fr. 110 44. Jahrg. Ausgabe A nr. 56
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Sonntag, den 6. März 1927
Alles für den Bürgerblock.
Der Umfall der christlichen Gewerkschaften.
In unserer gestrigen Abendausgabe haben wir die Er flärung des ADGB., des Gewerkschaftsringes( Hirsch- Dunder) und des AfA- Bundes zu dem Notgeseh der Reichsregierung veröffentlicht. Diese Erklärung stellt fest, daß der Regierungsentwurf weder den Arbeitenden noch den Arbeitslosen nennenswerte Borteile, ja jogar teilweise erhebliche Ber chlechterungen bringt, nicht im mindesten den berech tigten Wünschen der Arbeiter und Angestellten entspricht, nichts von dem erfüllt, was alle Gewerkschaften, einschließ lich der christlichen gefordert haben. Die Erklärung stellt weiter fest, daß auch heute noch der einmütige Wille der gesamten Arbeiter und Angestellten hinter den Forderungen der Gewerkschaften steht, wenn auch aus politischen Gründen der christliche Deutsche Gewert schaftsbund glaubt, diese Erklärungen nicht unterzeichnen zu
fönnen.
Dazu läßt der Deutsche Gewerkschaftsbund durch die schwerindustrielle Telegraphen- Union" folgende Antwort verbreiten:
Der Deutsche Gewerkschaftsbund erklärt, daß der vorliegende Entwurf eines Arbeitszeit- Notgesetzes den berechtigten Forderungen der Arbeitnehmer nicht entspricht und hält eine Reihe von Verbesserungen für unbedingt ge boten. Er wird sich mit allen Kräften für die Verwirklichung feiner berechtigten und wirtschaftlich vertretbaren Forderungen einJezen.
Die Behauptung der freien Gewerkschaften, daß die chriftlichnationalen Gemertschaften eine gemeinsame Erklärung aus politi schen Erwägungen abgelehnt haben. ist dahin zu modifizieren, daß sich die christlichen Gewerkschaften bei ihrer Stellungnahme allein von Erwägungen Teiten ließen, wie den Interessen der Arbeitnehmerschaft am besten zu dienen ist.
In dieser Erklärung des Deutschen Gewerkschaftsbundes ift bemerkenswert, daß fast mörtllich wie in der Erklärung der Spigenorganisationen der Gewerkschaften festgestellt wird, daß der Entwurf des Arbeitszeitnotgesetzes den berechtigten Forde rungen der Arbeitnehmer nicht entspricht.
Wenn dem so ist, dann würde der Umfall der Chriftlichen Gewerkschaften unverständlich sein, wenn er nicht von politischen Erwägungen diftiert wäre. Diese politischen Erwägungen find so klar, daß es sich fast erübrigt, sie besonders hervorzuheben.
Die Vertreter der Christlichen Gewerkschaften im Reichstag gehören samt und sonders den Parteien des Bürgerblods an. Im Bürgerblod bestimmen aber nicht die Christlichen Gewerkschaften. Sie werden dort, wie ein
rates
fo eminenter Renner der Verhältnisse wie das Mitglied des Deutschnationalen Handlungsgehilfenverbandes und deutschnationaler Reichstagsabgeordneter Lambach fürzlich festgestellt hat, von den Bertretern der Unternehmer an die and gebrüdt Wohl hat Herr Stegerwald in seiner bekannten Rede im Weltwirtschaftlichen Verein unmittelbar nach der Etablierung der Bürgerblodregierung erklärt, daß die christlichen Gewerkschaftsvertreter nicht gewillt seien, in der Frage des Achtstundentages den„ billigen Jatob" zu spielen. Er hat hinzugefügt, daß, wer regiert und damit meinte er ganz richtig die Deutschnationalen und die Bolks parteiler auch Opfer bringen müsse.
zum Opfer gebracht. Sie haben fich geopfert im Nun haben die Christlichen Gewerkschaften sich selbst Intereffe des Bürgerblods. Der Bürgerblod steht ihnen höher als ihre eigenen Forderungen, höher als die For derungen der chriftlichen Arbeiter, höher als das flare Intereffe der Arbeiterschaft und des Gemeinwohls.
Die Deutsche Allgemeine Zeitung" veröffentlichte in der Abendausgabe vom legten Donnerstag, zu einem Zeitpunkt, als die Chriftlichen Gewerkschaften noch schwankten zwischen ihren Pflichten und den Verpflichtungen gegenüber dem Bürgerblod, einen Artikel, in dem den Chriftlichen Gemertschaften die Marschroute vorgeschrieben war.
Wir.... möchten unsere schweren Bedenten gegen den Blan einer gemeinsamen Attion( der Gewerkschaften) nicht verschweigen. ... Es ist begreiflich, daß sich bei diretten Auseinandersetzungen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern die verschiedenen Gewerkschaften einander nähern fönnen, wir würden es aber nicht verstehen, wenn sich bei der parlamentarischen Erledigung eines Gefeßes die schärfften Gegner der Regierungstoalition und die chriftlichen Gewerkschaften unter Stegerwald zufammenfinden würden."
