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Nr. 126 64.?ahrgaag
1. Seilage öes vorwärts
Mittwoch, 16. März 1927
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Trotz oller Erschwerungen hat die Feuerbestattimg innner mehr Anhänger gefunden, und zwei von den Berliner   Krematoriumsfried. Höfen müssen schon dazu übergehen, die Aschenkapseln in der Mauer beizusetzen. In Wilmersdorf  . hat man an einem Teil der Mauer nun eine offene Halle gebaut und in der Art eines Kolum- bariums ausgestattet. Je zwei Urnennischen befinden sich über- einander, darunter sind dann noch zwei einfache, durch einen glatten Stein verschlvfsene Oesfnungen zur Aufnahme der Aschenkapseln. Im Krematoriumsfriedhof Gericht st raße aber hat man einfach die Mauer des Friedhofes in gleicher Weife ausgestaltet. Wilmersdorf  ist sogar dazu übergegangen, die Friedhofserde zu rationieren, und eine Erdbestattung der Aschenkapsel ist hier nur Wilmersdorfer Ein- wohnern erlaubt: alles«zugezogene Dolk" kommt an, resp. in die Wand. Ein besonderes Problem für die Krematorien ist aber die Beisetzung der«Vergessenen", deren Aschenkapseln nach der Ber- brennung nicht abgeholt wurden. Ursprünglich rechnete die Krema- toriumsverwaltung für jede Aschenkapsel, die drei Wochen nach der Verbrennung nicht abgeholt war, 5 Mark.Lagergeld". Die Fälle, in denen sich aber nach der Einäscherung niemand mehr um den Toten kümmerte, mehrten sich aber derartig, daß jeder der Kremato- riumsfriedhöfe jetzt ein Massengrab der Vergessenen hat, Wilmers- dorf wie Gerichtstraße: und in dem Massengrab auf dem Friedhof Gerichtstraße sind nun schon die Aschenkapseln von 2l>l)l> ver- gessenen Toten namenlos beigesetzt. Wie Sas Gefetz es befiehlt... So sammeln sich allenthalben die sauber verlöteten Büchsen aus, und jetzt, IS Jahre nach Erlaß des preußischen Feuerbestattungs- gefetzes, wird bald«in Urnen friedhof nach dem anderen dazu über» gehen müssen, die Vergessenen, deren Stelle nicht mehr erneuert wird, in irgendeiner gemeinsamen Gruft beizusetzen, woher kommt schließ- lich diese ganze«Wohnungsnot" der Toten? Allein aus dem Para­graphen 6 des Jeucrbestalwngsgesehes:..Die Ajchenreste von ver- brannten Leichen müssen in einem für jede Leiche besonderen, be- HSrdlich verschlossenen Behältnis entweder in der Urnenhalle(Urnen- grab) oder in einer anderen behördlich genehmigten Beftatlungs- anläge beigesetzt werden." In Berlin   wird die Befolgung dieser gesetz- lichen Bestimmung auf die Weise gesichert, daß die Asche den Bc. stattungspslichtigen nur bei Nachweis des Erwerbes einer Urnenstell«
ausgefolgt wird. Wer aber trotzdem Mittel und Wege findet, das Gesetz zu ungehen, wird mit 1S0 Mark Geldstrafe oder entsprechender 5) oft bestrast... in Preußen. Denn auf diesem Gebiet herrschen in den verschiedenen deutschen   Vaterländern die unterschiedlichsten Rechts- zustände. In Thüringen   z. B. kann man die Asche der verstorbenen Angehörigen in der Wohnung aufbewahren, ohne daß die Obrigkeit irgend etwas dagegen hat. Auch Sachsen   und die Hansestädte kennen keinen Bestattungszwang, und m Lübeck   kann es der Verstorbene seinen Erben zur Pflicht machen, seine Asche in die Ostfee zu ver- senken. Was aber der Oftfe« recht ist. ist darum der Havel   nicht billig! Wer hier testieren wollte, daß seine Asch« an derBammel- ecke" in die Havel   zu schütten oder irgendwo im Walde