Abendausgabe
Nr. 155 44. Jahrgang Ausgabe B Nr. 77
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Vorwärts
SW
Berliner Volksblaff
10 Pfennig
Freitag
1. April 1927
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Zentralorgan der Sozialdemokratifchen Partei Deutschlands
Der Finanzausgleich heftig umstritten.
Die Sozialdemokratie lehnt ab. ab.- Preußen und Sachsen protestieren gegen
Auf der Tagesordnung der heutigen Sigung des Reichstags steht eines der wichtigsten politischen und finanzwirtschaftlichen Probleme des Reiches:
die zweite Beratung des Gefeßentwurfs zur Uebergangsregelung des Finanzausgleichs zwischen Reich, Ländern und
Gemeinden.
In Berbindung damit soll auch der Gesezentwurf zur Aenderung
Absichten ein und spricht in letzter Stunde die Erwartung aus, daß der Reichstag seine Hand zu Maßnahmen solcher Art nicht bieten wird.( Beifall links.)
| Reiches dazu nötigt, die nur einmalig vorgesehenen Ausgaben zur| werden. Die fächsische Regierung legt Verwahrung gegen diese wirtschaftlichen und fulturellen Förderung der durch den Kriegsaus gang schwer betroffenen Grenzgebiete, zu denen auch die besetzten Gebiete gehören, zu fürzen und möglicherweise in den folgenden Jahren ganz fortfallen zu lassen. Damit wird
gegen den Grundsatz der gleichmäßigen Behandlung aller Teile des Reiches verstoßen
Abg. Dr. Herh( Soz.):
macht jetzt zur Geschäftsordnung darauf aufmerksam, daß die Er flärungen der preußischen und der sächsischen Regierungen gezeigt
nicht die von den Regierungsparteien erwartete Beruhigung, sondern glaubt, daß durch diese Erklärung eine neue Situation geschaffen das Gegenteil eingetreten sei. Die sozialdemokratische Fraktion worden ist, die zu einer Aenderung der bisherigen Dispositionen des Reichstags Veranlassung geben sollte. Durch diese Erklärungen ist die Notwendigkeit geschaffen, wenn man nicht schwere staatspolitische Gefahren und Konflitte heraufbeschwören wolle, eine Nachprüfung der verfassungsrechtlichen Voraussetzungen für die Frage der Neuverteilung der Biersteuerentschädigungen vorzunehmen. Wir beantragen deshalb, den Gefehentwurf zur Aenderung der Gefehe über den Eintritt der Freistaaten Württemberg, Bayern und Baden in die Biersteuergemeinschaft zur nochmaligen Beratung an den Steuerausschuß zurüdzuverweisen.
der Gesetze über den Eintritt der Freistaaten Württemberg und gegen den weiteren Grundfah, daß, je beschränkter die Mittel hätten, daß durch die vorliegende Gestaltung des Finanzausgleichs Bayern und Baden in die Biersteuergemeinschaft, bes Reiches sind, fie umso sparsamer und gerechter verteilt werden die Novelle zum Gesetz über den Geldentwertungsaus müssen. Ein solches Vorgehen muß in den durch den unglück gleich bei bebauten Grundstüden( Hauszinssteuer), lichen Kriegsausgang betroffenen Gebieten, deren weiter die Haushalte der allgemeinen Finanzverwal. ganze wirtschaftliche Basis auf das schwerste erschüttert ist, be tung, der Reichsschuld, des Reichsfinanzministerechtigte Berstimmungen auslösen. Die Stärkung und riums sowie der Ergänzungsetats und der Haushalts. Förderung gerade diefer Gebiete ist aber für das Reich politisch, fulturell und wirtschaftlich mindestens von der gleichen Bedeutung, gefege beraten werden. wie die Befriedigung finanzieller Sonderwünsche einzelner Länder. Die preußische Regierung würde an sich bereit sein, Maßnahmen der Reichsregierung zur Behebung vorübergehen ber finanzieller Schwierigteiten einzelner än der zu unterſtügen, gegen den jegt eingeschlagenen Weg aber, der auf der einen Seite das Reich für immer um jährlich vierzig Millionen Mart mehr belasten soll, auf der anderen Seite einmalige dringende Ausgaben zum Nachteile gerade der bedürftigsten Reichsteile fürzen will, erhebt fie aus den angegebenen Gründen pflicht- haft, da die Bläge der Rechten und des Zentrums noch ziemlich gemäß Widerspruch.
