diesen Tagen ein Jubiläum. Sie blickt auf ein fünfzigjähriges Bestehen zurück, denn seit 1875-1877 ungefähr datiert die Entwidlung ber eigent. lichen Industrie; vorher war es ein Kleingewerbe, eine Handarbeit. Die Ziegel wurden tatsächlich mit der Hand gestrichen und man tonnte ohne erhebliche Zinsverlufte die herzustellenden Mengen dem Bedarf der näheren Umgebung anpassen. Um die Mitte des vori. gen Jahrhunderts begann, wie die Jubiläumsnummer der Ionindustriezeitung mitteilt, eine vollständige Umwälzung nicht nur in unferem gesamten Wirtschaftsleben, sondern auch in der Ziegel. industrie. Es hat hundert Jahre gebauert, bis die Dampfmaschine ihren Eingang in die Ziegeleien fand. Die Ziegelpresse mußte zu diesem Zwecke erft erfunden werden; dann jedoch wurde bie alte Handstrichziegelei in wenigen Jahrzehnten in eine Maschinenziegelei umgewandelt. Die Siegelei wurde eine Fabrik und aus dem Ziegler wurde ein Arbeiter oder ein Fabritbesizer. Es wurde später dem Biegelbau vielfach unrecht getan, und wenn manche Leute von geschmadlosen Backsteinfästen sprachen, so vergaßen sie dabei stets, daß die Geschmacklosigkeit nicht im Baustoff begründet war. Mietfasernen und ihre Fassaden verdanden ihr Dasein eben nicht dem Ziegel, jondern der Zeit des blühenden Bauschwindels, unter dem gerade die Ziegelindustrie viel gelitten hat. Es fonnte darum nicht aus. bleiben, daß der Ziegel von anderen Baustoffen arg bedrängt wurde, besonders waren es Eisenbeton, Kaltsandstein und Schlackensteine, die sich nicht erfolglos bemühten, den Baustoffmarkt zu erobern
Die architektonische Entwicklung.
Der bekannte Architett Professor Dr. Schulze, Naumburg , gibt im genannten Organ einen intereffanten Rückblid auf die architek toniche Entwidlung in ben legten 50 Jahren. Es ist eine befannte Tatsache, daß eine gesunde Baukunst stets von dem Material und ben Konstruktionsbedingungen ausgeht. Es hat vielerlei Berwilderungen in den Stilarten der letzten Jahrzehnte gegeben, eine von ihnen mar ber berühmte Jugendstil", der bos historische Ornament ablehnte und es burch ein erflügeltes Ornament zu erlegen glaubte, was aber noch viel schlimmer wurde, als die schlimmste Berball. hornung der historischen Stile. Zur Willfür der Form fam die nöllige Ahnungslosigkeit gegenüber bem Material und feiner Kon firuffion, und von dieser Zeit an datiert das Uebel, das sich bis in die hautigen Tage zu einer allgemeinen Zeitfrankheit ausgewachsen hat: die Vorstellung, daß das Neue um jeden Preis, möge es auch noch fo armselig und an den Haaren herbeigezogen sein, dem bewährten Guten vorzuziehen ist. Die Mode hatte die Form gewechselt, die falsche Grundeinstellung war geblieben. Trotzdem waren die Mode. ftrömungen nicht mächtig genug, um den Sinn für eine gefunde bauliche Weiterentwicklung ganz зи unterdrücken. In den 70er Jahren hatte sich der massive Ziegelbau, meist mit Bußüberzug, mehr und mehr durchgerungen. Die Kunst des eigentlichen Ziegel.
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Gerichtstag.
Bon Fred Bérence.
Copyright 1925 by Paul Zsolnay , Wien '
Die nächste Woche ging alles gut; der Vater fuhr zeitlich am Morgen fort, tam des abends spät zurück und machte aus gezeichnete Geschäfte. Die Mutter fing schon an, Hoffnung zu schöpfen. In der zweiten Woche war er meit meniger eifrig. Im Laufe der dritten Woche hatte er seine früheren Gewohnheiten wieder aufgenommen und er schickte mich häufig um Rognat.
Bieber erschienen die geftempelten Papiere im Haus, nur gab es nichts mehr zu pfänden. Der Bäder, der Fleischer, der Krämer und der Schuster tamen einer nach dem anderen und verlangten unter großem Lärm ihr Geld. Die Mutter fah, daß wir einer Katastrophe zueilten, die noch ärger war als jene vor drei Jahren und geriet in Verzweiflung.
Sie getraute fich nicht mehr, den Beschimpfungen und Drohungen der wütenden Gläubiger gegenüberzutreten, und fie schichte mich bei jedem Läuten zur Tür.
