der arbeitenden Frau, aber in Gesiali genügender Mutterschaftsbeihilfe auch der Hausfrau, mit einem Worte: jeder Mutter! Die Nachrevolutionszeit hat un-s in dieser Hinsicht wich- tige Fortschritte gebracht. Sicherlich sind die unentgeltliche Hebammen- und Arzthilfe bei der Entbindung, das Wochen- und Stillgeld, die zwei Drittel aller Mütter in Deutschland erhalten, nicht gering einzuschätzen, und sicherlich' stehen wir damit an einer der ersten Stellen im internationalen Mutter- schütz. Aber das Beispiel des Washingtoner Abkommens lehrt ims, daß wir den letzten und wirklichen Mutterschutz f ü r a l l e Mütter nur im gemeinsamen Kampf aller Frauen erreichen werden, welche Sprache und Heimat sie auch immer haben. Deshalb freuen wir uns der internatio- nalen F r a u c n w o ch e: Sie soll uns auch die Parole für die Forderung bieten, daß die Mütter unter erträglichen Ber- hältnisten der Welt das neue Leben geben können, das körper- lich und geistig stark genug ist, die Entwicklung der Welt zu lenken im Sinne der Menschenfreude und des Sozialismus.
Ehrharüt geht um. Neuer Bettel bei der Industrie. Nachdem sich Ehrhardt im Stahlhelm fundiert hat, setzt er seine mißglückten Betteleien bei den Indu- st r i e l l e n fort. Unser Hanauer Parteiblatt, die„Volks- stimm e" oeröfsentlicht folgende vielsagende Einladung, die an ungefähr sechzig Gießener Bürger versandt wurde. Kassel , 13. März 1927. Euer Hochwohlgeboren bitte ich sehr crgebenst um gütige Mit- teilung, ab Euer Hltchwohlgeboren eventuell bereit wären, an einer Besprechung teilzunehmen, die Herr Kapitän Ehrhardt mit rmzelneit führenden chc-rren der Wirtschast Ansang April in Gießen abhalten will. Ich bitte bemerken zu dürfen, daß es sich bei dieser Besprechung nicht um eine Bettelei handelt. Herr Kapitän Ehrhardt will den Herren in einein kurzen Lar- trage nur seine A i e l c auseinandersetzen, die zu einer Einigung innerhalb der Kreise führen sollen, die auf nalianalem Boden stehen. um die Herren zur Mitarbeit zu gewinnen. Es ist bekannt, daß Herr Kapitän Ehrhardt innerhalb der vaterländischen Bewegung und in dnderen nationalen Kreisen große Erfolge in der Erstrebung einer nationaien Einheit erzielt hat. Auch in anderen Städten haben derartige Besprechungen mit WIrlschaftssührcrn stattgefunden und zu eine», vollen Erfolge geführt. Nach Eingang ber Stellung- nähme Ew. Hcchwohlgeboren werde ich nähere Mitteilungen über 2.ag, On und Zeit der Besprechung folgen lassen. Falls ich bis zum 1. April 3927 leine Antwort erhalten habe, betrachte ich die An- gelegenhnt als erledigt. Ich bitte, noch hinzufügen zu dürfen, daß ich iin Austrage des Herrn Kapitän Ehrhardt in meiner Eigenschaft als Leiter derEhrhardt'- Bewegung fürden Westen Deutschlands handele. Mit dem Ausdruck meiner vorzüglichen Hocharistung„. Fichte. Der F e m e m o r d p r o z e ß W i l m s und der Gieße- n e r F e m s m o r d p r o z« ß haben bewiesen, daß das bis- herige Ergebnis der Ehrhardt-Bewegung ein vollkommener staatsbürgerlicher und moralischer Bankrott ist. Die Hanauer „Volksstimmc" deutet an, daß ein weitererFememord an dem Mitglied der Ehrhardtbewegung, Marineoffizier Tackenberg, nach auf gerichtliche Sühne wartet. Ehr- ha r d t aber, der Chef, der!iire das Ganze verantwortlich ist, das über viele feinere Verführten gekommen ist, hat die Stirn, von nettem mit Förderungen vor die Industriellen zu treten. Er bleibt der. als der er sich der Prinzessin Hohen- lohe gegenüber erwiesen hatte. Zum�Vberstkommandierenden der britischen Rheiuarniee ist General Thwaites ernannt worden. Der bisherige Oberstkomman- Kicrend» General Ducanc übernimmt den Gauverneurposten in Malta .
