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Abendausgabe

Nr. 16344. Jahrgang Ausgabe B Nr. 81

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10 Pfennig

Vorwärts=

Berliner Volksblaff

6. April 1927

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Zentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutfchlands

Wahnsinnstat in Peking  !

Tschangtsolins Einbruch in die Sowjetbotschaft. Mit

Zustimmung der Mächte?

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Der reaktionäre Kurs geht weiter!

Peking, 6. April.  ( Reuter.) Etwa 100 Soldaten Bürgerblock gegen alle Verbefferungen des Arbeitszeitnotgesetzes im Ausschuß.

Tschangtfolins, die gemäß einer vom diplo- Der sozialpolitische Ausschuß des Reichstags hat heute die Be-| Ausnahmen nur durch tarifvertragliche Vereinbarungen zulassen. matischen Korps unterzeichneten Ermächti- ratungen über das Arbeitszeitnotgefeß aufgenommen. Sie schilderte die große Not diefer ausgebeuteten Arbeiterschichten. gung handelfen, drangen heute morgen, begleitet von be- Neben der Regierungsvorlage stand das sozialdemokratische Der Bürgerblock schwieg und stimmte auch diesen Antrag nieder. waffneter Polizei, in die Botschaft der Sowjet- Initiativgese mit zur Beratung, das wörtlich den Forde Ebenso wurde der Antrag zu§ 5 abgelehnt, der Behn- und Zwölf­rungen der Gewerkschaften nach allen Richtungen entspricht. Die Stundentag in 3 wangstarifen beseitigen foll. republik   ein. Ein Schuß fiel; darauf wurde ein Russe Ausschußverhandlungen zeigten die arbeiterfeindliche Ein­aus dem Gebäude hinausgeworfen, gefesselt und in einem stellung des Befitbürgerblods in aller Form. Die Re­Automobil fortgebracht. Bis jetzt wurden etwa fedhs gierungsparteien zogen es vor, sich zu den meisten Anträgen auszu­Ruffen und zwanzig Chinesen zur Polizeiwache gebracht. Schweigen oder sie schickten Herrn Stegerwald vor, der dieses Unternehmerschutzgesetz zu verteidigen wagte. Ein Maschinengewehr, fünfzehn Gewehre und zahlreiche Munition wurden in der Botschaft beschlagnahmt. Der Geschäftsträger der Sowjets und andere Beamte der Bot­fchaft follen in ihren Arbeitszimmern in Haft gehalten werden. Die Truppen hatten die ganze Botschaft besetzt.

Anmerkung von WIB.: An deutscher amtlicher Stelle war eine Bestätigung dieser Meldung nicht zu erhalten.

Wenn diese Meldung von der russischen Telegraphen­agentur stammte, dann müßte man instinktiv glauben, es handle sich um einen plumpen und verspäteten Aprilscherz.

Aber es ist die englisch- offiziöfe Reuter-Agentur, die diesen geradezu ungeheuerlichen Vorgang meldet. Und welches Interesse hat die Reuter Agentur, eine er­fundene Meldung in die Welt hinauszusenden, durch die die eigene Regierung eines Verbrechens beschuldigt wird, das an Wahnsinn grenzt?

In dem Telegramm heißt es ausdrücklich, daß das Befinger diplomatische Rorps seine Ermächtigung zu dieser unerhörten Aktion gegen die russische Botschaft er­teilt hat. Das diplomatische Korps hat überhaupt nicht das Recht eine solche Ermächtigung zu erteilen. Wohl wäre es möglich, daß der englische   Gesandte und vielleicht auch diefer oder jener andere Diplomat den nord­chinesischen Oberbefehlshaber Tschangtsolin unter der Hand aufgemuntert hätte; es wäre denkbar, daß sich Tschang­tfolin eine Art Rückendeckung durch vorherige Anfrage bei der englischen Vertretung gesichert hätte. Damit würde die englische Regierung eine ungeheure Schuld auf sich geladen haben und sie wäre mindestens im gleichen Maße wie die antibolschewistische nordchinesische Militärkamarilla für die un absehbaren Folgen dieses unerhörten Borgehens verantwortlich.

Daß aber das diplomatische Korps als fol. ches einen derartigen Beschluß gefaßt hat, ist um fo un wahrscheinlicher, als insbesondere der deutsche Gesandte ihm angehört und sich unmöglich an einem solchen Irrfinn beteiligt hat.

