Mgrarierpolitit Die Deutschnationalen enthüllen ihre auf Kosten Das wirtschaftspolmsche Programm der Reichsregierung ist bekannt. Graf Westarp, der Führer der größten Partei der Rechtskoalition, hat es aber für richtig gehalten, in der„Kreuz- zeitung " zu sagen, wie er dieses Programm auffaßt. Die deutsche Oefsentlichkeit muß dem Herrn Grafen dafür dankbar sein, daß er dos getan hat. Programme sind Worte, solange dir entscheidenden Mächte, die hinter ihnen stehen, nicht gesogt haben, was sie dar- unter v e r st e h e n. Durch alle demagogische Einkleidung hindurch. in der der deutschnationale Graf ein altbekannter Meister ist, läßt er deutlich erkennen, was er will. Graf Westarp macht die deutsche Oefsentlichkeit darauf auf- merksam. daß ihr noch nicht deutlich genug bewußt geworden ist, daß die Deutschnationalen auch zu dem Zweck in die Regierungskoalition eingetreten sind, um an der Wirt» schafts- und Finanzpolitik mitzuwirken und hierfür die starken, in und hinter ihrer Partei stehenden Kräfte einzusetzen. Er stellt ausdrücklich fest, daß das koalikionspragramm dem Grund- gednnken entspreche, die das am 15. Februar 1926 veröffentlichte Wirtschaftsprogramm der Deutschnationalen enthalte. Eines Pro- gramms also aus einer Zeit, in welcher die Deutschnationalen noch in schärfster Opposition zu mehreren Regierungsparteien von heute standen. Sofort läßt Westarp auch erkennen, daß er dieses Programm in der Richtung des schärfsten Klassenkampfes und der autoritären Vorkriegspolitik der Konservativen auffaßt. Wie er„die offene Wunde der Erwerbslosigkeit" von innen heraus..heilen" will, steht im schärfsten Widerspruch selbst mit der Auffassung eines großen Teiles der Industrie. Er macht ganz klar, daß nur durch eine nachdrückliche Steigerung der Gewinne der Industrie, insbesondere aber der Erträge der Landwirtschaft, die wirtschaftspolitische Ausgabe des neuen Kabinetts gelöst werde» kann. Der Gedanke der Linksparteien und gewisser Teile der Industrie(!),.ihre Konkurrenz- fähigkeit dadurch zu erhöhen, daß Lebenshaltung und Löhne der deutschen Arbeiterschaft durch Preisgabe der deutschen Landwirtschast billig gehalten werden", wird als kurz- sichtig scharf abgelehnt. Verliere das deutsch « Volk die Mög- lichkeit, von seiner eigenen Landwirtschast ernährt zu werden, dann werde die„vertrustete Getreidewirtschast der Welt" in der Lage sein, dem deutschen Arbeiter Lebensmittelpreise in beliebiger Höhe abzunehmen. Das wagt Graf W e st a r p in einem Augenblick zu sagen, wo der Schuh der deutschen Landwirlschoft einen noch nie dagewesenen Höhepunkt erreicht hat, wo die Roggenpreise heute und in der Zu- tunft das Brot der breiten Masten in unerhörter Weise verteuern, wo es gerade die monopolistische Politik der Getreidehandelegesell- schaft ist, die die Getreidepreise mit Gewalt in die Höh« treibt. In einem Augenblick, wo uns Zuschriften beweisen, daß es der Land- Wirtschaft noch nie so gut gegangen ist, wie jetzt, fordert Graf Westarp die Einstellung ddr deutschen Wivtschafts- Politik auf den Gesichtspunkt, die Rentabilität der Landwirtschaft mit allen Machtmitteln des Staates zu steigern. Fast wichtiger aber noch ist ine demagogische Einklei. d u n g, mit der hinter einer Wand von scheinbar Volkswirtschaft- lichen Argumenten die übrigen Koalitionsparteien für dos ein- seidig agrarische und im l)öchst«n Maße reaktionäre Wirt- schostsprogramm der Deutschnationalen eingespannt werden sollen. Dem Scharfmacherflügel der Schwerindustrie Rechnung tragend. aber im schräfsten Gegensatz zu den Fertig- und Konsumindustrien
