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Nr. 108 44. Jahrg. Ausgabe A fir. 55

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Sozialdemokrat Berlin "

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Zentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands

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Sonnabend, den 5. März 1927

Neuer Justizminister in Preußen.

Abschied Am Zehnhoffs.

Kammergerichtsrat Dr. Schmidt- Lichtenberg zum Nachfolger ernannt.

Der preußische Juftizminister Dr. Hugo Am 3ehnhoff haf| haben Sie mehr als acht Jahre an der Spitze, eines Minifteriums gestern abend 6 Uhr fein Rücktrittsgesuch eingereicht. 3u feinem gestanden, dessen Arbeitsgebiet für die Ueberleitung des Staates in Nachfolger wurde Kammergerichtsrat Dr. Hermann Schmidt- die neuen Verhältnisse von ganz besonderer Bedeutung war. Mit Lichtenberg ernannt. vorbildlicher Kollegialität und unbeugsamer Festigkeit haben Sie bei den Entschließungen des Staatsministeriums stets den Stand­punkt des Rechtes vertreten. Aber Sie haben in Ihrer Amtsführung auch verstanden, mit der Wahrung des Rechtes Humanität und ver­ständnisvolle Rücksichtnahme auf die Schwächen der menschlichen Natur zu vereinigen und insbesondere beim Strafvollzug zur Geltung zu bringen. Dem Dante der Bevölkerung Preußens, die Ihren Namen stets in Ehren nennen wird, schließt sich das Staats­ministerium mit wärmsten Herzen an und wünscht Ihnen, hochver­ehrter Herr Staatsminister, noch einen ruhigen und glücklichen Lebensabend in Ihrer rheinischen Heimat."

Der scheidende Justizminister Dr. am Zehnhoff steht im 73. Lebensjahr. Er begibt sich in den wohlverdienten Ruhestand nach seiner rheinischen Heimat. Am 3ehnhoff gehört zur alten Generation der Zentrumspolitiker. Im Jahre 1898 trat er zum ersten Male in das preußische Abgeordnetenhaus ein.

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Der neue Justizminifter ebenfalls Abgeordneter des Zentrums im Breußischen Landtag gehört zur jüngeren Generation der Zentrumspolitiker. Er steht im 46. Lebens­jahr. Im Jahre 1913 trat er als Amtsrichter in Berlin­Lichtenberg in den preußischen Justizdienst ein. Im Jahre 1920 wurde er zum Kammergerichtsrat ernannt.

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Dr. Schmidt findet im preußischen Justizministerium eine Fülle von verantwortungsvollen Aufgaben vor. Zu ihrer Lösung bedarf es eines ganzen Mannes voll Energie, Entschlußkraft und Tätigkeitsdrang. Wohl ist gemeffen am Durchschnitt die preußische Justiz vernünftiger ge­worden, aber eine unendliche Fülle von Arbeit ist zu leisten, und entschiedener Reformwille muß sich durchsetzen, wenn der Bertrauenstrise der Justig von Preußen aus entgegengemirft werden fol.

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Ein Schreiben des Ministerpräsidenten. Der preußische Ministerpräsident Braun hat an den Justiz minister Dr. Am Zehnhoff das nachstehende Schreiben gerichtet: Hochverehrter Herr Staatsminister! Mit lebhaftestem Be­dauern hat das Staatsministerium die Mitteilung entgegen genommen, daß Sie aus Ihrem Amte scheiden wollen. In einer Beit, die immer zu den schwersten in der deutschen Geschichte rechnen wird, und in der sich oft Entscheidungen wichtigster Art überſtürzten,

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Die sozialdemokratische Fraktion an Zehnhoff. Die sozialdemokratische Landtagsfraktion hat an den scheidenden Justizminister Dr. Am 3 ehnhoff folgendes Schreiben gerichtet: ,, Sehr verehrter Herr Minister! In dem Augenblick, in dem Sie das Justizministerium verlassen, das Sie durch volle acht Jahre mit soviel Klugheit und Erfolg geleitet haben, ist es uns ein Be­dürfnis, Ihnen unsere Dankbarkeit und unsere besten Wünsche auszusprechen. Mitten in den Stürmen der Revolution in Ihr hohes Amt berufen, haben Sie in stiller, aber zielflarer Arbeit das preußische Justizministerium zu einer Behörde von vorbildlicher Arbeitsleistung und ebler Humanität gestaltet. Sie selbst haben mit umfassendem Geist und vornehmer Menschlichkeit auch die politisch anders Denkenden entzückt, die die Ehre hatten, Sie näher tennen zu lernen.

