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Abendausgabe

Nr. 14944. Jahrgang Ausgabe B Nr. 74

Bezugsbedingungen und Anzeigenpreife find in der Morgenausgabe angegeben Redattion: SW. 68, Lindenstraße 3 Fernsprecher: Dönhoff 292- 292 Tel.- Adresse: Sozialdemokrat Berlin

10 Pfennig

Dienstag 29. März 1927

Vorwärts=

Berliner Volksblatt

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Zentralorgan der Sozialdemokratifchen Partei Deutschlands

Abbau der Erwerbslosenfürsorge?

Die Regierung des Bürgerblocks will sparen.

Durch Verordnung vom 24. März ist die Geltungsdauer des Gefeßes über eine Krisenfürsorge bis zum 30. Juni 1927 verlängert worden. Gleichzeitig wird in der Verordnung er­flärt, daß das Recht der Reichsregierung, mit Zustimmung des Reichsrats einzelne Berufe oder Bezirke von der Krisen fürsorge auf einzelne Bezirke oder Berufe zu beschränken und die Fürsorge zeitlich zu begrenzen, unberührt bleibt.

Es wäre richtiger gewesen, die Geltungsdauer des Gesetzes über die Krisenfürsorge uneingeschränkt bis zum Infrafttreten des Gesetzes über eine Arbeits­lofenversicherung zu verlängern, um von vornherein die notwendige Beruhigung und Sicherheit zu schaffen. Für eine Herausnahme einzelner Berufe oder Bezirke aus der Krisenfürsorge besteht bei der immer noch anhaltenden äußerst schlechten Lage des Arbeitsmarktes nicht der gerinaste Anlaß. Der Ausschuß für Erwerbslosenfürsorge des Ber­waltungsrats des Reichsamtes für Arbeitsvermittlung hat deshalb auch eine allgemeine Verlängerung der Krisen­fürsorge gefordert.

Der Reichsarbeitsminister versucht nunmehr zu seinem Ziele auf einem Umwege zu fommen. Der Verwaltungsrat des Reichsamtes für Arbeitsvermittlung hatte sich auch für die Beibehaltung der gegenwärtigen Bezugsdauer in der Erwerbslosenfürsorge ausgesprochen. Diese Beibehaltung ist deshalb von großer Bedeutung, weil die Krisenfürsorge nur solchen Erwerbslosen gewährt wird, die 52 Wochen hin Durch Erwerbslosenunterstützung bezogen haben. Der Reichs­arbeitsminister hat jedoch die Geltungsdauer feiner gegen­wärtigen Bestimmungen über die Bezugsdauer für die Er merblosenunterstützung nur bis zum 30. April verlängert. Er begründet das wie folgt:

Kein Kredit für Mologa und Ufa.

Die Auffassung der Reichsregierung.

Wie der Soz. Pressedienst meldet, hat sich die Reichsregierung gestern mit dem Stand der deutsch - französischen Handelsvertrags. verhandlungen beschäftigt. Außerdem hat sie sich mit den Sub. ventionsanträgen der Mologa und der Ufa befaßt. Ein endgültiger Beschluß wurde zwar nicht gefaßt, aber es besteht nach der allgemeinen Auffaffung innerhalb der Reichsregierung faum ein Zweifel darüber, daß sowohl ein Kredit für die Ufa als auch für die Mologa nicht in Frage fommt.

Zu den Beratungen über die Mologa- Angelegenheit erfahren wir noch:

Das Reichskabinett hat sich gestern mit der Angelegenheit der Mologa- Gesellschaft beschäftigt, an der deutsches und russisches Rapital beteiligt ist. Es handelte sich um die Frage einer Beteiligung des Deutschen Reiches an der Sanierung der Mologa. Eine solche Be­teiligung ist am 11. März von der Erfüllung gewiffer Bor­bedingungen abhängig gemacht worden, die eine rationelle Arbeit der Mologa in Zufunft sichern sollen. Es handelt sich um

eine finanzielle Entlastung von bisher bestehenden Verpflichtungen, um eine Ausgestaltung der Arbeitsbedingungen und um eine Brü fung des Statuts der Mologa durch Sachverständige. Diese Bor auslegungen wären zum Teil von russischer, zum Teil von deur Sete zu erfüllen. Bis zum 31. März müßte eine Einigung erfolgt fein, da die großen russischen Wechselforderungen an die Mologa bis zum 31. März prolongiert worden sind. Diese Einigung ist bisher nicht erzielt und es ist sehr fraglich, ob sie bis zum 31. März erreicht sein wird. Darum ist mit der Möglichkeit zu rechnen, daß eine Liquidation der Mologa eintreten wird.

