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Nr. 183 44. Jahrgang

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Ausgabe B Nr. 90

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Volksblaff

19. April 1927

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Zentralorgan der Sozialdemokratifchen Partei Deutschlands

Eine dritte Partei in China .

Tschiangfaischek sagt sich von der Kuomintang los.

London , 19. April. ( Eigener Drahtbericht.) Die schon seit| Bisher war wenigstens Südchina imstande, die Mächte im Tagen gehegten Erwartungen über die Absichten Tichiangtaifchets Schach zu halten, sie zur grundsätzlichen Anerkennung der be­find inzwischen wahr geworden. Der General hat nach der Säube- rechtigten Freiheitsziele Chinas zu zwingen. Jetzt hat sich rung der verschiedensten Städte von den Kommunisten nunmehr in ihre Haltung bereits versteift. Ja pan ist zwar augenblid Manting eine neue dritte Regierung Chinas gegründet. Es lich aktionsunfähig, weil das Kabinett über einen Finanz­ift vorläufig schwer, den Ausgang diefes Staatsstreiches vorauszu- skandal zu Falle gekommen ist. Aber vermutlich wird der fagen. Immerhin ist man von der allgemeinen Anarchie nicht mehr Einfluß der Opposition steigen und damit eine england­weit entfernt. freundliche, gegen China intransigente Richtung ans Ruder tommen. Unabhängig von dieser Entwicklung in Japan aber haben die Gesandten der Mächte ihren Regierungen be­reits ein scharfes Vorgehen empfohlen: sie schlagen vor, der Kantonregierung oder wer ihr Nachfolger sein wird, ein ultimatum zu senden, um sie zur Sühne für die Vor­gänge in China zu zwingen; dabei sollen sogleich Sant tionen" für den Fall der Nichterfüllung angedroht werden. Dieser Vorschlag ist zurzeit Gegenstand eines Meinungsaus­tausches zwischen den Kabinetten. Zugleich arbeiten die Ad­miräle der vor Schanghai liegenden Flotten den Plan einer Blockade der Jangtsestädte aus.

Die neue Regierung in Nanking . Condon, 19. April. ( WTB.) Times" berichtet aus Schanghai : Eine von Tschiangtaifchet einberufene Kuomintangtonferenz verkündete geftern in öffentlicher Sihung die formelle Errichtung einer neuen Regierung in Ranting. An die verschiedenen Organi­fationen und an die Schanghaier Gilden und die Handelskammer ist die Aufforderung ergangen, zur Feier der Einsetzung der Regierung die Aufforderung ergangen, zur Feier der Einfehung der Regierung eine Versammlung abzuhalten. In Hankau befürchtet man einen Angriff Tschantaischets. 7000 Mann Truppen find ihnen entgegengesandt worden.

Der Berfall der Südregierung hat über Ostern reißende Fortschritte gemacht. Das Zentralfomitee der Partei in Hantau hat den Oberbefehlshaber Tschiangtaischef aus der Bartei ausgeschlossen und ihm den Oberbefehl entzogen. In Nanting dagegen hat Tschiantaischet sich von der Kuomin tang losgesagt. Dieser Staatsstreich folgt auf die Ueberwälti­gung der Kommunisten, die ihm in Nanking , Schang­ hai , Hangtschau, Amon, Liatan und selbst in Kanton ge­glückt zu sein scheint.

An die Stelle der einheitlich geführten nationalen und fozialen Bewegung des Südens tritt die Anarchie. China zerfällt nicht mehr in zwei, es zerfällt jetzt in drei Herr schaftsgebiete: das Gebiet des Nordens, mit Beting als Siz der nominellen Zentralregierung und dem diplomatischen Korps der Mächte, das Küstengebiet, mit Nanfing als Basis Des Südgenerals Tschiantaischet, und das innere Südgebiet, mit Hantau, dem Siz des radi talen Flügels der ehemaligen Kuomintang. Die Folgen dieses Zerfalles machen sich sofort international bemerkbar.

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Die chinesische Freiheitsbewegung hatte den Imperialis­mus bisher in die Defensive gedrängt. Ihre Radikalisierung hat ihren Berfall heraufgeführt. Und sofort gehen die im­perialistischen Mächte dazu über, um für die Aufrechterhal­tung ihrer Privilegien zu kämpfen.