�ttklagereüe in Gießen . Der Staatsanwalt �bezeichnet das ReichswehrgruPHen- kommando Kassel als Anstifter.— Das Urteil nach dreistündiger Beratung vertagt. Gießen , 20. März.(Eigener Drahtbericht.) Vier Stunden dauerte die Anklagerede des Staatsanwalts. Im ersten Teil der Anklagerede wurde der Beweis geführt für die Schuld aller drei Angeklagten. Im zweiten Teil aber bemüht» sich der An- kla gevertreter, diesen Beweis wieder zu verwischen und wohl dutzend- mal wiederholte er die Abbitte, man möge doch dem Vertreter der Staatsanwaltschost verzeihen, wenn er gezwungen sei. seine Pflicht zu tun. Zunächst stellte der Staatsanwalt die wichtigste, im Lauf« der sieben Lerhandlungstage Immer wieder ängstlich umgangene Frage: ..Woher hatten die Angeklagten das viele, viele Geld zu ihren Reisen und Festgelagen?".Es müssen Hintermänner vorhanden sein!" rief der Ankläger und er kennzeichnete sie mit den Worten: Die Fäden führen in die Schwarze Reichswehr und bis zum Wehrkreisgruppenkommando in Kassel , das die Beseitigung Wagners wünschte! Diese Feststellung des Staatsanwalts war wichtiger als sein« gs- samt« Rede und zerriß mit einemmal jenes Geheimnis, das tagelang vorher in den Gcrichtsgängen und auf der Zeugenbant geflüstert wurde, tzm weiteren Verlaus seiner Rede gab der Slaatsanwalt seiner lleberzeugung Ausdruck, daß der Mordversuch an Wagner zu dem gesamten Komplex der deutschen Fememorde gehöre, und zwar von einer, wie er selbst sagie.»Mordgenosscnschasl". deren Spuren bis in die Allenlate auf Rathenau und Scheideniann hinüberführen. Der Rede des Anklageverlrelers folgte das Plädoyer des ver. leidiger« Rechksanwalk Dr. Lulgebrune- GStllngen. Darauf zog sich das Gericht zur Beratung zurück. Räch dreistündiger Beratung gab der Vorsitzende bekannt, daß das Gericht noch zu keinem Ergebnis kommen konnte und beschlossen habe, das Urkeil erst am Donnerstag vormltlag 11 Uhr zu verkünden.
Jall hipp. Misttraucnsantrag im Regensburger Stadtparlnment. München , 30. März.(Eigener Drahibericht.) Die sozialdemo- kratische Etadtratssraktion in Regensburg hat für eine sofort anzusetzende außerordentliche Stadtratgsltzung sol- genden Antrag eingebracht:.Die Presieveröfsentlichungen über die eigenartige Mitarbeit des Oberbürgermeisters Dr. Hipp am.Regens- burger Echo" haben das Vertrauen der Bevölkerung so stark er- schüttert, daß der Oberbürgermeister Dr Hipp nicht mehr länger geeignet erscheint, die Verwaltung der Stadt Regensburg zu leiten. Der Stadtrat wolle deshalb beschließen lassen:„Dr. Hipp b e- sitzt nicht mehr das Vertrauen des Stadtrats."
