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Die Geschichte Berlins ist die Geschichte seiner Nachbarort«, die heute«inen Teil seines Bestandes bilden. Und bunt und mannig» faltig im Wechsel der Zeiten ist gerade die Geschichte jener Ort- schasten, die, wie die einstige Stadt Köpenick , aus ein vielhundert- jähriges Bestehen zurückblicken können. Einen Abriß aus dieser so interessanten und wechselvollen Geschichte hat Arno Iaster in seinem vor kurzem erschienenen Werk„Die Geschichte Köpenicks"(Scheu- mann Verlag) nach alten Quellen sehr originell zusammengefaßt. Seltsamerweise paßt die Darstellung, die ein sarazenischer Gesandt- schaftearzt Ibrahim Ibn Iacub im Jahre 97S vom Wesen des slawischen Burg- und Stadtbildes gibt, ausgezeichnet aus die der Stadt und Feste Köpenick . Er schreibt nämlich: „Wenn die Slawen eine Burg gründen wollen, so suchen ste sich Weideland, das an Wassern und Rohrsümpfen reich ist, und stecken dort einen runden oder viereckigen Platz ab, je nach der Gestalt und dem Umfange, den ste der Burg geben wollen. Dann ziehen ste darum einen Graben und häufen die aufgehobene Erde auf. Diese wird mit Brettern und Balken ganz festgestampft. Ist dann der Wall bis zur erforderlichen Höhe aufgeführt, so wird an der geeigneten Stelle ein Tor abgemessen und von hier an eine hölzerne Brücke über den Graben gebaut." Daß„Eopnie", die Anstedlung auf der Insel zwischen Spree und Dahme , ihren Namen nach einer Auslegung den Fischern zu verdanken hat. legt Iaster. dessen Werk auch das Folgende auszugs- weise entnommen ist, kurz dar. Zwar ist diese Auslegung nicht» weiter als eine schöne Soge, aber als ein Teil der Heimatpoeste verdient sie erwähnt zu werden. » Die Sage um den Namen. Als einst in grauer Vorzeit ein alter Fischer sein Netz au» den Fluten des Müggelsees zog, fand er unter vielen Fischen auch einen großen Krebs. War der Alte schon über die riesenhaften Formen de» Tieres erstaunt, so wurde er fast starr vor Schreck, al» der Krebs an Land kam und zu sprechen anfing:„Ich will dich zum reichsten Manne machen, wenn du mich über die Spree bringst nach dem ersten Ort am jenseitigen Ufer." So sagte der Krebs zum Fischer. Dieser nahm, als er sich von seinem Schreck erholt hatte, das Tier und trug es nach seinem Wohnort, wo er«» zum Kauf anbot. Da just Markttag war. kamen viel Leute herbei, die den großen Krebs anstaunten; al» aber einer sich fand, der Lust hatte, das Tier zu erwerben, rief der Krebs plötzlich mit oernehm- licher Stimme:.Lop nich, köp nich!"(Kaufe nicht.) Der Fremde lieh sich einschüchtern und stand vom Kaufe ab. Aber in Stralau, wohin der Fischer sich begab, wurde der Krebs doch zu Geld« gemacht. Der Ort, wo der Krebs die Wort« auf dem Markt gesprochen, wurde seitdem Köpenick genannt und Stralau führte bislang auf seinen berühmten Fischkästen den großen Krebs als Wahrzeichen im Schilde. — Das war zunächst der Name, wie ober wurde Köpenick dem deutschen Einfluß unterworfen? Ostlands- fahrer waren es, die um das Jahr 1200 ihren Fuß auf Sumpf und Sand de» Spreegau«» setzten. Ostlandsfahrer, denen die cheimat west- lich der Elbe zu enge wurde. Sie kamen und rodeten Wälder und