Artillerie, Tanks, Flugzeuge.

San Diego , 19. April. ( WTB.) Ein dritter amerikanischer Chinatransport ist mit 100 Offizieren, 1560 Mann, 5 Tants sowie Artillerie und Flugzeugen nach China in See gegangen.

Shanghai , 19. April. ( Reuter.) Gestern nachmittag wurden hier fünf Tanks zur Berteidigung der französischen Konzessions­zone gelandet. Die britischen Kreuzer Vindictive und Carlisle sind von hier nach Hankau abgegangen.

Peking , 19, April. ( Reuter.) Bier japanische Zerstörer wurden gestern in Tientsin erwartet. Der Besuch steht in Zusammen hang mit der Durchsuchung des japanischen Dampfers Tichoan Maru durch nordchinesische Truppen, gegen die die japanische Regierung protestiert hat.

Sozialistische Osterparteitage.

Lyon

Militärdebatte in Lyon .

Prag Utrecht .

Paris , 19. April. ( Eigener Drahtbericht.) Die Debatten des

fozialistischen Parteitages waren bisher von der Frage der Organi fat on der Armee und der Verteidigung im Kriegsfalle beherrscht. Paul Boncour , der nicht anwesend war, begründete in einem Schreiben an den Kongreß seine Abwesenheit mit seiner physischen Erschöpfung. Er sei in den letzten Wochen an den Abrüstungs­debatten in Genf ständig teilzunehmen gezwungen gewesen und müsse sich daher während der Ostertage vor der Rückkehr nach Genf un­bedingt Ruhe gönnen. Im übrigen gibt er seinem Erstaunen darüber Ausdruck, daß sein Entwurf über die Organisation der Nation im Kriegsfalle soviel Kritik bei der Partei hervorrufe, obfchon er doch von der Parlamentsfraktion der Partei einstimmig gebilligt worden set. Die gleichen Auffaffungen vertrat auch der am Ofter montag früh in Lyon eingetroffene Abg. Renaudel. Er ver­teidigte den Gesezentwurf warm, und widerlegte die Auffaffung, als ob der ganze Heeresorganisationsentwurf sozialistischen Ursprungs fei. Er fei es nur insoweit, als er die Mobilisation aller Kräfte der Nation im Falle des Angriffs von außen fordere; dieser Fall liege nur dann vor, wenn der Bölterbund den Angriff feststellt. Dieser Auffassung widersprachen Brade und besonders der frühere Sekretär der CGT. du Moulin. Sie soviel Ablehnung gefunden habe. Sie sei besonders auf die vorges entwidelten die Gründe, weshalb der Entwurf in Arbeiterfreifen sehene industrielle Mobilisation zurückzuführen, die

im Kriegsfalle die ganze Nation den Militärbehörden unterstelle. Der Entwurf sehe teinerlei Garantien dagegen vor, benn er werde von der Partei in die Braris umgesetzt, die im gegebenen Falle zufällig die Regierung in der Hand habe. Deshalb solle über diesen Teil des Entwurfs ein außerordentlicher National: rat der Partei die Entscheidung treffen. Die Frage felbft wird der Resolutionsfommission überwiesen. Sie foll auch das Datum festsetzen, an dem der Nationalrat zur Entscheidung über diefe Frage einberufen werden soll.

Bei der darauffolgenden Debatte über den Bericht der Sozialistischen Internationale brachte Renaudel eine Entschließung ein, in der die Sozialistische Internationale aufgefordert wird, für eine allgemeine und gleichzeitige 2 brüstung der Bölker unter Kontrolle des Bölkerbundes zu Lande, zu Wasser und in der Luft einzutreten.

In der Nachmittagssigung begann der Rongreß die Hauptfrage ber Tagung, die allgemeine Politit zu diskutieren. Der

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Abgeordnete Compère Morel wendet sich nach lebhafter Kritik an der Politik der Radikalen Partei gegen jebe 3ufammen arbeit mit dieser und tritt für eine Annäherung an die Kommu­nisten ein. Die Fortsetzung der Debatte wird um Mitternacht auf Dienstag vormittag vertagt.

Der tschechische Parteitag.

