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Donnerstag 24. März 1927

Unterhaltung unö AAssen

Seilage öes vorwärts

«Wir flnö Gefangene." Don Oskar Maria Graf . (Schluß.) Und nun antwortete es auch schon aus allen Zellensenstern rundherum, von unten bis oben, von links bis rechts, kreuz und quer, das ganze Haus schrie: Levinö-Nissen!" Drunten im chof knackte es. Alles drängte sich an die Fenster. Grelles Kcnnmandieren drang von unten herauf. Maul halten! Weg vom Fenster! Weg! Still mit dem Spektakel da droben! Weg. weg!" gellten Soldatenstimmen, und plötzlich knallten elliche Schüsse heraus, daß die am Fenster wie weg- geschlagen in die Zelle zurückflogen. Einige Augenblick« war es still, dann schimpfte es aus allen Zellen:Sauhunde! Dreck- schlawiner, windige! Am Arsch leckt's uns!" ..Ich ich hob's gesagt, ich hab'sk gesagt, fetzt geht's uns schlecht!" jammerte der Sportkostümler, aber keiner hörte auf ihn. Immer wieder rannten Wütende ans Fenster und fluchten hinunter. Eine erbitterte Kühnheit war in alle gekommen, sogar die Schieber und der ängstliche Redakteur wetterten. Und weil es schon so war. sing ich an mit einigen, die um mich waren, die Marseillaise zu singen. Immer mehr sielen ein, die Zell « sang und wieder sang das ganze Haus. Es war bloß schade, daß die meisten nur einen Vers wußten. Ruhe! Ruhe, Bande!" schrillte es schon wieder im Hof drunten. Wir stimmten die Internationale an. Aufhören! Maul halten da droben!" drohte es noch einmal. An Dreck und o Photographie!" johlte einer hinunter, und von allen Seiten erscholl Gelächter. Und jetzt singen wir das schöne LiedSchmiert die Guillotine!" sagte ich mutig, und weil es keiner kannte, sagte ich eifrig die Dcrse auf, zu jedem ging ich und lernte ihn an. Also, also, jetzt! Jetzt geht's an. jetzt also!" schrie ich und schwang belustigt wie taktschlagend meine Arme:Schmiert die Guillotine! Schmiert die Guillotine!" Alle waren dabei. Es dröhnte förmlich. Auf einmal brachen wir alle ab. Die am Fenster warnten hastig:Jetzt kommen's!" Um Gottes willen, wir sind verloren!" wimmerte der Sport- mensch und lehnte sich wachsbleich an die Wand. Wir drängten uns wie gewöhnlich aneinander vorüber und redeten gleichgültig. Ja, ja, kommen schon! Horch! Horch!" rief wer von der Türe her. Wir lauschten. Drunten hörten wir Lärm und Zellen- türenschlagen. Schwere Sticfellrstte kamen über die Steintreppen herauf. Keiner hat gesungen!" rief einer halblaut:Wer was sagt, ist hin!" Jeder oerstand es. Die Tür ging auf, und ein Leutnant mit dem Revolver und einer Hundspeitsche trampelte mit drei Soldaten herein. Wer hat hier gesungen!? Hier war's! Antwort!" fragte er schneidend. Keine Antwort. Stumm blickten wir olle auf ihn. Er fuchtelte förmlich schlaggierig mit der Hundepeitsche." Hier war's! Wer hat gesungen?!" Stumm blieb es. -.».Krieg ich Antwort oder nicht!" drohte er. .Jjier hat keiner gesungen... Da hinten weinen zwei," er- widerte ihm endlich ein hünenhafter, ausfallend breitschulteriger Ar- bester ruhig, und deutlich tonnte nian hören, wie die meisten aus- atmeten. Der Ofizier blieb einige Augenblicke in diesem dumpfen Schweigen stehen, machte eine rasche Kehrtbewegung. drehte noch einmal den Kops herum und rief schnarrend:Ra wartet nur, ihr Kerle! Ihr kommt olle noch an die Wand!" Es wirkte aber nicht. Sporcnklirrend verließ der Mann mit seinen Soldaten die Zell «. Wir warteten eine Weile stumm, und jeder hatte ein gleichmütiges Gesicht. Der Redakteur sagte endlich:Das werde ich mir mal merken." Dann fingen auch wir wieder zu reden an. Anfangs war es eigentlich ganz unterholllich hier, nur die Nächte sollten nicht gewesen sein, und wenn man beim Tag durch die Gitterfenster zum schönen, blauen Himmel hinaufschaute, wurde man mürrisch und ungeduldig. Vier bis fünf Tage war es wie ein Warten, allmählich aber fing die Zeit an. sich unerträglich zu dehnen. Es gab Stunden, da war jeder unzugänglich und brummig. Die Angehörigen durften jetzt das Esten bringen und zum Türloch hineinreichen. Das Fräulein kam fast jeden Tag, wir wechselten elliche hastige Worte, und Schluß war es wieder. Ein- mal erschien auch meine Frau und jammerte mir vor. Ich konnte nichts darauf sagen und war froh, daß der Wärter n»r etliche Mi- nuten duldete. Nach einer Woche kam ich zum Verhör. In einer Stube, wo vor jedem schreibenden Ausfrager ein Häftling feine Angaben zu machen hatte, wurden meine Personalien aufgenommen. Dann fragte mich der kleine, dicke Kommissar:Haben Sie was anzu­geben?" Das wollll ich eben Sie fragen," sagte ich frech darauf. Was?" frug der Polizist scharf. 3a. ich wollt' Sie«ben� fragen, was Sie über mich anzugeben haben." wiederHolle ich versteckt boshaft. Also Sie haben nichts anzugeben?" Nein." Wieder fragte der Mann:.Kaden Sie Enllastungszeugen?" Ja," sagte ich gedehnt und besann mich ein wenig,wenn ich keine B e lastung Hab', dann brauch' ich doch auch keine E n t- lastungszeugcn." Also Sie haben einfach gar nichts anzugeben?" fragte der Kommissar kurz und griesgrämig«ilsam. Nein." Er schrieb. Ich muhte ein Protokoll unterschreiben. Als ich wieder in die Zelle kam, waren neue Leute gekommen. Lauter Arbeiter. Einer stand traurig immer unterm Fenster und schaute vor sich hin. Auf Fragen antwortete er:Ruinieren wallen sie mich... Ich war im Luitpoldgymnasium und Hab' meine Löhnung holen wollen... Jetzt bin ich Geiselmörder." Wester sagt« er fast nichts. Er war ruhig und bedrückt. In vier Tagen war er grauhaarig. Später hat man ihn zu fünfzehn Iahren Zuchthau» oerurteilt. Mit ihm hatte man einen mittelgroßen, leicht ongefetteten Bäcker eingeliefert. Er war immer guter Dinge und erzählle frei heraus, daß er die Erschießung gesehen hälle, einer habe ihm das Gewehr gegeben, und er habe es ihm geHallen, weil er austreten mutzte. Später hat man ihn zum Tode oerurteill und erschossen. Pürzer hieß er. Dienstwillig war er jedem gegenüber, machte derbe Spähe und hatte etwas von einem gutmütigen Tier. Einmal schrie der Wärter zum Türloch herein:, Kaste nberger!", Der Ärbeiter, welcher in den ersten Tagen so hitzig noch seiner j

