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Nr. 70 44.Jahrgang

1. Beilage des Vorwärts

Berlin gegen den Befitbürgerblock.

Freitag, 11. Februar 1927

Das Massenaufgebot im Sportpalast.

Schon furz vor 7 Uhr strömt es in endlosen Scharen die Pots­ damer Straße   hinauf, Arbeiter, Reichsbannerleute in Uniform, Kleingewerbetreibende zur Kundgebung der Sozialdemokratie gegen das beginnende Reudell- Regime. Spammung lagert über der Straße, an den Kreuzungen hält berittene Polizei, um den Anmarsch der Maffen des republitanischen Berlin   au regeln. Aber die Beamten

Zusammenarbeit der Gewerkschaften mit der Sozialdemokratie. Wir wollen diefe Regierung stürzen jo gründlich, daß sie in dieser Ge­stalt nie wieder aufersteht. Darum fester Zusammenschluß! Nicht mit Gezänk und Gezeter werdet ihr die Welt befreien, sondern nur durch Brüderlichkeit in Rat und Tat. Die ihr noch rechts und links von uns steht, tommt zu uns, auf daß Deutschland   feine Re­

brauchen nicht einzugreifen, die Laufende halten gute Disziplin. Im publik des Geldsacks werde, sondern eine freie Republik der Arbeit!

Schmeiße ihres Angesichts bemühen sich Kommunistentrupps, die gedruckten Sirenenrufe an die Reichsbannerkameraden" zu bringen. Schade um die umsonst vertanen Spesen, die nun das Moskauer  Budget belasten. Das kommunistische Bropagandapapier bedeckt bald zentimeterhoch den Erdboden. Am Eingang zum Sportpalast staut sich die Menge, und obwohl Berlins Bolt von zwei, dret Seiten in die mächtige Salle strömt, hat das Reichsbanner seine liebe Not, die Menschenschlange zu dirigieren. Schon gegen 48 Uhr find Riesensaal und Tribünen bis auf den letzten Blatz besetzt:

Tausende stehen schon, und noch immer ist keine Verminderung des Suftroms festzustellen. Nun rüdt bie Arbeiterjugend in ge­schloffenem Zuge an, rote Banner flattern über ihren Häuptern, aus jungen Rehlen ertönt die Internationale" und die Massen, die die Straßenbreite füllen, fingen spontan mit. Nie war die Geschloffen heit der werftätigen Republikaner   stärker als in diesen Stunden, da Zehntausende unter den Farben der Sozialdemokratie ihr republi­tanisches Kampfgelöbnis für Boffsstaat und Freiheit ablegten. Eins noch war bemerkenswert: Die Besucher der Riesenfundgebung waren nicht nur sozialistische Republikaner, nicht allein Anhänger der Sozial demokratie. Tausende aufgeschreckter Meinbürger und Mittelständler waren erschienen, um zu hören, was die Abgeordneten der größten Arbeiterpartei in dieser Stunde des Alarms dem Millionenvolt der Reichshauptstadt zu sagen haben. Neugier vielleicht zum Teil, zum anderen wohl aber auch erwachende Erkenntnis. In der Opposition gegen den Rechtsblock wachsen die Kräfte der republikani schen Volkspartei tausendfach. 3ehn Minuten por 8iperrte schen Volkspartei tausendfach. Zehn Minuten por 8 sperrte die Polizei wegen Ueberfüllung Saal und Tribünen, die Gitter des Gartens zum Sportpalast werden ge= schlossen, indes sich Tausende und aber Tausende auf der Straße ſfauen..

Der Riesenraum des Sportpalastes füllt sich um die fiebente Abendstunde sehr schnell. Gegen 48 Uhr ist fein Sibplats mehr zu haben, wenige Minuten darauf muß der Zugang wegen Ueberfüllung vollständig gesperrt werden. Die roten Banner werden unterhalb der Rednerbühne und im weiten Rund des Saales aus gepflanzt. Die moderne Einrichtung des Mikrophons und der Laut­sprecher ist auch für unsere Kundgebung nugbar gemacht worden. Jedes Wort, das vor dem Mitrophon gesprochen wird, ist in dem ganzen weiten Raum gleich gut zu verstehen. Schlag 48 hr erklärt Genoffe Liedike im Namen des Bezirtsvorstandes die Kund gebung für eröffnet. Er gibt unter lebhaftem Beifall die Redner bekannt und das Thema, über das sie sprechen werden. Zunächst aber singt der Gau Berlin   des Arbeiter- Sängerbundes unter der Leitung femes Chormeisters Rohrbach die Frühlingsstürme" von Schulte und Ich harre dein" von Uthmann." Als der gewaltige Bei. fall, der den Sängern dankt, verrauscht ist, nimmt der erste Red­

ner des Abends das Wort.

