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Abendausgabe

Nr. 10944. Jahrgang Ausgabe B Nr. 54

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10 Pfennig

Sonnabend

5. März 1927

Vorwärts=

Berliner   Volksblaff

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Zentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands  

Stellt den Achtstundentag wieder her! Die Genfer   Verhandlungen.

Forderung der Gewerkschaften an Reichstag und Reichsregierung.

Der dem Reichstag vorgelegte Regierungsentwurf zur Abände-| berechtigten Wünschen der Arbeiter und Angestellten entspricht und rung der geltenden Arbeitszeitverordnung läßt die von den Gewerk- daß sie nichts von dem erfüllt, was fchaften aller Richtungen erhobene Forderung nach wiederher­Stellung des Achtffundentages völlig unberücksichtigt. Er ändert nichts an der unerträglichen Rechtslage, daß die regelmäßige tägliche Arbeitszeit

bis zu zehn Stunden und darüber hinaus

ausgedehnt werden kann. Von ihm ist daher in teiner Weise der Erfolg zu erwarten, den die Gewerkschaften mit ihrer Forderung insbesondere erreichen wollten: die verminderung des Arbeitslosenheeres. Der Regierungsentwurf bringt weder Arbeitenden noch Arbeitslosen nennenswerte Vorteile, er bringt jogar teilweise erhebliche Verschlechterungen.

Die Gewerkschaften erklären daher einmütig, daß diese von der Regierung geplante Arbeitszeifregelung nicht im mindesten den

alle Gewerkschaften einschließlich der christlichen gefordert haben. Sie geben ihrer Erwartung Ausdrud, daß die Fraktionen des Reichstages fich der Tatsache bewußt sein werden, daß hinter den Forderungen der Gewerk­haften auch heute noch der einmütige wille der ge­famten Arbeiter und Angestellten steht, wenn auch aus politischen Gründen der chriftliche Deutsche   Gewerkschaftsbund glaubt, diese Erklärung nicht unterzeichnen zu können.

Der Vorstand des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes  . Gewerkschaftsring deutscher Arbeiter-, Angestellten- und Beamtenverbände.

Der Vorstand des Allgemeinen Freien Angestelltenbundes.

Der Kulturfonds im Innenministerium

Gelder für seelische Pflege.

In der Sonnabendsigung des Ausschusses für den Reichs haushalt wurde die Beratung der Allgemeinen Bewilligungen aus dem Reichsministerium des Innern" fortgesetzt. Zur Förderung tulturell gemeinnüßiger Einrichtungen und Ber­einigungen find 500 000 m. angefordert. Dazu lag ein Antrag der Deutschnationalen vor, diesen Fonds auf eine Million zu erhöhen. In der Debatte glaubte der Kommunist Rosenbaum die Sozialdemokratie angreifen zu müssen, weil sie im vorigen Jahre diesem Fonds zugestimmt habe. Ihm antwortete Genosse Dr. Löwenstein: Rosenbaum fft offenbar schlecht unterrichtet. Wir haben seinerzeit aus zwei Gründen dem Kulturfonds zuge stimmt: erstens machten die bürgerlichen Parteien die Bewilligung von 6 Millionen für die Junglehrer von der gleichzeitigen Be­willigung des Ein- Millionen- Kulturfonds abhängig, zweitens war die Zwangsvorlage notwendig geworden, weil der Reichsrat dem Billen des Reichstages sich entgegensetzte. Wir hatten ein politisches Interesse daran, den Willen des Reichstages gegen den Willen des Reichsrats durchzusetzen, das war jedoch nur mit 3weidrittelmehrheit möglich. Nach wie vor sind wir grundsäßlich Gegner der Bewilligung Don öffentlichen Mitteln für die Pflege von religiösen oder welt­anschaulichen Gemeinschaften. Es gibt religiöse Sozialisten, wie es auch religiöse Kommunisten gibt. Doch die Sozialdemokratie ist eine politische Partei, meder eine Religionsgesellschaft, noch eine Antireligionsgesellschaft. Die Pflege religiöser oder welt­anschaulicher Interessen muß Angelegenheit der für diesen Zweck be­stehenden Bereinigungen oder Gesellschaften sein. Auf diesem Stand punkt stand früher auch das Zentrum, das sich jetzt unter dem Einfluß der Deutschnationalen gewandelt hat. Wir lehnen also aus grundsäglichen Erwägungen den Kultur­fonds a b. Wenn er jedoch von der Mehrheit des Hauses dennoch angenommen wird, so verlangen wir selbstverständlich, daß