Wir hoffen, daß die von Ihnen gepflanzte Tradition der Milde und des Berstehens auch nach Ihrem Ausscheiden aus dem Amt im preußischen Justizministerium fortleben wird. Ihr Wirken wer­den wir in liebevoller und dankbarer Erinnerung bewahren und münschen Ihnen auch fern von den Amtsgeschäften noch viele geiftes. frische Jahre eines Sie befriedigenden Birkens."

Die mobilisierte Nation.

Französische Kammerdebatte über die Kriegsorganisation.

Paris , 4. März.( WTB.) Die Rammer hat heute vormittag die Einzelberatung des Gefeßentwurfes betreffend die Organisierung der Nation für die Kriegszeit fortgefeßt.

Kriegsminister Painlevé

führte u. a. aus, er sei durch die neue Organisation der nationalen Berteidigung, die bereits für die Friedenszeit vorgesehen sei, um in Kriegszeiten zu funktionieren, vollkommen beruhigt. Am Anfang des Weltkriegs habe man, nachdem sich die Auffassung, daß es fich um einen Krieg von furzer Dauer handele, als falsch heraus­gestellt habe, mit Schrecken bemerkt, daß die Munitionsvorräte aus­gingen und es an Explosivstoffen fehlte. Frankreich habe damals feine Heeresindustrie erst ausbauen müssen, und dies habe nur unter starken Verlusten und unter großer Vergeudung von Geld geschehen tönnen, wobei sich gewisse Leute bereichert hätten.

Der Völkerbund fönne nur mit Vorsicht, mit Geduld und fühler lleberlegung vorgehen. Sein Ansehen wachse. Die schlimmste Schwäche des Bölferbundes wäre es, wenn Frankreich schwach wäre. Der Gefeßentwurf, weit davon entfernt, eine Rundgebung des Militarismus zu sein, bezeuge lediglich den

Friedenswillen Frankreichs und seine Entschließung, seine Unabhängigkeit bis zum Tode zu verteidigen, wenn gegen alle Erwartungen Frankreich angegriffen werden sollte.

Abg. Chaumié( radikal) fragte, ob Artikel 1 nicht stillschweigend und ohne Gegenseitigkeit den Berzicht Frankreichs auf die Haager und Londoner Abmachungen über den Schuh der Nicht­tämpfer in fich schließe, denn die Frau sei bis jetzt als Nicht­fämpferin angesehen worden.

Berichterstatter Paul- Boncour ( S03.) erwiderte, der Heeresausschuß fönne hierauf nicht mit einem glatten Ja oder einem glatten Rein antworten. Die Haager und Londoner Abmachungen würden zweifellos auf Grund der Erfahrungen des legten Krieges Abänderungen erfahren. Der letzte Krieg habe gezeigt, daß die alte Unterscheidung der Begriffe offene Stadt" und befestigte Stadt" die Beschießung offener Städte nicht verhindert habe.

Hierauf wa tdte Chaumié ein, daß Artikel 1 vielleicht feindliche Deportierung von Frauen und Kindern oder Torpedierung un­bewaffneter Schiffe rechtfertigen würde.

Abg. Duval- Arnould( iepubl. dem.) forderte den Berichterstatter auf, zu bestätigen, daß das Völkerrecht hinsichtlich der Unterscheidung von Kombattanten und nichtkombattanten ( wobei zu ben legteren Frauen und Kinder zählen) teine en berung erfahre.

Kriegsminister Painlevé erklärte, es werde möglich sein, im Artikel 6 des Entwurfs zwischen Rombattanten und Nichttom battanten zu unterscheiden, um diesen Einwendungen Rechnung zu tragen.

Abg. Coucheur bat den Heeresausschuß, über die Einwendungen Chaumiés reiflich nachzudenken. Wenn Frankreich wie 1914 un­glüdlicherweise einem Einfall ausgefeßt fein würde, dürften die Feinde Frankreichs nicht dieses Gesez zum Vorwand nehmen, um Deportierungen von Frauen vorzunehmen.

