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ttr. 164 ♦ 44. Jahrgang
l. Seilage öes vorwärts
Mittwoch, 20. �prilm?
Das telegraphentechmsthe Reichsamt
Der Neubau des telegraphentechnischen Reichs- a m t e s, dessen wuchtig« Fas>ade mit den beiden ausdrucksvollen Turmbauten knapp an der Schöneberger Straße in Tempelhos aus- steigt, soll nach seiner Fertigstellung die bislang in ganz Berlin zerstreuten Abteilungen des Amtes ausnehmen. In den Wer Jahren wurde es als Ingenieurbureau des Reichspostamtes gegründet. Später entwickelte es sich zum ehemals„kaiserlichen telegraphischen Versuchsamt'. Daneben entstand das Apparateamt in der Köpenicker Straße . Nach Auflösung der zahlreichen mili- tärischen Funkstellen wurde als ein Kind der Revolution die Funk- abteilung gegründet. Unter der Leitung des Staatssekretärs Dr. Bredow folgte das F u n k b e t r i e b s a m t, das sich mit der in den letzten Jahren so außerordentlich entwickelten Funk- t e ch n i t einschließlich Rundfunk beschästigt.(Königswusterhausen und Nauen unterstehen der Kontrolle und Mitarbeit dieser Ab- teilung.) Aus dem Fernsprechlinienbureau des Reichspostministeriums ging die Zlbteilung Linienbau hervor: sie beschästigt sich mit allem, was mit Leitungen zusammenhängt, seien es nun oberirdische auf Stang«n dder Kabelkanäle. Als Großkonsument für Kupfer und Blei präsentiert sich die Abteilung 6, die die Beschaffung des Bau- zeugs(Telegrahhenstangen, Draht, Zementröhren für Kabel, Metalle) besorgt. Ihre Schwesterabteilung(7) liefert Apparate sowie Einzelteile. Die wissenschaftliche und Laboratoriumsarbeit obliegt der Versuchsabteilung, deren Räume in der Königgrätzer Straße später einem automatischen Fernsprechamt dienen sollen. Die Inbetriebnahme des neuen Amtes, in dem 1100 Arbeiter und Beamte beschäftigt sind, soll stückweise vor sich gehen und Mitte 1928 vollendet sein. Bis dahin werden auch die Räumlich-
keit«n des alten Proviantamtes Tempelhof , auf dessen Boden sich der Neubau erhebt, provisorisch für Bureaus und Laboratorien verwendet.
Denzinexplofion in einer Wohnung. Eine Frau lebensgefährlich verletzt. Erst kürzlich berichteten wir über eine Explosion von Benzin- dämpfen im Hause Wanzlikstraße 6 zu Neukölln, bei der vier Personen zum Teil schwer verletzt und erheblicher Sachschaden angerichtet wurde. Gestern nachmittag gegen M4 Uhr ereignete sich in der im Hochparterre gelegenen Wohnung der Witwe Ida E. im Hause K a iser- Friedrich. Straße 2a zu Chor- (Ottenburg eine folgenschwere Benzinexplosion, bei der die Tochter der Wohnungsinhaberin, die 29jährige Margarete E., schwere Brandwunden davontrug. Fräulein E. war während der Abwesenheit ihrer Mutter in der Küche mit dem ReinigenvonHandschuhen und Stiefeln beschäftigt, wozu sie Benzin verwandte, das sich in einer Schüssel befand." Aus bisher noch unaufgeklärter Ursache gab es plötzlich eine heftige Explosion. Eine starke Wand ging durch den Lust- druckvölliginTrümmer sow> zahlreiche Fensterscheiben. Das Mädchen selbst erlitt schwere Brandwunden und sprang in seiner Angst aus dem Fenster in den Vorgarten hinaus, wo es b e- w u ß t l o s liegen blieb. Durch die heftige Detonation war das ganze Haus in hellste Aufregung versetzt. Inzwischen erschien
