Nr. 154 ♦ 44. Jahrgang
1. Seilage öes vorwärts
5rettag, l.�prlllH27
Die Berliner Stadtverordnetenversammlung erlebte gestern leine Widerholung der Prügelei, mit der die vorige Sitzung geendet hatte. Für manche der Tribünenbesucher, die in großer Zahl sich eingefunden hatten, dürste das eine Ent» täufchung gewesen sein. Zu den Anträgen wegen der Lichter» selber chakentreuzlerattacke und des geplanten B e r» liner Stahlhelmtages nahm der Deutschvolksparteiler Dr. F a l tz nochmals das das Wort. Mit ihm schloß die Debatte. In der Abstimmung wurde der demokratische Antrag, der den Magistrat zu Maßnahmen gegen Uebersälle ausruft, wie sie in den letzten Wochen in den Straßen vorgekommen sind, fast einstimmig zum Beschluß erhoben. Den kommunistischen Antrag auf Unter- stützung der Hinterbliebenen des erschossenen Arbeiters verbessert« die sozialdemokratische Fraktion durch den Zusatz„ausreichende Unterstützung", und er wurde so gegen die Stimmen der rechtsstehenden Parteien angenommen. Gleichfalls gegen die rechtsstehenden Parteien wurde schließlich ein kommuni- stischer Antrag angenommen, der einen Fußtritt für die Stahlhelmer bedeutet. Er verlangt, daß den Teil» nehmern keine städtischen Einrichtungen zur Der» fügung gestellt werden und Begrüßungen durch städtisch« Körperschaften oder Beamte unter. bleiben. In den schwarzweißroten Berwaltungsbezirken wird man wahrscheinlich mit einem Wutausbruch antworten, aber der Magistrat wird hoffentlich Mittel und Wege finden, diesem Beschluß und seinen danach zu treffenden Anordnungen auch dort Geltung zu verschaffen.— Im weiteren Verlauf der Sitzung kam es zu einer großen Debatte über die Vermietung des ehemaligen Feuerwehrgrund st ücks in der Mauer st raße. Zu- sammen mit den Kommunisten mühte sich das Zentrum, den Bürger. meister Genosse Schneider von Berlin -Mitt« abzuschlachten, weil in der Inflationszeit auch er einen Vertrag sür günstig gehalten hatte, den d a m o l s im Bezirksamt alle, von den Deutsch - nationalen bi» zu den Kommunisten, als ein gutes Geschäft für die Stadt ansahen. Genosie Riese geißell« scharf die gehässige Art, in der dos Zentrum und die Kommunisten gegen Schneider vorgingen. Boll« Aufklärung soll eine vom Oberpräsidenten zu führende Untersuchung bringen, für die auch die sozialdemokratische Fraktion eintritt. Genosse Schneider hat selber ein Disziplinarver- fahren gegen sich beantragt. « Die gestern abgehaltene Sitzung der Stadtverordneten eröffnet« der Dorsteher Genosse Haß mit einem Nachruf für den Genossen Hecht, der im 62. Lebensjahr an den Folgen eines Schlaganfalles gestorben ist. Genosse Hecht ist seit 1921 Bezirksverordneter im Bezirk Prenzlauer Berg und seit dem April des vorigen Jahres Stattverordneter gewesen. Die Fraktion habe ihn in wichtig« Aus- schüsse delegiert, wo er zum Wohle der Bürger und der Stadt ge- wirkt habe.