In Bertretung der Sozialistischen Arbeiterinternationale und der reichsdeutschen Sozialdemokratie hat Abg. Gen. Dr. Adolf Braun den Prager Ofterparteitag der tschechoslowakischen Sozialdemokratie begrüßt. Abg. Gen. Taub sprach für die deutsche Sozialdemo­fratie in der tschechoslowakischen Republik. Den Borfiß führte Abg. Gen. Tomaschet. Die politische Debatte ergab Uebereinstimmung darüber, daß die Partei feineswegs um jeden Preis in der Regierungsmehrheit sein müffe, wenngleich sie danach streben müsse, an der Regierung teilzunehmen. Die Opposition der Bartei gegenüber der bürgerlichen Regierung sei nicht Selbstzwed. Diese Oppofition sei auch keineswegs negativer Art und verfolge nicht agitatorische Ziele. Der gegenwärtig regierenden tschechisch- deutsch­bürgerlichen Koalition wurde vorgeworfen, daß sie zu schwach und einseitig und zur Lösung der nationalen Probleme nicht imstande fei. In diesem Sinne ist auch die Entschließung gehalten, die das Borgehen der Partei gutheißt Außerdem wurde punkt mit den anderen sozialistischen Parteien die notwendigen der Vollzugsausschuß der Partei aufgefordert, im geeignten Beit­Berhandlungen über eine 3usammenarbeit einzuleiten. Abg. Gen. Dr. Der er forderte die Einhaltung der bisherigen Linie der Politik der Kleinen Entente, ba biefe allein den Frieden in Mitteleuropa sichere und das Wort Mitteleuropa den mitteleuro päischen Nationen verwirkliche. Abg. Gen. Hampl wünschte Ent: politisierung der Frage der Anerkennung Rußlands und besprach auch die Frage der Herabsegung der, Arbeits zeit. In einer Resolution wurde erklärt, die Partei würde die Berschlechterung der Sozialversicherung als un­freundliche Haltung gegenüber der Arbeiterschaft ansehen, für deren Folgen sie die Berantwortung ablehnen müßte.

Holländischer Parteitag in Utrecht .

Sozialistischer Schulaufbau.

Wiens Einheitsschulprogramm.

Bon Wilhelm Bauljen. h

Die sozialpolitischen Leistungen Wiens legen Zeugnis ab von der Größe der Kraft, die dem Sozialismus innewohnt, wenn er die Möglichkeit hat, sich ungestört zu entfalten. Die mächtigen Wohnhausbauten, die allmählich dem Stadtbild das Gepräge geben, die glanzvollen Fürsorgeveranstaltungen find der Ausdruck eines fittlichen, begeisterten Willens, der sich nur unter dem Einfluß der helfenden und beglückenden Idee unserer Weltanschauung auszuwirken vermag.

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Eins der Glanzstücke in der Reihe sozialer und soziali­stischer Werke ist die Schulreform. Wie in Wien tein Schulkind mehr hungert, fein Kind mehr auf Lumpen geboren jede Mutter, ob reich oder arm, hat das Recht auf wird eine Wäscheaussteuer, tein Kind wegen Mangels an Für­forge mehr zugrunde geht, so wird in Wien durch die geistige Fürsorge auch feine Intelligenz mehr verloren gehen. Wien baut die Schule der sozialen Gerechtigkeit, jedes Bildungsprivileg wird endgültig beseitigt. Es verwirft grundfäßlich alle Hinleitungs- und Uebergangs­flaffen, alle gesonderten Begabten- und Aufbauschulen, jene Schein, Not- und Verlegenheitslösungen, die nur bezwecken, einigen wenigen Intelligenzen der aufstrebenden Klassen eine bevorzugte Bildung zu gewähren, um quälenden Mahnungen und Gewissensregungen zu entgehen. Es verzichtet auf Tests und alle Mechanismen der Intelligenzprüfungen, um die geistige Gesamtsubstanz der Masse gleichsam lebend zu erfassen und damit das Quantum geistiger Energie zu gewinnen ,, das zur Regeneration der Gesellschaft erforder­lich ist.

