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Nr. 72» 44.�ahrgang
Das Malheur öer Puppenbrücke.
„Berlin ist ein schlimmer Boden" raunten früher die alten Tanten in der Provinz: da war nun gewiß eine große Portion Uebertreibung dabei Eins aber ist sicher: Berlin steht auf einem sehr schlimmen Boden. Wenn es noch ehrlicher, märkischer Sand wäre! Aber überall finden sich �kalke" und Moorzwilchenlager, besonders in Alt- Berlin, und oft genug erweist sich, daß Gebäude Senkungen und Riise ausweisen, weil plötzlich der Boden nachgegeben hat. So ein außeretatsmäßiges Unglück hat in den letzten Jahren auch die Schloßbrücke betrosfen.— Die Schloßbrücke wurde in ihrer jetzigen Gestalt 1823 von Schinkel erbaut und führt auch erst seit dieser Zeit ihren jetzigen Namen. Früher hieß sie„chundebrücke", weil von hier aus immer die chundemeute zu den Jagden im Tier- garten geführt wurde: im Volksmund Berlins heißt sie in ihrer gegenwärtigen Gestalt auch„P u p p e n b r ü ck e", und die„nackich- ten Buppen", die die Brück« schmücken, lind vom Berliner Bolkswitz reichlich angeulkt worden.— Schon 1912 zeigte es sich, daß die Brücke, die bis dahin noch im mittleren Teil nur Holzbelag hatte, in ihrer alten Form als Klappbrücke der Beanspruchung durch den steinenden Verkehr nicht mehr gewachsen war: es wurde damals zwischen den Brückenpfeilern das Mittelgewölbs aus Eisenbeton eingesetzt. 192-4 traten jedoch neue Schäden auf. Am östlichen Brücken- rande wich das Landwiderlager, und die Schäden wuchsen so rapid, daß sich z. B. ein Stein des Gewölbes in der Zeit von Juni bis August 1924 um 8 Zentimeter senkte, so daß direkt mit einer Einsturz- aesahr sllr das östliche Gewölbe gerechnet werden mußte. Wahr- scheinlich reicht an dieser Stelle der P f a h l r o st, auf dem die Fundamente der Brücke liegen, nicht tief genug, denn über dem guten Baugrund lagert hier eine 4 bis 5 Meter tiefe Moorschicht. So ent- schloß sich das Bezirksamt Mitte , das alte Sandsteingewölbe hier völlig abtragen zu lasten und durch ein Eisenbetongewölbe zu ersetzen.
Gleichzeitig wird hier auch der Pfahlrost erneut.� Zu diesen Arbeiten muß um die ganze Baustelle eine eiserne Spundwand gezogen werden, damit der Wasserspiegel bis zu dem Pfahlrost abgesenkt werden kann. Die Arbeiten sollen planmäßig bis zum August 1927 vollständig fertiggestellt sein. Gegenwärtig führt die Spree jedoch bereits 79 Zentimeter Hochwasser, und ein weiteres Steigen könnte auch die Fertigstellung der Brücke weiter hinausschieben, trotzdem vom Bezirksamt Mitte alles getan wird, um den Bau so schnell wie möglich zu beendigen. Die Baukosten werden auf 239 999 bis 259 990 M. veranschlag. Die Leitung liegt in den Händen des Bau- rots' Leipold. Nach Beendigung der Reparatur aber wird die „Puppenbrücke" wieder ganz dos alte Bild zeigen, denn das Eisen- betongewölbe wird durch die alte Sondsteinsassade verkleidet.