zu vergraben oder mit dem schönen romantischen Ausdruckin alle Winde zu streuen" sei, brächte seine Erben in eine peinliche Situation, denn sicher würde man zum Exempel«in Strafverfahren gegen sie er- öffnen! Wer sich aber den Luxus erlauben kann, noch nach seinem Tode eineVergnügungsreise" zu machen, braucht nur seine Ueber- führung nach Gotha   anzuordnen, dann kann er sich beisetzen oder im Thüringer   Walde verstteuen lassen. Blas nach Preußen darf er nicht niehr, wenn er sich nicht in«inen Friedhof oder ein Kolumbarium sperren lassen will; denn bei uns herrscht Ordnung und eine derartige Leichenvagabondage, wie in Thüringen  , wo man die Asche der ver- storbenen Angehörigen von Gotha   nach Friedrichroda   oder einen anderem Nest gänzlich gebührenfrei überführen kann, ist hier nicht gestattet! Gebührenftei. Ja, gebührenfrei da liegt der Hase im Pfeffer! Denn als man
und in denÄusführungsbestimmungen" vom 14. September 1911 ist wörtlich ausgeführt, daß auf eine Revision de» Gebührentarifes hinzuwirken fei,wobei mit ins Auge zu fassen sein wird, daß durch zu niedrig« Geführenbemessung nicht«in individueller Anreiz ge- fchaffen werde, die Feuerbestattung der Erdbestallung vorzuziehen. Es wird... darauf Bedacht zu nehmen fein, daß die Kosten der Feuerbestattung nicht unter die der Erdbestattung herabsinken". Das ist in Wirtlichkeit der springende Punkt: Ohne deu Bestattougszwaug würde die Feuerbestattung zu billig werden! Denn alle anderen Ein- wände gegen«in anderes Aufbewahren, Beisetzen oder Verstreuen der Asche sind recht hinfällig. Die vorgeschriebene gerichtsärztliche Totenschau garantiert weitgehende Sicherheit gegen Verschleierung eines Verbrechens, und es ist auch noch kein Fall öffentlich bekannt geworden, daß die Exhumierung einer Aschenkapsel notwendig ge- wesen sei, um einem Verbrechen auf die Spur zu kommen. Von irgendwelchen hygienischen Bedenken kann aber überhaupt nicht die Rede sein, denn die wenigen ausgeglühten Aschenreste sind völlig keim- frei, und wemt das Vergraben kapselloser Asche auf fmem Felde oder im Walde überhaupt irgendeine Wirkung hat, dann höchsten- falls die, daß dort das Gras im nächsten Sommer ein wenig grüner und dichter steht... Aber da bleibt noch die Pietät. Es ist ja sicher eine schöne Sache damit, aber viel ist hier in der Großstadt sowieso damit nicht anzufangen. Denn die Bestattung in Reihenstellen, nach der Nummer, und die endlos weiten Entfernungen reißen die ein- zelnen Bestattungsstellen so weit von einander, daß an eine wirkliche Grabpfleg« von der Familie oft gar nicht gedacht werden kann, und Erbbegräbnisse kann sich der Proletarier nicht leisten. Wohl aber können gute Freunde selbst das Verstreuen der Asche in Formen
vornehmen, die niemands Gefühl verletzen, und wer die Asche de» Berstorbenen In der eigenen Wohnung aufbewahren will, beweist damit vielleicht mehr Pietät als der, der seinen Benommiervorfcchren eine Totenkapelle aus ZNarmor baut... vom pietätsgefihäst. Sehen Sie, das ist ein Geschäft, das bringt noch was«in..." Und an dieses schön« Lied muß man unwillkürlich denken, wenn man die Bestattungskosten der verschiedenen Gememde- und Kirchenfried- Höfe vergleicht. Am billigsten ist hier die Stadt. Mark 14,50 bis 21,60 kostet durschnittlich eine Beisetzung aus einem städtischen Fried- Hof, aber es gibt auch da große Schwankungen, denn der