9er Strafanftaltspfarrer.

Der Oberpfarrer Drusch?« vermittelte lm Gefäugvi» den verkehr von Oberleutnant Schulz uad v. Poser.

.das Christentum oerlangt es. Steht doch geschrieben: Meide meine Unschuldslämmer/

Frau verlangt hatte, schnellte van der Pritsche auf, auf der man ihn stets liegen ließ und rannte ans Loch. Ihre Frau ist gestorben!" rief der Wärter gleichgültig kurz und ging. Kostenberger blieb etliche Augenblicke stocksteif stehen und glotzt« geradeaus. Jeder, der um ihn stand, wartete auf einen neuen Tobsuchtsansall, aber der Mann knickte nur ein wenig zu- sommen. schnaufte und kroch wieder aus seine Liegestatt. Er drehte sich zur Wand und sagte nicht ein Sterbenswort. Nachts plötzlich fing tn dieser Ecke ein Geschrei an, und wir hörten dumpfe Auf schläge und ein fast röchelndes Keuchen. Kastenberger schlug seinen Kopf unausgesetzt mst aller Wucht an die Wand, und als ihn einige überwälligten, biß er einem fast den Finger ab. Es gab einen be- drohlichen Tumnll. Wir schlugen Lärm und meldeten dem Wärter, Der ging wieder. Erst nach fast einer. Stunde war es wieder ruhig. Am anderen Tag lag Kastenberger mit einer schwere» Verletzung am Kopf, blutüberströmt aus dem Rücken. Er rührte sich nicht, als man ihn anredete, er ließ sich das dreckige angenäßte Sacktuch drüberlegen, sich abputzen. Er schnaufte nur ob und zu schwer auf. Erst zwei Tage darauf wurde er weggebrocht.