Der Opernhansnmbau vor dem Landtaq. Der Preußische Landtag wird sich in feiner nächsten Sitzung aller Voraussicht nach mit den Interpellationen beschäftigen, die auf Grund der in der Oeffentlichkeit gegen die preußische Bau- und Finanzdirektion erhobenen Angriffe eingebracht worden sind. Der Bau- und Finanzdirektion wurde bekanntlich vor ollem vorgeworfen, daß durch die umfangreichen Absenkungsarbeiten des Grundwassers die in dem Aulagebäude der Universität am Kaiser-Franz-Joseph- Platz aufgetretenen Riste verschuldet worden seien, und daß durch den Umbau sämtliche dort in der Nähe befindlichen historischen Gebäude gefährdet würden. Am gestrigen Freitag besichtigte nun der Haupt- ausschuß des Preußischen Landtages die Baustelle, und etwa 29 Ab- geordnete oller Fraktionen ließen sich von dem Leiter des Umbaues, Regierungsbaurat Tictze, eingehend die Pläne erläutern. Die Abge-
Gerichtstag. Uon Fred verence. Copyrleht 1925 by Panl Zsolnay. Wie» „Hättest du mir nur gefolgt, dann wäre all das nicht ge- fchchen. Was wirst du jetzt tun? Wenn er heute abend nicht alles zurückzahlt, sperrt man ihn ein." „Mama, Mama, ich beschwöre dich, Hab Mitleid mit den Kindern. Du kannst doch� nicht wollen, daß so viel Schande auf uns und auf dich fällt." „Ach was, eine Schande mehr oder weniger, die uns dein Mann antut, darauf kommt's schon nicht mehr an." „Mama, Mama, Hab' doch Erbarmen." Sie hat sich auf die Knie geworfen und faßt die Hände der Großmutter. Ich bin ganz versteinert, mir ist, als wäre alles ein schrecklicher Alpdruck. Ein unmerkliches lächeln spielt auf den Lippen der Großmutter. „Ich Hab' dir immer gesagt, du wirst noch in Schande kommen." „Mama, mach' mir keine Vorwürfe, was sollen sie helfen. Du kannst mich ja nicht in dieser verzweifelten Lage lassen.' „Ich kann dir nicht helfen." „Du kannst, wenn du willst." „Ich habe keine so große Summe zur Verfügung." „Du kannst sie ausleihen." „Deine Schwester wird es niemals zugeben, du weißt, wie erbittert sie über deinen Mann ist." „Ich stelle dir eine Quittung aus, sie kann das Geld von meinem Vermögensanteil abziehen, hilf mir nur, Hab' Er- barmen, hilf mir." Die Mutter lag noch immer auf den Knien: endlich hob die Großmutter sie auf und setzte sie in einen Lehnstuhl. „Reg' dich nicht auf, du weißt ja, daß ich dich nicht ver- lassen werde." Sie hauchte einen fluchtigen Kuß auf die Stirn ihrer Tochter und entfernte sich mit leisen Schritten wie eine Wölfin. Die Mutter saß ganz zusammengesunken in ihrem Lehn- stuhl. Ein bedrückendes Schweigen herrscht im Zimmer. .Lind, leg' dich zu Bett." „Ja, aber komm' mit mir. Schwerfällig steht sie auf, wir gehen ins Nebenzimmer und sie fetzt sich ans Bettende. In ein paar Minuten bin ich ausgezogen und schlüpfe unter die Decke. Sie blickt auf mich. ich streichle ihre Hand und führe sie an die Lippen. Sie schaut
mich unverwandt an, ihr Stillschweigen wirkt beängstigend, und plötzlich, ich weiß nicht recht, wie es zugeht, beginne ich zu schluchzen. Sie ist bewegt. „Jacques, kleiner lieber Jacques, das Leben ist eine widerliche Sache und du mußtest es allzufrüh erfahren. Jacques, wnn' nicht mehr, ich kann es ja nicht ertragen, dich weinen zu sehen..." Sie küßt mich und dann bricht sie selbst in Schluchzen aus. Es schlug am nahen Turm Mitternacht , als ich endlich, ihre Hand in der meinen, einschlief. Auf die Straße geworfen. Jetzt kam der Vater jeden Abend sehr spät nach Hause. Gewöhnlich gab es vor dem Schlafengehen eine schreckliche Szene mit der Mutter. Am nächsten Morgen stand er erst gegen zehn Uhr auf. Er schickte mich nicht mehr um Kogizak und versteckte die Flaschen in seiner Tasche. Manchmal schloß er mich in einem Anfall von weinerlicher Zärtlichkeit in seine Arme und sagte stöhnend:„Mein Kind, verurteile deinen Vater nicht, er ist sehr unglücklich: man darf niemals einem Mann, der zu Boden fällt. Steine nachwerfen." Dann küßte er mich und flüsterte ganz leise:„Deine Mutter ist aber auch so böse gegen mich." Schluchzen, Tränen. Dann wischte er sich die Tränen aus den Augen und legte mir die Hand auf die Stirn:„Du mußt deine Mutter wie eine Heillge verehren." Wieder küßte er mich und schlich in eine Ecke, um seine Tränen zu verbergen. Während dieser Zeit starben wir beinahe des Hungers. Meine Mutter hatte der kleinen Alice verboten, der Groß- mutier zu erzählen, was wir zu den Mahlzeiten aßen. Die Aermste hoffte auf eine unvorhergesehene Hilfe, erwartete, daß ein Wunder geschehen würde. Obgleich sie Protestantin war, betete sie früh und abends inbrünstig zum heiligen An- tonius und war fest überzeugt, daß ihr Flehen Erhörung finden müßte. Eines Morgens brockte der Briefträaer einen eingeschrie- denen Brief vom Möbelhändler, der drohte, uns die Einrich- tung wegzunehmen, wenn man ihm nicht vor zwölf Uhr mittags fünfzig Franken schickte. Einige Minuten später stand ich vor der Tür des Ee- schäftes, um meinen Vater zu erwarten. Er kam heraus und ich blickte ihn voll Besorgnis an: aber sein Gesicht war ruhig und zuversichtlich. „Sag' deiner Mutter, daß sie ganz unbesorgt sein kann, alles ist geordnet."