__ Die Tumullszeaen in der letzten Sitzung veranlaßten den Aeltestenausschuß, durch den Vorsteher ein« E r- k l ä r u n g abzugeben, in der festgestellt wird, daß in jedem Parka- ment der Welt dos freie Wort gilt. Ein tätlicher Angriff auf«inen Abgeordneten ist«in verabfcheuungswürdiges Vergehen, dem gegen- über aber der Dorsteher der Stadtverordnetenversammlung keine ausreichenden Machtmittel hat. Der Borsteher nehme daher Deranlassung, nachträglich das Borgehen der kommunistischen Stadtverordneten Lange, Baartz und Hesse zu rügen und ihnen einen Ordnungsruf zu erteilen. Nach der Meinung des Acltestenausschusses durfte die Rede des Dolksparteilers Dr. Zalh nicht die Wirkung auslösen, die eingetreten ist. Der Borsteher be- tonte dann noch, daß Tumustszenen, wie die in der vorletzten Sitzung, nicht gerade geeignet seien, da» Ansehen der Stadtver- waltung nach außen hin zu erhöhen. Nielmehr sollten alle
Kräfte im Hause danach streben, die Stellung Berlins bei den Reichs- und Staatsbehörden zu festigen und zu verbessern. Der Stadtoer- ordnete Dr. Falh hatte laut Mitteilung des Vorstehers gegen seinen Ordnungsruf in der fraglichen Sitzung Einspruch erhoben, worüber später entschieden werden wird. Die Volkspartei bat in einem Antrag, den Geschäftsordnungsausschuß geeignete Vor- schläg« für einen Ausbau der Disziplinargewalt des Borstehers zu machen. Genosse Haß ordnete dann von sich aus an, daß der Raum zwischen den Stadtoerordnetenbänken und der Rednertribüne und die zur Tribüne führenden Treppen sreizu- halten seien. Stodwerordneter Dr. Falfz begann seine in der vorletzten Sitzung unterbrochene Rede mit einer Srikik an der Berichterstattung der „bürgerlichen Zeitungen", wie er sich ausdrückte, die wenig objektiv gewesen sei und die den Schluß zulasse, daß es bei den betreffenden Zeitungen an der„nötigen Aussicht gefehlt" habe!(Darüber, ob Herr Dr. Faltz in der Zukunft diese angeblich fehlend« Aufsicht viel- leicht selbst auszuüben gedenkt, ließ er sich leider nicht aus!) Der Redner beliebte im allgemeinen in seiner Rede denselben Ton, der vor acht Tagen zu den Zusammenstößen führte, schulmeisterte die Kommunisten nach Möglichkeit und trat auch sonst wieder reichlich selbstbewußt auf. Die Kommunisten mahnte er:„Wenn sie die Zwischenrufe lassen, mache ich es vorsichtig!"— Wenn sie nicht bald still sind, üben wir es weiter!" Natürlich ließen sich die Kommu- nisten durch solche Aeußerungen nicht beruhigen, Zwischenrufe flogen hin und her, der Vorsteher teilte mehrere Ordnungsrufe aus. Dr. Faltz verlangte für sich das Recht, über Kritiker, die sich zu weit vorwagen,„die ganze Schale seines Spottes" ausgießen zu können. Schließlich verlangte der Redner, nachdem er für die Schutzpolizei eingetreten war, ein generelles Verbot für olle Demon- strationen. Er stagte den Magistrat, welche Maßnahmen er gegen den nun bereits acht Jahre währenden Demonstration->rummel auf den Straßen zu ergreifen gedenke. Die Deusschnationalen benutzten die Gelegenheit, dem Borsteher die Mißbilligung für seine„mangelhafte Geschäftsführung" auszu- sprechen. Genosse haß betonte demgegenüber, daß der kommuni- stische Redner in der vorletzten Sitzung nur allgemeine Aeußerungen getan und nicht Mitglieder des Hauses gemeint habe. In der Ab- stimmung wurde beschlossen, der Witwe des bei den Unruhen er- schossenen Arbeiters eine ausreichende, vom Magistrat zu bestimmende Unter st ützung zu gewähren. Beschlossen wurde ferner, den