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Nr. 78 44.�ahrgakg

1. Seilage ües Vorwärts

Mittwoch,?S. Februar 1927

An sonnenhellen Togen lZegt über jeder Großstadt eine Dunst- schicht; die zahllosen Schlote, der Straßenstaub und alle sonstigen Verunreinigungen der Großstadtluft sind im hellen Sonnenschein schon lange, bevor man die Stadt selbst erreicht hat, deutlich zu er- kennen. In früheren Jahrzehnten galt die weithin sichtbare Rauch- sahne eines Fabritschornsteins geradezu als ein Zeichen dafür, daß der Betrieb voll beschäftigt sei, er galt als Symbol der aufstrebenden Technik. In dem Maße, als die Industrie größer wurde und die Menschenansammlungen in den Städten sich vermehrten, wurde Rauch und Skaub zu einer Plage, die eine gründliche Abwehr forderte. Der Krieg und die Inflation hatten leider die Beachtung dieser Fragen zurücktreten lassen. Es ist jetzt an der Zeit, sie wiederum in den Vordergrund des hygienischen Interesses der Großstädte zu rücken. Der Berliner Bezirksverein deutscher Ingenieure veranstaltete daher auch vor kurzem einen Vortrag über dieses wichtige Thema, der de- wies, wie sehr heute noch in dieser Hinsicht vieles im alten liegt. Die Rauch- unü Staubquellen. Auch Berlin mit seiner Groß- und Kleinindustrie, mit seinen zahlreichen Hausheizungen und seinem großen Verkehr wird zu ge- wissen Zeiten von Staub und Rauch in geradezu unerträglicher Weise eingehüllt. Nach einer Statistik gibt es in Berlin nicht weniger als 5900 überwachte Dampfkessel. Die Einsuhr von Steinkohle beträgt im Monat zirka ZZ7 000 Tonnen, die Abgasmenge wird insgesamt aus 120 Millionen Kubikmeter geschätzt. An Flugasche sollen im Monat 35 000 Tonnen in die Atmosphäre gesandt werden. Die S adt-, Ring- und Vorortbahn hat bei einer Streckenlänge von ??5 Kilometern einen monatlichen Kohlenverbrauch von K0 000 Tonnen. Sie schickt jeden Tag etwa lOO Kilogramm Rauch in die gast. 8500 Aulodroschken und Omnibusse, 25 000 Personen- und callkraitwagen. 115 700 Groß, und Kleinkrafträder und nicht weniger als 1254 000 selbständige Hausheizungen wirken zusammen, um die Atmoshpäre Berlins zu verpesten. Hierbei macht die große Zahl der Hausheizungen der Industrie erfolgreichste Konkurrenz. Während bei der Größindustrie schon vielfach bessere, hygienisch und technisch eirwandfreie Rauchverbrennungen vorhanden sind, arbeitet die Klein. industrie jahraus, jahrein mit völlig unzulänglichen Einrichtungen. Die Kapitolknappheit läßt auch in Zukunft nicht hoffen, daß hier eine Aendening eintreten werde. Die Rbgafe. Der Rauch, der in die Luft geschickt wird, ist sehr verschieden- artig zusammeneesetzt. Bei imbeiregter Luft sinken schwere Ruß- teilchen ab Und was dann schweben bleibt, ist ziemlich einheitlich zusamincngesetzt. Meist aber bleiben auch die schweren Teile sehr

lange Zeit durch den außerordentlichen Wechsel der Windgeschwiadig. keil, durch die Kraft der Temperaturveränderungen in der Schwebe. Welchen Einfluß der Wind auf das Weitertragen des Rauches hat, zeigt ein« Beobachtung, die vor einigen Jahren in Irland gemacht wurde, wo Rauch aus Schottland und England, behaftet mit Ruß und anderen Verunreinigungen, in erheblichen Mengen niedersiel. Zu dieser rauchgeschwängerten Luft kommen dann noch die Auspuff- gase der Automobilsahrzcuge, die außerordentlich gesundheitsschädlich sind. So wurde auf der Haupttagung des Vereins Deutscher Chemi. ker, die im Jahre 1921 in Stuttgart stattfand, mitgeteilt, daß nach den Gutachten erster Sachverständiger reines Benzol am giftigsten sei. Man hat Auspuffgase gesammelt und Versuchstiere mit ihnen getötsr. Auch Chauffeure, die in Garagen schliefen, haben erhebliche Gesundheitsschädigungen dadurch erlitten, daß sie die bei leer» laufendem Motor entwickellen Auspuffgase einatmeten. Eine sehr interessante Tatsach« ist es, daß 25 bis 60 Prozent des Sonnenlichtes