ordneten wurden sodann durch die gesamte Baustelle geführt. Der Bausachverständige erklärte auch den Abgeordneten, daß die auf- getretenen Risse keineswegs durch die Grund- wasserabsenkung des Opernhausumbaues entstanden seien, sondern daß es sich bei den Bauschäden um eine Folge der bereits seit dem Jahre 1999 sich bemerkbar machenden allgemeinen Grundwassersenkung in Verlin handele. Das Berliner Grundwasser sei in dieser Zeit um etwa 1,79 bis 1,99 Meter allgemein gesunken, so daß die zum Teil auf Pfahlrosten stehenden Gebäude, also auch die neue Aula der Universität, in Mitleidenschaft gezogen sei, da die Pfähle, sobald sie nicht mehr im Grund- wasser ständen, der Verwitterung preisgegeben seien. Es wurde auch nochmals betont, daß die Hedwigs- Kirche in keiner Weise gefährdet sei, da diese auf dem sicheren Baugrund des alten Festungsgeländes errichtet ist Die Bauarbeiten zur Wieder- instondsetzung des alten Bibliotheksgebäudes sind bereits im vollen Gange. Die Sachverständigen sind der Ansicht, daß in den nächsten zehn Jahren an einem sehr großen Teil der Berliner Gebäude der- artige Unterfahrungsarbeiten vorgenommen werden müssen, da z. B. auch Teile der neuen Bibliothek, des Schlosses, des Physikalischen Instituts, aber auch zahlreiche private Wohn- und Ge- schäftshäuser auf Pfählen errichtet worden sind.
Der Liebesroman eines Rechtsanwalts. Eine Anklage wegen versuchter Erpressung. Der mehr als eigenartige Roman eines nicht unbekannten Berliner Rechtsanwalts— nennen wir ihn X.— fand vor dem Schöffengericht Charlottenburg seinen Abschluß, und zwar mußte sich Herr X. wegen versuchter Erpressung vcranworten. Der Rechtsanwalt hatte sich der Mühe unterzogen, die materiellen Schäden, die ihm durch sein« unglückliche Liebe angeblich verursacht worden waren, in ein« hübsche runde Summe Geldes un'zukalku- lieren, um diese Rechnung einem bekannten Berliner Kommerzienrot — nennen wir ihn?).—, der ihm seine Braut abspenstig gemacht hatte, zu präsentieren. Um den Ausgang des Prozesses gleich vorweg zu nehmen: der Staatsanwalt hat feine Anklage fallen lassen, und das Gericht sst zu einem Freispruch gelangt: eine Erpressung war weder beabsichtigt, noch lag sie vor. Der Roman des Rechtsanwalts büßt aber dadurch an Interesse nichts ein. Er begann, wie schon viele andere Romane begonnen haben, ini Restaurant. Am Nachbartisch saß ein schönes junges Mädchen. S i e reichte ihm die Speisekarte, e r meinte, sie komme ihm so bekannt vor, oli er nicht einen Prozeß für sie geführt habe? Nein, das nicht, sie habe aber bei einem Berliner Rechtsanwalt drei Jahre als Sekretärin gearbeitet und kenne sich in Moabit gut aus.„Das macht sich ja ausgezeichnet." Und zusammen ging es ins Kaffee, von dort ins Bureau des Anwalts, wo man auch die Nacht zubrachte. Besonders aber war>der verliebt« Rechtsanwalt für das Mädchen durch ihre Offenheit und ihr trauriges Schicksal eingenommen. Ein Kom- merzienrat hatte feinen Einfluß und Reichtum seiner armen Privat- sekretärin gegenüber mißbraucht und sie zu seiner Geliebten gemacht. Der Rechtsanwalt aber wollte dos Mädchen zu feiner Frau machen, hatte aber wegen ihrer Vergangenheit Bedenken. Er suchte einen bekamrten Berliner Kollegen auf, weihte ihn in seine verwickelte Herzensangelegenheit ein und erhielt von ihm die Gewißheit,>daß die Z. mit keinem der ihm bekannten Anwälte ein galantes Abenteuer gehabt habe. Also war für ihn der Weg zur Ehe frei. Am Freitag, den 4. Dezember 1925 wurde beschlossen, die Hochzeit am 2. März 19W zu feiern. Am Montag sollten die Verlobungsringe gekauft werden. Am Sonnabeiid teilt« die Z. ihrem alten kommerzienrät- lichen Liebhaber ihren Entschluß zu heiraten mit.