Nr. 170 ♦»».Jahrgang
7. Seilage ües vorwärts
Sonntag, 10. /lprU 1027
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Er hat so sein eigen Geficht— der Lenz, wenn er von drausjen über die Millionenstadt kommt und den würzigen Dust der frucht- baren Scholle hineinträgt in ine lärmenden Straßen, in die massigen Steinklötze der Geschästsoiertel, in die grauen Hose der Mietkasernen -- und in die sorgend hastenden Menschen. Urplötzlich überrascht er uns, und wir staunen, daß die Straßen so blank geleckt erscheinen, daß die Lust uns so watteweich streichelt und daß die Mitmenschen so freundlich scheinen. Das rasende Tempo der Stadt scheint gemil- dert und die pochenden Herztöne des Verkehrs so ruhig, so ohne die gewohnte Nervosität. Die Jenfter auf. Noch ein wenig frostig sehen des Morgens die Gesichter aus, die für Sekunden an den Fenstern erscheinen und dann— brrr— wieder oerschwinden. Aber Geduld, wenn die herbe Frühlingssonne die Häuserwände heruntergleitet und so scharfe blaue Schatten zeichnet, dann wird es an den Fenstern lebendig. Staubtücher flattern, bunt« Betten und Decken türmen sich, eine'Schlagermelodie gleitet durch ein offenes Fenster auf die Straße, Wirtschaftslärm dringt heraus, so neu. so fremd, daß es das Ohr aufnehmen muß. Die grauesten Höfe bekommen Frühlingstolorit. Ueberhaupt die Höfe und Hinterhäuser tun so recht mit, wie der flüchtige Erdengast Lenz diktiert, sie feiern ihn auf ihre Art und schinücken sich, wie sie es vermögen. Wie festliche Girlanden flattert lustig von Fenster zu Fenster wieder wäschefeuchtcs Leinen. Rot leuchten die klobigen
Der Auszug In die Laube.
Leiber von Matratzen, wetteifern mit Bettstücken, die herausgeschleppt wurden aus dumpfen Stuben. Krach— krach,— knallt der Ausklopfer,— Staub wirbelt. Neugierige Köpfe erscheinen an Fenstern — und über allem liegt der Duft von allerhand Gekochtem. Aber das scheint in dem begütigenden Sonnenlicht gar nicht so unfreundlich wie sonst, es stimmt versöhnlich.— Was würde das für einen Krach sonst geben, daß die Wendische aus der Dritten ihre Wäsche aus- gerechnet so gehängt hat, daß sie der Müllern aus der Zweiten direkt auf die Blumenbretter abtropft. Na— und der Portier wäre schon lange da,— und es würde einen mächtigen Kroch geben, weil Müller Jungs auf der Teppichstange herumklettern.— Aber freundlicher Frieden ist unter der Frühlingssonne. Irühllngsfarben. Kein Frühling ohne Maler, ohne Farben und Firnißduft. Sie sind die ersten, die da augenfällig bestätigen:„Der Lenz ist daT Eine? schönen Tages kommen sie mit Leitern und Bohlen, bauen ihr großes Gerüst, schleppen Eimer und Töpfe, bespritzen alles Erreichbare mit Farbe und ziehen dem Haus ein neues Frühlingskleid an. Wenn sie dann fertig sind, steht in alter Umgebung ein neues Haus, fremd, wie ein verirrtes Kind, erfüllt die ganze Straße mit Maler- geruch und ist im Parterre und an den Türen mit Zettelchen:„Frisch gestrichen" behängt,— und die Kinder kommen dann, tupfen mit den Fingern an der schönen bunten Farbe, um sie an Hose und Rock abzuwischen. Das ist dann auch die Zeit, wo man sich zum Ergötzen seiner Mitmenschen herzhast an frisch gestrichene Kandelaber lehnen und auf dito Bänke setzen kann. Auch der häusliche Familienvater greift zu Pinsel und Farbentopf. Sovglich wird das verwitterte Blumenbrett hereingenommen, in der Küche werden Zeitungsbogen ausgebreitet— und los geht es mit Pinsel und Farbe, bis das Blumenbrett wieder der schöne Fenstergarten ist,— schön grün mit schwarzen Ecken. Selbstverständlich muß sich auch der Balkon seine alljährliche Veredelung gefallen lassen, mit Hammer, Säge und Farbe, damit er wieder der Urheber häuslicher Zwiste werden kann, wenn der Putz von Kranichs Balkon ausgerechnet in Meiers Morgen- kaffee bröckelt, und Buntes sich beschweren, daß Meiers Blumen- kästen laufen.