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überhaupt dar. Der Uebergang der Schulentlassenen aus der Ge bundenheit der Boltsschule in die gesundheitlich und sittlich gefährdete trostlose Lage der Berufslosigkeit bedeutet gerade in dem Alter von 14 bis 16 Jahren eine verhängnisvolle Gefahr für die soziale und sitttliche Weiterbildung. Die Dauer und der Um­fang der Erwerbslosigkeit geben die Möglichkeit, durch die Erweite­tung einer fyftematischen Ausbildung die Unterlagen für eine beruf liche und staatsbürgerliche Erziehung zu geben. Diese Erweiterung der Schulpflicht um 1 bis 2 Jahre müßte ihrem Umfange nach etwa die Stundenzahl der Volksschule umfassen, ihrer Tendenz nach aber eine erweiterte Berufsschule sein. Das Reichsministerium des Innern wird ersucht, in Verbindung mit dem Arbeitsministerium und im einzelnen mit den Ländern 1. ein- bis zweijährige Berufs. schulfurse für berufslose Schulentlassene als Pflichtfurse zu schaffen, die, wie die Bolksschule, untentgeltlich sind und für die die Lernmittel aus öffentlichen Mitteln zu beschaffen sind; 2. füu aus­lichen dieser Kurse zu sorgen.

reichende wirtschaftliche Beihilfen für die berufslosen Jugend

Deutschland- Polen- England.

Erklärungen des Außenministers Zaleski  . Der polnische Außenminister 3 al esti hat auf der Reise nach Genf   in Wien   Station gemacht und dem Vertreter eines Wiener  Blattes etliche Auskünfte gegeben. Ueber die deutsch pol nischen Wirtschaftsverhandlungen, deren Förderung

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er von einer Besprechung mit Stresemann   in Genf   erwartet, sagte der Minister:

" Die polnische Regierung ist jeden Augenblick zur Erneuerung der Verhandlungen bereit unter Behandlung sämtlicher Fragen eines normalen Handelsvertrags als eines Gesamttom­pleges. Bei Aufrechterhaltung dieses ihres grundsäglichen Stand. punties erweist die polnische Regierung ihren besten Willen zur Er. zielung einer Entspannung, indem sie aus dem Abbruch der Ver­tischen Konsequenzen zieht."

dieser Fonds nicht einseitig verwendet wird. Wir unterstreichen die authentische Erklärung der Regierung, daß die Mittel dieses Fonds nicht für kirchliche 3 wede als solche gegeben werden, sondern für Zwecke der seelischen Pflege, an deren Durchführung das Reich interessiert ist. Es kann also die Sub- handlungen ihrerseits eine weiteren wirtschaftlichen oder poli­ventionierung nicht beschränkt bleiben auf Religions­gefellschaften, die Körperschaften des öffentlichen Rechtes sind. Ich weise auf die Reichsorganisation der freigeistigen Ber bände hin, die etwa eine Million organisierter Mitglieder hat und die durch eine große Anzahl von Veranstaltungen, die der feelischen Pflege dienen sollen, ein Anrecht auf unterstützung aus diesem Fonds hat. Ich weise ferner auf die proletarischen Feierstunden des Sozialistischen Kulturbundes hin, die eine be. deutsame Beranstaltung moderner Erbauung darstellen. Nach der Erklärung, die die Regierung über Absicht und Zweck dieses Fonds gegeben hat, fönnen wir darauf verzichten, die Abänderungsanträge, Die wir zu den Erläuterungen stellen wollten, noch in das Dispositiv hineinzuarbeiten.

Für einmalige Beihilfen für wirtschaftlich oder fulturell besonders bedrängte Grenzgebiete verlangt die Regierung 15 Millionen Diese Beihilfen sind in dem sogenannten Ost- Ausschuß einer langen Beratung unterzogen worden. Der Ost- Ausschuß ver langt sie als einmalige Beihilfe für die wirtschaftlich oder kulturell besonders bedrängten östlichen Grenzgebiete Preußens und wünscht, daß die anderen bedrängten Gebiete aus einem besonderen neuen Titel unterstützt werden sollen. Außerdem ersucht die Regie­rung für einen von privater Seite zu demselben 3wed aufzunehmenden Kredit von 60 Millionen eine Ausfallbürgschaft durch das Reich zu übernehmen Eine Beschlußfassung über diese Titel fand nicht statt, da der Reichsfinanzminister erklären ließ, er fönne sich über die für diese Zwecke verlangten Zuwendungen erst nach Ab­schluß der Etatsberatungen äußern.

