Sonntag 20. Februar 1927
Alus der Film- Welt
Die Filme der Woche.
, Das edle Blut."
( Marmorhaus.)
Kindertränen hat nicht erst der Film von heute entdeckt. Sie hat es immer gegeben. Aber heute achten wir vielleicht mehr auf fie, obwohl wir von einem Zeitalter Pestalozzis, dessen die Welt sich eben wieder Gedenktage feiernd erinnert hat, noch weit entfernt find. Der sonst so pathetische Hohenzollerndichter Wildenbruch hat Kindertränen" in einer schlichten Novelle gesammelt. Eine davon, die erschütterndste:„ Das eble Blut", ist die Vorlage für diesen deutschen Kinderfilm geworden, den Franz Rauch , über all das Vorbild schonend und es doch modernisierend, ein sorgsam ausgearbeitetes Manuskript bereitet hat. Das Aeußere der Handlung scheint ganz militaristisch zu sein, und schon hat man Angst, wieder einen Militärfilm zu sehen, in dem die Kinterlichen des alten Systems in widerlicher Weise verherrlicht werden. Aber siehe da, diejer Kadettenhaus- Film ist alles andere, als eine Glorifizierung strammer preußischer Zucht. Ein Dichter hat hier in das Herz eines armen Junger geschaut, in tiefem Mitgefühl seine Leiden in dieser ganz auf Strammheit und Schneidigkeit gestellten Anstalt geschildert und ihn auf seinem tragischen Gange rührend und herzbewegend geleitet. Es ist kein ausgesprochener Anklagefilm entstanden, aber wer die Augen aufmacht, der sieht recht gut, daß es der Klassendünfel, die Standesborniertheit, die Roheit eines nur auf äußerliche Leistungen bedachten Systems und verrückte Ehrbegriffe sind, die dem Jungen das Schicksal bereiten. Joachim v. Lingen ist ein träumerisches, versonnenes Kind, das fein Bater, ein üblicher Major, nicht versteht und die zweite Mutter nicht liebt. Trotz seines ganz unsoldatischen Wesens muß er mit dem älteren Bruder Hans Karl in die Kadettenanstalt Lichterfelde . Er vermag hier nirgends heimisch zu werden; er ist der Jüngste und Schwächlichste. Das Treiben feiner zum Teil viel größeren Kameraden interessiert ihn nicht. Er muß Wache stehen, während sie nachts Bier trinten und würfeln. Ihre Dummejungenstreiche, die zum Teil schon ganz getränkt find von dem Düntel ihrer Kaste geradezu grotest mutet der Boykott eines Konditors an, der nach der Auffassung der Herren Kadetten des Königs Rock beleidigt hat tann er nicht mitmachen. Aber er greift doch das eine und andere Morte auf, die die großsprecherischen Herrlein im Munde führen, daß sich ein Soldat bis zum Tode für den Kameraden einsehen muß. Und er ei sich ein für seinen schneidigen Bruder, der so flott das Gelb verspielt, und eines Tages einen Kameraden ein Lackonra entwendet, um damit auf dem Ball zu paradieren. Der Diebstahl tommt auf. Joachim nimmt ihn auf sich und muß die barbarifche Prügelstrafe erbulben, die das heimliche Femegericht der Kadetten über ihn verhängt. Auf einen blanten Säbel schwören sie dann alle, daß die Sache damit zu Ende sein soll und niemand ein Wort verraten wird. Aber einer verrät es doch in einem unbedachten Moment. Jegt erfährt ein Borgefegter davon und der arme Joachim muß die Anstalt verlassen. Sein Martyrium geht zu Hause weiter. Ein Nervenfieber hat ihn niedergestreckt. Doch er steht zu seiner Tat, auf die er innerlich wohl auch stolz ist, und beruhigt den Bruder. Das Leben mag er freilich nicht länger tragen. Er stürzt sich aus dem Fenster und erlebt nun noch in jeinen letzten Augenbliden seine Rehabilitierung- denn der Bruder gesteht endlich und die Berzeihung heischende Liebe feiner Eltern.