Teilnehmern des Slahlhelmtages städtische Einrichtungen nicht zur Bersügung zu stellen; wo das etwa durch Bezirksämter schon ge- schehen sein sollte, sollten diese Zusagen zurückgezogen werden. Der demokratische Antrag, der den Magistrat ersucht wissen will. Maß- nahmen zu treffen, daß die Machtmittel des Staates in wirksamer Weise gegen da» Straßenrowdylum angewendet werden, wurde ebenfalls angenommen. Die Recht« stimmte allemal g e g« n die Anträge. In der Erledigung der weiteren Tagesordnung stimmte die Der- sammlung einer Vorlage zu. die die U n t e r st ü tz u n g einer Anzahl Privotschulen zum Gegenstand Hot. Genosse Lohmann verlangte, daß die Richllinien, die der Magistrat für die Gewährung der Unterstützungen aufgestellt hat, auch innegehalten werden. Er bemerkte, daß die Sozialdemokraten nur unter dieser Bedingung der Borlage zustimmen könnten und daß endlich einmal der Tag kommen möge, wo die Unterstützung der Privatschulen aufhöre. In längerer Aussprach« beschäftigte sich dann di« Versammlung mit einer Anfrage der Demo- traten und des Zentrums wegen der zu billigen Vermietung des ehemaligen Feuerwehrgrundstückes Mauerstraße 15 a. Verbunden damit ist die Skratung eines Antrages der Kommunisten, der v«r. langt, daß alle vom Bezirksamt abgeschlossenen Verträge revidiert werden sollen. Nach einer Berichterstattung durch den Genossen Loewy erging sich der Kommunist Wisnewski in heftigen Angriffen gegen das Bezirksamt Mitte und den Bürgermeister, Genoss«n Schneider. Stadtverordneter Tresfert(Z.) griff ebenfalls das Bezirksamt Mitte an und verstieg sich zu der Verdächtigung, daß es beinahe den Anschein Hab«, als wenn Stadtverordnet« mit den Machern d«« Geschäftes versippt und ver»
schwägert sei«n.(Lebhafte Zurufe der Stadtverordneten: Namen nennen! Der Borsteherstellvertreter Fabian rügt« die Be- merkung d«s Redners, die geeignet fei, Stadtverordnete der Korrup- tion zu zeihen!) Auch T r e f f e r t geht in längeren Ausführungen auf die Angelegenheit ein, deren Ursprung bis in die I n f l a t i o n s- zeit reicht; er wirft dem Bezirksamt Begünstigung einer bestimmten Firma bei der Pachtung des Hauses vor. Stadtverordneter Merten (Dem.) protestiert in aller Schärfe gegen die Behauptungen Trefferts, di«, gegen einen hohen städtischen Beamten vorgebracht, in der Form absolut nicht zu ertragen seien. Gerad« die Parteien, die heute gegen das Bezirksamt Mitte und Bürgermeister Schneider vorgehen, forderten sonst immer, daß in ein schwebendes Verfahren nicht ein- gegriffen werde(Bürgermeister Schneider hat u. a. ein Disziplipar- verfahren gegen sich selbst beantragt!) und hier solle schon Gericht gehalten werden. Der verkrag trage alle Anzeichen der Inflation. Die Demokraten treten ebenfalls für eine Revision ein. Im übrigen habe«in Mitglied der Zentrumsfrattion aus Berlin-Mitte noch bis in die nächste Zeit hinein seine Genugtuung über die Ausgestaltung des ehemaligen Feuerwehrgrundstückes ausgesprochen.