Um üie Kleinrentnerfürforge. Der Rechtsblock lüsit die Rentner im Stich Im sozialpolitischen Ausschuß des Reichstags wurde am Mist- woch der Antrag der Regierungsparteien über die K l e i n r e n t n e r- f ü r f o r g e zu Ende beraten. Genosse Hoch erklärt, daß die Vor- läge einfach unmöglich ist. Sie schafft Ungerechtigkeiten gegen- über den übrigen Fürsorgeempfängern. Kleinrentnern niit großen Cigenwohnungcn wird der Wert der Wohnung nicht ange. rechnet. Die übrigen FürforgebadiulUg««, rnuii«« ab«- iBiieto zahlen, die von der Unterstützung abgezogen wird. Wenn der Klein- renlner Teile seiner großen Wohnung untervermietet, wird ihm dieses Einkommen nicht angerechnet. Wenn aber andere Für- sorgebedürftige von ihrer knappen Wohngelegenheit noch Aboer- mietungen vornehmen, so wird dieses Einkommen bei der Fest- setzung der Unterstützung mit berechnet. Die Haltung der Deutsch - nationalen, die den Kleinrentnern Versprechungen gemacht haben auf Schaffung eines ReMenverforgungsgesetzes, ist außerordentlich bezeichnend. Für die Denischnationalen erklärte Dr. Schneider, daß sie den Antrag aus Kleinrentnerversorgung gestellt haben, ehe sie
in der Regierung waren. Sic hätten sich inzwischen davon überzeugen müssen, daß noch erhebliche sinanziclle und sachliche Schwierigkeiten bestehen. Ein Vertreter Preußens warnte noch einmal eindringlich vor der Annahme des Antrages der Regierungsparteien. Trotz aller Differenzen, die in den Regieningsparteien über den Antrag be stehen, stellten sich aber die Redner dieser Parteien, namentlich die Arbeiterabgeordneten Schwarzer(Bayr. Volkspartei) und Andre(Zentr.) auf den Boden der Vorlage. Genosse Karsten verlangte Gleichstellung der übrigen Fssr- sorgeberechtigten mir den Kleinrentnern. Sonst sei die Vorlag«, so ungerecht, daß die Sozialdemokraten nicht dafür stimmen können. Die Sozialrenlner und die übrigen Fürsorgeberechtigtcn würden sich die ungleiche Behandlung nicht gefallen lassen und in der Fürsorge würde ein sehr scharser Kampf entbrennen. Die Abstimmung ergab die Annahme des Antrages der Re gicrungsparteien. Der Antrag, der die Regierung ausfordert,«inen Gesetzentwurf für ein Rentnerversorgungsgesetz vorzulegen, wurde gegen die Stimmen der Linken abgelehnt.
Ein neuer Aollanschlag! Tic Einfuhr zu Schleuderpreisen als Vorwand. Im Reichstege haben die Regierungsparteien einen Antrag ein- gebracht, der einen Gesetzentwurf fordert, durch den die Reichs- regierung ermächtigt wird, bei D u m p i n g e i n f u h r e n. und zwar sowohl bei Valuta« als auch bei Handelsdumping, Zoll» zuschlüge, insbesondere gegenüber solchen Ländern, die ä h n- liehe Mahnahmen ihrersests anwenden, zu erheben. Dieser Antrag bezweckt, das geht aus der gegenwärtigen Rechtslage hervor, etwas anderes, als er ausspricht. Das geltende Zollgesetz enthält nämlich bereits diejenigen Bestimmungen und Er- mächtigungen, die es der Regierung ermöglichen, Abwehr- und Kmnpfzölle zu«rheben. Erforderlich ist dazu die Zustimmung des Reichsrates und eines Reichstagsausschusses, oder im Fall« der Kampszölle die nachträgliche Genehmigung des Reichstages. Wenn jetzt die Regierung«ine besondere Vollmacht zur Abwehr fremder Einfuhr erhalten soll, so kann diese nur den Zweck haben, ohne Mit- Wirkung des Parlaments solche Sonderzölle zu erheben, die die Preiskonkurrenz des Auslandes noch mehr als bisher beschränken. Die Unternehmer wollen die Monopolrente der Großbetrieb« in Industrie und Landwirtschaft ausschalten zum Roch- teil des Verbrauchers, der dann der Preiswillkür weniger Gruppen von Unternehmungen preisgegeben werden soll. Aus diesem Grunde muß gegen den neuen Zollanschlog Protest erhoben werden.