— Man weiß doch-- 1 junges Srün. Man bleibt vor den Parksträuchern, die wie mit einem duftig zarten Schleier grün bezogen scheinen, stehen. Andere Menschen, die geschäftig eilen, sehen es auch, oerharren— und nehmen dann so eine köstliche Ahnung von dem Erwachen und Werden mit zur Arbeit oder ins Haus. Wenn es schon soweit ist, dann hat sich auch schon das Stammpublikum der Anlagen eingefunden. Es bleibt alle Jahre gleich, nur die Gesichter wechseln. Die tollenden Kinder, die Mütter, die Alten, die müde in die Sonne blinzeln und ihr Schwätzchen holten, und die Gehetzten, die nur Minuten zwischen dem Grün oerpusten können— ach und dann soviel, viel, zuviel Erwerbslose, die vor der Enge ihres Heims und ihrer Lage hierher flüchten. Wenn die Fabriksirenen Mittag pfeifen, dann kommen aus Werk- stätten und Betrieben mit großen Stullenpaketen sonnenhungrig Alte und Junge, um Luft und Freude zu schöpfen. Draußen vor den Toren. Wie eine weiche, tröstende Hand gleitet da draußen, wo Lauben- kolcmien zwischen Schutthügeln liegen und die Stadt in kcchles Bauland oerläuft, die frühe Frühlingssonne über die nackten Lauben- dächer und Stakctzäune, streichest das häßliche Schuttgerümpel, die verbeulten Konservendosen, daß sie noch matt aufleuchten, die zer- drückten, rostzerfressenen Hausgeräte und die Scherben, die sich hier türmen. Nun kommt auch das Leben wieder bis hier heraus, wo ganz leise der Lärm der Stadt in der Luft zerrinnt. Kolonnen rücken an, mit Spaten und Picken, um die Schuttberg« zu ebnen, Fuhrwerke zittern. Ziegel werden abgeladen und zu Blöcken gepackt, es wird abgesteckt und abgemessen,— man will bauen,— die Stadt dehnt sich.
Oester und öfter kreischen die Gartentüren im Laubengelände. Auch hier geht es los. Sie kommen nach dem langen Winter, kritisch prüfend, was der Winter ihren Herrlichkeiten angetan hat. Bon Zaun zu Zaun werden die Freundschaften oder Feindschaften vom vergangenen Sommer erneuert, da wird gefragt und gcschimpst und begutachtet— und selbstverständlich gibt es dann erst einmal einen Begrüßungsschoppen in der Kantine. Dann geht's aber los. Zuerst das Wichtigste, die Laube, da sind Risse im Holz, und da haben sich die Mäuse wieder durchgefressen— und der Stall für das Klein- vieh,— und dann der Zaun, und dann— und dann--- es gibt viel zu tun. Bis dann aber doch der eine Sonntag kommt, wo die Sonne es besonders gut meint und die Familien anrücken können mit Sack und Pack, mit Taschen und Bündeln, mit gestopft vollen Leiter-
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Erneuerung auf dem Balkon. Wägelchen— und meistens mit ihren Hühnern oder Kaninchen, die auf Böden oder in Kellern überwintert haben. Der„erste Kaffee" draußen, das ist die Einleitung für eine Zeit voll Arbeit, Freude,— auch Enttäuschung, in Luft und Licht. Da wird viel beraten und eingeteilt:„Dies Jahr kommen aber die Kartoffeln hierher— und die Bohnen nicht so dicht an den Zaun, und der Kohl muß dahin." Es dauert dann nicht mehr lange, und es blüht und sproßt von neuem. -- dann wird es Frühling in Berlin . Ein alter Berliner Gassenhauer endet so, der das Elend der Losgelösten und Allerärmsten glossiert. Er ist nicht bös gemeint— und darum muß man an ihn denken, wenn man beobachtet, wie mit der steigenden Sonne die Bänke ein Publikum bekommen, das auf ihnen Zuflucht und Ruhe für die Nacht sucht, aus irgendeinem Grunde die städtische Fürsorge scheuend. Wenn schon die Stadt längst rumort, dann hocken sie noch zusammengekauert im tiefen Schlaf in den Anlagen. Der Nachtfrost sitzt ihnen in den Gliedern und wenn sie aufgeschreckt hoch- taumeln und dahintorkeln, möchte man nicht an den Frühling glauben, den auch sie als sichere Boten künden.