Standgerichte in Ungarn .

Der Budapester Kommunistenprozeß. Bon Otto Landsberg .

Bir Sozialdemokraten verbinden mit der Liebe zum eigenen Volke die für alle anderen Nationen. Stets, wenn einem Bolte unrecht geschieht, treten wir als Anwalt in die Schranken. Unser internationales Denken gibt uns auch das Recht, wenn irgendwo ein Staat seinen Bürgern Unbill zu­fügt, uns dieser anzunehmen.

,, Da sich der Arbeitsmarkt inzwischen in einzelnen Teilen wesentlich gebeffert hat, behalte ich mir vor, einzelne Berufe oder Bezirte von der Verlängerung der Bezugsdauer auszunehmen, fo­bald sich diese Besserung auf Grund der bisher noch fehlenden Zahlenunterlagen genügend übersehen läßt. Das wird Anfang April der Fall ein Ich werde zu diesem Zeitpunkt auf die Gegen 53 ungarische Männer, Zoltan, Szanto und Ge­Bemessung der Bezugsdauer zurüdtommen." nossen, ist ein standgerichtliches Verfahren wegen Auf­Es ist also geplant, für einzelne Berufe oder Bezirke die ruhrs eingeleitet worden. Urteile eines ungarischen Stand­Bezugsdauer für die Erwerbslosenunterſtügung zu vergerichtes, die die Schuld des Angeklagten bejahen, können Bürgerblocks: die Inanspruchnahme der Erwerbslosenfür von 53 Todesurteilen muß das Herz jedes Menschen erheben Zweierlei erreicht damit die Regierung des nur auf Todesstrafe lauten. Die Möglichkeit der Verhängung forge wird eingeschränkt; die Inanspruchnahme der Krisen­fürsorge wird für die betroffenen Erwerbslosen unmöglich gemacht, denn die Krisenfürsorge tritt nur für Erwerbslose ein, die 52 Wochen hindurch Erwerbslosenunterstügung be­3ogen haben und diese Unterstützung deshalb nicht mehr er­Reichsarbeitsministers noch die Zahlenunterlagen, halten fönnen. 3war fehlen nach den Erklärungen des das hindert ihn jedoch nicht, von einer wesentlichen Befferung des Arbeitsmarftes in einzelnen Teilen zu sprechen.

Wie es in Wirklichkeit mit dem Arbeitsmarkt bestellt ist, zeigen die 1661000 Hauptunterstüßungs empfänger in der Erwerbslofen- und Krisenfürsorge. Diese Zahl ist immer noch wesentlich höher als bei Schaffung des Gefeßes über eine Krisenfürsorge für Erwerbslose. Das Gesez wurde am 19. November verabschiedet, am 15. No vember hatten wir 1316 758 Hauptunterstützungsempfänger. Es tann also von einer wesentlichen Besserung bes Arbeits: marktes ernsthaft gar nicht gesprochen werden, vielmehr muß mit allem Nachdruck die Berlängerung der gegenwärtigen Bezugsdauer und die uneingeschränkte Verlängerung der Geltungsdauer der Krisenfürsorge verlangt werden.

den großen Ernst der Finanzlage an. Ja, er sehe noch schwärzer als die Borrebner, denn es stehen große Ausgaben im außerordentlichen Haushalt, die auf den ordentlichen Etat ge­hören, und daher nicht aus Anleihemitteln, sondern

aus laufenden Mitteln bestritten werden müßten.

machen.

Was wird den Angeklagten zur Last gelegt? Das Ge­wicht der Anklagepunkte steht zu der drohenden Strafe in einem Mißverhältnis, das zum Lachen anreizen könnte, wäre die Sache nicht in der vollsten Bedeutung des Wortes blutig eine fommunistische Partei organisieren, Barteischulen er ernst. Der Staatsanwalt wirft den 53 vor, daß fie in Ungarn richten, daß sie für den Jahrestag der Ausrufung der un­daß sie sich mit dem Plane getragen haben, zum Zwecke garischen Räterepublik eine Demonstration vorbereiten, der Herstellung von Flugblättern eine Druderei zu er richten. Das ist alles, was Polizei und Staatsanwaltschaft zusammengetragen haben.