pflanzten Felder, trieben Handel und gründeten Städte und Dörfer. Wir wenden unsere Anteilnahm« allein der deutschen Siedlung in Köpenick zu und können sagen, daß im Hinblick aus jene Zeit unsere Sage das Rechte trifft; nämlich: die Fischerei allein gehörte den Wen- den. Den deutschen Solonisten gehörte durch den Loden und seine Er- Zeugnisse auch der Handel. Wie überall hatten die Wenden auch hier den Gemeinbesitz den Deutschen überlassen, und wo noch vor kurzem der leichte wendische Hakenpflug die Erde oberflächlich und„unnahr- haftig" umwarf, arbeitete nunmehr der niedersächsische oder schwä- bische Bauer put dem schweren Eisenpslug. Er fühlte, daß er zum erstenmal Neuland durchschnitt. Hufe reihte sich an Hufe, die Häuser wuchsen und das Gebiet der kleinen Stadt dehnte und streckte sich in dieser Zeit. So lernten sie Grenzstein und Grenzfließ, Grenz- bäum und Grenzhügel, Grenzweg und Grenzwall kennen. Die Wenden aber zogen sich an Frauentag und Dahme zurück, wo sie, ab- und ausgeschlossen vom deutschen Gemeinwesen, In ihren Fischer- Hütten,«cbxca" genannt, wohnten, au» denen sich später die„Siehe" entwickelten. Der Kampf um den Sesitz. Aus dieser Zeit meldet die„Cbronica marchionium Branden- burgensium":„Die Brüder Johann und Otto traten Anno Domini 1220 an und hatten, weil sie Kinder waren, den Grafen Heinrich von Anhalt zum Vormund. Als der jedoch(122S) aus der Bor- mundschaft geschieden, beherrschten sie unter ihrer Mutter Heirat ihr Land mit Einsicht. Nachdem sie aber herangewachsen waren, lebten sie, einander beratend und einträglich, wie sich's für Brüder gehört, zusammen. Durch solch Zusammenhalten warfen sie ihre Gegner nieder, brachten ihre Freunde zu Ehren, vergrößerten ihr Geoiet und nahmen zu an Ruf, Ruhm und Macht. Vom Herrn Barnem«rhiellen sie die Ländchen Vorn, Teltow « und andere mehr." Um das Jahr 1240 brach für Köpenick eine schwer« Zeit an. Die Askanier waren wegen ihrer Grenzburgen.Ftoppenick und Müddenwalde" in ernste Kämpfe mit Markgraf Heinrich dem Erleuchten von Meißen verwickelt worden. Sie hatten zunächst die Entscheidung des Erzbischofs Wilbrand von Magdeburg angerufen und ihm beide Schlösser übergeben. Der Kirchenfürst hielt sie dann auch längere Zeit mit seiner Mannschaft besetzt, überließ sie aber, als er den Frieden nicht herzustellen vermochte, dem Meißner. Da- durch war das geheime Einverständnis mit Meißen und Magdeburg sichtbare Tatsache geworden, und es blieb den Askaniern nichts übrig, als zum Schwerte zu greifen. Bier Jahre hindurch schwankte das Krieasglück zwischen beiden Parteien; es gelang Heinrich von Meißen , das Land Köpenick bis Strausberg mit Raub und Brand zu verwüsten. Erst nachdem Wilbrand, der Erzbischof, sowie Ludolf, der Bischof von Halberstadt , am Bieseflühchen in der Allmark von Johann überrascht und vollständig geschlagen waren, und auch Mark- gras Heinrich bei Mittenwalde eine entscheidende Niederlage er- litten halle, kam durch die Vermittlung der Ritter Gottfried von Wedding und Burchard von Erxleben ein Vergleich zustand«, in dem Köpenick und Mittenwalde wieder askanisch wurden. Von neuem begann der Kampf gegen Sumpf und Wasser, Wald und Flugsand: von neuem erstanden Dörfer und Städte und Durgen. Und e» war recht und billig, daß olle die, welche sich schon eines Erfolges freuen durften, mithalfen, indem sie nach der Höh« ihrer geldlichen Verpflichtungen herangezogen wurden. Im übrigen lag
Köpenick im tiefsten Dornröschenschlaf, ohne eigene Bedeutung. Das dahinstnkende 13. Jahrhundert erwähnt seinen Namen nur noch einmal, als Berlin am 28. September 1298 vom Markgrafen Otto IV. die Niederlage und den Zoll von Flößen und Schiffen erwirkt, die durch Fürstenwalde und Köpenick gehen. Selbst über den Kaufpreis sind wir diesmal unterrichtet. 200 Talente branden- burgische Münze bedeuten nämlich S2 800 Silberpfennige oder, nach dem Gewicht berechnet, mehr als 8 Kilogramm Silber.