Friedrich Stampfer  : Die Regierungskrise.

Wir sind hier viele Taufende und doch nur eine Boge von dem ungeheuren Meer des arbeitenden Bolles, Millionen, die Fleisch von unserem Fleisch und Blut von unserem Blut sind, stehen draußen. Wären sie immer mit uns eines Ginnes gewesen, hätten wir das widerwärtige Schauspiel der Geburt des Bürger­blods nie erlebt. Welch ein Schauspiel! Brinzipien gab man für Brozente, Grundfäße je Dugend für einen Ministersiz. Es war nicht die Gier nach der Futterkrippe für einzelne, die die Deutsch nationalen dabei fenfte, es war ein Zug im Kampf der Klassen um die Macht. Hinter den Deutschnationalen stehen die organi­fierten Arbeitgeber, sie wollen die Zeit wieder, in der der Arbeiter im Fabrithof mit der Mühe in der Hand vor ihnen stand. Die demo­fratisch und sozial gerichteten Elemente des Sentrums haben vor dem Feldmarschall fapituliert. Sie haben sich geduckt und warten auf bessere Zeiten. Nur einer ist aufrecht geblieben: Josef Birth. ( Donnernder, sich wiederholender Beifall.) Wir danken diesem Mann, daß er uns den Mut gibt, über Parteigrenzen hinweg an Menschen zu glauben und an Treue und an männliche lleberzeu gung.( Wiederholter donnernder Beifall.) Wir ducen uns nicht, warten nicht auf beffere Beiten, sondern kämpfen um fie. Die Einheitsfront des Proletariats ist in diesem Saal, sie ist da in der

Dittmann: Der Fall Keudell.

Mit Beifall begrüßt, führt Dittmann aus: Wenn man den Wert des Eides auf die republikanische Reichsverfassung prüft, den vier deutschnationale Minister geleistet haben, so fällt einem jenes Wort des Generals von Ledebour   ein, daß er bereit sei, alle die Eide  , die er zwischen 8 und 9 Uhr geschworen habe, zwischen 9 und 10 Uhr wieder zu brechen. Würde das Schicksal der deutschen   Re­publit jemals von diefen Miniffern abhängen, dann tönnte man die Republik   verloren geben. Ist doch der Reichsinnenminister, dessen besondere Aufgabe der Schutz der Verfassung ist, nicht nur fappistischer Landrat, sondern auch ein Förderer und Gastgeber der bekannten Olympia gewesen. Marg hatte in der Regierungs­erflärung angekündigt, daß gegen alle verfassungsfeindlichen Unter­nehmungen energisch vorgegangen werden soll; wie wird das Herr Keudell tun? Bielleicht so wie beim Rapp- Butsch, wo er die Auf­ruje und Schwindelmeldungen der Butschregierung verbreitete, aber die Verbreitung von Rundgebungen der rechtmäßigen Regie rung mit schwerer Strafe bedrohte. Was für ein Borbild soll ein derartiger Innenminister den höheren Beamten geben, von denen ein Teil ohnehin bekanntermaßen Block der Junker und Großtapitalisten unter Führung des Zen Reaktionäre sind. Der trums wird aber, je mehr er seinen Charakter enthüllt, desto sicherer jenen Arbeitern die Augen öffnen, die bisher noch für bürgerliche Parteien gestimmt haben, und sie dahin weisen, wohin sie nach ihrem politischen, wirtschaftlichen und futurellen Interesse gehören: zur Partei des arbeitenden Volkes. Jegt gilt es, alle Werftätigen aum Rampf aufzurufen gegen die neue Junker, und Kapitalisten herrschaft. Hier Kapital, hier Arbeit, das ist jetzt die Parole, und jeder Arbeiter, Angestellte, Beamte und überhaupt Werttätige, der tein Hundsjott sein will, gehört jehf hinein in die klaffenfront des arbeitenden Bolkes, hinein in die Sozialdemokratische Partei  !

Marie Juchacz  : Rechtsregierung und Frauen.