Genosse Graßmann begründete zunächst einen Antrag, monach die Anrechnung von Arbeitsbereitschaft auf die Arbeitszeit nur tarifvertraglich geregelt werden kann. Der An­trag wurde durch eine Zufalls mehrheit angenommen, doch ist damit zu rechnen, daß der Unternehmerblod im Plenum die Regierungsfaffung wieder herstellt. Genosse Grotewohl   ver­langte die Aufhebung der heute zulässigen dreißig Aus­nahmetage, die der Unternehmer bestimmt. Der Antrag wurde von den Regierungsparteien mit Unterstüßung der Demokraten

abgelehnt.

Zum allgemeinen Schutz der Arbeiter und Ange stellten, insbesondere zum Schutz der Jugendlichen und der Frauen vertrat die Genoffin Luise Schröder zu§ 4 der Arbeits­zeitverordnung die bekannten gewerkschaftlichen Forderungen, die

In den Bestimmungen über die Vergütung der Ueber­stunden sind nach der Regierungsvorlage die Lehrlince allgemein, die übrigen Arbeitnehmer bei Ergänzungsarbeiten, bei Mehrarbeit in Notfällen und sonstigen Störungen ausgenommen. Darüber hinaus fann der vorgesehene Sag von 25 Proz. durch Bereinbarung und ohne Vereinbarung permindert werden. Genosse Aufhäuser begründete die sozialdemokratischen Verbesserungsanträge und appellierte insbesondere an die Angestelltenvertreter Lam­bach, Thiel, den Angestellten die Bezahlung der Ueber= stunden zu sichern. Auch hier blieben die Sozialdemokraten ohne jede Antwort. Alle Anträge, selbst der Vorschlag auf Ein­schaltung der Gewerkschaften wurden abgelehnt.

Genoffe Becker begründete einen weiteren sozialdemokratischen Antrag, wonach im Bergbau und bei den übrigen mit Lebens­gefahr oder mit gesundheitlichen Gefahren verbundenen Arbeiten eine Ueberschreitung der A chi stundenschicht unzulässig sein soll.

Auch hier wußte Herr Stegerwald die Ablehnung zu rechtfertigen, indem er die Arbeiter auf das tommende Arbeiterschuhgefet vertröstete. Die Beratungen gehen morgen vormittag 9 Uhr weiter.

Zwölf Stunden oder acht Stunden?

Der Arbeitszeitskandal im mitteldeutschen Braunkohlenbergbau.

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fichtslos den berechtigten Forderungen der Bergarbeiter und erfüllte die Wünsche der Arbeitgeber. Mit Ausnahme einer unwesentlichen Arbeitszeitverkürzung in den Sonnabend­abendschichten blieb es beim 3wölf stundentag.

Das Problem der Arbeitszeit für den mitteldeutschen| verschloß sich das Reichsarbeitsministerium rüd­Braunkohlenbergbau ist in ein entscheidendes Stadium ge­tommen. In den nächsten Wochen muß es sich entscheiden, ob in Zukunft die den Bergarbeitern im Jahre 1923 unter Ausnugung ihrer Notlage aufgezwungene zwölfstündige Arbeitszeit vielleicht in etwas gemilderter Form weiter bestehen bleiben soll, oder ob endlich der tarifliche Zustand wiederhergestellt wird. Unter maßlosem Terror haben die Grubenleiter 1923 die Bergarbeiter zur Mehrarbeit gezwungen; Arbeitgeber und Reichsarbeitsministerium haben damals die Bergarbeiter in den Glauben versetzt, daß es sich nur um eine vorüber gehende Maßnahme zur Abwendung einer momentanen wirtschaftlichen Notlage der Werte handle.

Was sich in den folgenden Jahren auf den Werken ab­gespielt hat, ist beispiellos in der Geschichte der Arbeiter­bewegung überhaupt.