städtisch« Friedhof Heerstraße z. B. hat keine Stelle unter 100 Mark, und ein Onadratmeter Boden Hann hier sogar 300 Mark kosten! Dazu kommen dann noch 10 Mark für die Beisetzung und 10 Mark für die Anfertigung der Gruft: in Erkner   kann sich aber allein von diesen Gebühren ein« ganze Famiii« begraben lassen, denn Erkner   hält den Rekord der Billigkeit und rechnet für die Urnenstelle nur 1 Mark und 1 Mark für die Beisetzung! Aber selbst die Gemeindesriedhöf«, bei denen der Preis der Stelle an sich ungefähr gleich ist, stellen recht verschiedene Gesamtkosten auf: Da werden auf einzelnen Friedhöfen die Stellen nur mitTasclzwcmg" abgegeben, d. h. es wird von den Gemeinden eine einheittiche Tafel geliefert und dafür werden Z bis 18 Mark in Rechnung gesetzt. Auch aus der Bepflanzung der Stellen verstehen manche Gemeinden ganz schön Kapital zu schlagen: Tempel- Hof rechnet für die Bepflanzung einer Stelle 18 Mark bei
Ein Massengrab für Ascbecreste. anderen Gemeinden wird sie für 4 bis 5 Mark geliefert, wieder bei anderen einfach den Angehörigen überlassen. Angebot und Nachfrag« wirken aber auch hier preisregulierend, und so hat der kirchliche Friedhof in Stahnsdorf  , der den Berlinern doch zu weit draußen liegt, seine Preise bedeutend herabgesetzt, so daß man sich jetzt dort schon für 24 Mark begraben lassen kann. Aber sonst sonst oer­steht es die Kirche ausgezeichnet, aus dem Pietätsgeschäft Geld zu
] Gerichtstag. Bon Fred Bckrence. Cosyricbt 1921 br Pul Ztolnty, Wie«' Und vor mir konnte er gar nicht genug liebenswürdig sein." Ich muß dir noch em Wort sagen: wenn du wieder zu Hause sein wirst, so beobachte alles, ohne zu sprechen. Du mußt deine Kräfte für den entscheidenden Moment auffparen." Schon wieder so geheimnisvolle Worte, erkläre es mir endlich." Ich weiß es nicht gewiß, ich denke mir. daß der Augen- blick kommt, wo man einen Entschluß fassen muß und für diesen Augenblick gilt es, seine Kräfte zu sparen." Der Schaffner rief: Einsteigen nach Lausanne  , Menne, D6l6mont, Basel  !" Ich stieg in mein Abteil und ein paar Minuten später setzte sich der Zug in Bewegung nach Lausanne  . Wieder fühlt« ich mich ganz zerschlagen. Mir war, als ginge jede Umdrehung der Räder durch meinen Leib, das Rollen des Zuges riß an meinen Nerven: während der ganzen Fahrt saß ich regungslos auf meiner Bank zusammengekauert. Plötzlich blieb der Zug stehen, wir waren in Laufanne. Ich fuhr mit der Hand über die Stirn, um meine Bangig- keit zu oerscheuchen. Mir schien es, als schritte ich einem Abgrund en�egen, der mich in die Tiefe zog. Einen Augenblick durchs ihr mich der Gedanke, in Lausanne   zu bleiben, aber ich wies ihn zurück. Das wäre Feigheit, vielleicht konnte ich das Schisflein doch noch retten. Und unwillkürlich wiederholte ich ganz laut:Vielleicht, ja vielleicht!" Die Tat. Ich wurde mit offenen Annen aufgenommen und die ersten Tage ging alles gut. Der Dater war überströmend herzlich zu mir, aber ich trat aus meiner Zurückhaltung nicht heraus. Der Haß. den ich empfand, schlief nicht ein: je mehr ich mit dem Vater beisammen war und meine Abneigung verbergen mußt«, um so heftiger und glühender wurde er. Die Beziehungen zwischen den Eltern waren sehr gespannt. Die Mutter begrüßte den Bater gleichgültig und wenn er sie aus die Stirn küßte, senkte sie ergeben den Kopf. Paul hall« nicht selten unter dem Jähzorn des Daters zu leiden.