Karl Boese erweist sich in der filmischen Ausgestaltung dieses Stoffes als Meisterregisseur. Er weiß aus den jugendlichen Darftellern, mit denen er überwiegend zu arbeiten hat, sehr viel herauszuholen, und er weiß vor allem den Geist dieser Anstalt im Bilde einzufangen. Lebendig entfaltet sich das Kadettenhausleben mit feiner steifen äußerlichen Zucht, den lächerlichen Zügen militärischer Berstiegenheit, die sich schon in den Jungen äußern, den luftigen Stretchen: furzum das ganze Milieu ersteht vor unseren Augen. Sehr gut sind die einzelnen Charaktere bereits in den Jünglingen herausgearbeitet. Da ist der renommierende, fede, aber auch wieder gutmütig und gerechte Kadett, wie in Wolfgang 3ilzer prächtig gestaltet, da ist der brutal schneidige, fast sadistische, der allem Lust har. die Prügelstrafe zu vollziehen, des Kurt v. Bo low[ fy. Rolf Müller gibt dem Bruder des Joachim in aller Frische und Natürlichkeit als den Jungen, der sich keine großen Gedanken macht, aber mit Leib und Seele Kadett ist. Bor allem aber ist das edle Blut selber, ist es Waldemar Pottier , der den Erfolg des Films bedeutet. Es ist erstaunlich und bewundernswert, wie dieser fleine Held den vielfachen Ansprüchen, die diese psycholo gisch vertiefte Rolle an ihn stellt, mit vollem Gelingen gerecht wird. Wie träumt er mit seinen großen Augen in die ihm fremde Welt hinein! Wie geht er merkwürdig gefaßt und sicher seinen Weg durch all die Trübsal, die ihm beschieden sind, wie verbeißt er den Schmerz, aber wie dankbar leuchtet es auch in ihm auf, als er in einem Offizier, der sich seiner annimmt, eine verstehende Seele zu finden glaubt. Eine glückliche Begabung ist hier in die Hände eines Re giffeurs geraten, der sein Talent einer großen Aufgabe anpaßte. Auch die Großen tommen glücklich heraus: der strenge wie der gute Leutnant, der menschliche Fehler fennt, durch Robert Scholz und Harry Hardt . Das unsympathische Elternpaar wird durch Eugen Burg und Hanna Ralph gut verkörpert. Die Gesamtwirkung des Films, dem eine ausgezeichnete Photographie zuteil wurde, ist trog der vielen humoristischen Lichter( Konditorei und Ballszenen!) rührend und erschütternd. Das Haus stand bei seinem Schluß in tiefem Bann, von dem es der starfe, wohlverdiente Beifall befreite. D.
Riti." ( Capitol.)
Käthe Dorsch oder Norma Talmadge das ist hier die Frage. Sollen wir uns Siti" als Komödie im Theater am Kur fürstendamm ansehen oder als Film im Capitol? Die Wahl wird schwer sein, denn man wird sagen müssen, daß beide Darstellerinnen, jede auf ihrem Gebiet, unübertrefflich sind. Die Talmadge ist eine ingénue", wie man sie sich beffer nicht denten tann. Sie spielt biese Mischung von Noivität und Keßheit in dem Barijer Straßenmädel so echt, daß man glaubt, sie sei ihr Lebenlang nichts anderes gewesen. Und dabei ist sie doch die bevorzugte Darstellerin der großen, ernsten Rollen. Wie dies Mädel in ihrem dürftigen
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Kleibchen Zeitungen verkauft und sich dann mit aller Schlauheit und Frechheit in das Theater hineinstiehlt und sich eine Rolle als Statistin erschleicht, wie sie den Moment teck ausnüßt, um sich bei dem Direktor lieb Kind zu machen, wie sie alle Drolligkeiten in ihrer Beschwipstheit losläßt und wie sie schließlich den Direktor wirklich für sich erobert das ist alles so wahrhaft luftig, fed und auch
natürlich, daß man keinen Augenblick aufhört, seine volle Freude an diesem Wesen zu haben. Man muß sie sehen, wie sie mit ihrem Buscheltopf und den stets beweglichen Augen etwa auf den Diener
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Ruth Weyher Margarete Lanner Theod. Loos, Ernst Rückert Anton Pointner , Ph. Manning, Fritz Alberti, Bruno Arnd Sophie Pagay usw.