geschätzt. Welche Wengen von Verschleißstaub in Frage kommen, zeigen die Schätzungen bei der hoch- und Untergrundbahn. Die Gleis- und Siraßendecke der Hoch- und Untergrundbahn beträgt in Berlin rund 48 Kilometer. Sie rechnet mit einem Verschleißslaub im Zahre von 210 Tonnen. Für New Park wird die dortige Unter- erundbahn. die eine Gesamtlänge von 31 Kilometern hat, die Ver­schleißstaubmenge sogar auf 399 Tonnen angegeben. Infolge dieser Abnutzung sind auch die Slroßenbaukoslen einer Großstadt wie Berlin außerordentlich hoch. Der Berliner Etat hat für Slrahenbou 24.2 Millionen Mark vorgesehen, davon sind 11,9 Millionen regel- mäßiger Etat und 12,6 im außerordentlichen Etat für Notstands- arbesten enthalten. Don dieser gewaltigen Summe werden nicht weniger als fünf Millionen für den llnterhall und sechs Millionen für die Nachpflasterung der Straßen aufgewendet.

durch die Abgase von den großen Städten abgehallen werden. Die physiologischen Schäden, die Pflanzenschäden, die durch diese Er- scheinung hervorgerufen werden, sind sehr erbeblich. Es gibt Städte, in denen die Rauchplage so groß ist, daß selbst Koniferen nicht mehr gedeihen, daß die Bäume geradezu an Fieber erkranken, Ver- stopfungserscheinungen aufweisen und eingehen. Zu diesen gesund­heitlichen Schädigungen kommen Materialschäden an Gebäuden und öffentlichen Einrichtungen, die einen beträchtlichen Verlust von Volks. vermögen bedeuten. So muffen z. B. in solchen rauchbedeckten Städten bei der Eisenbahn Elsenbeschläge alle 10 Zahre erneuert wer- den, da sie durch die Einwirkungen der Rauchgase zerstört werden. Die Eisenbahndireklion Essen schätzt den Materialverlust durch Ver. rosten Infolge der Einwirkungen der Abgase usw. auf jährlich rund 8000 Tonnen in ihrem Verwaltungsbezirk. ver Straßenstaub. Zu diesen Abgasen kommt dann noch der Straßenstaub hinzu, der mit der Zunahme des Verkehrs als besonderes Uebel empfunden wird. Man unterscheidet hier zwei Arten, den sogenannten Decken­staub und den verkehrsstaub. Der elftere entsteht durch die Ab- nutzling der Straßendecke infolge des Verkehrs, mechanische und physikalische Kräfte bewirken seine Entstehung. Der Verkehrsstaub dagegen wird durch den Verkehr selbst den Straßen zugeführt. Er besteht aus verwittertem Kot. Pflanzenfasern, Kalkteilchen, Glas- splittern, Sand, Bnkterien, menschlichem und tierischem Auswurf und vielen anderem. Dieser Staub ist besonders gesundheitsschädlich, weil er auf die Rachenscbleimhäute einwirkt und somit den Grund zu Halsentzündungen und Erkrankungen der Luftwege legt. Ins- besondere spitze und scharfkantige Staubteilchen können beim Ein­dringen in die Luftwege pathologische Veränderungen hervorrufen. Dagegen wird die Gefahr einer Infektion durch die im Straßenstaub enthaltenen Bakterien von Medizinern als wesentlich geringer ein-

/lbwehrmaßnahmen. Zur Bekämpfung dieser Rauch, und Stoubschäden sind zahlreiche Mittel vorgeschlagen worden: Atemslster, Verbrennung der Rauch­gase, bevor sie an die Luft kommen, chemische Mittel zur Nieder- schlagung des Staube? auf den Straßen, Oberflächenteernng oder Jnnenteerung der Straßen u. o. m. Grundsätzlich wäre zu fordern, daß olle großen Werke, und nicht zuletzt auch die Reservewerke der Elektrizitätsgesellschaften, die nur zeitweilig bei Spitzenleistungen in Betrieb gesetzt werben, noch dieser Richtung hin auf das modernste ausgerüstet werden. Besonders bedauerlich erscheint es, daß selbst das' moderne Großkraftwerk Rummelsburg noch in bezug auf die

Rauchoerbrennung ungenügend ausgerüstet eifcheiut. Ferner hofft man durch Ferngaswerke und Fernheizwerke sine Verminderung der großstädtischen selbständigen Heizanlagen. Am großzügigsten wirkt die Natur. Eine kleine Brise von zwei Metern m der Sekunde löst bereits die ganze über der Sdadt lagernde Rauchwolke auf. Sehr interessant ist die Tatfache, daß die größte Staubdichte in der Groß­stadt um Milkernacht herrscht, während das Minimum zwischen 2 und 4 Uhr morgens eintritt. Man führt das zurück auf das Eindringen von harten Strahlungen, sowie auf die großen Temper cittmmicr- schied« infolg« der nächtlichen Abkühlung.