Ein fommunistischer Antrag auf Streichung des Artikels 1 wurde mit 500 gegen 30 Stimmen abgelehnt.

Abg. Lafont( unabh. Komm.) verlangte die Streichung der Worte ohne Unterschied des Alters und Geschlechts" in Artikel 1 und begründete diesen Antrag. Frankreich sei die erste Nation, die proklamiere, daß jedermann an der Front stehe.

Abg. Paul- Boncour

bekämpft den Antrag Lafont. Was die Einwendung Chaumiés anbetreffe, so werde das Bölkerrecht nicht durch ein Gesetz betreffend die zivile Mobilisierung abgeändert. Um jedoch den Ein­mendungen Rechnung zu tragen, nehme der Heeresausschuß einen 3ufa an, den Artikel 1 wie folgt zu faffen: In Kriegszeiten find sämtliche Franzosen und franzöfifche Staatsangehörige ohne Unterschied des Alters und Geschlechts sowie fämtliche legal ge­bildete Bereinigungen gehalten, unter den im Artifel 5 bis 16 feft. gefeßten Bedingungen des vorliegenden Gesetzes entweder als Kom­battanten an der Berteidigung ihres Landes oder als Nichttom battanten an der Unterhaltung des materiellen und moralischen Lebens des Landes mitzuarbeiten." Der Zusakantrag Lafont wurde abgelehnt und Artikel 1 mit allen gegen die Stimmen der Kommunisten angenommen. Nachmittags wurde der Gesetzentwurf und Artikel 2 ange­nommen, der bestimmt, daß die Gesamtheit der Maßnahmen, bie bestimmt sind, von der Friedensorganisation zu der Kriegsorgani­fation überzuleiten, jederzeit vorgesehen sei und ihre Ausführung die nationale Mobilisierung darstelle, die angeordnet werde im Falle eines offenfundigen Angriffs, der das Land in die unmittelbare Notwendigkeit verfeßt, sich zu verteidigen, oder in den durch das Statut des Bölkerbundes vorgesehenen Fällen. Ebenso wurde Artikel 3, der die Regierung zur Vorbereitung der Mobilisierungs maßnahmen erinächtigt, angenommen. Artikel 4 setzt die Aus­führungsbestimmungen der Mobilisierung feft und behandelt in fünf Bunkten die Ausnugung der Verkehrsmittel, die wirtschaftliche mobilisierung, die soziale Mobilisierung, bie intellektuelle Mobi. lifierung und die zur Garantierung der Moral notwendigen Arbeiten.

Vorwärts- Verlag 6.m. b. H., Berlin SW. 68, Lindenstr.3

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Rote Armee und Diktatur.

Zum neunjährigen Bestehen der Roten Armee. Bon Peter Garwy.

Inmitten des heftigsten bolfchemistischen Parteizwiftes ertönte aus den Reihen der weißgardistischen Emigration ein ungeduldiger Ruf: So fchlagen Sie doch endlich los, Herr Woroschilom!"

Das Haupt der Roten Armee scheint es allerdings damit nicht eilig zu haben. Er probiert vielleicht in seinen vier Wänden den Dreimaster Napoleons . Aber weder er, noch seine Kollegen werden für den ehemaligen Großfürsten Nikolai Nikolajewitsch oder Kyrill Wladimiromitsch die Kastanien aus dem Feuer holen.

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Die monarchistischen Hoffnungen, den Umsturz mit Hilfe der Roten Armee herbeizuführen, entbehren jeder realen Grundlage. Aber es gibt im neuesten Stadium des Umwand­lungsprozesses der Roten Armee trotzdem etwas, was den weißen Traum" der Monarchisten beflügelt. Die Mon­archisten haben zwar den vorsichgehenden Prozeß der Bona­partisierung mit dem Prozeß ihrer Monarchisie­rung verwechselt, doch haben sie die nicht ganz unrichtige Beobachtung gemacht, daß das Vertrauen der Diktatoren zu der Roten Armee, als der stärksten Stüße der Diftatur, ins Schwanken geraten sei. Und je mehr sich die bolschewistische Partei diftatur in eine persönliche Diktatur ver­wandelt, um so mehr wächst die Unruhe der gegenwärtigen Parteifieger. Es ist kein Zufall, daß jede Phase des bolsche­wistischen Parteikampfes stets von einem Abbau der oppo­fitionellen Elemente in der Roten Armee begleitet wird.