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ELISABETH
in
Beilage des Vorwärts
losstürzt und ihn im Handgemenge besiegt, oder wie sie die Katalep tische spielt und dabei doch Gelegenheit findet, dann und wann das Auge zu öffnen! Immer wird man originelle Züge an ihr entdecken; sie gibt sich nie ganz aus, immer hat sie noch etwas in vetto, und man glaubt ihr wirklich, daß die vom Leben hart Gestoßene dieser natürliche reine Mensch geblieben ist, der freilich die Gerissenheit und das Drausgängertum als Mittel zur Behauptung entwideln mußte. Hanns räly hat ein ganz famoses Manuskript geliefert und der Regisseur Brown ist voller Einfälle gewesen. Neben der Talmadge fönnen sich auch die übrigen Darsteller recht wohl sehen lassen, vor allem Ronald Colman , der den Theaterdirektor mit vornehmer Zurückhaltung spielt und Gertrud Astor als die schöne Theaterdiva. Also ein Film, der in jeder Hinsicht vollendet ist und nichts wie reine Freude hinterläßt.
„ Der schwarze Zyklon." ( Mozart- Saal.)
D.
In einem Großfilm, der Millionen, einen Generaldirektor und mehrere Pressechefs tostet, steckt vielleicht nicht mehr Arbeit als in diesem Pferdefilm. Natürlich könnte man sich in große Auseinandersetzungen einlassen, wenn man die Handlungen ernst nehmen wollte; aber so weit eine Kopie der Natur bei solchem Manuskript möglich ist, wurde sie erreicht. Es find Parallelhandlungen bildlich geschildert, einmal sind er, fie und der andere Pferde und das andere mal find er, fie und der andere Menschen. Die Pferde sind be= ftimmt die interessanteren Afteure, Und der Regisseur Fred Jadman ist ein Pferdekenner durch und durch, er hat nicht nur Berständnis, er hat Gefühl für das Tier. Dabei ist er ein derartig gewiegter Filmtenner, daß er sein Werk weder rein fünstlerisch noch rein wiffenfchaftlich aufzog. Etliche Aufnahmen benußt er doppelt, das sei ihm verziehen in Anbetracht der Schwere seiner Aufgabe. Prächtig versteht er es, in Farbe und Form und in ihrer natürlichen Abneigung und Zuneigung die Pferde gegeneinander auszuspielen. Da ist ein Schechengst, dessen blaue Augen im Film leider wie Glas wirken, der aber, wenn er seine Frühlingsgefühle in die Steppe hinausmiehert, ein Urbild der Kraft ist. Er ist ein geborener Beherrscher. Er ist unleidlich und vertreibt darum auch ein verwaiftes Fohlen von seiner Ferde. Und dieses Fohlen, dickpelzig, formlos, stelzbeinig und schlangenköpfig, aber Seele in den Augen, ist eine wunderbare Pferdetype, die das menschliche Herz rührt. Darum ist auch jeder Zuschauer mit der Entwicklung dieses Fohlens zum prächtigen Mustang, dem schwarzen Zytion, zufrieden. Der ist wirklich noch ein instinktsicheres Wildpferd, weit davon entfernt, verblödet zu sein durch den Umgang mit Menschen. Der Hengst feht sich durch, besiegt seinen Gegner, den Schecken, und gewinnt feine Geliebte, eine fofette Schimmelstute. Spannend ist der Kampf der Hengste, obwohl in Wirklichkeit der Photograph nur ein Spiel dieser beiden Tiere aufgenommen hat. Die Manieren der Tiere, das kurze Wenden, das Steigen der Hengste, das Ausfeilen der Stuten, alles ist vorzüglich erfaßt. Die Tiere sind nicht in die Landschaft gestellt, im Gegenteil, ihr ganzes Wesen erwächst aus den Schrecken der Wildnis, aus den Freuden der Freiheit.