Was mit dieser ganzen Attion prattisch bezmedt worden sein mag, ist unerfindlich. Das Vorhandensein einer Anzahl von Schußwaffen im russischen Botschaftsgebäude Ein Herrenmenschentum schlimmster Art hat sich gegen wäre in jeder europäischen   Hauptstadt gewiß eine die Bergarbeiter ausgetobt. Entlassungen bei den geringsten gravierende Tatsache, durch die wenigstens nachträglich, wenn Bergehen; Herauswurf aus den Bergmannssiedlungshäusern auch nicht formalrechtlich so doch politisch die Aktion scheinbar in unzähligen Fällen; Züchtung gelber Wertvereine und gerechtfertigt erschiene. Aber in der chinesischen Haupt materielle Bevorzugung ihrer Mitglieder; Maßregelungen von stadt besigen alle Mächte das Recht, ihre Gesandtschaften und Betriebsräten und solchen, die es werden wollten. In vielen Ronfulate selbst zu beschützen und die westeuropäischen Aus- Fällen wurde die Bildung von Betriebsräten von den Werks­landsvertretungen verfügen zweifellos über viel stärkere direktionen furzerhand verhindert. Auf den meisten Gruben Bachen und Waffenvorräte als die sowjetrussische Botschaft. herrscht eine Behandlung der Arbeiter, die jeder Beschreibung Immer vorausgesetzt, daß diese geradezu phantastische spottet. In der zwölfftündigen Arbeitszeit sollen zwei Stun­Reuter- Meldung zutrifft, das einzige Ergebnis dieser Aktion den Bausen enthalten sein. In Wirklichkeit gibt es Bausen ist eine atute Kriegsgefahr zwischen der Sowjet- faft durchweg überhaupt nicht. Infolge der langen Arbeitszeit Union   und den Mächten, die diese pölterrechtsstiegen die Krantenziffern ganz gewaltig, fo daß der widrige Propotation verschuldet haben. Wunsch der Belegschaften nach Verkürzung der Arbeitszeit nur zu begreiflich war. Der Bergarbeiterverband hatte daher im Herbst vorigen Jahres das aufgezwungene Mehrarbeits­ablommen gefündigt. Trotzdem es in den Schlichtungsver­handlungen im Dezember den Gewerkschaftsführern gelang, ben Nachweis zu führen, daß die im Jahre 1923 von den Arbeitgebern behaupteten Voraussetzungen für die Verlänge­rung der Arbeitszeit längst nicht mehr bestünden; daß die Werke nach ihren eigenen Geschäftsberichten geradezu glänzende Gewinnergebniffe aufzuweisen hätten,

Die Pefinger Schattenregierung steht da offenfundig aus dem Spiele. Die zivilen Minister haben nichts zu sagen, der Militärdiktator Tschangtfolin ist der einzige wahre Träger der politischen Gewalt. Aber der intellektuelle Urheber dieser friegerischen Provokation ist die britische Regierung, deren Bertreter nach eigenem Geständnis- Tschangtfolin zu seinem Vorgehen, ermächtigt" hat.

Um unabsehbares Unglüd zu vermeiden, muß jetzt schnell gehandelt werden. Ist der von Reuter ge­meldete Borgang richtig, dann war noch nie seit dem Bestehen des Bölferbundes eine Kriegsgefahr so afut dann war aber auch noch nie ein fofortiges Eingreifen des Bölterbundsrates so dringend geboten.

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Konflikt bei der Reichsbahn.

Die Verhandlungen gescheitert.

Die wochenlang von der Deutschen   Reichsbahngesellschaft ver­

Stresemann ist derzeitiger Vorsitzender des Rates. Schon im Albanienkonflikt hat er mit Rücksicht auf Staliens Empfind lichkeiten seine Pflicht verfäumt. Jetzt darf er einfach nicht mehr zögern, auch dann nicht, wenn das noch viel mächtigere schleppten Berhandlungen über die Lohnerhöhung und Arbeitszeit­England eine solche Bölkerbundsintervention ungern fehen verfürzung find heute von den vertragschließenden Organisationen sollte, ja selbst dann nicht, wenn das völkerbundfeindlichen abgebrochen und als gescheitert bezeichnet worden. Um zu Gowietrußland feinen Wert auf Bölferbundsschlichtung legt einer Verständigung auf den Berhandlungsweg zu kommen, haben Neben den Artifeln 10, 11, 12 und 15 der Bölkerbunds die Organisationsvertreter fich bemüht, jede Berhandlungsmöglichkeit fagung, die bereits im Falle Albanien   zur Anwendung hätten zu erschöpfen. Das heute von der Deutschen   Reichsbahngesellschaft tommen sollen, um die Einberufung des Rates zu veranlassen, gemachte Angebot von durchschnittlich 3 Pf. die Stunde mußte jedoch sieht der Artikel 17 ausdrücklich vor, daß der Rat auch als eine Verhöhnung bezeichnet werden. Eine Berkürzung der bann eingreifen muß, wenn es sich um einen Konflitt arbeitszeit sollte überhaupt nicht eintreten nur zwischen Mitgliedstaaten und Nichtmitglieden Werkstatt- und Bahnunterhaltungsarbeitern wollte man für die bern des Bölkerbundes handelt.

