algearmoniz sad
Abendausgabe
Nr. 95 44. Jahrgang Ausgabe B Nr. 47
Bezugsbedingungen und Anzeigenpreife find in der Morgenausgabe angegeben Redaktion: Sm. 68, Cindenstraße 3 Fernsprecher: Dönhoff 292-292 Tel.- Adresse: Sozialdemokrat Berlin
Vorwärts
SW
Berliner Volksblaff
10 Pfennig
Freitag
25. Februar 1927
Berlag und Anzeigenabteilung: Geschäftszett 8% bis 5 Uhr Berleger: Borwärts- Berlag GmbH. Berlin SW. 68, Cindenstraße 3 Fernsprecher: Dönhoff 292-297
Zentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands
Arbeiterschutz mit Ausnahmen.
Eine neue Brüskierung der Landarbeiter.
Im Borläufigen Reichswirtschaftsrat wird zurzeit der Entwurf eines Arbeitsschußgefeßes beraten. Das Reichsarbeitsministerium hat anerkannt, daß sich für gewiffe Dinge des Arbeitsschutzes eine Vorerledigung dringend notwendig macht. Es hat darum den Entwurf eines Gefeges über die Beschäftigung vor und nach der Niederkunft vorgelegt. Das Gesez foll bereits am 1. April d. J. in Kraft treten. Der Entwurf enthält folgende Schutzbestimungen:
§ 2.
1. Schwangere sind berechtigt, die ihnen aus dem Arbeitsver trag obliegende Arbeitsleistung zu verweigern, wenn fie durch ärztliches Zeugnis nachweisen, daß sie voraussichtlich binnen sechs Wochen niederkommen.
2. Wöchnerinnen dürfen binnen sechs Wochen nach ihrer Niederkunft nicht beschäftigt werden. Während meiterer sechs Wochen sind sie berechtigt, die ihnen aus dem Arbeitsvertrag obliegende Arbeitsleistung zu verweigern, wenn sie durch ärztliches Zeugnis nachweisen, daß fie wegen einer Krankheit, die eine Folge ihrer Schwangerschaft oder Niederkunft ist, an der Arbeit verhindert sind.
§ 3.
Stillenben Frauen ist auf ihr Verlangen während sechs Monaten nach ihrer Niederkunft die zum Stillen erforderliche Zeit bis zu zweimal einer halben oder einmal einer Stunde täglich von der Arbeit freizugeben. Eine Verpflichtung des Arbeitgebers zur Zahlung eines Entgelts wird hierdurch nicht be
rührt.
§ 4.
1. In einem Zeitraum von sechs Wochen vor bis sechs Wochen nach der Niederkunft ist eine Ründigung des Arbeit
Die Krankheit des Reichstagspräsidenten.
Allgemeinbefinden zufriedenstellend.
Der um 9 Uhr früh von den Professoren Borchardt, 3ondet und Dr. Mojes gemeinschaftlich verfaßte Bericht lautet: Allgemeinbefinden zufriedenstellend. Der Reichstagspräsident hat gut geschlafen. Die Temperatur ist bedeutend heruntergegangen, der Herzbefund ist ebenfalls zufriedenstellend. Der Gesamtbefund gibt zu günstigen Aussichten Veranlassung.
Mittags: Weiter zufriedenstellend.
Die Untersuchung, die das Aerzlefonzilium heute mittag vorgenommen hat, ergab, daß das physische und psychische Befinden des Reichstagspräsidenten Löbe auch weiter zufriedenftellend ift.
Um 1 Uhr mittags war das Befinden des Patienten unver ändert. Die Temperatur betrug 37,2, die Herztätigkeit war gut. Genosse Löbe durfte einen kurzen Besuch seiner Gattin empfangen.
Ein Schreiben des Kanzlers.
Reichstanzler Marg hat dem Reichstagspräsidenten Löbe in einem besonderen Schreiben sein und der Reichsregierung größtes Bedauern zu der schweren Erkrankung ausgesprochen und der Hoff nung Ausdrud gegeben, daß der Präsident bald wieder in Gesundheit und Frische seines wichtigen Amtes walten könne.
