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Das Prokrustesbett ües Hürgerblocks.
Unü so Sie Lebenshaltung öes Arbeiters verkürzt...
Zehn Meter Gras. Von Wolther Gösch. Dir haben seht einen grünen Platz in unserer Stadt. Ungefähr zehn Meter Gras, einige Bäume— Dana kommt schon wieder die grotze Fabrik. wean's Mittag pfeift, laufen wir alle die Strohe hinunter, Hin zu dem Streifen Paradies Und stellen uns wie befreit in die Sonne. Das Blut trommelt dann schneller den Körper hinauf. Preßt sich gegen die Schläfen. Ausrücken möchte das Herz, doch die Füße lragen's nicht fort. wir müssen hierbleiben, damit die Maschinen gehen. Ja. wir wollen es auch! Tcur breiter das Band des Frühlings vor unseren Augen. Nur mehr Licht in den Fabriken Und weniger saures Brot. Zehntausend Liter Luft. Raum zur Bewegung. Da ist's, was wir uns schaffen wüsten i
Die letzte Sekunde. Novelle von Wilhelm Schusse». Er litt an einer schmerzhaften Ohrenentzündung. Manchmal ging alles mit ihm im Ring herum. Er fiel dann wie ein Bettun- kener zu Boden und erbrach sich genau wie ein solcher. Der Arzt aber gab die Hoffnung trotz allem nicht auf. Die Aerzte machen einem immer wieder Mut. Das ist ihr Haupttunststück, das in jedem Falle Geld wert ist. Wenn seine Frau Hilde noch gelebt hätte, wäre er wenigstens ordentlich gepflegt gewesen. Nun, er konnte sich ja auch wieder verheiraten, er hatte dos Geld dazu, er hatte die Möbel. Freilich konnte er kein« Frau mehr finden wie die verblichene, die mit ihm jung gewesen und mit ihm alt und lebenssatt geworden war. Er konnte namentlich auch nicht mit einer Ohrenentzündung heiraten, jedenfalls heute abend nicht mehr. Er hätte eben noch ein« Zeitlang im Spital bleiben sollen,«r war tatsächlich viel zu früh dort wegge- gangen. Jedenfalls aber hätte er sich mit der Schneiderfrau Wöllhof, die ihm den Haushalt notdürftig besorgte, durch Nachttelephonanschluß verbinden lassen sollen. Aber wozu auch? Wenn er endlich sterben konnte, war sie khm doch nur im Wege, genau wie die Pflege im Spital und der Arzt mit seinen Apparaten, die nur ihm selber nützten und den Kranken wehtaten. Er tastete nach dem geladenen Revolver auf dem Nachttischchen und überzeugte sich, daß er noch dort lag. In einer Sekunde war olles geschehen. Ein« einzige Sekundenkraft genügte, um alles Schicksal wegzublasen, alle diese sinnlosen Schmerzen, das äußere und dos innere Ohr selber, samt Labyrinth und Hammer und Amboß und Steigbügel, genügte, das Spital und dos Heimweh nach der Toten wegzublasen, ebenso die Sorge um Geld und Haus und Garten. Denn eigentlich war es ja durchaus gleichgültig, wer nachher seinen Besitz antrat. Sein« Verwandten hatten in früheren Jahren, als er noch unvermögend war, sich nie viel um ihn ge- kümmert. Ein Bruder seiner Frau lebte in Amerika . Bis die Erb- schaft die Reis« über den Ozean hinter sich hatte, war soundso viel zu Wasser geworden. War nicht eben die Tür unten im Flur gegangen? Oder war es der Wind, der heute so frühlingswild vor den Fenstern raffelt«? Oder war es fein inneres Ohr, das Labyrinth, der 5)ammer, der Amboß , der Steigbügel? Er hatte den Riegel an der Flurtüre vor» zuschieben vergessen. Er wollte das Licht andrehen, ober seine Hand blieb starr im Dunkel hängen. Denn die Treppe herauf schlichen nun taffächlich Tritte. In der Korridortür begann ein Bohren und Stochern und schon gab sie leise knirschend nach. Es war also offen- bar«in Dieb im Hause. Oder war es immer noch das innere Ohr? Er legte sich zurück, schloß die Augen und hielt den Atem an. Er beobachtete sich. Aber da machte er plötzlich, obwohl er die Augen immer noch krampfhaft geschloffen hatte, die Wahrnehmung, daß nun Licht im Zimmer war. Er überlegte mit äußerster Willens- anspannung eine Weile den ganzen Sachverhalt. Er war also im Bett, auf dem Nachttisch lag sein geladener Revolver. Er war allein. Er hatte«ine Ohrenentzündung. Aber ein einziger Druck genügte, um das alles auf ewig wegzublasen. Als er endlich mit einem letzten Entschluß die Augen öffnete, stand ein ihm ganz unbekannter Mensch vor ihm, ein eckiger, breiter Kerl mit rotbrauner Mütze, breitem bräunlichen Gesicht, vorspringen- den derben Backenknochen und langgezogenem, hellblonden Schnurr- bort. Aber nun mußte«r nach innen hinein geradezu lächeln. Denn