Staatsordnung— oder nationalistisch-kommunistischer Radau? So lautet das Thema, das der Bundesvorfitzend« des Reichsbanners, Otto Hörsing , in der am Montag, dem 11. April, abends 8 Uhr, im Sportpalast stattfindenden Versammlung des Reichsbanners behandeln wird. Gemeinsam mit Hörsing ergreisen Landtagsabgeordneter Otto N u s ch t e und Reichs- kanzler a. D., M. d R., Dr. Joseph W i r t h, das Wort. Reichsbanner und republikanische Parteien fordern olle Republikaner auf, ge- schloffen an dieser bedeutungsvollen Kundgebung teilzunehmen und damit ein energisches Bekenntnis für die Republik abzulegen. Eintrittskarten zum Preise von 30 Pf. für Unkostendeckung sind bei allen Reichsbannerstellen zu haben. Karten für reserviert« Plätze (zum Preise von I M.) sind in sämtlichen Mosse-Filialen erhältlich.
Gif.
Das Weib, das den Mord beging. 17s Roman von Arih Reck-Rlallcczewen. Die kleinen violett gefärbten Zellhaufen, die da im ffistkro- skop zu sehen sind, tanzen vor ihren Augen. Da hinter ihr steht der Satan, spielt Klavier auf ihrer armen Seele... sie kann nicht mehr, läßt stöhnend den Kopf fallen. Im Augenblick ist er wieder bei ihr:„Aber was denn nur, meine Liebe? Wir verschwachen? Ja, wir sind wirklich eine kleine Anfängerin, die sich fürchtet vor ihren eigenen Talen. Josephe!" Der Russe erscheint, präsentiert auf den Wink des Obersten Miramon ein alkoholisches Ingredienz, das sie gierig trinkt. Dann verschwindet er wieder. „Weiter also, Madame... wir sind heute abend in Buenos Aires , wir haben keine Zeit zu verlieren!" Mit dem Mute der Verzweiflung, während der andere, der Satan, lässig eine winzige Tasse Kasse trinkt, eine lange Roienholzpfeife anzündet... mit der letzten Verzweiflung weitererzählt. Endlich fertig. Steht da mit hilflosen Händen, die ge- füllt sind von Menschenschuld, wehrlos ausgeliefert dem andern. „Josephe!" Er gibt dem Russen ein paar Anweisungen für das Packen der Koffer, das spätestens um zwölf Uhr be- ginnen muß. Dann fängt er an, in seinen Papieren zu suchen:„Sie sind also fertig, Madame. Ich bin nun orientiert. Ich bin Ihnen sehr dankbar, in Ihrem Interesie... durchaus in Ihrem Interesse. Was Sie anbetrifft, meine Liebe: Sie werden die nächsten Stunden dazu benützen, das hier," er übergibt ihr ein Aktenbündel,„in Ihr geliebtes korrektes Deutsch zu übertragen. Sie werden es aufmerksam studieren, Sie werden die Güte haben, bis drei Uhr nachmittags fertig zu fein damit." Eine Stimme, die so sanft befiehlt, daß Widerspruch töd- lich wäre! „Und nun: wir werden gute Freunde sein. Sie werden vor allem lernen, nicht zu widersprechen! Ich werde die Ehre haben, Sie heute an Land zu bringen." Damit ist die Unterredung zu Ende. Sie ist, als sie ihre Kabine erreicht, so zerprügelt von dieser halben Stunde, daß
sie sich schluchzend vor Demütigung und Wut auf ihr Bett wirft und schließlich einschläft. Draußen zieht nun schon der Dunststreif vorüber, unter dem man Montevideo vermuten kann, Wachtschiffe werden sichtba», ab und zu kracht aus der allen Donnerbüchse eines Forts ein Signalschuß los. Und dann erscheint schon der Leuchtturm, der die endlose Bojenreihe des Zufahrtskanals eröffnet, dann überholt die„Manchouria" einen asthmatischen Raddampfer, der mit Vieh beladen den Strom hinankeucht, und dessen halbnackte Mannschaft massive Unanständigkeiten hinaufruft zu den eleganten Damen des Promenadendecks Die kleine Sif aber schläft... Und während die„Manchouria" zu fiebern beginnt in der Unruhe der bevorstehenden Landung, während die Stewards schon die erhaltenen Trinkgelder vergleichen, während Stadtpfarrer Pfleiderer aus Pfullingen seinen Koffer nicht zu- bekommt, im Zwischendeck neben ihrem Krimskrams opti» mistische kleine Galizierinnen herumschnattern und einfach ein Loch in ihre graue Umgebung brennen mit ihren anilinfarbe- nen