F

deren Seite: lange Arbeitszeit, Lohndruck, zwei Millionen Arbeits­lofe. Diese wirtschaftliche Lage schuf die Vorausseßung für die Bürgerblockregierung. Deshalb stehen Arbeits- und Arbeitslosenfrage im Mittelpunkt des Programmes der neuen Regierung; fie ist die Regierung zur Stabilisierung des heutigen sozialen Elends.( Leb­hafte Zustimmung.) Seit langem marten wir auf das Arbeits­zeitgefes, aber erst als die Sozialdemokratie das Notgesetz für

den Achtstundentag einbrachte, hat das Arbeitsministerium das Ar­beitszeitgefeh vorgelegt, um damit das Notgesetz für den Achtstunden­tag zu verhindern.( Lebhaftes Pfui.) Der Reichsarbeitsminister schreibt einen Brief an den Reichsjustizminister. Wenn unsere Wi­nister Briefe schreiben, passiert meistens ein Unglück.( Heiterfeit.) Herr Hergi soll danach den Achtstundentag sichern. Wir fönnen uns denten, wie er als Juftizminifter mit seinen Staatsanmälten bas tun mird.( Beifall.) Uns fehlt tatsächlich nur der Schuh gegen unsere neuen Beschützer.( Beifall.) In der Arbeitslosenfrage ist die Ber­minderung der bisherigen Säge und Ueberweisung der Ausgefteuer­ten auf Almofen geplant. Der Zweck des Gesetzes ist, den Acht­stundentag zu verhindern. Der Befiz fämpft jetzt um die Macht im Staate, um seine Profitintereifen wahren zu fönnen. Dieje Regie­rung ift die offene Kriegserklärung an das arbeitende Bolt Deutsch­ lands  . Die heutige Kundgebung zeigt, daß das arbeitende Bolk be­reit ist, den ihm aufgezwungenen Krieg zu führen und ihn fiegreich zu beenden.

Breitscheid  : Rechtsregierung und Außenpolitik.

Herr Stresemann ist in Urfaub gegangen. Er wird sich im Jahres. Man fönnte sich vorstellen, daß er sich erholen wollte fernen Süden erholen von der außenpolitischen Arbeit des letztent von den Taten seines Freundes Scholz in Insterburg  . Bielleicht will Herr Stresemann auch abwarten, wie das Kabinett über die nächste Seit hinwegkommt, dessen Zusammensetzung sicherlich nicht seine Freude erregt hat, für das er aber durch seine Bassivität die größte Verantwortung trägt. Die neue Regierung soll an­geblich vor allem außenpolitisch die gleiche Politit treiben mie die alte. Wer aber glaubt, daß die Deutschnationalen mit so vieles Opfern sich in die Regierung gedrängt haben, um jetzt innen- und außenpolitisch dieselbe Politit zu treiben wie früher? Ich fürchte, der Reichskanzler Dr. Mary mutet fich allzu viel zu. Und wenn er sagt, daß er die politische Richtung dieses Kabinetts bestimme, so ist zu besorgen, daß er gerade nicht der Mann ist, sich gegen Die Frauen haben durch die Revolution und durch den neuen seine vier deutschnationalen Kollegen durchzusetzen.( Zustimmung.) Staat weitgehende Rechte gewonnen, aber sie müssen das Gewon. Herr Marg verweist darauf, daß die Deutschnationalen die Richt­nene in richtiger Weise zu verwenden lernen. Sie müssen verstehen, linien der deutschen   Außenpolitit anerkannt hätten. Wir wissen, daß in unserem politischen Leben zwei starte Strömungen gegen- daß diese sich bemüht haben, den Sinn der Richtlinien am folgen­einander arbeiten: die bewußt republikanisch demokratisch soziale den Tage in ihr Gegenteil zu verkehren. Wir denken daran, daß und die ebenso bewußt reaktionär tapitalistische. Für die Frauen die Deutschnationalen bereits 1925 in der Regierung waren und so lange die Außenpolitik mitmachten, bis sie ihren tlingenden beſteht die Gefahr, daß sie durch einen Sieg der Reaktion von dem, was sie gewonnen haben, manches verlieren oder daß mindestens Lohn in Gestalt des Zolltarifs in der Tasche hatten. Sie haben der weitere Ausbau der Frauenrechte verhindert wird. Die So- sich mit den Zentrum auf den Weg nach Rom   begeben. Sie zialdemokratie hat durdy ihr festes Eintreten für die Republik   und stiegen in den Bug ein, als sie erfuhren, daß auch in dem D- 3ug für das demokratisch- parlamentarische System den Frauen viel ge ein Speisewagen sei.( Große Heiterkeit.) Wie wird man im Aus­nüßt. Die Frauen schädigen sich selbst am meisten, wenn sie anti- lande, vor allem in Frankreich  , diefes Kabinett beurteilen? Wir republikanische und antidemokratische Belicebungen unterstützen. Sozialdemokraten stehen auf dem Standpunkt, daß die Verständi­Nach der Reichspräsidentenwahl find Stimmen laut geworden, die gungspolitik auch ohne Rücksicht auf die Berliner   Kabinette fort­den Frauen die Schuld an dem Wahlergebnis zugemessen haben. gejezt werden müsse. Unter den gleichen Bedingungen verlangen Dieses Wahlergebnis hat sich allerdings ziemlich verhängnisvoll in wir auch die Räumung des Rheinlandes. Aber die nationalisti. unserem politischen Leben ausgewirkt.( Laute Zustimmung.) Unterschen Kreise Frankreichs   werden es leicht haben, aus der Bürger­einem bewußt demokratischen und von ganzem Herzen republikanisch blockregierung Kapital zu schlagen. Das Staatsschiff ist aufs neue gejonnenen Reichspräsidenten hätten wir wohl nicht diese politische Entwicklung der legten Zeit bekommen und auch das bewegliche und anpassungsfähige Zentrum wäre wohl steifnediger gewesen gegenüber den Rechtsblockbestrebungen.( Sehr wahr!) Die Frauen tönnen viel dazu beitragen, daß dieje Entwidlung nach rechts wieder zum Stillstand gebracht wird und die Drahtzieher der Rechten ihre politischen Biele nicht erreichen. Der Krieg und die Revolution haben uns bewiesen, daß schließlich doch immer der Geist über die Materie siegt. Wir wissen genau, daß die Arbeiterfrauen und die Arbeiterjugend zufammen mit den Arbeitern felbft alle reaffionären Pläne zuschanden machen werden. Halten wir zusammen und die Entwicklung wird vorwärts gehen zum Aufbau der Demokratie, 3um Siege des Sozialismus.