Die Christlichen Gewerkschaften sind eingeschwenkt in die Einheitsfront des Bürgerblods. Die Erklärung, die sie nun ausgerechnet durch die schwerindustrielle Telegraphen- Union" zu ihrer Rechtfertigung veröffentlichen, wird ihnen unter ihren Anhängern wenig Freunde werben. Die christlichen Arbeiter im Westen wie in Oberschlesien , die unter dem ungeheuren Druck der Ueberarbeit, verbunden mit unter dem ungeheuren Drud der Ueberarbeit, verbunden mit einer beispiellosen Arbeitslosigkeit, schmachten, werden auf die durch feinerlei wirtschaftliche Notwendigkeit diftierte Selbst aufopferung die richtige Antwort geben. Sie werden den Rampf der freien Gewerkschaften und der Sozialdemokratie um die Wiederherstellung des Achtstundentages mit allen Kräften unterstützen.
Genf , 5. März.( WTB.) Die nächste Tagung des Völkerbundswird am Montag 11 Uhr vormittags unter dem Borsig Stresemanns eröffnet werden. Der polnische Außenminister Zalesti traf zusammen mit dem polnischen Vertreter beim Völkerbunde, Sofal, heute abend in Genf ein. Man nimmt an, daß er bereits am Sonntag mit Dr. Stresemann die deutsch - polnischen Beziehungen und namentlich den Abbruch der Handelsvertragsverhandlungen besprechen wird. In bezug auf die Beschwerde des Deutschen Volksverbandes in Oberschlesien wünschen die Polen , daß der Rat einem Kontrollsystem zustimmt, durch welches perhindert würde, daß die deutschen Schulen, die für die deutsche Minderheit bestimmt sind, auch von von Kindern polnischer Sprache besucht werden.
Paris , 5. März.( Eigener Drahtbericht.) Der deutsche Botschafter in Paris , der mehrere Tage in San Remo bei Stresemann zugebracht hat, hatte am Sonnabend mittag eine längere Unterredung mit Briand , die nicht nur den Fragen der Ratssitzung, sondern auch den privaten Besprechungen der Außenminister gegolten hat.
Nachmittags traf der englische Außenminister in Baris ein; er reiste abends zusammen mit Briand nach Genf weiter. Beide
hatten nachmittags eine Unterrebung, die vor allem der ruffifchen
Frage gewidmet war.
Die deutsche Abordnung ist bereits in Genf , bis auf Stresemann und v. Schubert, die am heutigen Sonntag eintreffen. Gesandter
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Bostichedtonto: Berlin 37 536 Bankkonto: Bank der Arbeiter, Angestellten und Beamten. Wallstr. 65: Diskonto- Gesellschaft, Devoktentaffe Lindenstr. 3.
Die Gründung des fleinsten Arbeitervereins wird für den fünftigen Kulturhistoriker von größerem Wert sein als der Jacoby. Schlachttag von Sadoma.
Der berühmteste Tag im Leben Johann Jacobys war jener 2. November 1848, an dem er mit einer Abordnung der von der Gegenrevolution bedrohten preußischen Nationalbersammlung auf dem Parkett des Schloffes Sanssouci stand und dem sich halb unwillig, halb höhnisch umdrehenden Friedrich Wilhelm IV. nachrief:„ Das eben ist das Unglüd der Könige, daß sie die Wahrheit nicht hören wollen." Diese hiftorische Szene enthüllt viel vom Wesen des feltenen Mannes. Sie zeigt seinen Freimut, seinen Betennerstolz, die helle Stirn, mit der er den herrschenden Gewalten entgegentrat, während andere vor Untertanenfinn blaß wurden oder rot anliefen. Aber sie weist auch auf eine Anschauung hin, die die Weltgeschichte rein persönlich deutete und von ihren unterirdisch bewegenden Kräften wenig ahnte. Denn daß die Revolution unter den Schlitten und die Gegenrevolution in den Sattel tam, hatte schon andere, objektivere Ursachen als die mangelnde Neigung der Hohenzollern , die Wahrheit zu vernehmen.
Bom Ruhm dieses einen Tages zu zehren, hatte Jacoby freilich nicht nötig. Wie er 1841 als junger Arzt mit feiner Schrift Bier Fragen, beantwortet von einem Ostpreußen " der ganzen Berfassungsbewegung des preuBischen Vormärz das Stichwort gegeben hatte, so bewährte er fich im Berfassungskonflikt der sechziger Jahre als unerschrodenster Berfechter der Volksrechte; die Festungstafematten, in die ihn die Justiz Friedrich Wilhelms IV. mehr als einmal eintürmen wollte, fochten feine Ueberzeugungsstärke so wenig an wie das Gefängnis, in das ihn wegen Majestätsbeleidigung" die Richter Wilhelms I. stedten. Aber so sehr den demokratischen Vorfämpfer in den vierziger Jahren der Jubel eines ganzen Volkes getragen hatte, so still und einfam wurde es in der zweiten Hälfte der sechziger Jahre um ihn, und 1872 vollzog er den Uebertritt zur Sozialdemo fratie; als Grund gab er nicht seine Befehrung zu ihren Grundfäßen, sondern die Berurteilung Bebels und Liebtnechts im Leipziger Hochverratsprozeß an.