Runö um Sie Zeitung. Die Heiligung der Presse. Die irdische Vertretung des lieben Gottes wird immer zeitge- mäßcr. Sie legt ein Lorurteil nach dem anderen gegen die moderne Entwicklung ab und macht sogar ihren Frieden mit der Presse, indem sie diesem Teuselswerk auf Kirchenfenstern huldigt. Die New Porker Kathedrale St. John the Divine(Heiliger Ja- Hannes) soll ein Mosaiksenstcr zu Ehren der Presse bekommen, dessen Herstellungskosten in Höhe von rund 2�l>N00 Dollar amenlanischc Zeitungen aufbringest wollen. Der zuständige Bischof W. T Man- ning erklärte begründend: ,.. Dies« Huldigung ist die nationale Anerkennung des guten Einslustes, den die Presse auf das Schicksal von Millionen ausübt. Sie soll verhindern, daß die Männer, die an den Funda- meisten der öffentlichen Meinung bauten und weiter bauen, hin- fort ungeehrt und unbesungen vergessen werden..." Ausgezeichnet. Durch farbige Kirchenfenster fällt das Licht der Wirklichkest gebrochen und verklärt in den Tempel des Herrn. Das gibt Stimmung, und Stimmung ist die Hauptsache. Kirche und Presse erkennen sich auf dem Gebiete ihrer Erzeugung fortan als ebenbürtig an. Wer aber zahlt die Kosten? Das geheiligle Geschäft. Selbstverständlich gill der Dienst der Zeitung den öffentlichen Interessen, der Allgemeinheit und ihrer Belehrung. SonderiMer- essen kennen die großen Weinungsfabriken nicht einmal dem Be- griffe nach. So kostet z. B. die Sonnabcndnummer derNew Porkcr Times" 5 Dollarcents. Sie liefert dafür bedrucktes Pavier. das einen Selbstkostenpreis von 12 Dollarcents beansprucht. Und den- noch bringt diesGeschält" soviel ein. daß es einen Wolkenkratzer von 17 Stockwerken braucht und die Arbeitskraft von etwa 3000 An­gestellten verschleißt. Den Druck besorgen 80 Rotationsmoschinen. Die Bilanz ist sehr aktiv. Zwei Drittel des Zeitungsumfanges werden nämlich für Inserate verbraucht. Die bringen das Geld und decken die Differenz zwischen Selbstkosten- und Verkaufspreis plus Gewinn. (Alles im öffentlichen Interesse und zum Borteil der Leser, die selbstverständlich unparteiisch aufgeklärt werden.) Auch dieSaturday Evening Post"(Samstagabend-Post), die illustrierte amerikanische Mammutwochenschrist, pflegt die allge- meinen Interessen und mauyrt an den Fundomenten der öffentlichen Meinung durch Inserate. Eine Seite kostet zwischen SOOO und 16000 Dollar und muß für gewöhnlich monatelang vorher bestellt werden. Wer das tut und zahlen kann, wird mit seiner Ware in 2,7 Millionen Exemplaren derSaturday Post" über die Staaten ausgelobt... 1011 verinseriert« man in den Vereinigten Staaten rund 230 Millionen Dollar, 1920 bereits über 600 Millwnen. Für 1S2S schätzt