Kopftüchern, während mit unglaublichen Schauerge- fchichten über die gestrigen Straßenkämpse der Binnenlotse an Bord kommt... ja, da liegt die kleine Sif. träumt in ihrer heißen Kabine den Traum, den sie schon einmal geträumt hat: Weiber in Fesseln werden geführt von Bewaffneten... Be» waffnete ziehen an den Ketten, unter Wehegeheul beginnen die Weiber zu tanzen... Dann aber ist es ein abgrundtiefer, gefunder Schlaf, der bis in die ersten Nachmittagstunden dauert. Und wenn nach dem Fieber der ersten Tage körperlich eine andere Sif auserstanden ist, so ist es vielleicht dieser Schlaf, der zum min» desten für diejen in ihrem Leben einigermaßen bedeutsamen Tag eine mutigere kräftigere Sf erwache� läßt. Das geschieht um ein Uhr nachmittag, als die„Manchou- ria" schon die gelbe Quarantäneflagge hat und oben schon alles durcheinanderläuft in Aufregung und Erwartung. Sie hat noch keinen Federstrich an der Arbeit gemacht, die sie in zwei Stunden abliefern soll... ja, aber was fürchtet sie sich denn eigentlich vor jenem Mann? Er kann sie den Behörden ausliefern, das ist alles.. was aber ist eine Freiheit wert, wenn sie sie verleben muß in der unabänderlichen Gesellschaft der Witwe Grandjean? An den Dämon, den Satan dort drüben die Seele ver- lieren, das ist die Hölle, und von ihr allein hängt es ob, ob sie sich von ihm weiterhin soll oergewaltigen lassen! Während sie es denkt, fällt ihr Blick auf ihren kleinen finnischen Damen-
dolch mit dem Birkengriff: ein Spielzeug eigentlich, aber doch scharf und wehrhaft genug, um nötigenfalls einen Nachtalb sich vom Leibe zu halten... Es klopft. Der Russe kommt, um ihre Habseligkeiten zusammenzupacken, streift sie mit einem schmierigen Blick, wagt es, als er das auf dem Tische liegende Toilettenbesteck nehmen will, seine Hand auf ihre Schulter zu legen. „Hund..." Sie fährt auf wie eine Natter, stößt ihn zurück. Die Kreatur duckt sich wie ein geprügelter Hund, grinst unver- schämt, wagt aber nicht, sie auch nur anzuschauen in der nächsten Stunde... Und nun also das Herz in die Hand genommen und tapfer hineingegriffen in die Arbeit, kleine Sif! Sie liest. Ein Fall, wohlberechnet fiir ihre Situation, geschickt ausge- wählt, um ihr ihre Abhängigkeit von dem Manne da vor Augen zu führen: zwei aus Berlin nach irgendeinem miß- lungenen Attentat entkommene politische Desperados, nach Argentinien geflüchtet, von der deutschen Behörde zur Aus- lieferung reklamiert, vom Oberst Miramon begutachtet. Prä- zedenzfall des Bankdefraudanten Dispeter aus dem Jahre 1907. Mei völkerrechtliche mit aller juristischen Dialektik gegeneinander abgewogene Paragraphen. Beschluß: Aus- lieferung an dem und dem Termin, Bedingungen der Ueber- gäbe, formalistischer Kleinkram... Sie ließt es, als sie fertig ist, Wort für Wort noch ein- mal. Damit also soll sie endgültig unter seinen Willen ge- zwungen werden... Quälgeist, Satan... o, es ist der Protest gegen diesen Einschüchterungsversuch, es ist die De- mütigung von vorhin, die dieses kleine Weiberherz nun auf- peitscht zu einem verbissenen, wütenden Widerstand. Und siehe, als sie um die anbefohlene Stunde, als die „Manchouria" schon mit Viertelkraft durch den Kanal gleitet... als sie mit ihren Akten feine Kabine betritt, da kommt ihrem jungen Mute ein neuer Bundesgenosse: sie findet den Oberst Miramon schlafend auf dem Bette, der Oberst schnarcht, so unnatürlich laut schnarcht er, daß er den Gang der Maschinen unten übertönt, daß die noch immer auf dem Tisch herumstehenden Gläser leise klirren. Und nun schleicht sie vorsichtig näher, sieht, daß der Mensch da auf eine unheimliche Weise verändert ist, daß das Antlitz, auf dem nun grünlich-weiße Bartstoppeln erschienen sind, sich verwan- delt hat in eine hilflose Greisenfratze, daß aus den hängen- den Mundwinkeln einiger Speichel tropft.— tFortsetzung folgt.)