tämpfenden nicht kommunisten, sondern Angehörige der Mir wird versichert, daß etwa 20 von den um ihr Leben Bagy- Partei sind, die mit der ehemaligen deutschen Unabhängischen Sozialdemokratischen Partei werden kann. Sie unterscheidet sich von der ungarischen So­verglichen zialdemokratie gewiß in pielem, nicht aber in der Grund­anschauung, die streng demokratisch ist. Es ist ausge­schlossen, daß die Bagy- Partei sich an einer Propaganda zur Förderung kommunistischer Bestrebungen beteiligt hat. Aber dies nebenbei. Wenn selbst alle 53 Angeklagten Bolschewisten sein und an den den Gegenstand der Anklage bildenden Handlungen teilgenommen haben sollten, ist die Anschuldigung nicht zu begreifen. Ein Blick in das un garische Strafgefeßbu ch läßt ihre Unbegründetheit fofort erkennen. Nach den§§ 152 und 153 dieses Gesetzes. ist Aufruhr eine Zusammenrottung zu dem Zwed:

1. den Reichstag , eines seiner beiden Häuser oder einen seiner Ausschüsse,

2. die mit der Behandlung der gemeinsamen Angelegenheiten ( das Gesetz stammt aus der Zeit der österreichisch- ungarischen Union ) betrauten Delegationen, eine von ihnen oder einen De­

Er nenne die Kreuzerbauten, Erwerbslosenfürsorge. Ferner feien mindestens auf drei Gebieten Forderungen zu er warten, für die feinerlei Deckung vorhanden ist. Die notwendige Er­höhung der Beamten -, Kriegsbeschädigten-, Liquidationsbeschädigten­bezüge werde mindestens 200 bis 300 Millionen erfordern. Von der Mitteilung des Minifters, daß ein Aufkommen von 1200 millegationsausschuß, lionen Marf die höchst grenze für bie Lohnsteuer 3. die ungarische Regierung gewaltsam oder durch gefährliche sein soll, nehme er Kenntnis, ebenso daß ein Mehr zur Senfung Drohung in der freien Ausübung ihrer Wirksamkeit zu hindern der Lohnsteuer Verwendung finden folle. Die Aufrechterhaltung oder zu einem Beschluß, einer Verfügung oder einer Unterlassung der Zudersteuer sei aber sehr bedenklich. Die Notwendigkeit zu zwingen, zur Droffelung der sozialen Ausgaben müsse er bestreiten. Man hätte solche Streichungen nicht nötig gehabt, wenn man die Garantie des Reiches für die Länder und Gemeinden hätte megfallen lassen. Die dadurch freigewordenen 65 Millionen hätten gerade genügt, um die 16 Millionen für die gestrichenen fozialen 3wede und die gestrichenen 50 millionen für Erwerbs. bekommen. Die Kinderspeisung sei losenfürsorge flüssig zu früher unzweifelhaft Reichsausgabe gewesen. Gerade bie Streichung dieser 5 Millionen werde im In- und Auslande den denkbar ungünstigsten Eindrud machen.

In der Abstimmung wurden sämtliche Anträge der Bürgerblodparteien angenommen, die der Oppofition

abgelehnt.

Ruhe in Schanghai .

Die amerikanische Kreuzermannschaft wieder eingeschifft. Washington , 29. März.( BIB.) Das Marinedepartement hat die Meldung erhalten, daß die gestern in Schanghai gelandeten Mannschaften des Kreuzers Pittsburgh " an Bord bes Schiffes zurückgekehrt sind, da heute in Schanghai Ruhe herrscht.

"

Der Haushalt des Reiches. Das Kompromiß des Bürgerblocks angenommen. Der Beratung des Haushalts der allgemeinen Finanzverwaltung wurde vom Ausschuß für den Reichs­haushalt in der Sigung vom Montag begonnen und am Dienstag beendet. Zu diesen Gigungen lagen die Anträge der Re- Neue amerikanische und japanische Truppentransporte. gierungsparteien für die Balanzierung des Etats vor. Aus ihnen erhellt, daß durch die bisherigen Beschlüsse des Reichstages eine

Mehrbelastung des Etats von 729 millionen eingetreten ist. Diese sollen gedeckt werben teils burch Erhöhung ber Einnahmefchägungen bei der Einkommen und Körperschaftssteuer und Einsetzung des Ueberschusses aus dem Jahre 1926 und des Betriebsmittelfonds, teils durch Kürzung von sozialen Ausgaben, darunter von 5 Millionen

für die Kinderspeifungen.

Im Laufe der Beratung nahm der Reichsfinanzminister das Wort, um sich dagegen zu verwahren, daß er irgendetwas verheim­lichen oder retuschieren wolle. Er werde dem Parlament stets mit größter Offenheit gegenübertreten. In eine Polemit mit seinem

Amtsvorgänger Dr. Reinhold werde er nicht eintreten, es erschiene ihm ein unmöglicher Zustand, daß der frühere Minister Zeitungs­artikel gegen ihn erscheinen lasse, auf die er dann im Parlament

antworten solle.