Jedoch zeigt dieser Verkauf schon— wie viele, die ihm voran- gingen und noch folgten—. daß die Staatsautorität im Schwinden war. Die Fürsten brauchten Geld, um ein prächtiges Hofleben zu führen, und verpfändeten und verkauften eine Gerechtsame nach der anderen. Es war, traditionell betrachtet, eine Zeit des Ver- falles; das große römische Imperium starb dahin; die Hansa über- wand es innerlich. Die Städte wuchsen und wurden reich und schlössen sich zur Wahrung ihrer Rechte zum mittelmärkischen Städtebund zusammen, dem im Jahre 1323 auch Köpenick beitrat. Zwei Jahr« später, am 2. Juli 1325, ließ es sich vom Markgrafen Ludwig die Stadtrechte bestätigen. Das war so der Anfang dieser Stadt, die im Laufe der Jahre nach schweren inneren und äußeren Kämpfen immer fester in die Arme Berlins geriet. Wie sich diese Entwicklung vollzog oder voll- ziehen sollte, das ahnte bereits 1876 ein aller Berliner Bänkelsänger Christoph Wild in einem Scherzgedichte„Groß-Berlin", das Iaster seinem Werke eingefügt hat und das so lautet: Berlin , mein Kind, wird jetzt Provinz, Eine Menge Orte sind'»; Merk' als neu vor allen diese: Schießplatz und die Mickreitzwiese, Zwiebusch-, Wühl- und Iungfernheide, Dahlem . Ober- und Nieder-Schönweide, Tegel , Schönholz, Kietz und Britz , Steglitz , Lanck- und Schmöckewitz, Alt-, Neu-, Schöne-, Lichtenberg und Pankow , Friedrichs-, Scharfenberg und Treptow , Auch gedenke Köpenicks; Von den Dörfern merke Rix-, Schmargen-, Dall-, Deutsch -Wilmers-, Gießen - Marien-, Reinicken-, Heinersdorf , Süßen Grund, Eierhäuschen, Tiergartenforst, Rauchfangswerder und Karlshorst , Südend, Tempel-, Adlershof und Friedenau, , Kanne. Plötzen-, Weißensee und Stralau; In Charlotten-, Rummelsburg , Boxhogen, Magst nach Friedrichs-, Lichterfelde fragen, Auch Saatwinkel, Grünerlinden, Nieder-, Neu-, Hohen-Schönhausen wirst du finden: Endlich aber sind dabei Lohmühlen und die Buschmeierei: Was vorher schon Berlin genannt, Setzt voraus man als bekanntl
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Gif. Das Weib, das den Mord beging. 1s Roman von Fritz Reck-Malleczewea. Es gibt Berliner Straßen, die so finster und schaurig sind. als schaue man in die Mündung einer Kanone. Und so bar aller äußeren Ehren sind dies« Straßen, daß diese Ehrlosigkeit selbst auf ihre Kirchen abfärbt, und daß es scheint, als werde hier ein besonderer, aus Formalitäten wenig Wert legender Gott verehrt. Und so, wie diese titanische Stadt, heute darin schon dem Giganten New Bork ähnlich, sich ein Slawen- und ein Chi- nesenviertel anzulegen beginnt, wie es in ihr ethnographisch und regional bedingte Laster, Umgangsformen und Speise- tanen gibt; so zeugen auch die Kirchen dieser Stadt, die hier vornehm ist wie alter Brokat und dort gemein wie Preß- kristall, von einem durch das jeweilig« Stadtviertel geprägten Gottesbegriff. Daß, wer die Hedwigskirche besucht, vornehm ist, wie«in Mallheserritter, hängt, da Katholiken hier nun einmal rar sind wie Thunfische im Wannsee , mit der Seltenheit der Kon- fession zusammen. Dafür aber gibt es höchst protestantische Kirchen mit vor- wiegend weiblichen und adeligen Gemeinden da steht ein jugendlicher Divisionspfarrer auf der Kanzel mit rosarot po- lierten Nägeln und weiß eigentlich selbst nicht genau, ob er nicht am Ende ein Gardeleutnant ist. Ist aber der Gott, von dem er spricht, nicht ein anderer als der, der etwa in der Lichtenberger Glaubenskirche verehrt wird? Ich für mein Teil habe meine eigenen Gedanken über den Gott der im neuen Westen von Geheimen Regierungsbau- räten zu schaurigen Gotteslästerungen ausgetürmten Monster- kirchen. Und selbst vor dieser Behauptung will ich nicht zurückschrecken, daß Ehen, die etwa in der Parochialkirche ge- schlössen sind, anders verlaufen, als die aus der Kaiser- Wilhelm-Gedächtniskirche stammenden, wo die Brautpaare so vornehm sind, daß sie während der Trauung sitzen und wo auf der Orgelempore«in ausgekrähter Tenor singt:„Wo du hingehst, da will auch ich Hingehn."