Zur Förderung der von der Notgemeinschaft der deutschen Wissenschaft  " verfolgten Zwede werden im ganzen 8 Millionen Mart angefordert und einstimmig bewilligt.

Zur Förderung von Bestrebungen auf dem Gebiete des Schul, Erziehungs, und Wolfsbildungswefens verlangt die Regierung zweimal 150 000 m. Hierzu haben die sozialdemokra tischen Mitglieder eine Resolution beantragt, die vom Genossen Dr. Löwenstein ausführlich begründet wird. Sie lautet:

Das große Heer der arbeitslosen Jugendlichen stellt eine Gefährdung der Jugend und der zukünftigen Entwicklung

Damit hat Zaleffi deutlich gesagt, daß Polen   die Ausweisungs und Niederlassungsfrage nicht gesondert vom übrigen Handels­vertrag verhandeln, eine Einigung hierüber also nicht als Borbe­dingung der eigentlichen Vertragsverhandlungen anerkennen will. Baleftis weitere Erklärung, daß Polen   den Berliner   Abbruch nicht mit Bergeltungsmaßnahmen beantwortet hat, wird auch durch die Tatsache beſtätigt, daß der polnische Finanzminister ange ordnet hat, ungeachtet des Zollfriegs Warenproben aus Deutschland   ungehindert und unverzollt einzulassen.

Dann dementierte Baleffi die Meldungen, daß zwischen Bolen und England Verhandlungen zur Bildung einer meinsamen Front gegen Sowjetrußland im Zuge feien, nachdrücklich, indem er folgende Erklärung abgab:

will.

Offizielle Tagesordnung und private" Gespräche. V. Sch. Genf  , 5. März.

Die vierteljährliche Tagung des Völkerbundsrates, die am Montag in Genf   beginnt, sollte ursprünglich in Berlin  stattfinden. Wie erinnerlich, war im Herbst vorigen Jahres allgemein davon die Rede, daß die Mächte darin überein gekommen wären, um die Tatsache und die Bedeutung des eine der nächsten Seffionen des Rates in der Hauptstadt des Eintritts Deutschlands   in den Bölkerbund zu unterstreichen, Deutschen Reiches abzuhalten. Es lag um so näher, diese Idee auszuführen, als ja der Vorsiz im Rat turnus­mäßig bereits im Dezember Deutschland   zufallen sollte und als Dr. Stresemann nicht gut ein neues mal feinen Berzicht mit einer ungenügenden Praris der Völkerbunds= geschäfte begründen konnte.

Der deutsche   Außenminister wird auch tatsächlich auf der neuen Tagung den Borsiz führen, was für ihn und vor allem für Deutschland   ein ehrenvolles Amt ist. Wir hoffen, daß es ihm dank seiner parlamentarischen Routine und seiner son­ftigen geistigen Elastizität gelingen wird, seine fremdsprachigen Hemmungen so zu überwinden, daß seine Geschäftsführung auch nicht äußerlich darunter leidet.

Die Absicht, die Ratstagung in Berlin   abzuhalten, die noch vor drei Monaten in der ganzen Weltpresse geäußert wurde, ist hingegen längst und stillschweigend auf­gegeben worden. Dieses hängt offenkundig mit der Ber= steifung der Beziehungen zwischen Deutschland   und den übrigen Locarnomächten zusammen, die seit der Bildung der Bürgerblodregierung im Reiche eingetreten ist. Daß der deutsche   Vertreter zum ersten Male einer Tagung des Böllerbundsrates präsidiert, bildet eigentlich die Sen fation jener Genfer   Zusammenkunft, die sonst keine allzu auf­regende Tagesordnung hat. Die Hauptpunkte des Berhand­lungsprogramms berühren zwar deutsche   Interessen und sie sind vor allem für bestimmte Teile des deutschen   Volks­tums von großer Wichtigkeit, aber es läßt sich beim besten Willen von ihnen nicht behaupten, daß sie im Mittelpunkt der europäischen   Politik stehen. So werden, wie üblich, Dan= 8iger Fragen den Rat beschäftigen. Die in Aussicht gestellte Bölferbundsanleihe zur Sanierung dieses fünstlichen Gebildes stößt auf große Schwierigkeiten, deren Ursachen letzten Endes in den Bestrebungen Bolens liegen, die wirtschaftliche und politische Selbständigkeit der Freien Stadt Danzig   einzuschränken.