Vielleicht wäre ein Zusammenschluß der vorn Rauch und Staub bedrohten Großstädter gegen diese Plage zweckvoll, um hier die Durch- führung bestimmter hygienischer Abwehrmaßnahmen zu erreichen. Der weiße Hemdkragen, der auch beim saubersten Menschen schon nach wenigen Stunden schwarz wird, zeigt deutlicher wie alle Zahlen und Berechnungen, in welcher Lust sein Träger sich bewegen muß. Gerade die über den Städten schwebende Rauchwolke zeigt, wie nick- ständig die modern« Technik auch heute noch ist.

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Gerichtstag. von Fred Bsrence. Copyrifbt 1925 by Panl Zsolnay, Wie»

Der Arzt trat zu mir, faßte mein Kinn mit zwei Fingern, gab mir einen freundlichen Nasenstüber und sagte:Lassen Sie ihn nur hier, vielleicht wird seine Gegenwart Frau Valcourt beruhigen." Als eine Stunde später die Hebamme kam, schickte man mich aus dem Zimmer, bald darauf rief sie mich und zeigte mir, wie man das Kind wickeln müsse. Das ist sehr brav, daß du deine Mutter pflegst. Von nun an herrschte ein heimliches Einverständnis zwischen mir und ihr und ich verließ das Zimmer nur, wenn sie kam. Eines Tages sagte ihr meine Großmutter spöttisch: Wenn Sie einmal eine zwölfjährige Wochenpflegerin brauchen sollten, dann wissen Sie wenigstens, an wen Sie sich zu wenden haben." Frau Valcourt könnte gar keine bessere finden," sagte die würdige Dame kühft Von dem Tage an war der Krieg zwischen meiner Groß- mutier und mir erklärt. Sie demütigte mich, ich lehnte mich aus. aber ich war verbittert und von dem Wunsche besessen, m'ch für alle Erniedrigungen, die sie mir angetan hatte» zu rächen. Die sonderbaren Worte meiner Mutter hatten mich übe?» zeugt, daß ihr eine Gefahr drohte. Nun will ich berichten, wie sich dieser Verdacht in Gewißheit verwandelt hat. Eines Morgens erhielt die Großmutter einen Brief von meiner Tante, den sie seh? aufmerksam las. dazu nickte sie zustimmend mit dem Kinn. Das Mädchen kam herein und tei'te meiner Großmutter mit, daß sie eine Kristallschüssel zerbrochen hatte. Sie sind eine dumme Gans," schrie Frau Bonnard und stürzte hmaus. um mit eigenen Augen den Schaden zu besehen. In der Eile ließ sie den ISrief der Tante siegen, ich war allein im Zimmer und las rasch den kurzen Brief. Ein Satz ist mir im Gedäck/nis gebsieben:Schade, daß der neugeborene Wasserkopf nicht gestorben ist." Mein Verdacht war nun zur Sicherheit geworden: Groß- mutier und Tante wollten meinen kleinen Bruder und die Mutter oergiften.