-
Der Kampf um Schanghai . Tschangtschungtschang ein chinesischer Gallicus? Bom Norden her, aus der Provinz Schantung, wird alles Militär, worüber die Gegner der Kantonregierung verfügen fönnen, eiligst nach Schanghai gebracht, um nach Süden gegen die heranrückende Kantonarmee eingeseht zu werden, und vor allem die wankenden Truppen des ausgeschalteten Marschalls Sun zu stüßen. Diese Anstrengungen erinnern in der in der Absicht wohl, ob auch in Durchführung und Erfolg, das muß die nahe Zukunft lehren an die rasch zusammengeraffte Berteidigung von Paris im September 1914 gegen die deutfchen Armeen. Sie erinnern auch und dieser Vergleich ist wohl noch angebrachter- an die ähnlich schnell organisierte Berteidigung von Warschau durch Pilsudskis und Weygands Maßnahmen im Jahre 1920 gegen das Sowjetheer im polnischrussischen Krieg. Die Machthaber Nordchinas ersehnen natür lich den Erfolg, der 1914 den Franzosen und 1920 den Polen fast in legter Stunde geworden ist. Aber die zahlenmäßige Uebermacht ist einstweilen noch bei der Kantonarmee und mit
-
-
ihr zieht der große, hinreißende Freiheits- und Unabhängig feilsgedanke. Kann die Kantonarmee schnell genug heranfommen, ehe aus dem weitentfernten Herrschaftsgebiet Menschenvernichtungsmaterial eintrifft, so wird der Sieg Tschangisolins größere Verstärkungen an Menschen und Kantons wahrscheinlich. Freilich ist nicht zu unterschäzen, was der Einsatz der britisch- französisch- nordamerikanischen Kriegsschiffe und Landungstorps zugunsten der Kantongeg
ner bedeuten könnte.
London , 25. Februar. ( WTB.) Ein um Mitternacht abgesandtes Telegramm des Sonderberichterstatters der Chicago Tribune" in Schanghai besagt: Die Schantungtruppen unter dem Befehl des
gebers unwirtsam. Ist eine Frau bei Ablauf dieser Frist wegen einer Krantheit, die nach ärztlichem Zeugnis eine Folge ihrer Schwangerschaft oder Niederkunft ist, an der Arbeit verhin dert, so verlängert sich die Frist um die Dauer der Ber hinderung, längstens jedoch um weitere sechs Wochen.
2. Ist für einen Zeitpunkt gekündigt, der in die im Abs. 1 be Arbeitsvertrages um die Dauer dieser Schußfrist hinausgeschoben. zeichnete Schußfrist fällt, so wird der Zeitpunkt der Beendigung des 3. Unberührt bleibt die Wirksamkeit von Kündigungen, die aus einem wichtigen, nicht mit der Schwangerschaft oder Nieberkunft zusammenhängenden Grund erfolgen.
Indisches Großstadtleben.
Kalkutta , Januar 1927. Asiens ist mit ihren großen, wohlgepflegten Bartanlagen Diese größte Stadt Indiens und zweitgrößte Stadt ganz und Regierungsbauten prunkvoller und großstiliger als Bombay und weit mehr als dieses eine Einwanderer stadt. Nur neunundzwanzig Prozent der Einwohner sind in der Stadt geboren. Die übrigen stammen aus den Landlande, dem indischen Süden und dem europäischen und asiatibezirken von Bengalen und ferner aus dem oberen Gangesschen Auslande. Eigentümlich ist die Art, wie der glänzende Europäerstadtteil in die Eingeborenenstadt übergeht. Wäh rend man in Bombay die Abgrenzung zwischen beiden fast mit dem Drahtzaune vornehmen könnte, sind hier Grenzzonen von zuweilen Kilometerbreite, wo niedrige indische Hütten und Krämerläden mit vielstödigen, großartigen Geschäfts= häusern abwechseln. So zum Beispiel reicht die Clive Street, deren eine Hälfte einen Teil des europäischen Baradeviertels ausmacht, mit dem anderen Erde tief in die Mischzone von Wir wollen im Augenblid davon absehen, ob diese westlichen Bauten und ,, native town". Wahrscheinlich konnte Schutzbestimmungen genügend sind. Aber mit aller Ent- wegen des raschen Wachsens des europäischen Geschäftsbe= schiedenheit müssen wir uns dagegen wenden, daß die Artriebes die Trennung nicht so strikt gewahrt werden, und beiterinnen in der Land. und Forstwirt Grundstücksspekulation verhinderte wohl manchmal die systeschaft, der Tierzucht, der Fischerei sowie der Hauswirtschaft matische Erweiterung der baulichen Komplere. vom Geltungsbereicht dieses Gesetzes ausgeschlossen
4. Die Vorschriften der Abs. 1 und 2 finden feine Anwendung, falls der Arbeitsvertrag ausdrücklich zu einem bestimmten Zweck falls der Arbeitsvertrag ausbrüdlich zu einem bestimmten 3wed abgeschlossen und dieser Zweck an dem Zeitpunkt, für den die Kündigung erfolgt, erfüllt ist.
werden.