„Du kannst tun und lassen, was du willst, ich lege dir keinen Stein ib den Weg". sagte er. Als. er aber zwischen Tränen hinzufügte„Ein Federstrich von mir ist mehr wert als eine ganze Praxis eines Anwalts". tätschelte die Z. die Wange' ihres alten Freundes und sagte: „Papachen, ich bleibe bei dir." Zu dem Rechtsanwalt meinte sie aber:„Erst bei der Trenung lernt man den Menschen richt'g kennen." Am Sonntag kam sie nicht wieder und einen Tag später dampfte sie mit dem Kommerzienrät nach Garmisch-Partenkirchen ab. X. fuhr dem Paare nach und erfuhr, daß die beiden sich im Hotel als Bater und Tochter eingetragen härten. Obgleich die Z. in einem Briefe ihn gebeten hatte, den Entschluß bis Januar zu verschieben, glaubte er nun, daß„alles aus" sei. Bald darauf aber
Rasch wollte ich der Mutter die glückliche Botschaft brin- gen, aber er hielt mich zurück:„Wart' einen Augenblick." Zwei Schritte entfernt befand sich ein Zuckerbäcker: er zog mich hinein und kaufte zwei große Erdbeertorten, gab sie mir und sagte fröhlich:„Wir werden sie zum Kaffee essen." Ich lief so rasch, daß ich ganz außer Atem kam, die Mutter schien beruhigt. Kaum war ich eine halbe Stunde zu Hause, als wir das Geräusch rollender Räder hörten. Ein leerer Möbelwagen blieb vor dem Gartengitter stehen. Ein Mann sprang vom Bock, wo er neben dem Kutscher gesessen hatte, und ging mit raschen Schritten ins Haus. Es war der Möbelhändler. Ich eilte zur Mutter. „Mein Gott, mein Gost." stammelte sie. Es wurde an der Tür geläutet. Die Mutter machte mir ein Zeichen und ich öffnete. Der Möbelhändler sagte mit eisiger Stimme:„Ist deine Mutter da?" Obne die Antwort abzuwarten, tritt er ins Zimmer. „Guten Tag, Frau Balcourt." „Guten Tag: ich habe geglaubt, daß mein Mann alles mit Ihnen geregelt habe. Er ließ mir sagen, daß alles in Ordnung fei." „Er hat Ihnen eben wieder einen Bären aufgebunden. Ich habe ihm gesagt, daß ich um vier Uhr kommen werde, die Möbel abzuholen. Jetzt ist's genau vier Uhr." Meine Mutter blickte ihn so entsetzt an, daß er sogar davon ergriffen ist. „Gnädige Frau, Sie müssen ja einsehen, daß ich den Worten Ihres Mannes keinen Glauben schenken kann. Seit sechs Monaten verspricht er mir goldene Berge und hat mir noch nicht einen Sou gegeben." „Seit sechs Monaten," ruft meine Mutter ganz betroffen. „Ja gewiß, feit sechs Monaten. Ich muß ja selbst meinen Verpflichtungen nachkommen.... Können Sie mir nichts geben?" „Ich besitze gar nichts." Unser Gläubiger macht eine Handbewegung, die bedeutet: „Was soll man da machen?" Dann fügt er heftig hinzu: „Vielleicht gibt es doch noch einen Ausweg. Frau Bonnard könnte mir zwanzig Franken monatlich zahlen. Sie sehen, daß ich nicht hartherzig bin, wenn es Ihnen recht ist, werde ich mit ihr sprechen." „Da wäre ich Ihnen sehr dankbar." „Ich komme gleich wieder," und nun geht er fort. (Fortsetzung folgt.)