"
Rausch er- Warschau ist für die deutsch - polnischen Berhandlungen Arbeit" erwärmte, war diese Losung reichlich verschwommen nach Genf berufen worden.
Zurückweisung der Saarbeschwerde.
Genf , 5. März.( Eigener Drahtbericht.) Die Protestnote der Saarbrüdener Stadtverordnetenversammlung an den Böllerbund gegen das französische Garnisonkommando wegen nichtfreigabe der dortigen Kaserne zu Wohnzweden ist im Böllerbundssekretariat ein gegangen, tann aber nach dessen Auffassung vom Völkerbundsrat nicht entgegengenommen werden, weil fie nicht durch die Sa arregierung übermittelt worden ist. Dagegen muß der Völkerbundsrat natürlich die Angelegenheit behandeln, wenn sie ihm durch eines seiner Mitglieder vorgelegt wird, und das dürfte Deutschland tun, wenn man hinsichtlich der Zurückziehung der Truppen nicht zu einer endgültigen Berständigung gelangen follte.
Uebergabe Schanghais an Kanton?
Um Blutvergießen zu vermeiden. Shanghai , 5. März.( WTB.) Die militärische Lage ist heute abend unverändert. In der Kuomintangpartei find unbestätigte
Gerüchte im Umlauf, nach denen Tschangfuntfchang zu einer Ver. tändigung mit den kanto nejen wegen der Besehung der Stadt durch die Südarmee, ohne daß Widerstand geleistet werden foll, gekommen wäre.
Aber ob ihm die Partei der Arbeiterklasse ein wenig ein Asyl für politisch Obdachlose bedeutete, zählte Jacoby doch zu den ganz spärlichen Demokraten in Deutschland , die von vornherein einen Nero für die soziale Frage hatten. Schon 1848 brandmarkte er den Bolizeifigel eines durch die gerechten Ansprüche der Arbeiterklasse eingeschüchterten Pfahlbürgertums" und betonte, daß die staatliche Freiheit nicht der höchste und legte 3wed sei, sondern nur den Weg zu dem auf fittliche Freiheit begründeten Wohlergehen aller zu bahnen habe. Erst recht teilte er zwanzig Jahre später der demofratischen Partei die Aufgabe zu, durch ,, Umgestaltung der sozialen Mißverhältnisse" und" hebung der arbeitenden und notleidenden Mitbürger" im wahren Sinne des Wortes zur Volks= partei zu werden. Der im Streben edler Menschenfreunde nach der Glückseligkeit aller und dem Widerstand der Unvernunft, Selbstfucht und trägen Gewohnheit dagegen den Inhalt der Weltgeschichte fand, hatte sicher fein Organ, die Lehre vom Klaffentampf zu begreifen, und auch wenn er sich für ,, AbSchaffung des Lohnsystems und Ersaß durch genossenschaftliche und unbestimmt. Die Lassalleaner gingen denn gegen Jacoby scharf ins Zeug. Jean Baptiste von Schweizer ließ ihm in der Resolution einer Wählerversammlung bezeugen, daß er manche Sozialistische Wahrheit in sich aufgenommen habe, aber auf halbem Wege stehengeblieben sei, und ungerecht und gehässig schob der„ Sozialdemokrat" eine seiner wichtigtuenden Bourgeois" und ihn felbft als unschädliches, bedeutsamsten Reden als ,, albernes, hohles Geschwät eines altes Männchen" zur Seite. Dieser Standpunkt übersah durchaus, daß nicht wenig Einsicht und Mut dazu gehörte, unter arbeitstag, dem Verbot der Kinderarbeit und Freihändlern und Manchestermännern einem Normalarbeitstag, dem Verbot der Kinderarbeit und Wort zu reden. Und wieriele wohl unter den eingeschriebenen der Aufhebung der Lohnarbeit überhaupt das und eingeschworenen Sozialdemokraten hatten damals von der gesellschaftlichen Frage eine flarere Borstellung als Jacoby? Die Eisenacher nahmen darum seine Entwicklung mit Wohl= wollen auf, aber nicht nur Bebel gewann 1876 einen ungemein günstigen Eindruck von dem bereits Einundsiebzigjährigen, der ihm, ein scheinloser, taum mittelgroßer, tahlföpfiger Mann von zurückhaltendem Wesen, doch mit durchdringend blauen Augen, zwischen den Büchermauern seines sechs Jahre zuvor über das, was er Jacobys Belehrung
zum Kommunismus nannte.
Wie feine Haltung zum sozialen Problem, so entsprang auch Jacobys Stellung zu den politischen Fragen der Zeit einem tief eingewurzelten, unausrott