Es ist eine Ungeheuerlichkeit, daß die Arbeiterinnen der genannten Berufe auf die Schußbestimmungen des Gesetzes verzichten sollen. Ist es nicht ein Gebot der Gerechtigkeit, den Landarbeiterinnen und den Hausangestellten den gleichen Schutz zu gewähren, gerade auf einem Gebiet, das über den unmittelbaren Schuß des Arbeitnehmers hinaus eine Für forge für das fommende Geschlecht bezweckt?
Generals hang fungifdang haben basement
Schanghai gewonnen. 2000 von ihnen sind heute abend mit der Bahn aus Nanking eingetroffen. Die Truppen wurden sofort nach Euntiang gebracht, um Marschall Suns chuangfangs demo. ralifierte Heere, die sich jetzt vor den Kantonheeren zurüdziehen, zu verstärken. Berichten aus Nanting zufolge hat General Tschangſungtschang endgültig den Befehl der nördlichen alliierten innerhalb der allernächsten Tage zusammenhaben, darunter 2000 Streitkräfte übernommen und wird hier mehr als 30 000 Mann europäische Russen. Es ist so gut wie sicher, daß Mar schall Sunfchuangfang jetzt tatsächlich ausgeschaltet ist. Die Ankunft des Generals Tschangtjungtschang in Schanghai beweist seine Ab sicht, die Stadt zu halten.
Die Spannung vor der Schlacht. London , 25. Februar. ( BTB.) Daily Expreß " berichtet aus Shanghai , daß dort gestern abend große Spannung herrschte. Die Ausländer, die außerhalb der Niederlassungen leben, wurden um 6 Uhr nachmittags durch Boten aufgefordert, sich bereitzuhalten, um fich unverzüglich in die Niederlassungen zurückziehen zu können. Borkehrungen für ihre Unterbringung sind getroffen worden. Um fassende Verhaftungen von Agitatoren sind vor genommen worden. Panzerwagen fahren außerhalb der Niederlassungen auf den Straßen hin und her um Kundgebungen zu verhindern. Ein 3ufammenstoß mit zurüdgehenden Truppen war bei der Südbahnstation eine halbe Meile südlich der Eingeborenenstadt. Eine Schlacht um Schanghai wird un mittelbar erwartet. Die Truppen des Generals Sun( dessen Rücktritt, Ermordung, aber auch Flucht nach Japan längst gemeldet sind. D. Red.) stehen in Sungfiang, 20 Kilometer von Schanghai entfernt.
Besorgnisse des Pekinger diplomatischen Korps.
Peking , 25. Februar. ( WTB.) Die diplomatischen Vertreter der alten Vertragsmächte haben einstimmig eine Er flärung angenonimen, in der Besorgnisse hinsichtlich der flärung angenommen, in der Besorgnisse hinsichtlich der Rückwirkungen der militärischen Ereignisse in der Gegend von Shanghai auf die Sicherheit des Lebens und Eigentums der Ausländer geäußert werden und die Erwartung ausgesprochen wird, daß die Führer der fämpfenden Heere und Parteien alle Maßnahmen ergreifen werden, um 3 wischenfälle zu vermeiden, durch die die ausländischen Behörden gezwungen würden, selbst die notwen digen Maßnahmen zu ergreifen. Eine ähnliche Erklärung hat der französische Gesandte mit Bezug auf die französische Konzession veröffentlicht.
3
zeitigen Aufenthalt des holländischen Panzerfreuzers Amsterdam , 23. Februar. ( WTB.) In Verbindung mit dem der " Sumatra " in Shanghai erfährt der„ Telegraaf " von zu zwischen den Regierungen von Kanton und Beting eine vollt om ständiger Stelle, daß die niederländische Regierung in dem Kampfe Schanghai auf Grund der Ereignisse der letzten Tage als sehr gemen neutrale Haltung einnehme. Da jedoch die Lage in spannt angesehen werden müsse, werde die„ Sumatra " zum Schuhe der dort weilenden niederländischen Untertanen einige Zeit länger dort bleiben, als ursprünglich in Aussicht genommen war.