Nach dem Programm der Kommunistischen Partei der Sowjetunion muß die Rote Armee , als ein Werkzeug der prole­tarischen Diktatur, einen offenen Klassencharakter, d. h. sie muß sich ausschließlich aus den Reihen des Proletariats und der ihm verwandten halbproletarischen Schichten der Bauernschaft refrutieren". Man war aber gleich von vornherein gezwungen, von diesem Grundsat abzusehen, insbesondere inbezug auf den Kommandobestand. Als Tropki nach der Brest - Litowsker Ratastrophe mit der Aufgabe der Schaffung einer regulären Armee betraut wurde, fand er feinen anderen Ausweg, als die zaristischen Generäle und Offiziere als Fachleute heranzuziehen. Troß des hartnäckigen Widerstands seiner Parteigenossen ist ihm dies auch zum Teil gelungen. Durch das Detvet vom 2. April 1918 wurde die Offizierswahl" abgeschafft und gleichzeitig die Institution der ,, politischen Kommissare" ins Leben gerufen, deren Pflicht es war, die zaristischen Offiziere, die in den Dienst der proletarischen Revolution" eingestellt wurden, zu überwachen.

Zahlreiche Offiziere der alten Armee haben sich, teils aus Angst, teils aus materieller Not und teils in dem Bestreben, Ian dem Wiederaufbau der militärischen Macht Rußland mit­zuhelfen, in die Rote Armee einstellen lassen. Durch diese nationalstaatlichen Bestrebungen wurde der Abgrund zwischen den Offizieren der alten Armee und der Sowjetmacht ge= wissermaßen überbrückt. Die Mehrheit hat in der Tat das in fie gesetzte Bertrauen der Sowjetmacht gerechtfertigt. Formell ist dieser Teil des Kommandobestandes der Roten Armee, in dem alle sozialen Schichten des alten Rußlands vertreten sind, unpolitisch" und" parteilos". In Wirklichkeit jedoch ver­einigt er in sich sämtliche politische Schattierun gen, vom Monarchismus angefangen.

Für die zukünftige politische Rolle der Roten Armee hat jedoch die neue nachrevolutionäre Offiziersschicht eine viel wesentlichere Bedeutung als die Reste des alten Offizierforps. Während die alten Offiziere ihrer sozialen Wurzeln beraubt sind und in den neuen, ihnen verwandtschaftlichen Schichten des nachrevolutionären Rußlands eine neue soziale Basis für sich suchen müssen, wurzelt der neue Offizierſtand tief in den neuen, durch die Revolution in den Bordergrund gerückten fozialen Schichten der Gesellschaft.

Die Politik der Durchdringung des Kommandobestandes mit Vertretern der Arbeiter- und Bauernklasse wird von der Sowjetmacht folgerichtig und zielbewußt durchgeführt. Dieser neue Offizierftand, der sich ursprünglich in den Jahren des Bürgerkriegs, aus den alten Unteroffizieren und selbst Gol­daten der früheren zaristischen Armee, sowie aus den un geschulten Arbeitern und Bauern rekrutierte, hat in den legten Jahren gleichfalls eine bedeutende Umwandlung durchgemacht. Das rote Offiziertorps ist jetzt mit allen Schichten des neuen Rußland - mit der Arbeiterklasse, mit der Bauernschaft, dem sowjetistischen Beamtentum und zum Teil auch mit der neuen Nep- Bourgeoisie eng und organisch verknüpft. Es spiegelt deshalb alle sozialen Widersprüche, alle politischen Schwan­fungen und Strömungen der neuen Stadt und des neuen Dorfes wieder. Die überwiegende Mehrzahl der jungen, roten Kommandeure hat Militärschulen absolviert und bringt in die Kaserne außer der Berufsbildung und Intelligenz, auch fenen Lebensdurst, jenen Hang nach Reichtum, Macht und Erfolg mit, der sie den alten Offizieren einerseits und der Sowjetbureaukratie un Nep, Bourgeoisie anderseits näher­bringt.