Auf der Tagesordnung ist vorgesehen, daß jede Fraktion 2½ Stunden Redezeit für den Finanzausgleich haben soll. Zugleich wird aber mitgeteilt, daß über die übrigen Gegenstände nur noch Abstimmungen stattzufinden hätten.
Das Präsidium, in dem die kundige Führung des Sozial. bemofraten Löbe fehlt, hat es so eilig gehabt, daß es ganz übersah, daß einige Gegenstände noch gar nicht einmal beraten worden sind, daß daher noch gar nicht darüber abgestimmt werden könne. Darauf machte bei Beginn der Sigung der Führer der sozialdemokratischen Fraktion, Müller- Franken aufmerksam, insbesondere verlangt er, daß vor der Abstimmung erst eine, Be. ratung der Haushaltsgesehe vorgenommen werden müfje. Bizepräsident Graef- Thüringen bestätigte diese Feststellung.
Erklärung der Bürgerblockparteien.
Die Beratung des Finanzausgleichs wurde vom Fraktionsführer der Deutschnationalen , Graf Westarp , mit der Ver. lejung einer längeren Erklärung der Regierungs. parteien eröffnet. Es wird darin der Wille des Finanzministers begrüßt, in die fünftige Gestaltung des Reichshaushalts sowie in die Kaffenführung eine größere Klarheit und Einfachheit hinein. zubringen. Die Erklärung macht dann darauf aufmerksam, daß sich erst in den letzten Monaten die Auswirkungen der Steuerfenfung von 1925 und 1926 gezeigt hätten, auch die Reparationslasten machten sich in immer steigendem Maße fühlbar. Das Bolt habe noch nicht den vollen Ernst der finanziellen Lage erkannt. Die Wünsche der Regierungsparteien sowohl bei den Besitzsteuern wie bei den Verbrauchssteuern eine weitere Senfung herbeizuführen, hätten zurückgestellt werden müssen. Durch Garantierung erhöhter leberweijungen an die Länder und Gemeinden follten diese zu einer Herabjegung und Milderung derjenigen Steuerlaften tommen, die auf der Wirtschaft unmittelbar und zum Teil auch durch Abwälzung auf die breiten Massen der Arbeiter am brüdendsten ruhen. Die Länder fönnten diese Verpflichtung durchführen, zumal das Reich die Kosten für die Unterſtüßten der Erwerbslosenfürsorge aus seine Raffe übernehme. Der en d. gültige Finanzausgleich könne erst dann in Angriff ge= nommen werden, wenn sich die Auswirkungen unserer Reparationsverpflichtungen in ihrem vollen Umfange übersehen ließen. Für die Real- und die Hauszinssteuern soll ein Reichsrahmençesetz geschaffen werden. Die Erklärung gibt dann der Hoffnung Ausdruck, daß durch die Neuregelung des Finanzausgleichs eine allgemeine Befriedung erreicht werde. Sie zählt ferner die einzelnen Veränderungen auf, die in dem Kompromiß der Regierungsparteien enthalten sind. Um eine Balancierung des Etats herbeizuführen, feien aus dem Betriebsmittelfond 190 Millionen sowie 200 millionen Mart voraussichtlicher Ueberschüsse aus dem Etatsjahr 1926 in den ordentlichen Etat eingestellt
worden.