die alarmierte Feuerwehr, die die Schwerverletzte in das Westender Krankenhaus schaffte und das Feuer, das auf die Wohnung über- zugreifen drohte, nach kurzer Zeit löschte. wochenenöe unö Arbeitnehmer. Was der AfA-Bund auf der Ausstellung zeigt. Die Idee, am Wochenende genügende Freizeit für die Arbeit- nehmer zu erlangen, entspricht ein er alten gewertschaft- lichenForderung. Diese hängt eng zusammen mit dem grund- sätzlichen Berlangen auf eine bestimmt begrenzte tägliche und wöchentliche Arbeitszeit. Sie ist also in der Hauptforderung des Achtstundentages enthalten. In den ersten Tarifverträgen, die für die Berliner Angestellten- schaft nach der Revolution abgeschlossen wurden, insbesondere in dem ersten grundlegenden Tarifvertrag für die Angestellten der Berliner Metallindustrie, war in den allgemeinen Bestimmungen eine Fest- legung aufgenommen, die den Frllhschluß am Sonnabend und am Vortage vor bestimmten sogenannten gesetzlichen Feiertagen betraf. Die Unternehmer haben diese Frühschluhzeiten dadurch oer- schlechtert, daß sie, vor allem in den Großbetrieben, die Anfangs- zelten an den Wochentagen auch am Sonnabend willkürlich später verlegten. Bürgerliche Kreise tun jetzt so, als wäre die von ihnen be- triebene Propaganda für ein Wochenende etwas ganz Neues, und ferner als ob diese Propagierung allein schon das Wochenende wirk- lich schaffe. Der Berliner Bürgermeister Scholtz hat im Sommer vorigen Jahres durch die städtische Nachrichtenstelle einen Ausruf erlassen, in dem er für den Gedanken eines Wochenendes eintrat. Es kann zugegeben werden, daß die städtischen Dienststellen seit Iahren den Einuhrschluß am Sonnabend eingeführt und auch strikt durchgeführt haben. Insoweit war also der Berliner Bürgermeister durchaus berechtigt, für das Wochenende einzutreten. Wie weit er aber bei den Berliner Unternehmern mit seinem Vorgehen Freude erweckt haben wird, das bleibt dahingestellt. Die jetzt fast allgemein festzustellende Verlängerung des Normalarbeitstage's auf zehn und mehr Stunden, die eigenartige Verteilung der Arbeitsstunden auf die einzelnen Wochentage hat dazu geführt, daß, ganz abgesehen von den offenen Verkaussgeschäften, von wirkficher Arbeit- n e h m e r f r e i z e i t am Wochenende in Groß-Berlin fast überhaupt nicht mehr gesprochen werden kann. — Dennoch soll nichts gegen die Ausstellungsidee„Das Wochenende" etwa gesagt werden, weil sie ja doch auch Gelegenheit gibt, zu zeigen, was noch alles getan werden muß, um sie zu verwirklichen. Diese Gelegenheit ist vom AjA-Ortskartell Berlin und von den drei großen ihm angeschlossenen Berliner AfA-Gewerkschaften, dem Zentral- verband der Angestellten, dem Bund der technischen Ange st eilten und Beamten und dem Deutschen Werk- meisterverband, auch benutzt worden. In einem besonderen A f A- P a v i l l o n in der Haupthalle der Ausstellung wird gezeigt werden, was von den freien Angestelltengewerkschaften seit jeher schon getan worden ist, um zu einer Verkürzung der Arbeitszeit, zur Festsetzung des Achtstundentages und zur Erlangung genügender Freizeit am Wochenende zu kommen. Das Ausstellungsmäterial bringt nicht Zahlen allein, sondern vorzugsweise in bildlichen Dar- stellungen die Ausstellungsidee, so wie die freien Angestelltengewerk- schaften sie auffassen, deutlich machen. Verbunden hiermit sind auch Hinweise auf die Möglichkeiten der Ausnutzung eines wirtlichen Wochenendes zur Erweiterung der fachlichen und allgemeinen Bil- dung. Hierbei werden zahlenmäßig wirksam die Ergebnisse des bis- herigen Arbeitens der Berliner Gewerkschaftsschule gezeigt werden. Viele Besucher werden sich beim Anblick der Ausstellung sagen: „Was nützt ein Aufzeigen oll der schönen Orte und Gegenden in der näheren und weiteren Umgebung Berlins , wenn die Arbeitenden zum überwiegenden Teil weder Zeit noch Geld haben, um an diesen Orten sich am Wochenende zu erholen und zu stärken für die Arbeit der kommenden Woche." Natürlich kann auf solche Weise nur zu einem Teil die rein gewerkschaftliche Arbeit, die auf diesem Gebiete geleistet werden muß. unterstützt werden. Man wird aber nicht leugnen können, daß die Verbindung von Ausstellungsidee mit gewertschaft- [icher Arbeit, also die Ausnutzung eines mpdernen Propaganda- mittels durch die Gewerkschaften, als glücklich bezeichnet werden muß.