Dann flüchtete der arme Kleine zu mir und so oft ich konnte, ging ich mit ihm spazieren. Das waren die einzigen wirklich schönen Stunden. In der ersten Woche kam der Dater fast nüchtern noch Haus«: wohl strömte sein Atem einen leichten Geruch von Rum oder Kognak aus, aber fein Benehmen war tadellos. Das ist ein wahres Wunder, ich bin nur neugierig, wie lange es diesmal anhalten wird," meinte Andr6. Es dauerte nicht lange: eines Abends, als er gegen elf Ulr heimkam, schwankte er ein wenig auf seinen Beinen. Wir saßen im Speisezimmer, die Mutter stopfte Strümpfe, AndrH und ich lasen, die Kleinen waren schon zu Bett gegangen. Mit schwerer Zunge grüßte der Vater und küßte meine Mutter zärtlich. Sie stieß ihn voll Ekel zurück und sagte streng:Du host schon wieder getrunken." Er ließ sich auf den Diwan fallen und begann bitterlich zn weinen, wie ein kleines Kind. Sie sah ihn an, zuckte die Achseln und dann sagte sie ihm englisch, die Verachtung klang aus ihren Worten:Geh' schlafen, du wirst so am besten deinen Rausch los." Er erwiderte in derselben Sprache:Schämst du dich nicht, mich in Gegenwart der Kinder zu beschimpfen?" Die Kinder schlafen schon," erwiderte sie französisch,und wenn du dich nicht schämst, so vor deine Kinder hinzutreten, so schäme ich mich natürlich auch nicht, dir gerechte Vorwürfe zu machen. Glaubst du denn, daß sie blind sind? Glaubst du denn, sie sehen nicht, wie du bist?" Er beharrte darauf, das Gespräch englisch fortzuführen: Me kannst du erwarten, daß sie ihren Dater achten, wenn tm mich vor ihnen beschimpfst?" Hör' schon einmal mit dieser Komödie auf, längst achtet dich ja niemand mehr." Er stellte sich kerzengrade vor ihr auf. ,J>u bist schlecht. Wie kannst du es wagen, mich in Gegenwart meiner Söhne zu beschimpfen?" brüllte er. Ich wollte mich auf ihn stürzen, aber Andr6 hielt mich am Aermel zurück. Rüh»-' dich nicht vom Platze, er tut ihr nichts." Die Mutter blickte ihrem Peiniger starr ins Gesicht, ich glaubte, daß sie ihn ohrfeigen werde. Sag' nur noch einmal, was du gesagt hast, sag's nur!" Er senkte den Kopf und begann im Zimmer auf und ab zu geben, dabei gestikulierte er heftig. Du bist der gemeinste Mensch, gemeiner als alle anderen, ich habe es dir schon oft gesagt und ich wiederhole es hier, m Gegenwart deiner Söhne," schrie sie.
Er wendete sich zu uns, streckte die Arme aus, als wolle er uns zu Zeugen nehmen. Seht nur, wie eure Mutter mich behandelt, wie den letzten Schurken. Jawohl, ich habe Fehler begangen, ich habe meine Pflichten verletzt, das gebe ich alles zu. Oft bin ich schwach gewesen doch ich hatte immer den festen Willen, für euch zu kämpfen. Aber weil mich ifos Unglück verfolgt hat, ist noch lange kein Grund vorhanden, mich jeden Tag mit Vorwürfen zu überhäufen. Wie oft habe ich nicht versucht, den Stier bei den Hörnern zu packen, gegen alle Widrigkeiten anzukämpfen, aber das Unglück ist immer stärker gewesen als ich. Und eure Mutter war immer bereit, den ersten Stein aus mich zu werfen, sie hätte mir helfen, mich ermutigen, mir neue Kraft einflößen, mich wieder aufrichten können. Aber sie hat sich mit meinen Feinden verbunden und mich verfolgt." Nun, nun," warf ich ein. Schweig," riefen die Mutter und Andrö im Chor,er redet ja irre." Er faßte meinen Einwand als Vorwurf für die Mutter auf und wendete sich jetzt ausschließlich an mich. Du weißt nicht alles, mit ihr ist das ganze Unglück ins Haus gekommen: sie wirft mir meine Schulden vor, aber wie hätte ich denn sonst ihre luxuriösen Gelüste befriedigen können?" Welche luxuriösen Gelüste?" Nun, du scheinst immer gerade das zu vergessen, was dir paßt. Erinnerst du dich des Kaffeeservices aus Seoves- Porzellan, das für die Königin von Schweden   angefertigt worden war? Du hast es dir in den Kopf gesetzt, ein gleiches zu bekommen. Da man das Modell vernichtet hatte, war es nicht möglich. Die gnädige Friu hatte sich dann«in fast gleiches machen und das Modell zerschlagen lassen: ist das wahr, ja oder nein?" Es ist wahr." Hört ihr, daß es wahr ist? Die Gnädige hatte königliche Launen. Wieviel taufend Franken hat es gekostet, könntet du mir das nicht sagen?" tftas braucht dich nicht zu bekümmern, du hast es fa nicht gezahlt." Wieso habe ich es nicht gezahlt?" Nein, meine Mutter hat es doch gezahlt." Und sie hat es von deiner Mitgift abgezogen. Und die anderen Ausgaben, zu denen du mich gezwungen hast? Und einmal habe ich in ganz Paris   herumlaufen müssen, um die Kristallschale zu finden, die du zwei Jähre früher in einer Auslage gesehen hattest."(Fortsetzung folgt.)