Preußen und Sachsen protest'eren! Nunmehr erhebt sich unter allgemeiner Spannung der preußische Ministerpräsident Braun,
Sächsischer Gesandter Dr. Gradnauer
gibt hierauf im Auftrag der sächsischen Regierung folgende Er. flärung ab: Die sächsische Regierung sieht sich genötigt, wie sie es schon im Steuerausschuß getan, auch in diesem Stadium der Berhandlungen die schwersten Bedenken gegen die neue Vorschrift des Absages 2 des§ 4 zu äußern. Sachsen , das infolge der starken Entwidlung feiner Industrie und bei seiner dichten Bevölkerung- höhere Ausgaben, namentlich sozialer Art, als andere Länder zu tragen und von jeher mit den schwierigsten Ernährungsverhältnissen zu fämpfen hat
Sachsen wird aus den in Sachsen aufgebrachten Steuern im wesentlichen an Bayern und Preußen Unterstühungen abzuführen haben,
obwohl Preußen solche Beihilfen ablehnt und in Bayern Lebensbedingungen bestehen, die zu den weitaus günstigeren im Reich gerechnet werden dürfen. Damit werden Bestimmungen in das Gesetz aufgenommen, die von größter grundfäßlicher und dauernder Bedeutung sind, die über den provisorischen Charakter des Gesetzes weit hinausgehen und die den berechtigten Interessen dies schwer ringen den sächsischen Staates und seiner Gemeinden in feiner Weise gerecht
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Beschlußunfähig!
Die Abstimmung über diesen Antrag ist zuerst zweifelschwach besetzt sind. Es muß daher eine Auszählung des Hauses ( Hammelsprung) vorgenommen werden. Für den Antrag stimmen 128, gegen ihn 117 Abgeordnete. Es sind also im ganzen nur 245 Abgeordnete im Hause, der Reichstag ist beschluß= unfähig. Vizepräsident Graef beraumt eine neue Sigung auf eine halbe Stunde später, um 11% Uhr, an.
Während der Erklärung des preußischen Ministerpräsidenten Braun spielen sich im Plenum des Hauses noch einige bemertenswerte Borgänge ab. Der Fraktionsführer der Bayerischen Volks= partei, Abg. Leicht, geht auf den Zentrumsführer v. Guerard zu, offenbar, um ihn darüber zur Rede zu stellen, daß der preußische Ministerpräsident eine solche Erflärung abgeben fönne. Bu erard schüttelt mit dem Kopf, er scheint Herrn Leicht zu bedeuten, daß auch die Zentrumsmitglieder der preußischen Regierung mit der ErDamit der flärung des Ministerpräsidenten einverstanden seien. Humor in dieser immerhin sehr ernsten Situation nicht fehle: Der deutschnational- völkische Abgeordnete Schäffer, seines Zeichens Staatsanwalt in Breslau , der sich selbst für einen der erleuchtetsten Köpfe des Reichstages hält, ist durch die falsche Tür in den Sigungsfaal eingetreten, so daß er mit der Linken für den sozialdemokratischen Antrag gestimmt hat. Er wird dafür von Herrn Schulze Bromberg unter stürmischer Heiterkeit des Hauses öffentlich gerüffelt.
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Deutschnationaler Bannbruch.
Demonstration am Bismarckdenkmal.
In der heufigen Landtagsfihung ereignete sich während der Abftimmung über die Grundsteuer ein seltsamer Zwischenfall.
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Ein Major plötzlich verstorben.
Daß der Major Weißberg sich über diesen Vorfall aufgeregt und einen Schlaganfall erlitten hat, ist gewiß bedauerlich, aber ein völlig unvorausfehbares Ereignis, mit dem der Schutzpolizist nicht rechnen konnte.