(Hört, hört! b. d. Soz.) Nach dem Redner der deutschnationalen Fraktion kam Genosse Riese zum Wort. Er fragte den Stadtverordneten T r e s- f e r t, ob er sich für fähig halte, gegenüber der Bant, die an dem Geschäft beteiligt ist, auch so objektiv und so� kritisch zu sein, wie gegenüber dem Bezirksamt Mitte und dem Bürgermeister. Zedensall» stehe hinter der ganzen hetze nur die Bank, die sich benachteiligt fühle, und die sich dazu der Stadtverordneten und des Zentrum» bediene. Der Ausbau des Feuerwehrgrundstückes sei für das Bezirksamt und für die Stadt zu kostspielig, wenn nicht unmöglich gewesen; das private Kapital hat es getan. Das erste Angebot der Firma Brasch und Fleischer sei nicht vom Bürgermeister Schneider selbst, sondern von dem zuständigen Dezernenten, der nicht der Sozial- demokratischen Partei angehört, bearbeitet worden. Alle Parteien, einschließlich der Deutschnationalen und der Kommunisten, haben den Dezernenten zu dem Abschluß beglückwünscht. Auf jeden Fall ist die ganze Angelegenheit in der Inflation abgewickelt worden, wo man vierstöckige Häuser für 159 bis 299 M. haben konnte. Verträge aus der Inflationszeit be- stehen noch massenweise, ohne daß in jedem Fall eine Revision vorgenommen wurde. Der Steuerdeputation haben alle Angebot« vor- gelegen, und sie hat stets die Zustimmung erteilt, wie sich auch d i e Bezirksversammlung immer mit allen Verträgen befaßt hat und ihnen zugestimmt hat. Wir wollen es nicht gut- heißen, daß gegen diese Inflationsoerträge in den letzten drei Iahren nichts unternommen wurde, deshalb stimmen wir auch für di« Ausschußentschließungen. Auf jeden Fall grenze die Form, in der die Angrisse vorgebracht wurden, an Ehrabschneiderei. die um so häßlicher wirke, als der Beschuldigte sich in der Stadt- verordnet«noersammlung nicht verteidigen könne. Genosse Riese stewe dann eine Anzahl von Unrichtigkeiten und falschen Behaup- tungen Trefferts richtig, führte sie auf dos richtige Maß zurück, und es ergab sich, daß recht wenig übrig blieb. Trefsert hatte sich nicht gescheut, hier im Plenum Behauptungen aufzustellen, die bereits im Ausschuß richtiggestellt wurden. Mit der Feststellung, daß einer der Pächter noch kurz vor Abschluß der Verträge im Arbeitsnachweis stempeln gegangen, also ein richtiger Inflationsgewinnler sei, habe sich Tresfert einen netten Bären aufbinden lassen. Der Pächter sez stets ein vermögender Mann gewesen. Im übrigen habe ja Bürger- meister Schneider, um alle Anwürfe gegen sich selbst prüfen ,pi lassen, gegen sich selbst ein Disziplinarverfahren beantragt, das die hier geforderte Klarheit bringen wird. Solange sollten aber�iuch alle Angriff« unterbleiben.(Bravo ! und Sehr richtig! bei den Soz.) Der Stadtverordnete Trcfserk(Z.) rempelte die Sozialdemokraten in einer weiteren Rede nochmals an, wurde darin von den Kommunisten kräftig unterstützt und versuchte vergeblich, die Fessstellungen Rieses zu entkräften.— Die Abstimmung über die Anträge und die Ausschußentschliehung wurde auf die nächste Sitzung vertagt._ Reue Straßenbahnverbindung. Dom 1. April d. I. ab werden die Linien 49 und 148 von der Ramlerstraße über die Swinemünder Brücke und Iülicher Straße bis Grünthaler Straße, nördlich der Vornholmer Straß«, verlängert. vi« Bureau» und Sassen der Rc'.chshouptbant werden am Sonnabend, dem tS. April, den ganzen Tag geschlossen sein.