Die Internationale Eretutive hat foeben beschlossen, die Anrufung des Bölkerbundes in der Albanienfrage zu fordern. Um so mehr würde sie eine solche Anrufung nach diesem fchweren Bekinger Zwischenfall verlangen.

erften drei Ueberffunden einen Zuschlag von 10 Proz., für die zweiten drei Ueberstunden von 15 Proz. zahlen. Die Gewerkschaftsvertreter gaben darauf die Erklärung ab, daß die Verhandlungen als ge­scheitert zu betrachten sind und sie weitere Schritte einleiten

werden,

Allerdings wurde in dem Schlichtungsvorschlag an die Parteien zum Ausdrud gebracht, daß aus sozialpolitischen Erwägungen eine Verkürzung der gegenwärtigen Arbeitszeit, die Ende 1923 als vorübergehende Maßnahme" eingeführt wurde, erwünscht sei. Das Reichsarbeitsministerium fonnte aber scheinbar auf Grund innenpolitischer Bindungen die Konsequenz seiner eigenen Auffassung nicht ziehen und schuf einen Bligableiter in Form einer unparteiischen Untersuchungstommiffion, stehend aus drei Akademikern.

be=

Wenn das Reichsarbeitsministerium nun etwa geglaubt haben sollte daß diefe Beruhigungsmaßnahme auch wirklich beruhigend auf die Bergarbeiter gemirft hat, so hat es sich mitsamt den Arbeitgebern gründlich getäuscht. In hunderten, zum Teil überfüllten Bersammlungen haben die mitteldeut­fchen Bergarbeiter in den letzten Tagen ihrer Entrüftung über das Berhalten der Werksleiter und des Reichsarbeitsministe­riums Ausdrud gegeben. Sie verlangen die Beseitigung des Mehrarbeitsabtommens, weil die unmenschlich lange Arbeitszeit für die schwere Bergarbeit einfach un­erträglich ist.

durch die Untersuchungskommission nicht widerfahren würde. Die Bergarbeiter haben gewußt, daß ihnen großes Heil Aber sie fonnten zumindest der Auffassung sein, daß die Kom­miffion durch ihre Grubenbefahrungen aus nächster Nähe sie furchtbaren Wirkungen der Zwölfftundenschicht erkennen und danach ihr Gutachten abgeben würde. Er herrscht daher eine ganz verständliche Erregung und alle beteiligten Kreise fahen dem Gutachten mit äußerster Spannung entgegen. bem Gutachten mit äußerster Spannung entgegen.

Das Gutachten dieser Untersuchungskommission liegt nun vor. Wir übergeben dieses wissenschaftliche Produkt als ein beredtes 3eugnis fozialreaktionärer Rüdständigkeit hiermit der Deffentlichkeit zum beliebigen Gebrauch. Rein überflüssigerweise ist diesem Gut achten eine achtzigfeitige Begründung beigefügt, mit dessen Inhalt wir uns noch besonders befaffen werden. Hier ist das Gutachten:

Entscheidung.

In der Erwägung, daß eine Berringerung der Selbstfoster menigftens in den Tagebauwerfen durch Rationalisierung und eine gewiffem Umfange möglich sein wird, ist die Kommission der Ansicht, Erhöhung der Erlöse dem mitteldeutschen Braunkohlenbergbau in baß eine mäßige Schichtverfürzung in den Tage bauwerten eintreten kann. Sie schlägt deshalb vor:

In allen Betrieben, in denen bisher die 12 stündige An­wefenheitsschicht herrschte, die 11ftündige einzuführen, worin mindestens 1% Stunden Pause eingefchloffen sein müssen Für die Tiefbaue, in denen bisher die 8. bezw. 8½ftündige Arbeits­eit gilt,

fann die Kommiffion leider zurzeit eine Schichtverkürzung nicht als wirtschaftlich tragbar bezeichnen.

Um die stetige Entwicklung zu sichern und die Gefahr von Rüd­fchlägen möglichst zu beseitigen, und um einerseits der Arbeiterschaft eine gesunde Basis für die weitere Kürzung der Arbeitszeit zu