der Kerl hatte taffächlich bereits den Revolver vom Nachttisch in der Hand und hiett ihn schußbereit auf sein Opfer zu. „Also, so sieht einer aus, der den Mut dazu hat", sagte Bletzinger endlich. „Wo ist das Geld?" versetzt« der breite, eckige Kerl ohne Um- schweife.. „Das Geld?" Bletzinger löchelle verächtlich. .Keine Umstände! Wo ist es? oder ich drücke los!" „Don mir aus kannst du losdrücken", erklärte Bletzinger sofort. Er neigte sich auf die Seite und fügte hinzu:„In dieses Ohr womöglich durchs Gehirn... ober schließlich auch durch die Brust, ganz wie du willst." „Wo ist das Geld?" „Auch das sage ich dir noch, wenn du ein wenig Gedold hast. Wenn du ober keine Gedold hast, dann drücke, wie gesagt los, in Gottes Namen oder in drei Teufels Namen, das ist deine ganze Sache, aber das Geld findest du dann in alle Ewigkett nicht, denn das Hab ich meinem Vetter In Amerika zuliebe dermaßen raffiniert versteckt, daß all« Schatzgräber der Welt es nicht fänden." „Raus damit! Wo ist das Geld?" „Ich will dir etwas sagen. Ich Hab mich soeben ums Leben bringen wollen, aber wenn du mich nun nötigst, daß ich mir d«n Revolver ans Ohr hall«, und wenn du selber losdrückst, dann hast du dein Spiel gewonnen. Dann bist du vor der Nachstellung des Strafrichters sicher. Denn dann habe ich vor der Well mir selbst die Kugel ins Ohr gejagt, und dann kannst du das Geld holen und dich aus dem Staub« machen. Also gib mir mal den Revolver her."
„Hälfft du mich für einen solchen Dummkopf?" grinste der greulich« Kerl. „So tu was du willst", sagte Bletzinger und ließ den Kopf aufs Kiffen fallen. „Das Geld, das Geld!" „Fällt mir nicht ein, dir das Versteck zu entdecken. Aber so schieß doch, Kerl, ich glaube säst, du hast ebenfalls Angst." „Bist du allein im Hause?" grinste der Greuliche. „Ei freilich, aber das weißt du doch: sonst wärst du doch nicht hier eingedrungen." „Und warum willst du Schluß machen?" „Weil ich an einer Ohrenentzündung leide, weil ich allein bin, weil meine Frau tot ist, weil..." „Und warum machst du es denn nicht?" „Weil ich es nicht fertig bringe, weil ein ganz furchtbarer Mut dazu gehört, weil ich nicht über die letzt« Sekunde hinwegzusteigen oermag?" „Du bist ein Frömmling?" .Keine.Spur davon. Aber setze dich doch bitte, auf den Stuhl ... so danke. Aber siehst du, das ist so ein« Sache. Wenn mir zum Beispiel da einer sagt, mit dem Tode ist alles aus, es gibt keinen Gott, und kein Gericht, so mag das vielleicht richtig sein, aber wenn mir ein anderer das Gegenteil sagt und eine unsterbliche Seele be- kennt: so kann das eben mindestens ebenso richffg sein. Komm, nimm dir ein Glas Weinbrand, dort neben dem Weißzeugschrank steht die Flasche... Ich soll zuerst davon trinken? Nun meinet- wegen... Herrgott, was du für eine Angst um dein Loben hast! Ist es denn wirklich gar so schön, einzubrechen, zu stehlen, zu töten? Warum machst denn du selber nicht Schluß?" „Sag mir endlich, wo dein Geld steckt, heraus damit!" „Ich sage es dir ja. Du brauchst es schließlich auch viel eher als mein Schwager in Amerika , der ja viel reicher ist als ich selber. Ist der Kognak gut? Nun, trink ihn doch gleich aus der Flasche, Vetter. Denn ich trink bei Gott jetzt keinen Tropfen mehr. Ei, ei, das hätt ich doch nicht geglaubt, daß es auch für mich so schwer sei, daß du dir nun dermaßen Mut antrinken mußt. Ich glaube nächstens, daß du selber ein Frömmling bist oder doch ganz sicher noch einer werden wirst, sobald du mich einmal aus der Welt geschafft hast." „Mach kein« faulen Witze." „Aber so schieß doch endlich, du Schwächling, du Ungeheuer, der du nur Mut hast, wenn es um die Ewigkeit der anderen geht. Wenn du meinen Revolver noch lange so hängen läßt, wird er dir noch aus der Hand fallen und am Boden losgehen und dich in den Fuß treffen. Und dann kann die Polizei kommen und den üblichen Prozeß beginnen." „Habt Ihr Euch wirklich töten wollen?" ftagte der Greuliche lauernd. „Ei ftellich, du Feigling, du Ungeheuer." „Und nur deshalb, weil Ihr ein Frömmling seid, habt Ihr es nicht fertiggekriegt?" „So ist es ungefähr." „Und wenn ich Euch nun den Revolver gebe, dann drückt Ihr affo los?" „Nein, du Schelm, nur wenn du mich zwingst, ihn ans Ohr zu halten, du selber aber abdrückst. Dann sollst du von mir aus die Erlaubnis haben, mein Geld zu stehlen." „Und wenn ich aber nun weggehe und Euren Revolver mit- nehm«, wie viel Geld gebt Ihr mir dann dafür?" „Keines, gar keines, nicht einen Pfennig, du Feigling. Aber anzeigen werde ich dich dann, sobald du fort bist durchs Telephon, und dann wird man sehen, wer schnellere Beine hat, du oder die Polizei." „Aber Ihr kennt mich ja gar nicht. Ihr phantasiert ja bloß im Fieber. Ihr wißt morgen srüh von der ganzen Sache überhaupt