Aufhäuser: Rechtsregierung und Sozialpolitik.

Als der Achtstundentag gesichert war, schrieb im April 1920 die Deutsche Arbeitgeber- Zeitung":" Der Tag, an dem der Zehn- und Zwölfftunden- Nottag von früher wieder Allgemeingut Deutschlands  sein wird, wird der Auferstehungstag des neuen Deutschlands   fein." heute haben wir teilweise den Zehn- und Zwölfftundentag, damit aber nicht die Auferstehung Deutschlands  , sondern die der Reaktion und des Bürgerblocks. Die Lage ist heute so: Auf der einen Seite: Steigerung der Produktion, Rapitalserhöhung in den großen Gesell schaften, Verdoppelung der Aftienfurje, Riesengewinne. Auf der an­

in Gefahr, in die Wogen des Mißtrauens und des Haffes geschleudert zu werden. Die Handelsvertragsverhandlungen mit Bolen find ins Stocken geraten. Die Deutscmationalen machen sich hier bereits peinlidy bemerkbar. Man kann das behaupten, ohne etwa die polnische Bolitif in Schuh nehmen zu wollen. Es ist möglich, daß Herr Stresemann im Süden Herrn Mussolini   trifft. Glaubt einer, daß Mussolini   ein Ersatz ist für die Berständigungspolitik mit Frant­reich? Bir Sozialdemokraten halten fest an der bisherigen Friedens, politif. Wir können den Kampf gegen den Bürcerblock führen, wenn das Bolt uns zur Seite steht und wenn mit ihm die gesamte Internationale der Arbeiter hinter uns ist.

Künstler: Reichsbanner und Republik  .

Bisher haben die Arbeiter in Deutschland   der Reichswehr   wenig Intereffe entgegengebracht und doch muß ihr mehr als bisher die größte Aufmerksamkeit geschenft werden. Die Reichswehr  , die unter Führung nichtrepublikanischer Offiziere fteht, ist eine Gefahr für die Republik   und die Arbeiterschaft geworden. Hier herricht der alte Preußengeift, es gibt Offiziere, die in der Reichswehr   das fommende Instrument der Revanche für den verlorenen Krieg fehen. Die Reichswehr   ist eine außenpolitische Gefahr; sie hat sich nicht gescheut, aus Rußland   Granaten und Infanteriemunition zu beziehen.( Die Bersammlung geriet in große Bewegung, als die Kommunisten einige 3wischenrufe machen und stimmt dem Redner durch langanhaltenbes