Genosse Dr. Herh erkennt mit den übrigen Distuffionsrednern

Washington , 29. März.( WIB.) Admiral Williams teilte dem Flottendepartement mit, daß Japan das Kriegsschiff Hirado" und acht Zerstörer nach Schanghai entsendet und daß fünfhundert meitere japanische Soldaten gelandet morden sind. Die Mobilisierung weiterer Marineeinheiten in den Bereinigten Staaten geht rasch vor sich. Die 1500 Mann Marinetruppen, die Staaten geht rafch vor sich. Die 1500 Mann Marinetruppen, die am Sonnabend Befehl erhalten haben, nach China zu gehen, werben iegt in Philadelphia , Quantico und anderen Bläzen mobilisiert und werden wahrscheinlich Anfang nächster Woche von San Diego ab: dampfen. Diefem Transport wird ein Marineluftgeschwader bei

gegeben, das aus zwölf Bombenflugzeugen und Kampf­flugzeugen besteht.

Der deutsche Gesandte in Wat schau, Genoffe Ulrich Rauscher , ist am Montag in Berlin eingetroffen Berlin hat sich nach Warschau begeben. Die Reisen der beiden Di. Der polnische Gesandte in plomaten stehen mit der Wiederaufnahme der deutsch polnischen Handelsvertragsverhandlungen im Zusammenhang. Es ist anzu­nehmen, daß diese Berhandlungen nach der Rückkehr Rauschers end. lich wieder in Gang fommen.

4. irgendeine Klasse der Bürgerschaft, eine Nationalität oder Religionsgemeinschaft bewaffnet anzugreifen. Man sieht, daß der Aufruhrbegriff des ungarischen Strafgesetzbuches ungefähr dem Begriff des Hochverrats im deutschen Strafgesetzbuch entspricht.

Das Verbrechen des Aufruhrs segt nach ungarischem Recht genau so ein tontretes Unternehmen zum gewaltsamen Sturze der Verfassung voraus wie der Hoch­verrat nach deutschem Recht. Es ist unfaßbar, wie man in das Unternehmen eines Aufruhrs erblicken kann. Wenn die den den Angeklagten vorgeworfenen Handlungen auch nur politische Betätigung der Angeklagten unter die§§ 152 und 153 des ungarischen Strafgesetzbuches fiele, so würde gar nicht abzusehen sein, weshalb Ungarn sich im Jahre 1921 ein Gefeß gegeben hat, das mit Zuchthaus bis zu 5 Jahren einen jeden bedroht, der eine auf den gewaltsamen Umsturz oder die Bernichtung der gesetzlichen Ordnung des Staates oder der Gesellschaft abzielende Bewegung oder Organisation an regt oder leitet, und mit Gefängnis bis zu 3 Jahren einen jeden, der an einer solchen Bewegung oder Organisation. tätig teilnimmt oder sie fördert. Wenn eine Ausdehnung des Begriffs des Aufruhrs, wie sie die Anklagebehörde im Brozeß Szanto versucht, zulässig wäre, so hätte es jenes Gesezes offenbar nicht bedurft.

flage liegt aber in der Stellung der Angeklagten vor das Das wirksamste Zugeständnis der Unmöglichkeit der An Standgericht, denn fie läßt flar erkennen, daß die für das Verfahren verantwortlichen Behörden von einer mit den Garantien der Strafprozeßordnung umfleideten Berhand­lung sich die Erreichung des gewünschten Erfolges nicht ver­

sprechen.

feßlich unzulässig. Denn durch ein ungarisches Gesetz Das standgerichtliche Verfahren ist zum Ueberfluß ge vom Jahre 1922 find alle Sondergerichte aufgehoben worden. Eine spätere Verordnung von 1925 erklärt zwar die Ein­fegung von Standgerichten für zulässig, aber ihr Wortlaut läßt es nicht zweifelhaft erscheinen, daß die summarische Ab­urteilung nur dann gerechtfertigt wäre, wenn der Aufruhr" der 53 fich gegen die Interessen der Kriegführung gerichtet hätte, und Ungarn ist gegenwärtig von einer Kriegsgefahr nicht bedroht. Der Bollständigkeit halber fei noch angeführt, daß das Standrecht vor der Erhebung der Anklage gegen Szanto nicht verfündet worden ist.