Abbau des Visumzwangs. Ab 15. März wird der Sichtvermert zwang Deutsch österreich holland aufgehoben
So fann man es hier erleben, daß in großen Berkehrs straßen sechsstödige Exporthäuser die Reihe fleiner, nach der Bajare von innen zu sehen ist lehrreich, weil sie einem Art Straße völlig offener indischer Basare unterbrechen. Diese und Herkunft der industriellen Artikel des indischen Maffenverbrauches enthüllen. Ueber einem davon hängt eine Fahne mit der schreiend bunten Aufschrift: Hier werden deutsche Warenverkauft." Den fahen wir uns zuerst auf seinen Inhalt an: neben Solinger Messern und Scheren waren deutsche Spiegel, Aluminiumgeschirre, Gläser und Dutzende andere Kleinkramartikel( stets die billigsten ihrer Art) um etwa das Doppelte des deutschen Preises zu wimmelnd übersetzt, sehr große Preisaufschläge. Tertilbranche an und bot bei ähnlichem Breisverhältnis Ein anderes Geschäft mit deutscher Ware gehörte der gegenüber daheim allerlei bestickte Wollgewebe, imitierte Engländer, der seit Jahrzehnten in Kalkutta lebt, erklärte Raschmir- und Nepalschals und Baumwolltrikotagen. Ein wie seit dem Kriege sich der Anteil der einzelnen Importuns an den Beispielen dieser und anderer indischer Läden, länder an diesen Märkten verändert hat. Vieles von den billigen Textilien, Schreibwaren und Kleinmetallwaren kommt heute aus Amerifa, was früher nicht der Fall war. Eisenwaren liefert auch Birmingham jezt in größerer Masse als ehedem. Die schärfste, Konkurrenz aber in all den genannten Artikeln entfaltet Japan . Wenn drei Qualitäten einer Massenware vorgelegt merden, die eine aus Deutschland , die andere aus Amerika und die dritte aus Japan , so ist legztere fast stets die billigste. fast stets die billigste. Allerdings auch die schlechteste, doch werden bei der geringen Kaufkraft der Volksmassen hier zu Lande diese niedersten Qualitäten vorzüglich gekauft. Selbst den ausgedehnten Biermarkt Indiens hatte Japan im Kriege erobert, in der Hauptsache allerdings inzwischen wieder verloren. Auch heute noch wird in den europäischen Gaststätten japanisches Flaschenbier abgesetzt, jedoch wenig ver langt, da es weder dem deutschen noch dem englischen Geschmac zusagt.
haben. Der Handel verschlingt hier, weil unorganisiert und
In der gleichen Straße der sechsstöckigen Exporthäuser und indischen Bajare sahen wir ein Bild, das uns in eine andere Welt versetzte. Es war ein kleiner, nach der Straße offener und um einige Treppenstufen erhöhter Bau. Etwa eine halbe Stunde lang beobachteten wir, wie Ziegen diese Treppen hinaufgeführt, dort von einem Schlächter auf einen Holzbock gelegt und von einem zweiten um den Kopf fürzer gemacht wurden, während eine Masse Zuschauer bis in halber Straßenbreite vor dem Hause standen. Erst glaubten wir, hielten aber die Belehrung, daß hier Angehörige einer rüdes handele sich um einen industrialisierten Schlachtbetrieb, erständigen Hindusekte ihrer Gottheit für die gewährte Erhörung von Bitten Opfer bringen, und daß diese Opferung Inder empfanden den meggerhaften Gottesdienst nicht minder an bestimmten Tagen von früh bis spät dauere. Andere abstoßend als wir. Doch auch solche Schlächterorgien haben ihren letzten Grund in dem Fehlen jeglicher Volksunterrichtung und sind entstanden, als und wo die altindischen Banchyatschulen der Dorfgemeinden verdarben oder zu be= stehen aufhörten. Und leider hat bisher der ,, Segen der fetzt, sogar die letzten Refte des Vorhandenen zerstört. Kollegs europäischen Herrschaft" so gut wie nichts an ihre Stelle geund Hochschulen sind zwar da, aber nicht der elementarite hier das sechsstöckige Exporthaus, daneben Ketten orientalischer Unterricht fürs Volk. Uns famen vor allem die Kontraste zum Bewußtsein: eines düsteren abergläubischen Unfugs. Bajare und mitten darunter diese öffentliche Schaustellung
wir abermals das bunte Durcheinander zweier Welten. Auf dem heiligen Ganges und an seinen Ufern erlebten Zwischen Schiffen neuester Konstruktion, aus Glasgow und Liverpool kommend, bewegen sich große alte Ruderboote, von fechs bis acht Indern getrieben, die beim Bewegen der langen Ruder auf Deck vor und rückwärts laufen. Großartig zu