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Sag', daß dein Bater nicht zu Hause ist und daß ich
frant bin."
Ich sagte es einmal, zweimal, zehnmal, zwanzigmal. Und dann wurde es dem einen zu dumm; er sprach bei meiner Großmutter vor.
Sie kam dann später zu uns herauf, und die Mutter schickte mich mit Alice in den Garten. Eine Stunde nachher fam meine Großmutter zu uns.
,, Was tuft du jetzt?"
,, Nichts, ich spiele mit Alice."
,, Du spielst; hast du denn nichts anderes zu tun?" Ich blidte fie gang verwundert an: Nein, ich habe schon
meine Aufgaben gemacht."
Und hast du gar nichts anderes zu tun?"
Jezt nicht."
" Da sieht man, wie euch die Mutter zu Prinzen erzieht." Schweigen auf beiden Seiten.
Ich habe vergessen, deiner Mutter zu sagen, daß ich ihr nicht mehr jeden Morgen mein Mädchen schicken fann, um die Schuhe zu pußen. Das wird eine sehr gute Arbeit für dich sein.
,,, das ist nicht das erstemal. In Genf habe ich sie immer gepubt."
rohbaues war bei uns so gut wie vergessen, denn die unperpust gelaffenen Rohbauten fonnten taum als Erfag für einen folchen Felten. Mit den 80er Jahren beginnt dagegen eine besondere Richtung aufzutommen: das Bauen mit glatten Ziegelverblendfleinen, Die Materialschönheit der alten roten Handftrichgiegel vermochte man nicht zu ertennen und glaubte in einer möglichst maschinen. haft glatten Oberfläche des Steines, der die äußere Haut des Bau perfes bilben folite, ein zu erftrebendes Ziel zu erblicken. Nach Hunderttausenden stehen noch diese Bauten mit ihrem langweiligen Leberartigen Ueberzug herum, der für jedes empfindende Auge ein Greuel bildet. Erst langsam gewann man wieder die Stunft, edhe und schöne Verblendziegel herzustellen, bei denen man auch teil weise wieder zu den kleinen Formaten griff, die für die Maßstab bilbing so außerordentlich günstig sind. Auch die dunklen Klinter ( Eisentlinker), die besonders im Rorben unferes Vaterlandes tm Gebrauch sind und dem Bilde dieser Landstriche einen so eigentüme lichen, herben Reiz geben, famien allmählich mehr und mehr auf stoffe. Aber auch der Pufbau, wie er überwiegend in Mittel- und und bilden so einen festen Stod bewährter und zuverlässiger BauSüddeutschland zu finden ift, zu deffen landschaftlichem Charat ter er besonders paßt, wurde wieder entwickelt. Man verließ die glatten Buharten mit Fugenschnitten, die den Werfsteinbau nach ahmen sollten, und erfannie wieder die hohe Schönheit der rauhen Buzoberfläche, die auf die Wirkung von ferne so viel mehr schimmernden Reiz bringt.
Der Bauherr als Opfer.
Im Bauwesen und allen dazugehörigen Zweigen ist zu beob. achten, daß nicht der Verbraucher seinen Willen diftiert, sondern daß eben der Baumeister als Erzenger mehr oder weniger fest am Alien flebte, und es aus Bequemlichkeit verstand, diese Stellung mit
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Ein Silo in Betonguß.
,, Es ist Zeit, daß du endlich einmal zu arbeiten anfängst, deine Mutter erzieht euch, als ob ihr niemals euren Lebensunterhalt verdienen müßtet."
Ohne weiter auf sie zu hören, lief ich zur Mutter, die an ihrem Nähtischchen faß und bitterlich meinte.
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Mama, hör' auf zu weinen, wenn du wüßteft, wie lieb ich dich habe."
als dich? Es tut mir ja so weh, daß dein Bater so ungerecht Ich weiß es, Liebling, wen hab' ich denn auf der Welt du dir ift."
mit dem Bater Streit haben." Mama, fag' das nicht, du sollst nicht immer meinethalben
Sei nichts bös auf mith, mein Kind, ich habe keinen ut mehr, um zu kämpfen; wie gut weiß ich, daß ich im Unrecht bin. Warum nur mußte ich den Bitten deines Baters nachgeben! Niemals hätten wir Genf verlassen sollen; wir waren ja so glücklich dort."
Der Kirchturm von Sankt Peter, der leuchtende See, dessen Bässer am Horizont verschwinden, der weiße Block des Mont Blanc , die Bergnesbrücke, die Rousseauinsel, die geträufelten Wellen der Rhone , all dies stieg vor mir auf. Ich warf einen Blick aus dem Fenster, der blaue See lag vor mir. Ist das wirklich derselbe See?" fragte sie leise ,,, er ist fo schön und doch..