Das geschieht um sechs Uhr abends. In den sehr viel später noch zu erwähnenden, heute in der Kriminalgeschichte übrigens ziemlich bekannten und viel gesprochen«n Akten find« ich die Meldung eines Wachtmannes des sechsundzwangzigsten Polizeikommissariats, wonach dieser Wachtmann bei seinem Patrouillengang über den Friedhos am Friedrichshain auf einem der dortigen Eisenkreuze der Achtundvierziger eine Frauensperson angetroffen habe, die von ihm darauf aufmerksam gemacht worden sei, daß sie die unter öffentlichem Schutz stehenden Gräber beschädigen könne. und daß der Aufenthalt im Friedhof um diese Stund« ver- boten sei. Worauf diese Frauensperson, deren nähere Be- schreibung auf die kleine Sif durchaus paßt, sich dann willig, aber fröhlich pfeifend entfernt habe.— Ich finde ferner die Aussage der die kleine Atelierwoh- nung betreuenden Aufwartefrau, wonach ihre Herrin gegen sieben Uhr abends höchst angeregt nach Hause gekommen sei, resultatlos nach einem Rohrpostbrief gefragt, daß sie sich dann „wie zum Balle" angezogen, mit dem besten Appetit gegessen und dazu eine ganze Flasche von dem noch dastehenden Hoch- zettswein getrunken habe und dann ausgegangen fei. Gegen einhalbneun Uhr. Soweit also der Aktenbefund.— Tatsächlich hat sie große Toilette gemacht, tatsächlich ist si« leicht angetrunken, tatsächlich bringt sie. in der eine zynische, bisher unbekannte Sif erwacht zu sein scheint, es fertig, zum Abendkleid die geraubte Perlenkette anzulegen. So sicher ist sie nun ihrer selbst, daß sie, die zu Fuß die Viertel östlich des Flusses durcheUt, nicht einmal, trotz ihres eleganten Anzuges, den Protest der grämlichen Weiber erregt. die mit ihrem Abendeintauf aus den Konsumvereinen, den kläglichen Krämerladen kommen. Es fällt ihr auch nicht ein, in die Burgstraße einzubiegen zum Schauplatz ihrer Tat... sie denkt zur Sunde nicht einmal an die Witwe Grandjeon... Und nun stehen böse Sterne am schwarzen Himmel, nun bläst frischer, eisiger Wind, daß man marschieren könnte bis aas Ende der Welt. Nun rauscht man schön und sicher wie
vor dem Passat eine Viermastbart die Linden entlang, weiß, daß man Aufsehen erregt mit seiner Schönheit, wittert hier, wo zur Stunde die Omnibusse ganze Wagenladungen lebens- hungriger Mannsbilder nach den Lokalen der Friedrichstadt verfrachten, wie ein schönes Tier, bringt mit einem stolzen, eisigen Blick eine gelegentliche zynisch» Bemerkung zum Schweigen. Was aber geschehen soll nach den unerschütterlichen Gesetzen menschlichen Schicksals und menschlichen Leidens. geschieht am westlichen Teil der Linden, hier, wo an der Via Triumphalis der alten preußischen Legionen die Reihe der Botschaften beginnt. Was geschehen soll, vollzieht si-H vor irgendeinem altmodischen, vornehmen Hause mit irgendeinem Staatswappen, auf dem unter einer phrygischen Mütze sich zwei Hände reichen. Menschen drängen sich vor dem Hause unter dem Eindruck einer Sensationsnachricht, die an der Telegrammtafel'rgcnd- einer Zeitung angeschlagen ist, splittern ab von dem Haufen, gehen, leise debattierend, um ja ihre Ansicht nicht laut werden zu lassen, die Straße hinunter. Hinein in den Haufen von Männern, mitten hindurch zwischen unwirschen Arbeitern und BörsendandysI Was da zu lesen ist, ist einfach die Nachricht von der Ermordung irgendeines verhaßten Revolutionsministers: angefallen auf einem Spaziergang... sofort tot... anscheinend mehrere Mörder... Täter entkommen... ist sie eigentlich wahn- sinnig, daß sie, die elegante Dame inmitten dieser Menge, die Nachricht des Blattes da mit einem schrillen, bubenhaften Pfiff quittiert? Sie spürt das Mißfallen ringsum, sie hört abfällige Bemerkungen, sie fühlt, daß der Alkohol mit diesem als Demonstration aufgefaßten Pfeifen ihr einen schlechten Streich gespielt hat.