man das amerikanische Inscratcngcschäft aus etwa eine Milliarde (Dollar natürlich). Kein Wunder, daß alle Gewalten sich vor der Macht bedruckten Papiers beugen. Zumal, wenn es selbst für ein Inserat in Kirchen- scnstcrform eine Viertelmillion Dollar bezahlen kann.... welklauf mit dem Ereignis. Weshalb wir immer unrvmanttscher werdeii? Sehr einfach, wir kennen keine Neugierde, keine Hoffnunq auf das Unbekannte mehr. Die Maschine hat uns beides gestohlen. Die Ungewißheit. diese teils aufregende, teils zermürbende, Im ganzen aber erfrischende Neroenmassage/ kann sich nicht mehr entwickeln: die Druckmaschine schlägt sie schon in ihren Anfängen tot! Die Londoner Daily Mail" baut sich jetzt ein neues Geschäfts- haus, in dessen Maschinensaal 42 Pressen stehen sollen. In einer einzigen knapven Stunde werden sie die Gesamtauflage des Blattes von zurzeit 7bZ 000 Exemplaren, je mindestens 24 Seilen stark, aus- gedruckt haben. 210 pro Sekunde! Gezählt, gefalzt und Versand- fertig gebündelt! Größlich: eine ausgedruckte Zettung wird in Z Minuten durch- flogen, Makulatur. Eine Stunde nach dem Ereignis ist es Maku- latur, lockt keinen Hund mehr hinterm Ofen vor. Die Druckmaschine hat es entgöttert, indem sie seine Geburt verkündet, bevor noch recht der Nabelstrang zerrissen. Die Technik mordet die Erwartung, unser bestes Teil. Der- fluchtcs Tempo! häusliche Intimitäten. England ist prüde. Sagt man Hofe, fällt eine richtige Miß in Ohnmacht, sagt man Bauch, kriegt sie Krämpfe. Aber ibre Zeitung liest sie gern, las sie gern, denn jetzt darf sie nicht mehr schildern, wann, wo und wie nian sündigt mit dem, was die Hose birgt. Malheur, Malheur.... Die englischen Zeitungen konnten ihre Leser. Sonst sachlich und korrekt bis zur Langenweile, gestalteten sie eine Ecke gerichts- stenographisch aus: die der Ehescheidunas- und sonstigen Skandal- Prozesse. Haargenau konnte man da lesen, wann Mister I mit Miß V oder Mistreß Z gegen sein Ehegesponst gesündigt hatte, wi», wie oft, wann. wo. in welchem Kostüm, mit welchen Taten, schrlft- lich oder in Persona, vermittels Bett, Sofa, Stuhl, Tisch, Schoß, Teppich und sonstiger Gelegenheiten, die zur Sünde locken. Damit ist jetzt Schluß gemacht. Ein kürzlich veröffentlichtes Gesetz verbietet fortan die Schilderunghäuslicher Intimitäten" In der Presse, woninter besonders die Wiedergabc von Details aus Ehescheidungs- und ähnlichen Prozessen verstanden wird. In Zu« kunft dürfen nur noch die Noincn der beteiligten Parteien, der Zeugen und Richter sowie die Entscheidung und Gründe der Jury nebst dem Urteil veröffentlicht werden. Undelikyte Enthüllungen in der Verhandlung selbst, die eigentliche Seelenspeise der prüden Züchtigen, die nicht dabei waren, sich aber gern in die Roll« der Helden versetzten, um dann um so bester schmöhlen zu können, also undelikate Begebenheiten muß die Preise verschweigen, wenn sie nicht bis zu vier Monaten Gefängnis und bis zu SOO Pstrnd Geldstraf« riskieren will. So wird den Engländern wieder mal ein Vergnügen geraubt, die Freude am Abglanz der Wirklichkeit, über die man erröten darf. wenn andere sie üben. Wie aber soll die Preste nun ihre Leser und Leserinnen bilden und belehren, wenn sie ihnen die Wahrheit am abschreckenden Beispiel nicht mehr verdeutlichen darf? Die Zeitung als Lotterie. Zurzeit geht überall das Kreuzworträtsel um. Auch die Zei- tungen sind davon befallen und setzen Preise in Wettbewerbunge» aus. Am tollsten wütet der Bazillus jetzt in Glasgow , wo die Post- Verwaltung festgestellt hat. daß in letzter Zeit ollwöchentlich über Postanweisungen an Gewinner in Kreuzworträtselbcwerben 8000 bis 10000 Pfund von Zeitungen und Zeitschristen versandt wurde». Diese wiederum bekamen im Durchschnitt der letzte» Wochen rund 2S0 000 Briefsendungcn in Kreuzworträtselangelegenheiten, in einer besonderen Wettbcwerbswoche sogar etwas über 400 000! Drei Biertel der Einsendungen kamen aus England selbst, die übrigen aus den Kolonien und dem Slusland. Um dieser Flut Herr zu werden, hat die Post eine Anzahl Hilfs- kräfte anstellen müssen. Ans Dankbarkeit wollen diese einen Verein gründen und sämtliche Glasgowcr Zeitungen und Zeitschriften abonnieren, außerdem aber für das Kreuzworträtsel Propaganda machen. Woraus abermal« die Kulturbedeutung der Presse erhellt..,,