"
In Genf ist es schöner," meinte ich, ihren Saz beendend. Ja, weil wir dort glücklicher waren."
Mama, fönnten wir nicht wieder zurückgehen?" Sie blidte mich lange an; eine ungeheure Müdigkeit lag auf ihrem Geficht.
,, Es ist unmöglich." Warum?"
Ich kann dir das nicht erklären. Später einmal wirst du mich schon verstehen."
Sie brach in Schluchzen aus.
Du barmherziger Gott, was hab' ich denn getan, daß ich so geftraft werde? Nein, es ist zu viel, au viel."
Sie war aufgeftanden und ging mit großen Schritten im Zimmer auf und ab, den Kopf hielt fie zwifchen die Hände gepreßt.
Ich lief zu ihr und zog ihr die Hände mit Gewalt vom Gesicht fort. Mama, Mama, ich bitte dich, meine nicht mehr, bald bin ich erwachsen, dann werde ich arbeiten, bann sind wir wieder glücklich, du wirst schon sehen."
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Donnerstag, 10. Februar 1927
allen Mitteln zu verteidigen. Regierungsbaumeister Stegeman Dresden führt zu diesem Thema an, daß man nicht übersehen dürfte, daß die Stellung des Berbrauchers in diesem Rampf außerordent lich ungünstig war. Man muß immer berücksichtigen, daß der Berbraucher, das heißt der Bauherr, fast immer ein Laie ist, dem auf der einen Seite die fachwissenschaftliche Vorbildung und auf der anderen Seite die Stoßfraft einer geschlossenen Organisation fehlt, um einen Drud auf die Herstellerkreise auszuüben. Er ist im wesentlichen angewiesen und abhängig von seinem Treuhänder und Bauanwalt, dem Architekten, und muß fich auf dessen Rat verlassen. Aber gerade dieser Architekt hatte jeinerseits nicht das geringste Interesse, fich seine Arbeit durch die Hineintragung irgendwelcher neuer Ideen und damit durch einen, vom rein wirtschaftlichen Standpuntt aus gesehen, für ihn unnügen oder zumindest unbequemen Kampf mit dem Unternehmertum zu erschweren. Für den Berbraucher ergab sich aber unter allen Umständen aus dieser Ein stellung, daß es im Wohnungsbau unentwegt beim alten blieb, und daß der Strom der Entwicklung, den wir auf allen übrigen Gebieten der Technik beobachten tönnen, an ihm vorüberrauschyte, ohne daß er irgendwelchen Nugen davon hatte. Unzweifelhaft hat es der Bauherr der ungeheuerlichen Not der Nachkriegszeit und der Inflationsjahre zu banten, wenn hier unter dem Druck wirtschaftlicher Berhältnisse endlich eine Menderung eintrat und der Gedanke technischer Fortentwidlung und höherer Wirtschaftlichkeit auch im Wohnungsbau au einer gewiffen Geltung tam. Heute ist es für die im Bohrungsbau beschäftigten Fachkreise, allerdings mit Ausschluß der= jerrigen, die überhaupt jeder tecmischen Neuerung abhold find oder die aus innerer Gleichgültigkeit oder aus reiner Interessenpoliit heraus jeden Fortschritt mißachten, eine Selbstverständlichkeit, daß Bauvorganges selbst durchaus nicht mehr den Anschauungen entDie tonftruttive Durchbildung des Hauses und die Organisation des spricht, die mir als neuzeitlich und vor allem als wirtschaftlich denkende Techniter haben müssen. Es genügt für uns heute nicht mehr die Erkenntnis, daß der Ziegel ein außerordentlich hochwertiger Baustoff ist und daß ein Haus, das mitt hunderttausend Hand. griffen aus diesem Baustoff hergestellt ist, oom tonftruttiven Standpunft aus und gleichzeitig als Wetterschuh betrachtet, etwas Borzügliches und Einwandfreies darstellt. Wir sind fritischer geworden und haben uns daran gewöhnt, jeden Vorgang durch die Lupe der Wirtschaftlichkeit zu betrachten. Und unter diesem Gesichtswinkel gesehen, müssen wir zugeben, daß unsere Art zu arbeiten, zufammen mit den zur Verfügung stehenden Baustoffen und den bis. her üblichen Konstruktionen, nicht unter allen Ilmständen als die legte und beste Lösung anzusehen ist.
Wohnungsbau nach einem Plan.