Was dann durch den weiteren Verlauf dieser Ehen ja meistens dementiert wird.— Was nun aber für ein Gott über der Ehe der kleinen Eis gewaltet hat, die an einem anerkannt scheußlichen Oktobersamstag des Jahres neunAehnhundertzweiundzwanzig in der Berliner Marienkirche mit dem kleinen Kunstmaler Robby getraut wurde: dies will ich lieber nicht untersuchen. Daß die Ritter unserer lieben Frau, die einst dieser Kirche den Namen gaben, über den Kurfürstendamm ritten, ist schon allzulange her. Und da steht nun der Dom, umbraust von dem fernen Donner der Lastautomobile und der irrsinnigen Klaviatur der Boschhörner... steht unzeitgemäß in diesem Berlin wie ein katholischer Märtyrer, der sich s einfallen ließe, mit seinen Folterwerkzeugen die Bar des Ädlon-Hotels zu betreten. Und so wollen wir denn auch lieber von dem alten gotischen Gott, der einst so eine Frauenhand durch die fest- gefügte kleine Welt leitete von Kindsbetten und Taufen und Sterben und viel Leid und spärlichen Freuden: nein, wir wollen von ihm lieber nicht sprechen. Und von dem anderen, der es zu lieben scheint, daß seine Geschöpfe tief in den Staub fallen und der eigentlich ein Gott der Menschenkinder mit zwei Iahren und sechs Monaten Zuchthaus ist: von ihm lassen sich einstweilen nur solche höchst einfache Geschichten erzählen wie die dieser kleinen Lithographentochter, die an jenem an- erkannt scheußlichen Oktobertage des Jahres neunzehnhundert- zweiundzwanzig Robby heiratete. Daß diese Heirat in der Marienkirche sich vollzog, obwohl sie eigentlich doch in den Westen gehört hätte, lag wohl daran, daß der Bräutigam als Kunstmaler für gotische Dome schwärmte. Und wenn es der abgelegenen Kirche zum Trotz eine ganz erstklassige Hochzeit war mit rotem Plüsch und Palmen, so war es eben eine erstklassige Familie, in die die klein« Sif heiratete... eine Familie mit Regierungsräten und Staatsanwälten; und selbstverständlich wollte eine solche Familie durch das Aeußere der Trauung allein es verdecken oder wieder gutmachen, daß ihr Robby eine kleine verwaiste Handwerkertochter heiratete, deren Bater von irgendwoher, von Schweden , vom Monde oder aus einem Märchen einge- wandert war.— Item: in dem Oktoberwind, unter den Bottichgüssen des Regens fahren die Kutschen aus. Und die Kutschen entleeren
Majore a. D. und alte Iustizrätinnen, die eigentlich wie freund- liche Krokodile aussehen. Und alte hochbetitelte Rou�s steigen aus, Geheime Räte mit gesteigertem Blutdruck und Orden auf Blinddarm und Milz ; Freunde des Bräutigams... Akademie- jünglinge mit Wellanschauung und geliehenem Frack... Staatsanwalt Alexander, Lex genannt, Robbys Bruder, statt- licher Mann mit Hitlerbart unter der Nase und Peau d'Es- pagne im Taschentuch. Und dann wieder Damen... Brautjungfern und alte Damen mit repräsentativen Staatsroben, deren Silberorna- mente sicherlich von einem erstklassigen Spezialisten für Fleck- typhus und Masernausschlag entworfen sind. Wie nun die kleine Tis, ohne zu ahnen, wie schön sie ist in ihrer herben Iungmädchenpracht... wie sie alle Gaffer glücklich passiert hat und das Innere betritt, da eben geschieht etwas höchst Seltsames: daß nämlich in dem Mittelgang, der doch sorgfältig freigehalten ist für den Brautzug, ein Mann steht, der sie anscheinend nicht an sich vorüberlassen will. Und seltsam ist, daß Robby den Mann gar nicht zu sehen scheint, und sehr seltsam ist dieses bartlose alt« Gesicht mit den großen traurigen Augen, das gar nicht zu dem eigentlich knabenhaften Körper passen will. Und höchst sonderbar ist auch das Ding, das der Fremde da in der Hand schwenkt... eine Halskette oder ein Rosenkranz... und das allerfeltsamst« ist, daß er in dem gleichen Augenblick, wo Sif ihn ins Auge faßt, auch schon verschwunden ist. Eine Sinnestäuschung also und nichts weiter! Sie geht tapfer geradeaus auf den Altar zu, geht über alte in die Fliesen eingelegte Grabstein«, deren Figuren wie Pfeffer- kuchenmänner aussehen, geht und ist durchaus entschlossen, da? alte traurige Gesicht des Nebelmannes zu vergessen. Aber dann eben setzt das volle Werk der Orgel ein, und halb ist das sehr schreckhaft wie die Posaune des Jüngsten Gerichts, und halb wieder erinnert es sie an die Iahrmarktsmusik zu Schauerbildern, die sie als Kind gesehen: der Dampfer„Ti- tanic" geht unter mit händeringenden Menschen und funken- stiebenden Kaminen und grellen Schcinwerferbahnen... Raubmörder Sternickel beansprucht sechs Bilder mit türkischrot gemalten Blut- und Leberwursttragödien, und den armen Russen, die gerade in die masurischen Seen sprchgen müssen, geht es auch gar nicht gut bei dieser schrecklichen Srgelmusit. (Fortsetzung folgt)