©i« faßt die Menge ins Auge mit dem frechen Blick, den sie feit heute abend erst zu handhaben versteht: „Wagt's doch, mich anzurühren!" Sie kommt wirklich frei, ordnet unter der Bogenlampe des Gesandtschaftsportales das im Gedräng« herabpeglittene Cape, hört, daß etwas auf die Granitquadern des Trottolrs gefallen ist. „Sie geruhten, Ihre Kette zu verlieren." Der Mann, der zu diesem altmodisch höflichen, mit irgend- einem exotischen Akzent gesprochenen Worten gehört, steht plötzlich, wie aus der Erde gewachsen, vor ihr. Es ist ein bart- loses, ein wenig altmodisches Gesicht mit großen melancho- lischen Augen, der knabenhaft schlank« Körper, der unter dem
kurzen Frackmantel sichtbar wird, will eigentlich nicht passen zu diesem alten Gesicht: es ist der Mann, der sie gestern im Exzelsiorhotel fixiert hat. Unwillkürlich ist sie einen Schritt zurückgetreten. Der andere hat die Perlenkette aufgehoben, hält sie in der Hand: „Ein erlesener Schmuck, Madame, ein außerordentliches Stück ... man sollte doch sehr vorsichtig sein mit solchen Dingen!" Sie sieht ihn scharf an: irgendein anzüglicher Hohn scheint in diesen Worten zu lauern, in den großen Augen, deren Blick aus dem Grabe kommt... es ist ein Dämon, der sie verfolgt und gestellt hat! Da kommen zwei Hände, zwei zierlich«, außerordentlich gepflegte, kindliche Hände; die Hände halten das Kollier, legen es ganz langsam, ganz langsam um den Hals... es ist, als legte der Henker ihr«ine Schlinge um die Kehle. „Man muß acht geben, Madame," sagt die sanfte Stimme, „man muß vor allem die Sicherung hier festlegen, man muß..." Di« Finger, die Perlen liegen auf ihrem Fleisch, es ist, als ob Grabeskält« von den Perlen ausginge.„Wer sind Sie?" stammelt sie halb von Sinnen, faßt sich, bringt ein paar Worte des Dankes zustande, will sich verabschieden. „Ich hatte die Ehre, Sie gestern im Exzelsiorhotel zu sehen," sagt die Stimme, die wie gesprungenes Glas klingt. „Oberst Miramon... glücklich. Ihnen einen Dienst erwiesen zu haben. Ich sag«„auf Wiedersehen!" Zylinderlüften... verschwunden: eine riesige dunkle Limousine, die mit tiefem, langgezogenem Baß nach Westen, nach dem Brandenburger Tor zu fliegt. * Omnibusse, die mit Männerfracht zur Friedrichstadt eilen, metallisches Blitzen der Räderspuren auf dem Asphalt. An die Mauer gelehnt eine Weile, in die Menge gestarrt: eine Kokotte ... ein Perser in Tracht, ein Herr aus Chemnitz , fest ent- schlössen, sich heute zu amüsieren, und bestimmt, morgen zu erwachen mit den größten Kopfschmerzen der Welt und ge- stohlener Brieftasche. Zwei Kokotten, Herr in Cut, drei sapa» nische Studenten, die nach weißem Weiberfleisch ausspähen. eine Kokotte, ein herrenloses Hündchen, das die Straße entlang jagt mit gekrümmtem Rücken... Kokain ä ssiserssürrn... alter, unerhört abgemagerter Bettler mit unverkennbarer Krebskachexie und demütig abgezogener Lumpenmütze.,, daß Gott den armen Kranken helf... j __(Fortsetzung folgt.)