Der Koalitionsstreit in Sapern. Vorläufiges Kompromiß über das Handels- Ministerium. München , 30. März.(Eigener Drahtbericht.) Der monatelang hinter den Kulissen der bayerischen Regierungstoalition geführte Streit um die Wiederbesetzung des Ministeriums für Handel, Industrie und Gewerbe, bei dem die Bayerische Bolksportei und die D«utschnationalen gegeneinander u», die Erhöhung ihres parteipolitischen Einflusses innerhalb der Regierung feilschten, wurde am Mittwoch durch ein Kompromiß beendet. Danach übernimmt der Ministerpräsident Dr. Held in Personalunion mit dem Ministerium des Auswärtigen das Handelsministerium, wobei ihm der frühere Geheim« Regierungsrat aus dem Reichsministeriuni; IH.'S awieill, t». von ben al« politischer Staatssekretär beigegeben wird. Der Landtag hat dieser Regelung am Mittwoch mst großer Mehrheit bereits zugestimmt. Die Amtsdauer Heids als interimisttscher Handelsminister ist entsprechend den deustchnationalen Forderungen bis 1ö. November d. I. befristet. Bis zu diesem Zeitpunkt muß im Rahmen der gesamten Staatsvereinsachung noch ein weiteres Mini- sterium, das Sozialmini st erium, abgebaut sein, andern, falls eine endgültige Neubesetzung des Handelsministeriums vor- genommen wird.
Der Streit um Sie Volksbühne. Zur Kundgebung der vpposilion. Die Rufer im Streit gegen die Leitung der Volksbühne haben von den taljächlicheii Verhältnissen zum größten Teil total falsche Vgrstellungen. Dem Vorstand der Volksbühne wird von der sog.„Linken", die gestern im Herrenhaus ihre Versammlung abhielt, immer wieder „Verkalkung" und reaktionäre Gesinnung vorgeworfen. Dabei hat dieser gleiche Vorstand aus eigenster Initiative heraus gerade innner wieder Persönlichkeiten in den Künstlerischen Ausschuß berufen, von denen bekannt war, daß sie sjlr ein„revolutionäres Theater ein- treten, von Holitfcher bis Stein. Er hat den Iugendabteilungen, die van den„radikalen" Herrcnhäusiern als Tröger ihrer Ideen betrachtet werden, olle nur erdenkliche Förderung angedeihcn lassen. Man kann auch wirklich nichl sagen, daß er Stücke im Sinne der „Linken" systematisch vom Spielplan ferngehalten habe: wurden doch mit seinem Einverständnis, zum Teil direkt aus seinen Antrag, von der Volksbühne Toller, Paquet, Lunotscharsty, Achard, Welk und andere gespielt. Und ein Regisseur wie ' sJh0' 0 r unter seiner„Hoheit" weitesten Spielräum gehabt. Wenn dieser gewiß nicht engherzige Vorstand sich nun ver- pllichtet fühlte, gegen die Piscatoriche Inszenierung von Ehm Welts „Ge wltter über Gottland" Stellung zu nehmen, so muh das doch zu denken geben. Tatsächlich handelte es sich hier um einen Vorfall, der nicht ohne weiteres hingenommen werden konnte. Die Art, wie Piscator das Welkssche Stück herausbrachte, war gewiß interessant und hatte künstlerisch manch« Vorzüge. Aber jedem, der mit asienen Augen sah, mußte sich josort der Eindruck aufdrängen, daß der Regisseur hier ein Stück vergewaltigte, um es in den Dienss einer einseitigen parteipolitischen Propaganda zu stellen. Tatsache ist, daß die vom Künstlerischen Ausschuß der Volksbühne ange- nommene Dichtung auf Veranlassung Piscators erhebliche Umönde- rungen erfuhr, daß Ihr Schluß geradezu gefälscht wurde. �.atjache, daß ohne innere Notwendigkeit dem geistigen Haupt der Vitaliendrüder die Maske Lenins gegeben wurde. Tatsache, daß ohne eigentlichen Zusammenhang mit der Dichtung eine Reihe von Filme» vorgesuhrt wurde, die ganz einseitig propagandistisch wirken mußten, bis hin zur Darstellung von Szenen aus dem heutigen Schanghai . Tatlache, daß in Inschriften mit Worten Trotzkis die Diktatur des Proletariats verherrlicht wurde, und ähnliches mehr. Kein Zweifel auch, daß P iscator bewußt dag Welk'sch