Das, was der moderne Technifer sucht, und was allein eine großzügige wirtschaftliche Leistung verspricht, ist der Wohnungsbau nach einem großen, einheitlichen Plan. Die Bolfswohnung ist Massenware, ohne daß damit irgend etwas fulturell Liefstehendes zum Ausdruck tommen soll. Sie stellt weiter nichts dar, als die Schaffung von Wohnräumen für gleiche Verhältnisse, da nicht weniger als 85 Broz. unserer Bevölkerung in Kleinste und Kleinwohnungen untergebracht sind. Die Erstellung von Massenware erfordert aber, wirtschaftlich gesprochen, organisierte Fabritbetriebe. Und erst dieser Fabritbetrieb, das heißt die Anfertigung von ganzen Serien, wird die Gedankengänge zur Berwirklichung bringen, die dem neuzeitlichen und die Zukunft ertennenden Fachmann seit Jahren vorschweben. Unter diesen Voraussetzungen wirb ber Schladenbetonban, soweit es sich um Guß- und Schäffverfahren sowie um den Sprizbeton handelt, durchaus in fehr beachtlicher Weise in den Bordergrund des Interesses gerückt werden. Man darf nicht übersehen, daß der Ziegelbau bei aller Wertschägung, die er mit gutem Recht genießt, doch den einen Nachteil mit sich bringt, daß es sich hier um einen verhältnismäßig fleinen Bauförper handelt, dessen Verwendung zu einer Unzahl von Handgriffen zwingt. Schon der großformatige Schladenstein mie er in Per Nachkriegszeit auf den Markt gebracht worden ist zeigt hier eine gemisse Ueberlegenheit, da er mit seinen großen Platten eine Ur. beitsersparnis von 60 bis 75 Broz. beim Bermauern mit sich bringt. Noch mehr muß sich dies bei richtig organisiertem Baubetrieb und bei einer entsprechenden Größe des ganzen Bauobjektes selbst beim Schütt und Gußverfahren auswirken, vor allem, wenn es gelingt, die Schüttmasse selbst durch vereinfachte Transportvorrichtungen auf die Verwendungsstellen zu heben.
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Bieles von diesen Dingen erscheint heute noch als Utopie. Biel. leicht wird es in wenigen Jahrzehnten selbstverständlich sein, daß Häuser gegossen werden, und man wird diejenigen nicht verstehen
,, Du bist meine einzige Hoffmung und mein einziger Troft." Plöglich fiel mir der Auftrag meiner Großmutter ein. Mama, die Großmutter hat mir befohlen, ich sollte. Die Mutter schrat zusammen. Was denn?"
,, Daß sie dir nicht mehr ihr Dienstmädchen schicken will... oder fann."
,, Ah, wenn's weiter nichts ist," die Mutter atmete er leichtert auf ,,, es ist mir gar nicht so unangenehm; deine Schuhe sind schon sehr abgenügt, und ich habe kein Geld, dir andere zu faufen. Diese Berson fagte mir jeden Tag in einem unverschämten Ton, daß man sie doch endlich zum Schuster tragen sollte."
,, Das macht nichts, Mama, ich werde immer die Schuhe puzen; ich bin ja glücklich, etwas für dich tun zu können." Eine Amsel singt in einer Linde, durch das geöffnete Fenster dringen die Duftwellen blühender Hyazinthen. Der göttliche Friede der Natur übt seine beruhigende Wirkung Hand um ihre Taille gelegt, mein Kopf ruht auf ihren Schultern.
aus.
Schritte, die sich nähern, laffen uns zusammenfahren. Ob das schon der Vater ist?
Bir rühren uns nicht, wir fühlen uns glücklich, so nahe beieinander zu sein und genießen selig den Schmerz, der uns vereinigt hat. Die Tür öffnet sich, der Vater erscheint auf der Schwelle. Wir rühren uns nicht.
Guten Abend," sagt er trocken, was bedeutet diese Komödie?" Wir fahren zusammen, wie von einem Peitschenhieb getroffen. Diese Komödie?" wiederholen wir beinahe mechanisch. Er hat mich am Arm gepackt und stößt mich zur Tür hinaus. Schau, daß du weiterkommst, du garstige Kröte." Barum beschimpfft du ihn; ich will, daß er hier bleibt. Jacques, fomm her."
Ah, da schau her! Ich sehe, daß du dir von diesem jungen Mann wieder verschiedenes hast einreden lassen."
Ich lasse mir von niemandem etwas einreden, ich will aber nicht, daß er noch länger dein Sündenbock sei, verstehst bu? Uebrigens habe ich dir ein ernstes Wort zu sagen. Mama ist heute nachmittag hier gemefen; Gaillard hat die Rechnung bei ihr vorgewiesen," ( Fortfehung folgt.)