im Hürgerblock. Absichten. — Alles für die Agrarier des Volkes! will Westarp der Oefsentlichkeit plausibel machen, daß die Steigerung der landwirtschaftlicheü Rentabilität, d. h. die Steigerung der Kauf- kraft, der Landwirtschaft das einzige Mittel zur Lösung der Wirtschafts- und Soziattrise sei. In Wirklichkeit nutzt die Politik der intensiven Kapitalbildung, die hier oktroyiert werden soll, nur der Grundrente der Großagrarier und den sozialreaktionären Bestrebungen der Schwerindustrie. Der Bauer und die Fertigindustrie gehen dabei vor die Hunde. Das Problem des Wohnungsbaues und der Siedlung soll unter den Auspizien des Grohagrariertums gelöst und der Stärkung der poli- tischen Macht dienstbar gemacht werden. Unter dem scheinsozialen Mäntelchcn der Förderung der Landarbeiterstedlungen und der Der- Hinderung des Zustromes vom Land in die©tadt wird«ine»gesund« Bevölkerungspolitik" des echten, alten autoritären Schlages ange- strebt, die die Landarbeiter unter Aufrechterhaltung der städtische» Wohnungsnot praktisch an die Scholle festeln und die Grundlage schaffen soll, um das sozialreottionäre Programm der Großagrarier auch gegenüber den Landarbeitern durchzuführen. Den deutschen Landarbeitern, die heute noch unter unerträg- lichen und katastrophalen Verhältniflen sich mit Stundenlöhnen von 3S und 40 Pf. für Verheiratete durchschleppen müssen, sollen die wenigen sozialen Errungenschaften der letzten Jahre genommen werden. Nicht umsonst hat ein zweiter deutschnationaler Mimster, Herr Schiele, in Königsberg hinter schwungvollen Worten ejne „Sozialpolitik des Eigentums und der Familie" auf dem Land« gefordert. Es fei eine unerläßliche Aufgab« der deutschnationalen Minister, daran mitzuarbeiten, daß die Landwirt- schaft vor„unsinnigen, nur um der Agitation willen aufgestellten und von unzweckmäßigen, den ländlichen Verhältnissen nicht angepaßten sozialen Forderungen" geschützt werde. S o Graf Westarp über die Sozialpolitik der kommenden Regierung. Er hat ferner Klarheit darüber geschaffen, was für die zukünftige deutsche Handelspolitik zu erwarten ist. Eine Einigung mit Polen , ein zweckentsprechender Vertrag mit Frank» reich ist ausgeschlossen, wenn nach der Westarpschen Zielsetzung für die deutsche Zahlungsbilanz die drei Milliarden für die Ein» fuhr von Lebensmitteln„gespart" werden sollest und durch eine künstlich übersteigerte Rentabilität der Landwirtschaft die Kauffähig- keit der breiten Massen in Deutschland mehr und mehr erdrosselt wird. Die Oefsentlichkeit hat allen Anlaß, über dieser brutalen und gleichzeitig unendlich verlogenen Klaffenkampfpolttik der Deutsch » nationalen mit größter Aufmerksamkeit zu wachen. Richte macht das deutlicher als die letzte gemeinsame Kundgebung der landwirt- schaftlichen Spitzenoerbände, des Reichsverbandes der deutschen I n» d u st r i e und des Deutschen Industrie, und Handelstage zur Frage der ländlichen Siedlung. Hier kehren alle Argumente wieder, die Westarp für seine Wirtschaftspolitik aufgestellt hat, und die sozial bedeutsam« Frage der Siedlung erscheint als reines und nacktes Geschäft. Schon in der ersten der von diesen Spitzen- verbänden aufgestellten Forderungen, die als Bedingung für das Gelingen der Siedlung die Steigerung der Rentabilität der Landwirtschaft aufstellt. Es Ist tief bedauerlich und das erste deutliche Zeichen der bereits gestifteten Verwirrung, daß auch der Reichsverband landwirtschaftlicher Klein- und Mittelbetriebe unh sogar öffentliche Verbände sich dieser einseitigen Interessentenkundgebung im Dienst reaktionärer Endab» sichten angeschlossen haben!