„ Schwester Veronika."
( Tauenhien- Palast.)
c. b.
Die Melodie des vergessenen Schlagers Nur eine Nacht sollst du mir gehören" schwebt über den Wassern. Die Schwester Veronika verwaltet seit Jahren treu und hingebend das Amt einer Krantenpflegerin im Kinderheim. Bei Hans Müller ist es selbstver= ständliche Borausseßung, daß sie von den Kindern hingebend geliebt wird. Aber jeder Mensch hat halt a' Sehnsucht", und wenn Baul Richter, der muskelvirtuose Apotheker, der Krankenschwester so richtig tief in die Augen schaut, dann sind sogar die kranken Kinder vergeffen. Ausgerechnet in der einzigen Nacht, in der sich Schwester Beronita erotisch abwechselt, muß ein Kind sterben. Und Paul Richter geht mit Veronika mur tanzen, um ihr ein kleines Kreuz zu entwenden, so umständlich arbeitet Hans Müller, und hier liegt die Verschrobenheit der Affäre. Die kleine Bauli glaubt, daß Veronika ihre Erfolge bei den Kindern allein dem Kreuz zu verdanken habe, und Paul Richter liebt die Pauli. Dann wird es anders. Paul Richter liebt nun entschieden die Schwester Veronika, und vor den Gerichtsschranken beichtet er mit nibelungenhafter Offenherzigkeit. Man trampelt auf den Tränendrüsen, herum, und der Film ist so recht für's Herz. Zum Schluß halten sich Aud Egede Nissen und Baul Richter heftig umschlungen, und die sentimentale Melodie der einzigen Nacht verwandelt sich in die erlösende Gilbertsche Polfa " Männe, hat mir mal die Taille auf". Der Film dämpft nicht die Berstiegenheiten des Dramas, die Nebenfiguren bleiben verzeichnet, allem die Schwester Veronika gewinnt menschliche Bes deutung. Der Regisseur Gerhard Lambrecht stellt den Film ganz auf die Hauptrolle ein, aber Aud Egede Nissen ist keine Veronika. Sie fapriziert sich auf ein heiliges und feusches Gesicht, sie versteht madornenhaft zu lächeln, aber das geht so aftelang. Sie bleibt starr, mastenbast, und sie findet sich erst zu ihrer eigentlichen Begabung zurück, wenn sie sich in den Rhythmen des TannhäuserBacchanals bewegen darf. Als Pauli besticht Hilde Maroff durch ihren frech finnlichen Gamintopf und Arne Weel hat ein richtiges intrigantes Ohrfeigengesicht. Am Schluß tritt Paul Morgan auf als mießer, heruntergekommener Rechtsanwalt, der mit meisterlicher Geschicklichkeit Fliegen fängt und bei der Verteidigungsrede Gefichter zieht. Um Morgans Gestaltungstraft willen übersteht man die unausstehliche Langweiligkeit des abgenutzten Gerichtsaftes und vergibt quch andere Sünden. Hans Miller sollte aber endlich mit seinen Dramen und deren Verfilmungen als aufgegebener Fall angesehen F. S.
werden.
„ Liebeshandel." ( Primus- Palast.)
Es ist ja mun einmal unser Schicksal, alle Filmthemen gleich ferienweise genießen zu müssen. Diesmal mußte mal wieder der Mädchenhandel herhalten. Mar Glaß schrieb ein dementsprechenbes, recht gut gemeintes Manuskript. Es ist sehr wirkungsvoll, denn es ist eine eindringliche Mahnung an junge Mädchen, die das Leben gerne genießen und die Großstadt fennen lernen möchten und dann durch unangebrachte Liebe in den Abgrund geführt
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