Probleme, über die der Rat zu entscheiden haben wird. In der gleichen Linie liegen die oberschlesischen Auch hier handelt es sich um polnische Versuche einer Zurüd­drängung des Einflusses der deutschsprachigen Bevölkerung. Der Deutsche Volksbund in Polnisch- Oberschlesien hat eine eingehende Klage über die vertragswidrige Beeinträchtigung der deutschen   Minderheitsschulen durch die polnische Verwaltung an die vom Bölkerbund eingesetzte gemischte Kommission gerichtet, deren Präsident, der Schweizer   Ca­londer, die deutschen   Beschwerden fast auf der ganzen Linie für berettigt erklärt hat. Auch hier wird der Rat als letzte Instanz entscheiden müssen.

Relativ am interessantesten, weil am heitelsten, wird die Beratung der Saarfragen sein Es handelt sich um die feit nahezu zwei Jahren immer wieder angeschnittene und bisher stets vertagte Frage der Zurückziehung der franzö= fischen Besaßung aus dem Saargebiet und ihrer Er­fegung durch die im Bersailler Vertrag vorgesehene lofale Gendarmerie. Bon französischer Seite wird nun immer wieder darauf hingewiesen, daß, solange ein Teil des Rhein­landes und die Pfalz   besetzt bleiben, das Saargebiet, das im Rüden der zweiten und der dritten Zone liegt, schon wegen der Sicherung des Eisenbahnverkehrs nicht völlig militärisch geräumt werden könne. Ein rechtlich unhaltbarer Standpunkt, der sich allerdings, wie objektiv zugegeben werden muß, auf beachtenswerte technische Argumente stüßen läßt.

Die vernünftigste und beste Lösung dieser Schwierigkeit würde zweifellos darin liegen, daß Frankreich   die zweite und die dritte Zone unverzüglich räumte und daß gleichzeitig oder sehr bald danach die Saarfrage dadurch endgültig aus der Welt geschafft würde, daß das ganze Gebiet ohne die gänzlich geüberflüssig gewordene Abstimmung Deutschland   zurüd­gegeben würde. Wäre eine solche ideale und gerechte Lösung in absehbarer Zeit zu erreichen, dann würde man auf die Erörterung jenes Teilproblems der Saarbesayung ohna weiteres verzichten können. Daran hatte man in den Tagen von Thoiry offenbar gedacht. Leider ist inzwischen jener Rückschlag eingetreten, der eine baldige Räumung des belegten deutschen   Gebietes einstweilen nicht erhoffen läßt. und es ist nur zu begreiflich, daß die Saarbevölkerung in Erkenntnis dieser Tatsache auf eine Entscheidung in ihrer eigenen Besagungfrage drängt, zumal der Wortlauf des Ber­failler Vertrages für die Erfüllung ihrer Forderungen spricht. Es ist mun ein Kompromißvorschlag ausge arbeitet worden, der darin gipfelt, die Besatzung bis auf 800 Mann zurückzuziehen, die als internationale" Verkehrsschußtruppe mit besonderer Uniform im Saargebiet verbleiben sollen. Ein gewiß unbefriedigendes Verlegenheitskompromiß. Aber dieser Borschlag ließe sich zur Not akzeptieren, wenn man die Gewißheit gewinnen würde, daß der Geist der Regierungsfommission ein anderer werde, als er bisher war. Die Garantie dafür kann nur durch einen Personenwechsel innerhalb der Kommission geliefert

Ich ermächtige Sie zu der Erklärung, daß alle solche Meldun gen, von welcher Seite fie fommen, einfach absurd sind, und daß fie entweder auf Sensationsluft oder auf eine Propaganda zu rückgehen, die den Oftrand Europas   nicht zur Ruhe kommen lassen Ich erfläre ausdrücklich und entschieden, daß niemals irgendwelche englische Seite, am allerwenigsten die englische Re gierung an die polnische Regierung mit dem Vorschlag oder auch nur mit der leiseften Suggeſtion herangetreten ist, die Lage in Eu ropa zu verschärfen durch Bildung einer gemeinsamen Front gegen Rußland  . Bei seiner auf Frieden gerichteten Politit Rußland  . legt Polen   besonderen Wert auf die Erhaltung und Pflege fried­licher, gut nachbarlicher Beziehungen zu Sowjetrußland."

In der Tat wird die Neubesehung des polnischen Gesandten postens in Mostau mit Dr. Patet, sowie die Besetzung der Lei­tung des Dftreferats im polnischen Außenministerium mit dem so. zialistischen Abg. Holufta als friedensfördernd betrachtet.

Sommerzeit in Frankreich  . Der Minister für öffentliche Ar. beiten hat angeordnet, daß in der Nacht zum 10. April um 11 Uhr die Uhren um 60 Minuten vorgerückt werden.