Der Reichswehretat. Tozialdeurokratischc Angriffe im Reichstag. Herr Gcfzler schweigt sich aus. In der Sonnobendsitzung des Aueschusies für den Reichshaushalt kamen noch mehrere sozialdemokratische Redner in der allgemeinen Aussprache über den Wehretat zum Wort. Genosse Künstler wies zunächst den Angriff des Abg. Brüninghaus auf den Genossen Löbe zurück und kritisierte sodann das Verhalten der Kreisosfi- zier«. Di« Offiziere der Reichswehr müßten weit mehr als bisher im Geiste der Republik erzogen werden. Aber man scheue sich ordentlich, das Wort Republik auszusprechen und man suche es möglichst zu neutralisieren. Freidenker wie Herr v. Sidow seien fristlos entlassen worden, weil er keinen Befehl zum Kirchgang gegeben habe. Genosse Künstler fragt, wie es mit der Chemischen Fabrik in Gräfenhainich en bei Bitter- selb stehe. Ob die Reichswehr daran beteiligt sei oder nicht. Auch wünsche er zu wissen, aus welchen Gründen der General von T s ch j s ch w i tz � befördert worden sei. Roch in diesem Jahre hätten Regimenter, wie das z. B. in Stargard , an der Ausbildung von Zeitfreiwilligen und an Sportwochen teilgenommen. Dem deutschnationalen Redner Schmidt- Hannover, der sich ?u der Behauptung verstieg, Streichungen am Etat würden eine Blamage für den Reichstag bedeuten, antwortete Genosse T». Leber, der unter anderein auf den großen Verband der Landeskriegerverbände hinwies. Diesen Verbänden gehören nach wie vor Reichswehrosfiziere an. Diese Verbände sind politisch stark festgelegt und aktiv, sogar gegen Demokraten und Zentrum. Die Bevölkerung sieht die Reichswehroffiziere Am, in Arm mit den völkischen Führern dieser Verbände Wie soll sie da nicht miß- trauisch werden? Wir Sozialdemokraten denken nickst daran, der Gesinnung der Offiziere nachzuschnüsfeln, aber wir muffen verlangen, daß sich die Reichswehr von allen politischen Kundgebungen fern- hält. Der Etat ist außerordentlich unübersichtlich und in seinen Forderungen überspannt. In wenigen Iahren werde man am Ende der deutschen Finanzkraft stehen. Dann wird sich die Verschwendung auch an der Reichswehr rächen Gen. K u h n t bemerkt, er könne Verständnis dafür aufbringen, daß infolge der Kriegsentbehnnwcn der Ersatz nicht immer einwand- frei gewesen sei. Solche schwachen Menschen durften aber nicht zu Offtzieren befördert werden. Er sei aber in der Lage, einen Fall anzuführn, in dem ein Offiziersaspirant befördert wurde, der in angetrunkenem Zustand ausgerufen hat:„Ihr mit eurer sozialen Republik ! Ebert kommt auch noch ran! Rathenau , das Schwein, wäre nicht der letzte. Ehrhardt lebe hoch! Don einem Regierungs- vsrtreter wird geantwortet, daß der Betreffende wegen dieses Vor- falls entlassen sei. Zum Schluß erklärt der Reichswehrminister Dr. Gehler, daß. soweit die Landeskriegerverbqnde Politik tveiben, der Reichswehr gesetzlich an ihren Veranstaltungen die Teilnahme verboten sei. Er gibt dann Auskunst über die Rede des Generals v. Tschischwitz, von der die Abg. Scyöpflm und Künstler gesprochen haben. Der General v. Tschischwitz habe nichts anderes gesagt, als daß Turnen und Sport ein allgemeines Voltserziehungs- nnttel werden müssen, was übrigens auch seiner(des Ministers) Ueberzeugung entspreche. Befördert sei Herr v. Tschich- w i tz n i ch t. Er sei jetzt Truppenführer in Berlin geworden, dessen Tätigkeit auf einem militärischen, aber nicht auf politischem Gebiete liege. Herr Künstler hat ferner einen Sporttursus in der Pionicrfafeme kritisiert. Der Kursus habe aber nicht in der Kaserne, sondem auf einem Gelände unmittelbar an der Kaserne stattgesunden. Mit dem Abg. Künstler sehe er(der Mimster) in einem künftigen Kriege ein fürchterliches Unglück. Wenn er aber kommt, müsien wir um unser Leben kämpfen. Entweder allgemeine Abrüstung oder, solange allgemein gerüstet wird, müßten auch wir uns zu schützen suchen. Auf die Frage des Eenoffen Künstler weacn der Chemischen Fabrik in Gräfenhainichen schwieg sich der Minister aus.