e Stück fär >»'"« k o m m u n i st i s ch e Propaganda ausschlachtete. Denn Piscator bekennt sich zu jenen Ideen des russischen Prolet- kults. wonach das Theater die Aufgabe hat, der politischen Propa- ganda zu dienen. Es ist sicherlich unehrlich, wenn seine Freunde es letzt(o darstelle» wollen, als ob er aus rein künstlerischen Erwogungen zu semen Filmbildern und Inschriften gekommen wäre. Sich gegen solche Ausschlachtung eines Stückes zu wenden, das gewiß inner« Beziehungen zu Problemen der Gegenwart hat. aber doch ebenw gewiß nicht geschrieben und von der Volksbühne ange- nomme» wurde, um eine bestimmte politische Richtung von heiile «u verherrlichen.— dazu hatte der Vorstand der Volksbühne nicht nur ein Recht, sondern sogar die Pflicht. Die Stellungnahme des
Vorstandes war notwendig, um die I d e e der Volksbühne vor Miß- deutungen sicher zu stellen. Die Volksbühne hat stets einen über- parteilichen Eharaktcr gehabt. Das sog. Volksbühnenprogramm er- klärt das Theater wohl als Werkzeug zum Ausbau einer neuen frecheitlichen Gemeinschaststuliur, ober es sagt auch deutlich genug, daß die Kunstpslege innerhalb einer Volksbühne nicht außerkünst- lerischen, also etwa parteipolitischen Gesichtspunkten untergeordnet werden darf. Wohin soll auch der Weg führen, wen» jedem Regisseur die Möglichkeit gegeben wird, willkürlich ein Wert umzuändern, um sür seine politische Uebcrzeugung Propaganda zu machen, oben- drein sür eine Ueberzeugung, die doch nur von einem kleinen Teil derjenigen geteilt wird, sür die er arbeitet?! Was würden die Freunde Piscators in der Volksbühne sagen, wem:«in anderer Regisseur plötzlich ein Werk umgestaltete und durch Filme und Bilder ergänzte, um nationalistische Propaganda zu treiben?— Die Stellungnahme des Volksbühnenoorftandes war aber auch not- wendig, um die Volksbühne vor schwer st erwirtschaftlicher S ch ä d i g u n g, ja vor einem Zusanimenbruch zu bewahren. Gewiß. die Preniiere des„Gewitters über Gottland" fand Bsifall. Aber wer richtig hinsah, der tonnte sofort merken, daß nur verhältnismäßig kleine Gruppen von Theaterbesuchern demonstrativ klatschten, während viel«, viele andere mit Äeußerungcn des Mißfallens den Zuschauerraum verließen. Und schon die nächsten beiden Tage brachton eine solche Fülle von?kustritt»«rtlärungen empörter Volksbühnen Mitglieder, daß eine Fort- setzung der Aufführungen In der ursprünglichen Art zweifellos eine Katastrophe bedeutet hätte. Es ist lächerlich, wenn immer gesagt wird: die Volksbühne hat wie kein anderes Theater die Möglichkeit, Experimente in der Art des Piscator 'schen zu machen. Wie kein anderes Theater ist in Wirklichkeit die Volksbühne in dieser Zeit einer schweren Wirtschaft- lichen Krise darauf angewiesen, die Mitglieder, die das ganze Unter- nehmen tragen, beisammen zu hallen. Scheiden auch nur einige Tausende aus, so ist das Fundament, aus dem der Theaterbetrieb der Volksbühne ruht, erschüttert. Die Abhängigkeit der Voltsbühne von ihrem Publikum bedeutet natürlich noch nicht das Recht oder die Notwendigkeit, auf hohe kullurelle Ziele zu verzichten und in die Bahnen eines x-beliebigen Unterhaltungstheatero einzulenken. Aber wohl bedeutet sie die Verpflichtung, die künstlerischen und kultu- rellen Ziele der Beweglmg mit Klugheit und mit Vorsicht zu ver, folgen.— Auch von jenen, die sich grundsätzlich der Aufsagung des Volks- bühnenvorstandes anschließen, ist hier und dort der Einwand erhoben worden: Warum hat man denn nicht vor der Aufführung einge- griffen?— Nun, der Vorstand des Vereins Voltsbühne hat stets die Auffassung vertreten, daß es nicht seine Aufgabe und auch nicht einmal sein Recht wäre, in di« Arbeit der Künstler hineinzureden. Sich um diese ständig zu kümmern, kann lediglich dl« Ausgabe des mit der künstlerischen Führung der Theater betrauten Direktor» sein. Dem Borstand der Organisation Volksbühne bleibt lediglich übrig. zu den fertigen Aufführungen Stellunq�.zn nehmen. Nebenbei wurde dem Leiter des Theaters bei der Inszenierung des Welk'schen Stückes»och besonders nahe gelegt,«in wachsames Auge zu haben. Gewiß kann die Frage auftauchen, ob die Direktion nun nicht in gewissem Sinne ihr« Pflicht versäumt«. Aber hier handelt es sich um