Für 52 009 IN. Teppiche gestohlen! Einbrecher besuchten in den Feiertagen, ohne gestört zu werden, ein großes Stoff- gefchäft in der Heiligengeiststraße. Die Räume waren cm Sonnabend abend geschlossen und durch ein Gitterwerk gesichert worden. Die Verbrecher nahmen aber oberhalb des Gitters eine
Gif. Das Weib, das den Mord beging. 23s Romau von Frih Reck-ZNallcczcwell. Ganz beieinander üble, kleine Segler. Irgendwo brennt Hinter einem trüben Bullenauge eine Petroleumlampe... man kann im Vorüberfahren für einen Augenblick ein Manns- bild und ein ältliches, grauhaariges Frauenzimmer in einer Stellung sehen, vor der man lieber die Augen schließt. Und Harmonikatöne und Hundegebell kommen von den großen Salpeterbarken, unter deren Bug sie durchschwimmen, und die wie große, schwarze Särge auf dem Wasser liegen: und dann, während sie um die Ecke einer verlassenen Fortinsel biegen und der Diener Theodorowitsch unter Verpfändung seiner Ehre versichert, daß sie direkt zum amerikanischen Hafenasyl führen.. ja, da raucht endlich unter grell im Nachthimmel schwimmenden Bogenlampen und einer Wolke von Gegröl iGlockmschrillen und Orchestriongedudel die Jsola Maciel auf. In zehn Minuten legen sie drüben an. Braune, zer- lumpte Kavaliere schnarchen auf den Steinstufen, die zu dieser Insel der Seligen hinanführen. Und der schwer betrunkene Steuermann einer russischen Bark, rosig und strahlend wie ein gigantischer Coeurkönig, stößt Urlaute der Freude aus inmitten der kleinen Japanerinnen, die an ihm wie Muscheln an einem morschen Pfahl hängen. Dann passiert man ein Kino, dessen Auslagen alle Freuden der Hurigärten oersprechen, dann fleht man eine englische Dampfermannschaft mit starken fröhlichen Liedern heimkehren, und dann endlich öffnet sich zwischen Tabogantürmen und Achterbahnen und Glücksbuden das, was man das Paradies auf Erden nennen muß: ein freier Platz, dessen Korso im wesentlichen von Dirnen und chren Beschützern bestritten wird. Aeltliche, freche Dirnen und zaghafte Novizinnen, die den Provinzschick von Ungarn und Polen noch immer nicht ganz verleugnen... gelbe und rote und grüne, aus Annam und Tonkin importierte Weiber und solche wiederum mit jenem zwischen der Lausitz und dem Vogtlande gesprochenen Idiom, das ja schon Gott-Vater zur � Befehlsübermittlung bei der Weltenschövsung benützt hat. Daß sie diesen ungeheuerlichen Fleischmarkt ohne Auf- enthalt passieren, daß der Diener Theodorowitsch nochmals seine Seele für das Hafenasyl verpfändet, ist eine Tatsache, die die klein« Sif zunächst beruhigt. Weniger beruhigend ist. daß
der Weg wieder in das menschenleere Labyrinth der Stapel- Plätze und Silos und Holzzijune führt, daß die beiden Männer plötzlich, als wollten sie mit ihr zü siamesischen Drillingen verwachsen, sich fest bei ihr einhängen, und daß endlich vor einer der verfallenen kleinen Kneipen der Diener Theodora- witsch von neuem seinen verruchten Gassenhauer pfeift. Und an dieser wenig einladenden, von einer einsamen Petroleumlampe erleuchteten Stelle, wo riesige Ratten unter den Brettern hervorkommen und vorüberhuschen, hier, wo es nach Chilesalpeter und den Bedürfnisstätten der Männer riecht, hier geschieht es, daß sich plötzlich ihre Gesellschaft auf den Pfiff des Russen um eine weitere gewichtige Persönlichkeit vermehrt: ein eleganter Mann in einem Cutaway, aus dessen Klappen man sicher eine nahrhafte Kraftbrühe kochen könnte, ein schöner Mann mit Bartflechte und verfaulten Zahnftum- mein und einem Mundgeruch, der die Zentralmächte befähigt hätte, die gaft'e Fochlche Reservearmee in die Flucht zu jagen. Und während der Diener Theodorowitsch mit diesem Edelmann in einem nicht näher zu diagnostizierenden siawi- schen Idiom verhandelt, während sie in den Lichtschein ge- schoben wird von ihren Begleitern und begafft als die Ware, zu der sie geworden