Die Mächte verhandeln-
Der deutschnationale Abg. v. Schlange- Schöningen verlangte zur Geschäftsordnung das Wort und teilte mit, daß der General a. D. v. Wrisberg während einer und gebung rechtsgerichteter Kreise am Bismard- Denkmal von einem Schutzpolizeibeamten arretiert und hierüber fo in Erregung gekommen sei, daß er einen Schlaganfall erlitten habe und und überlassen es Südslawien, fich gegen den Faschismus daran verstorben jei Der Redner profeffierte gegen diefes Borgehen und verlangte, daß der preußische Innenminiffer wegen des Verhaltens des betreffenden Schutzpolizeibeamten sofort dem Hause Rede stehen sollte.
um folgende Erklärung für die preußische Regierung abzugeben: Der§ 6 des Gesetzes vom 27. März 1919 und der§ 8 des Gemäßig unzulässig zurüd. fezes vom 24. Juli 1919 lauten wörtlich:
,, Aenderungen dieses Gesetzes fönnen nur unter den Vorauslegungen erfolgen, die nach der Reichsverfassung für Ver. fassungsänderungen vorgesehen sind."
Daß es sich bei dem vorliegenden Gefeßentwurf über Erhöhung ber Biersteueranteile um eine enderung dieser Gesetze handelt, fann nach dem fachlichen Inhalt feinem 3weifel unterliegen, es ist auch in der Ueberschrift und in den§§ 1 und 2 noch ausdrücklich ausgesprochen. Hiernach steht fest, daß zur Berabschiedung des Gesezentwurfes die in Artikel 76 der Verfassung verlangte 3 mei drittel Mehrheit sowohl im Reichstage wie im Reichsrat erforderlich ist.
Neben diesen rechtlichen Bedenken bestehen aber auch solche fchwerwiegender fachlicher Art. Mit dem alle Länder betreffenden allgemeinen Finanzausgleich soll ein
Sonderfinanzausgleich zugunsten einzelner Länder verbunden werden. Der Reichshaushalt soll für immer um jährlich rund vierzig Millionen Mart zugunsten einzelner Länder mehr belastet werden, deren Finanzlage im ganzen nicht wesentlich ungünstiger ist als im Durchschnitt die aller übrigen deutschen Länder. Und das in einem Augenblid, in dem die ungünstige Finanzlage des
Der Präsident wies das Begehren als geschäftsordnungsSofort darauf wurde bekannt, daß es sich nicht um den General a. Wrisberg, sondern um einen Major Weißberg handelt, der plötzlich verstorben ist.
zu wehren.
Paris , 1. April. Die Agence Havas" berichtet: Die Ber handlungen zwischen den intereffierten Ranzleien über die Re gelung des italienisch- Jugoslawischen Streitfalles dauern an. Es scheint nicht, daß man noch an dem Plan eines Ausschusses zur Untersuchung der von Italien Jugoslawien zur Last gelegten militärischen Vorbereitungen oder an dem Plan einer ständigen Rontrollkommission, die bis zum Eintritt einer Entspannung zwischen den beiden Ländern ihre Tätigkeit ausüben würde, festhält. Nach dem gegenwärtigen Stand der Besprechungen faßt man folgenden Plan ins Auge: Die Militärattachés Frankreichs und Eng Gefandischaft follen nach gemeinsamer Berständigung beauftragt werden, sich an Ort und Stelle zu begeben, falls sich an der italienisch füdslavischen Grenze 3wischenfälle ereignen während Südslawien und Italien eingehende Verhandlungen führen. und zwar sowohl über den Vertrag von Tirana , wie über das Abkommen von Nettuno .
Wie wir von zuverlässiger Seite erfahren, hat sich der Borfall wesentlich anders zugetragen, als ihn der deutschlands in Belgrad und ein Legationssekretär der deutschen nationale Redner dargestellt hat. Aus Anlaß des Geburtstages Bismarcks fanden heute am Bismarcdenkmal größere Anfammlungen von rechtsgerichteten Verbänden, Bereinen usw. statt.
Hierbei nahm der Major Weißberg das Wort zu einer Ansprache. Bekanntermaßen befindet sich das Bismarckdenkmal innerhalb der Bannmeile,
für deren Respektierung gerade die Deutschnationalen stets mit besonderer Schärfe eingetreten sind. Der Schuhpolizist, der dem Major das Reden untersagte und seine Personalien feststellen wollte, befand sich daher in vollständig rechtmäßiger Aus übung des Amtes. Er ist auch in der Form keineswegs verlegend aufgetreten.
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