eine unglückselige Verkettung von Zufällen, die es auch dem Leiter des Theaters unmöglich machten, sich ein wirkliches Bild von der Inszenierung zu verschaffen. Nur eines sei herausgehoben: Di- Filmstreifen, die am meisten Widerspruch herausfordern mußten. wurden so spät fertig, daß sie bei keiner Probe gezeigt werden konnten und erst fünf Minuten vor Beginn der Vorstellung im Theater«intrafen. Man mag schließlich hier oder dort ein Versehen feststellen: sicher ist, daß der Vorstand dem Mißbrauch der Volts- bühne zu parteipolitischen Zwecken entgegen treten mußte. Eine„Vergewaltigung der Kunst" fand nur durch den Regisseur statt, der aus einem ihm anoertrauten Stück etwas ganz anderes machte. Di« jetzt darüber schreien, daß der Vorstand der Volksbühne unrichtig gehandelt habe, tun es entweder aus grober Verkennung des«achvcrhalts oder aus einer sehr durchsichtigen Ab- ficht heraus: nämlich aus dem Wunsch, die Volksbühne zu einem Instrument ihrer Partcibestrebungen zu inachen. Die Taktik dieser Kreise, solche Porteiziele zu verfolgen, sich aber gleichzeitig als Ber- treter großer Ideen hinzustellen(einmal: Einheitsfront des Prole- tarlats:— das andere Mal: Rettung der Kunst!), ist ja bekannt genug. Aber ein Gewährenlasscn würde im Falle der Volksbühne noch mehr als überall sonst bedeuten: Vernichtung eines mtt vielen Mühen und Opsern aufgebauten wichtigen Kullurwerkes. Es ist nicht» dagegen zu sagen, wenn der Versuch gemacht wird. die Ideen des Proletkults m Wirklichkeit umzusetzen. Aber dann soll man neben der Volksbühne dafür eine besondere Organisation bilden. Sie brauchte nicht einmal in Kampfstellung zur Volksbühne zu stehen, sie könnte die Unterstützung vieler finden, die auch weiterhin noch in der Volksbühne mitarbeiten. Die Volksbühne selbst aber kann nach ihrerganzen Tradition, der Zusammensetzung ihrerMitgliedschast und nach her in ihr kebendigen Idee nicht Parteitheater sein »ndwerden. * Ueber die Protestversammlung selbst wird uns berichtet: Im Herrenhaussaal sand gestern Abend«ine von Arthur Holitscher einberufene Prot« st Versammlung gegen den Vorstand der Volksbühne statt. Man wartete mit großen Namen auf. Selbst der Intendant der staatlichen Schau- spielhouser. Leopold Jeßner . war erschienen, um gegen da» „Unrecht ", das Piscator erlitten hatte, zu kämpfen. Er erklärt», daß er von einer Fusion von Volksbühne undStaatstsycoter nichts wisse, von der ein paar Zeitungen berichteten, daß aber bei einer eventuellen Fusian Piscator niemals sin Hemmungsmoment bedeuten würde, Piscator sei einer der wenigen, die heule über Initiative und Ideen verfügten. In demselben Sinne äußerte sich auch Karlheinz Martin . Die anderen Redner nahmen dann den Fall Piscator zum Vorwand, um in allen Tonlagen gegen den Vorstand der Voltsbühne zu donnern. Hauptsächlich Holitscher und I o- Hannes Jahnte von der Boltsbühnenjugend stellten die B«- hauptung auf, Repertoire und Gesinnung der Voltsbühne«nt- sprächen keineswegs mehr den ursprünglichen Tendenzen. Die Volksbühne soll in erster Reih« kulturelle und künstlerische Waffen zum Kainpf gegen das Bürgertum schmieden, der Spielplan muß proletarische Gesinnung zeigen. In diesem Sinne äußert« sich auch