ist... hier, wo sie urplötzlich fühlt, was ihr droht: hier geschieht es, daß da aus dem Dunkel eine Frauengestalt austaucht und sie im Passieren streift und ihr in einem woblbekonnten Dialekt etwas zuflüstert: „Wat wiste hier? Mach', daste fortkommst..." Ein Hut, auf dem alle Papierblumen des Paradieses blühen, ist zu sehen, ein Stück Menlchenelend, behangen mit allen Berufsemblemen der Rua Chacabuco... ja, aber es ist eben das Weib, das vor Iahren einmal von ähnlichen Kava- lieren den gleichen Weg geführt sein mag und die Schwester warnt „Mach', doste fortkommst..." Da ist die Dirne auch schon verschwunden aus dem Licht- kreis der Laterne. Es ist zu verzeichnen, daß sowohl der Diener Theodorowitsch wie der neu Hinzugekommene in dem Weib sofort den unerwünschten Warner erkennen und ihr nebst Worten, die im Sprachschatz der Christenlehre nicht enthalten sind. Steine ins Dunkel nachsenden. Aber es ist dieser, van den genannten Männern nicht wahrgenommene Augenblick, in dem sie sich von dem dritten losreißt und besinnungslos davon- rennt. Oh. sie kennt nicht die Zunftgeheimnisse der einschlägigen Gegend, sie weiß nicht, daß sie bewohnt ist von einer Gedeih und Verderb miteinander verbundenen großen Familie, deren jedes Glied das gleich« Gewerbe treibt. Ein Pfiff gellt und
noch einer, und dann hört man das Schlagen von Türen in der Kneipe da hinten und Rufe in fünfund, zwanzig Welt- sprachen. Und dann fühlt man, daß man die ganze Hölle hinter sich hat. Verzweifelte Jagd ein paar Minuten lang, Jagd, bei der sie schließlich ganz dicht hinter sich einen der Verfolger spürt ... zehn Schritte, neun... immer näher... Oh, es ist das Gefühl der von der Viper gejagten Maus, dieses aus Kindertagen bekannte Gefühl, in dem man sich schließlich dem Verfolger ergibt, nur um die Angst vor dem Eingeholtwerden los zu fein... Es geschieht schließlich an einem Knick dieses Weges, daß sie über irgend etwas stolpert und vornüberfällt. Da liegt sie, hat wenigstens den glücklichen Instinkt, hier, wo es finster ist wie in einem Kohlensack, zur Seite zu kriechen. Da duckt sie sich nieder auf diesen besudelten Erdboden, der�beinahe schon eine Kloake ist, schließt die Augen vor der Meute, die an ihr vorüberhetzt, richtet sich auf, starrt um sich... weiß nicht mehr wohin.. mein Gott, mein Gott... weiß ja gar nicht mehr, wohin... „Mutter, Mutter.." Ob es für die kleine Sif in dieser Situation einen Sinn hat, eine Instanz anzurufen, die sie nie gekannt hat, und die seit zwanzig Jahren eingegraben ist an der Berliner Chaussee- straße.. ja, das mag mehr als zweifelhaft erscheinen: sie hetzt mit ihrem Geschrei ja nur die Organisation Theodora- witsch von neuem auf ihre Spur. Aber da ist, während sie den Weg zurückschwankt mit Gliedern, an denen alle Sehnen durchschnitten zu sein scheinen... ja, da ist hinter dem Bretterzaun eine schöne helle Bogenlampe, und wsnn es überhaupt nocl) so etwas wie Ruhe und Sicherheit gibt für eine gehetzte Kreatur, so muß sie eben in diesem Lichtkreis dort zu finden sein. Hinüber über einen mit rostigen Nägeln besetzten Zaun, an dem man sich das armselige S'raßenkleid vollends zerreißt! Und nun sieht sie wieder, daß die Hölle hinter ihr ist, und nun muß man ja noch über einen Sapelplatz mit alten Balken und Stacheldraht, und dann muß man, um diese Kampe da zu erreichen, noch einen zweiten Zaun überklettern. Es ist zu bemerken, daß es hier, als sie sich schon hinaufzieht an dea Bohlen, noch ein letztes, ganz verzweifeltes Spiel gibt. Da sieht sie unter sich den Diener Theodorowitsch, der eben Hand an sie legen will, da stößt sie mit Absätzen in dieses ver- fluchte Gesicht, stößt zu mit der ganzen verzweifelten Wut dieser Stunde. Da taumelt der andere zurück, und da hat die kleine Sif glücklich den Oberkörper hinübergeschwungen über den Zaun.(Fortsetzung folgt.)