Ich liebte dieses kleine, schwache Wesen, das wir Paul genannt hatten und hatte mir vorgenommen, ihm den Vater, den er nicht kannte, zu ersetzen. Hoffte ich ja, daß er ihn nie kennen lernen sollte. Monat« vergingen, unsere Lage wurde schlechter und schlechter. Immer wieder enttäuschte Hoffnungen, denn niemals kam eine Geldsendung vom Vater, fortwährende, tägliche Vorwürfe. Bald legten sich Großmutter und Mutter nicht mehr den geringsten Zwang auf. Es gab schreckliche Szenen, während derer Frau Bonnard Nervenankälle bekam; eine Viertelstunde lang stieß sie unartikulierte Schreie aus. Die Mutter lief in ihr Zimmer, schloß sich ein und schluchzte. Nach diesen Szenen sprachen sie vierundzwanzig Stunden kein Wort miteinander, dann versöhnten sie sich ohne weitere Aussprache, bis zu dem Augenbsick, wo ein unvorsichtiges Wort einen neuen Sturm entfesselte. So oder ähnlich begannen meistens die Szenen. Wir essen, man spricht vom schönen Wetter, vom Regen, vom Weinberg. Frau Bonnard , ruhig:Dieses Jahr werden wir eine gute Ernte haben." Die Mutter, ruhig:Man sollte vielleicht einen Teil verkaufen." Frau Vonnard, ruhig:Ja." Dann plötzlich sehr erregt: Ja, ich muß verkanfen, weil dieser Kerl, der dein Mann ist. mich zugrunde gerichtet hat." Die Mutter, heftig:Ich will nicht, daß du vor den Kindern so sprichst." Frau Bonnard :Du kannst mir nicht verbieten, die Wahrheit zu sagen." Und die bitteren Worte folgten einander bis zur Schluß- szene: Schreie, Türenwerfen, Schluchzen. Zuguterletzt war meine Großmutter dieses Höllendaseins doch überdrüssig und faßte den Entschluß, sich, wie sie es nannte,ins eigene Fleisch zu schneiden" das heißft sie schenkte meiner Mutter ein vaar alt« Möbel: drei Betten, ein Kanapee> einen Tisch, vier Sessel, einen Waschtisch, dazu gab sie ihr zweihundert Franken und wir fuhren nach Genf zurück, wo meine Mutter, so wie vor zwei Jahren, versuchen wollte, unseren Lebensunterhalt durch englische Lektionen zu ver- dienen. Licht und Schatten. Die Rückkehr nach Genf kam uns wie ein schönes Märchen vor, wir hatten dort unsere liebsten Erinnerungen zurück-

gelassen. Voll Hoffnung trafen wir ein und wir waren fest entschlossen, unser trauliches Leben von früher wieder aufzu- nehmen. Ein schöner Traum! Die Stadt war wohl unverändert, aber wir hatten uns geändert. Meine Mutter kam verbittert, gebrochen zurück, in ihren Hoffnungen betrogen. Allerlei Verdrießlichkeiten folgten uns. Wir mieteten eine Zweizimmerwohnung mit Küche und hatten sie bald in Ordnung gebracht. Trotz aller Sorgfalt, die meine Mutter daran wendete, das neue Heim recht behaglich zu machen, war es doch eine Armeleutewohnung: Vierter Stock, Dachzimmer, alte Möbel, die an unserem früheren Leben keinen Teil hatten und die wir nicht mochten, well wir wußten, woher sie kamen: Stühle mit wackligen Beinen, knarrende Betten, ein abgenutztes damastüberzogenes Kanapee, das meine Mutter schaudern machte und ein Waschtisch, dessen Marmorplatte auf dem Transport zerbrochen war. Grau«. gelbgemusterte Tapeten vervollständigten den Eindruck der Armseligkeit. Um alledem die Krone aufzusetzen, war die Wohnung sehr feucht, die Kleidungsstücke schimmelten in den Schränken, die Möbel, die fortwährend der Nässe ausgesetzt waren, wiesen bald viele Schäden auf; wir hatten nicht das nötige Geld, um sie yüedsr instand fetzen zu lassen, noch um in eine andere Wohnung zu ziehen und so blieben wir, bis ..., doch ich greife vor. Einige Tage nach unterer Ankunft begann meine Mutter neue Lektionen zu suchen und gab ihr letztes Geld für An, eigen aus. Nach vielen Laufereien fand sie endlich fünf Schüler. Unsere Einnahmen betrugen ungefäbr hundert Franken. Gerade so viel hatte sie zwei Jahre früher verdient, doch die Miete war teurer geworden und die Großmutter schickte nichts mehr. Ab« auch unser Familienleben war nicht mehr so, wie bei unserem ersten Aufenchalt in Genf . Seit den Iahren, die wir in Evian verbracht hatten, war uns eine tiefe Bitterkeit, ein instinktives Mißtrauen gegen alle Menschen, auch die uns wohlwollten, zurückgeblieben. Eine dumpfe Nervosität hatte sich der Mutter bemächtigt. Sie verlor leickt die Geduld und oft entfuhren ihr gan, ohne Ursache harte Worte. Manchmal war sie den ganzen Tag schweigsam und am Abend brach sie in ein Schluchzen aus, das ihren ganzen Körper erschütterte. Dann legte ich ihr die Arme um den Hals. Mama, was hast du denn? Bitte, sag mir'» doch!" Sie schluchzte noch heftiger und erwiderte mit herzzer­reißender Stimme: Iu kannst es ja nicht verstehen." (Fortsetzung folgt.,