Sachsen will einb loO-Millionen-Anleihe. Dem sächsischen Laudlag ist der Entwurf eines Anleihegesetzes zugegangen. Nach dlsfem Gesetz soll das Finanzministerium ermächtigt werden zur Deckung außerordentlicher S t aat s b«d ü r s n i s s e«ine oder mehrere verzinsliche Anleihen bis zum Gesamtbetrag von 100 Millionen Reichsmark aufzunehmen. Sploaageprozeh in Sowjetrußland. Drei Estland «? sind in Leningrad wegen antirussischer Propaganda und Spionage ver- urteilt morden, davon einer zum Tode.
Erweiterte Berechtigung für da« Studium an den Hochschulen. Wie der Amtliche Preußische Pressedienst mitteilt, hat der Kultus- minister die Hochschulen darauf hingewiesen, daß zu den deutschen neunstufigen höheren Lehranstalten, deren Reisezeugnis zum Studium an den Hochschulen berechtigt, jetzt auch die Deutsche Ober- schule, die Ausbauschule, das Oberlyzeum der Ober- realfchulrichtung und diejenigen Oberlyzeen rechnen, deren Zeugnisse mit einem Anerkeimungsoermert des Ministers versehen sind. Auch die auf Grund der Bestimmungen vom 11. Juni 1924 vom Minister ausgestellten Bescheinigungen über die Zulassung zum Studium ohne Reifezeugnis berechtigen zum Studium der in der Befchcini- gung genannten Fachrichtung. Tltm Porks neues Opernhaus. Der Bermallungsrat der Metro- politanoper in New Jork hat jetzt die Baupläne für das neue Theater genehmigt, das in der 57. Straße erbaut werden soll. Das Theater wird 4609 Plätze und mehrere Logen aufweisen, die zum Preise von 145 000 Dollar dem Inhaber einen Platz sichern, mit dem«r gleichzeitig einen Anteil an dem Besitz des Gebäudes erwirbt. das Theater wird von einem Turm überragt, in dem Bureau- und Geschäftsraums untergebracht werden. Ergänzung zur Kritik. Mein Bericht über die Nachtvorstellung in der Komödie„Rasch ein Kind" mußte wegen Raummangels stark gekürzt werden. Es ist ober von einem hübschen Einfall des Regisseurs die Rede und keiner erfährt, worauf das Hübsche des Einfalls beruht. Dies soll den Leser» nicht vorenthalten werden. „Der Bühnenumbau geht auf offener Szene mit Iazzbairdklängen vor sich. Dabei wird sogar eine Szenerie oufgebant, die aus der Bühne überhaupt nicht vorkommt, nämlich ein Babyzimmer. Die Arbeiter trpgen ein Kinderbettchen und-Stuhlchen, einen Wagen, einen Laufttuhl. eine Klapper und was ein Säugling sonst noch braucht quer über die Bühne, durch die linke Tür herein und durch die rechte Tür hinaus— tänzelnd unter Iazzbandgequiek. Ein reizender Einfall, auch die Pausen am Ulk teilhaben zu lassen." Dgr.