Die Organisation ist frappierend einfach. Mit je vier Jahrgängen folgen einander Unter-, Mittel- und Oberstufe: Grundschule, allgemeine Mittelschule, Obermittel­schule( Mittelschule ist höhere Schule). Von der Grundschule treten alle Kinder, soweit sie nicht wegen Anormalität der mittelschule ein. Sie ist die Pflichtschule, in der jedes Hilfsschule überwiesen werden, in die allgemeine Intelligenzen ohne Ausnahme, schwächere und stärkere auf­Kind vom 10, bis zum 14. Lebensjahre verbleibt. Da sie alle nimmt, muß ihre innere Gliederung den verschiedenen Begabungen und Entwicklungseigentümlichkeiten der Kinder Begabungen und Entwicklungseigentümlichkeiten der Kinder

angepaßt werden, ohne daß der Einheitscharakter der Schule zerstört wird. Der Unterricht in Religion ( soweit Schüler an ihm teilnehmen), Zeichnen, Musik, Hand­arbeit, Körperpflege ist darum gemeinsam, Schulwanderungen und Schulfeste sind gemeinschaftliche Veranstaltungen, in den wissenschaftlichen Fächern aber teilt sich die Schule in zwei Züge. In den zweiten Zug werden alle Schüler aufgenom men, die im Durchschnitt deutlich schwache Leistungen auf­meisen, langsam arbeiten und einen schweren Entwicklungs­rhythmus zeigen.

Das Lehrprogramm beider Züge ist gleich, seine Stoffe tragen in Auswahl und Darbietung lediglich der Aufnahme­fähigkeit und der Arbeitsweise der Schüler Rechnung. Die Lehrer unterrichten grundsäßlich in beiden Zügen. Ver­fegungen in den ersten Zug wie umgefehrt vom ersten zurück in den zweiten sind jederzeit möglich. Reine Begabungs­bewegung bleibt unberücksichtigt. Erst in der dritten Klaffe des ersten Zuges( also im fiebenten Schuljahr) setzt die Fremdsprache ein. Wer auf sie verzichtet, genießt einen erweiterten Unterricht im Deutschen und in den naturwissen­fchaftlichen Fächern.

erweiterten und einem Pflichtpensum vorgenommen, um Auch in der Mathematif wird eine Gliederung nach einem erhöhten wissenschaftlichen Ansprüchen zu genügen. Aus der vierten Klasse des ersten Zuges erfolgt, me ist ohne Bri fung, der Uebergang zur Obermittelschule, soweit die Schüler für das Hochschulstudium und Fachstudium die er forderliche Reife besigen und nicht ins Wirtschaftsleben über­treten. Selbst spätreife Schüler des zweiten Buges fönnen durch Prüfung im letzten Augenblick die Aufnahme in die Oberstufe erzwingen.

Seine

Diese Neuorganisation hat die Probe bereits bestanden, im September 1926 trat die erste Schülergeneration der allgemeinen Mittelschule in die Oberschule über, die Resultate Widerstände der Einheitsschulgegner besiegt. waren überraschend glücklich. Wien hat so mit einem Schlage alle Einwendungen, Bedenken, offene und geheime Schulen entlassen gegen bisher mehr als die dreifache Zahl Befähigter und Hochbefähigter in die führenden Stellen des öffentlichen und wirtschaftlichen Lebens oder in die Akademie Besit! Die freien Berufe, Arbeiter und niederen An­und höheren Fachschulen. Ohne Rücksicht auf den gestellten sind gleichmäßig auf beide Klassenzüge verteilt, von der Zahl der in öffentlicher Fürsorge stehenden Schüler finden fich sogar 38 Proz. im Klaffenzug I.

In die staatlichen Erziehungsheime( Bundes­erziehungsanstalten), die im wesentlichen den gleichen Schul­tnp der allgemeinen Mittel- und Oberschule und das Glöckel­sche Kronstück der Schulreform darstellen, werden nur gut und höher Befähigte, Knaben und Mädchen, auf­Amsterdam, 19. April. ( Eigener Drahtbericht.) Ostern tagte in genommen. Die erste Generation steht bereits vor der Reife­Utrecht der Parteitag der holländischen Sozialdemokratie. Er geprüfung. Im Bedürftigkeitsfall gewährt Desterreich allen nehmigte u. a. mit 478 gegen 363 Stimmen die Beteiligung der Schülern den vollen Lebensunterhalt. Der Beruf der Eltern Frattion an der alljährlichen Eröffnung der Kammer durch wird grundsäßlich erst nach der Aufnahme festgestellt. Die die Königin. Ein neues Kommunalprogramm wurde angenommen. I soziale Mischung der Intelligenzen ist in diesen Schulen fast