nichts mehr. Ich kann Euren Revolver also auch ruhig liegen lassen und das Licht ausmachen und mich auf und davon machen." Der greulich« Kerl drückte die Mütze tief ins Gesicht hiNeW,- dreht« das Licht aus und verschwand tatsächlich. Und dann lief natürlich das Karussell wieder, der Hammer, der Amboß , der Steigbügel... Aber am Morgen stand nun wahrhastig die Kognakflasche auf dem Nachttischchen... Da hörte denn doch alles aus! War er nun, als das Karuffell lief, vielleicht gar selber aufgc- standen und hatte den Kognak geholt? Er hätte, bei allem, was es gab, nichts Sicheres darüber sagen können, so wenig wie über das dem irdischen Wissen ewig verschlossene Rätsel nach dem Tode. Aber im Mittagsblatt las Bletzinger in der Tat die Notiz, daß sich heute morgen in aller Frühe ein langgesuchtcr schwerer Der- brecher und Raubmörder am Rande des nahen Weiherwaldes im grellsten Freilicht gleichsam vor aller Welt erhängt habe. War es nun derselbe gewesen, der nachts an seinem Bette gc- standen hatte? Und hatte er nun doch den irren Kopf freiwillig der Ewigkeit geopfert? Die rotbraune Mütze stimmte jedenfalls. Der Bart aber konnte auch ein künstlicher gewesen sein. Bletzinger tastete nach dem Revolver in der Schublade und steckte ihn ftir immer an den geheimen Ort, wo seine Wertpapiere lagen. Dann kleidete er sich an, um sich noch einmal im Krankenhans zu melden.
ver Vater der neueren Akustik. Zum heutigen 100. Todestage Chladnis. So alt auch die Akustik ist:— schon Pythagoros soll die Har- monie der Töne gefunden haben— die ersten wirklichen Versuche über die Natur der Töne, über das Wesen des Klanges verdankt man dem deutschen Physiker Ernst Florens Friedrich C h l a d n i, der mit Mozart das Geburtsjahr, mit Beethoven das Todesjahr gemein hat. Der Vater, Projeffor der Rechte an der damaligen Universität Wittenberg , wollte aus dem Sohn trotz seiner ausgc- sprochcneii Neigung für die Naturwissenschaften einen Juristen machen. So wurde Chlädni als Or. jur. in Leipzig promoviert. Aber seine wirkliche Neigung war damit nicht ertötet. Er betätigte sich auf den verschiedensten Zweigen der Physik. Auf der Fürsten - schule in Grimnia, auf die er als l�jähriger Knabe gekommen war, hatte er das Klavicrspiel erlernt und sich später sehr eifrig mit der Theorie der Tonkunst beschäftigt. Auch als Dr. jvr. setzte er diese Studien fort. Es genügten ihm nicht die theoretischen Untcrsuchun- gen der großen Mathematiker und Physiker Daniel Bernoulli und Leonhard Euler über die Schwingungen der Saiten. Er, der später einer der vorzüglichsten Experimentatoren wurde und sich als reisen- der Expcrimcntalphysikcr einer außerordentlichen Anziehungskraft erfreute, versuchte durchaus nicht die mathematische Behandlung der akustischen Probleme: nur stand ihm das Experiment höher. Wie kommt ein Ton, ein Klang zustande? Kann man nicht durch besondere Eingriffe die Eigenart des Klanges erkennen oder gor verändern? So ging Chladni , der„Vater der neueren Akustik", daran, neben Stäben auch Platten und Membrane zum Tönen zu bringen. Er fand zuerst, daß Glas- oder Metallplatte» verschiedene Töne liefern, wenn man sie an verschiedenen Stellen festhält und anschlägt oder anstreicht. Er machte auch zuerst die Ton- schwingungen einer Platte und deren Knotcnlinien dadurch sichtbar. daß er auf die Platte feinen Sand streute. Dieser wurde von den schwingenden Teilen der Platte fortgeschleudert und markierte so ihre Änotenlinien. Diese„Chladnischen Klangfigurc n". deren mathematische Bewältigung den Scharfsinn hei vorragender theoretischer Physiker wiederholt beschäftigt hat, ohne daß man bis jetzt eine völlig beftiedigendc Lösung gefunden hat, war keineswegs die geistreiche Spielerei eines geschickten Experimentators. Sie öffnete den Weg zur Erkenntnis der Notnr der Töne und ihrer charakteristischen Schwingungen.