Araaio- veroustaltmiqe»». S-mik.(7 it. 9):»Da« schassende Amerikas Moni(f), Dieasi.(9>;.Java und Sumatra *. Ctcnst(7): Emil Eimen:.Der Kamps um da« Tchwurge- tri cht*. Mino.(5 u. 9), Freit. lS):„Luv und Lee*. IBiNro.(7): Prot. Licpmann:„Weltanschauung und G e s u» d b e i t*. Donner»!., Freit.(7):, Erlebnisse in Brasilien *. Donnerst. fSi, Freit. CSO, Sannab.(7): ,«n den stürstenliösen Java»*. Sonnab IS):.Kreozzug de» Weibe»* Soaaab.(9): KaibuS: Film''«trag. Die Galerle Atatlblesen, Bellevuefir. 14, eröffnet heute, 11 Nbr vormittags. ihr« groh«?ahrkSausffelIuno. die die Malerei des Stilleben» in Deulschland und Frankreich hiltorilch reprSlentiercn und die Verbindungen nu Stilempfinden beider Länder auszeigen will. ver Bu><» lür knasloushelluogen in Schuln,», ran staltet am 22., abends 8 Uhr. im Auditorium 1, des jlulagebäudeS der Univirsilät cinen Vortragsabend. Geb. Rat Professor Dr. Wilhelm Waetzoldt vom Kultus- Ministerium stricht über.Die europäische Lage in der Kunst*. Eintritt frei. ver Berliner Komponist Robert Fach, ist an einem Schlagansall plbd- Lch in Wien gestorben Fuchs war vor wenigen Tagen griegentlich seines 80. Geburtstages der Gegenstand groger Ehrungen seitens der Wiener MufitweU.
Trotz üer Toüesstrafe... Veruntreuungen in Sowjet-Znftitntionen. Seit fast zwei Jahren führt die Staatsanwaltschaft in Sowjet- rußland«inen erbitterten Kampf gegen die Veruntreuungen in Sowj«tinstitutionen. Am meisten leiden die Dorf- konsumgenoffenschasten unter dieser Seuche. Auch die Todes- strafe, die gegen die ungetreuen Beamten mobilisiert wurde, hat wenig genutzt, obgleich die Zahl der Fälle, bei denen sie angewendet wurde, im Vergleich zum Jahre 1925 sich ver- doppelt hat. Wie rigoros vorgegangen wird, beweist z. B. ein Fall, in dem einer Veruntreuung von 8,63 M. eine Gefängnisstrafe von 2Z4 Iahren folgte! Die Gewährung einer Bewährungsfrist ist der Zahl nach um ein Drittel vermindert worden. Neuerdings soll die Aburteilung der ungetreuen Beamten noch beschleunigt werden und die Strasmaßnahmen noch schärser gehandhabt werden, da die Ab- nähme der Unterschlagungen sich nur in ganz geringein Maße be- merkbar macht. In, Laufe der ersten zehn Monats des Jahres 1926 waren es 55 000 Unterschlagungen von Geldsummen in der Höh« von 25 500 000 Rubeln, das sind 61 Millionen Gold mark. Im Oktober ist die Zahl der Veruntreuungen um ein weniges zurück- gegangen. Diese Tatsachen, die wir der in diesen Dingen gewiß unoer- dächtigen Sowjetpresse entnehmen, gestatten nicht uninteressante Schlüsse. D-e Nationalisierung des Handels und die Bureau- kratisierung des Sowjetlebens hat das Privatinteresse des einzelne), völlig ausgeschaltet. Einen Stamm von Menschen, di« gewohnt werden, im Dienste der Allgemeinheit ihre Bedürfnisse auf das Mindestmaß herabzudrücken, hat aber die Oktoberrevolution nicht vorgesunden. So wurden diese Menschen, die gewohnt waren, nur für ihr eigenes Interesse zu leben, plötzlich zu Trägern des Gesanü- int-resses und zwar unter materiell äußerst ungünstigen Bedin- gungen. Hinzu gesellt sich der Umstand, daß Staat wi« Regierung in den Augen der Beainten keine genügend« Autorität besitzen.
Sowfetrußlanü uns Tschechoslowakei . Die Frage der Anerkennung. Prag . 19. Februar.(MTV.) Nach einer Meldung der Reforma sind die Verhandlungen über di« ä« jure- Anerkennung Sowfetrußlands in vollem Gange. Wie das Blatt weiter mttteitt, ist man der Ansicht, daß sich die nationaldemokratische Partei, di« bislang einer Anerkennung Sowjetrußlands den größten Widerstand entgegensetzte, nunmehr bereitsinden lassen wird, bei den entscheidenden Verhandlungen ihr Einverständnis zu geben. Di« Grundlage der Verhandlungen soll die Tilgung der gegenseitigen finanziellen Verpflichtungen, die bisher das größte Hindernis für eine Verständigung war, bilden. Ferner soll Sowjetrußland die Versicherung obgeben, sich nicht in die innerpolitifchen Verhältnisse der Tschechoslowakei einzumischen. Einer weiteren Information der Reforma zufolg«, soll die Wiederaufnahme der Verhandlungen mit Sowjetrußland auf den
I Druck industrieller Kreise, die sich um die Anknüpfung und Au«» gestaltung der wirtschaftlichen Beziehungen mit Ruhland bemühen. zurückzuführen sein.
Seine Exzellenz üer Mortanstister. Horthys Anteil an der Ermordung zweier Arbeiterführer. Es sind nun sieben Jahre, seitdem die ungarisch« Donau die gräß- lich verstümmelten Leichen der beiden Redakteur« unseres Budapester Bruderblattes, der Genossen Szomogyi und B a s c o ans Ufer warf. Die Erhebungen der ungarischen Polizei stellten sofort fest, daß die beiden ermordet waren, und die Suche nach den Tätern«gab sehr bald dringenden Verdacht gegen mehrere Offiziere der Horthy -Armee. Als es aber so weit war und da» Ob«- kommando durch die Beschuldigten von diesem Stand der Unter- suchung erfuhr, ließ es der Polizei die Akten abnehmen, und der Militäranwaltschaft übergeben, die nach einigen Wochen die Untersuchung als ergebnislos«in stellte. Ladislaus Fenyes. einer der tapfersten sozialistischen Bekämpfer de« Horthy-Regimes, der vor wenigen Monaten heimlich und zu Fuß über die bürgen- ländische Grenze nach Wien entwich, um sich nicht neuerdings hinter Kerkermauern begraben zu lassen, erhebt nun in der„Wiener Ar- beiterzeitun�" die Anklage gegen den R e i ch s v e r w eser. Admiral Nikolaus Horchy, daß er an der Anstiftung auch dieser Mord« großen Anteil habe. Fenyes stellt In ausführlicher Weise die amtlichen Untersuchungsergebnisse und di« weiteren zusammen» di« er im Auftrage der ungarischen Sozialdeniokratischen Partei fest- gestellt hat. Daraus fei folgendes wiedergegeben: Der Oberprofoß des Gefängnisses in Siofok , Stephan Haydn» hat Aussagen über Mord« gemacht, die in Gegenwart Horthys vollbracht worden sind. Der gewesene ungarische Innenminister Edmund Be n i c z k y hat unter Berufung auf mehrere ungarische Grafen, die als Politiker weit bekannt sind, bekundet, daß im September 1919 in Siosok mit Horthy über seinen Einzug nach Budapest verhandelt wurde. Die Anwesenden oerlangten von Horthy , daß er Tumulte oder Greuel nicht dulden sollte. Horlhy hob von einem Tisch eine Zeitung und sagte:„deinetwegen. Ab« w« solch« Dinge schreibt, wird schwimmen!" In die Offizicrgesellschaft des Oszenburgdetachements im Ger- hardushotel in Budapest brachte«in Zensurosfizier den Bürstenabzug eines Artikels der„Nepszava ", des Blattes, an dem Szomogyi und Bacso Redakteure waren. Der Artikel wurde verlesen. Einer der Offiziere sagte empört:„DiesessozialistischeSchwein. wogt noch, so zu schreiben— man müßte ihn in d i e Donau schwim- m e n schicken." Daraus horthy:„Mau soll nicht reden, sondern handeln." Es gibt noch«ine Reihe weiterer Beweise, die aber Fenyes noch nicht veröffentlicht, weil er nur zu gut weiß, wie geübt die Budo- pester Militäranwaltschaft in der Fälschung van Akten und in der Herstellung von falschen Zeugenaussagen ist. Ter Ministerpräsident. Graf Bethlen. weiß nur zu gut, welchen Antell Horthy an diesem Doppelmorde hat. Und dieses Wissen, so schreibt Fenyes, ist eine der stärksten Stützen der Macht Bethleos über Horthz.